Hallo zusammen!
Ich lese gerade "The Italian Navy in World War II" von James Sadkovich.
Das Buch geht detailliert auf das Leistungsvermögen der italienischen Marine (RMI) während des Zweiten Weltkrieges ein.
Wie alle Aufsätze des Autors, die sich mit der militärischen Rolle des deutschen Achsenpartners befassen, ist auch seine Einzeldarstellung lesenswert. Warum sie ohne Sachkenntnis und textkritischen Zugang dennoch nur eingeschränkten Wert hat, versuche ich im Folgenden zu erörtern.
Zunächst allerdings zum Kontext, in dem diese Arbeit entstanden ist. Seit rund zwei Jahrzehnten ist im englischen Sprachraum eine militärische Neubewertung Italiens zu beobachten, die in erster Linie durch den erstmaligen Rückgriff auf italienische Quellen angetrieben wird (Interessenten finden eine Literatur-Auswahl am Ende des Beitrags). Das ist immerhin ein deutlicher Fortschritt zur bis dahin gängigen Praxis, auf übersetztes deutsches Material (z.B. Rommel Papers) oder die alliierte Seekriegsgeschichte (z.B. Roskill) zurückzugreifen, denen man ohne weiteres eine einseitige Sichtweise attestieren kann. Die daraus resultierenden Stereotype wurden ja auch in der deutschen Sekundärliteratur zuverlässig reproduziert.
Wenn der Autor also in der Einleitung die unausgewogene und durch (italienische) Quellen kaum haltbare Kritik an der Leistungsfähigkeit der RMI bemängelt, dann tut er das zu Recht. Umso bedauerlicher ist es dann, wenn er selbst eine klare Agenda verfolgt: Die Rehabilitation der Italiener um jeden Preis. Ein roter Faden, der sich leider durch alle Arbeiten des Autors zieht und umso ärgerlicher ist, weil er gar nicht nötig gewesen wäre, um zu beweisen, dass die RMI eben nicht feige und unfähig war.
Wenn ich nun im weiteren Verlauf immer wieder italienische Versäumnisse herausstelle, dann dient das der Illustration der Parteilichkeit des Autors und nicht als Beweis für die Inkompetenz der RMI. In der Tat hat die italienische Marine, gerade auch angesichts ihrer unbestreitbaren technischen und materiellen Unzulänglichkeiten, die in sie gestellten Aufgaben oftmals erfüllt!
Nun aber zum eigentlichen Kern:
Während Sadkovich z.B. bei Tarent (erfolgreicher britischer Luftangriff auf die italienische Schlachtflotte) durchaus auf einige Schwächen in der Hafenverteidigung hinweist (bspw. war nur ein Teil der vorgesehenen Torpedonetze ausgelegt), verliert er in seinen Ausführungen kein Wort über die eigentliche Ursache für den Erfolg des Unternehmens: Die RMI war über den Stand der Torpedotechnik und den sich daraus ergebenden Einsatzmöglichkeiten schlicht nicht im Bilde. Siehe neuerdings Caravaggio, Angelo N.: The Attack at Taranto: Tactical Success, Operational Failure, in: Naval War College Review (2006): pp. 103-127
Eine Nachlässigkeit, die der italienische Marine in den ersten Monaten des Krieges teuer zu stehen kommt. Und obwohl Sadkovich diese Verluste minutiös auflistet, steht für ihn vor allem die Feststellung im Vordergrund, dass nach Tarent kein italienisches Schiff mehr in einem Hafen durch Torpedoflugzeuge versenkt werden konnte.
Ein weiteres Beispiel für die voreingenommene Argumentationsführung des Autors ist die Darstellung der Ereignisse im Rahmen der Beschießung Genuas durch die RN (Operation Grog) Anfang 1941. Obwohl es sich dabei um einen kühnen Vorstoß der britischen Flotte tief in den italienisch beherrschten Raum hinein handelte, ein Unterfangen das die RMI den gesamten Krieg über nicht wagte, ist er für Sadkovich lediglich der Beweis, dass die RN das von Italien (eigentlich den deutschen Fliegerkräften) kontrollierte zentrale Mittelmeer meiden wollte. Die Beschädigung von "nur" 32 der 55 Handelsschiffe im Hafen wertet der Autor schließlich als "sehr geringen Erfolg", als Propaganda-Coup.
Warum es einer feindlichen Flotte gelang, unbemerkt (!) rund 1.200 KM zurückzulegen um schließlich völlig unbehelligt (!) einen der wichtigsten italienischen Häfen bei Tage (!) rund eineinhalb Stunden zu beschießen, um danach genauso unbehelligt wieder zurückzukehren, wird vom Autor nicht thematisiert. Dabei wären die in diesem Zusammenhang stehenden Schwächen der italienischen Luftaufklärung und des luft-, land- und seebasierten Objektschutzes einen Blick allemal wert gewesen.
Zu dieser argumentativen Befangenheit gesellen sich leider auch ein paar inhaltliche Schnitzer: Die konzeptionellen Schwächen der italienischen Schiffskonstruktionen versucht der Autor etwa dadurch zu erklären, dass lediglich Frankreich eine Rolle in der italienischen Strategie gespielt habe, wenn tatsächlich das Gegenteil der Fall ist. Vergleiche hierzu wie im Folgenden die quellengesättigte Darstellung von Robert Mallet: The Italian Navy and Fascist Expansionism, 1935-1940, London 1998
Immer wieder weist der Autor zudem auf das folgenreiche Fehlen von Trägern für die Kampfführung der RMI hin. Offenbar in der Annahme, dass es sich dabei um eine politische Entscheidung gehandelt habe, wenn es in Wahrheit die RMI selbst war, die noch zu einem Zeitpunkt Träger abgelehnt hat, als selbst eine Kontinentalmacht wie Deutschland welche im Bau hatte.
Problematisch wird es allerdings erst, wenn es um die Bewertung deutscher Vorgänge geht. Hier leistet sich der Autor einige außerordentliche Fehleinschätzungen. Ein Blick in die Bibliografie ist dabei erhellend. Obwohl auch deutsche Quellen Eingang gefunden haben, ist ihre Auswahl nicht breit und aktuell, ihre Deutung nicht kenntnisreich genug. Der Einfluss der Marineführung auf die Formulierung der deutschen Kriegsziele wird beispielsweise vom Autor konsequent überschätzt und gründet sich in erster Linie auf einen (falschverstandenen) Beitrag Schreibers aus den 1980er Jahren. Dabei hat gerade Schreiber - vom Autor offenbar unbemerkt - die deutsche Mittelmeerstrategie ausführlich vorgestellt. Siehe dazu u.a. derselbe et al.: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 3, Der Mittelmeerraum und Südosteuropa. Von der "non belligeranza" Italiens bis zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, Stuttgart 1984
Und wenn Sadkovich schon gegenüber den ehemaligen Gegnern Italiens tendenziös argumentiert, dann gibt es für ihn beim einstigen Bündnispartner kein Halten mehr. Wenn die RMI erst nach der Seeschlacht von Matapan davon Kenntnis erhielt, dass Radaranlagen nunmehr auch auf Schiffen zu finden waren, dann war das vor allem die Schuld der Kriegsmarine, die sie - in der Annahme, derartiges wäre den Italienern ohnehin bekannt - nicht darüber in Kenntnis setzte. Und das, obwohl der Autor selbst festhält, dass den Italienern bereits lange davor Aufnahmen von Schiffen mit Radaranlagen vorlagen, offenbar aber nicht den entsprechenden Stellen zugegangen waren.
Überhaupt war Matapan, die deutlichste Niederlage der RMI, in erster Linie ein deutsches Verschulden. Das fängt beim Drängen der deutschen Marineführung nach einer derartigen Operation an, obwohl - auch das hält der Autor fest - der italienische Flottenchef den Admiralstab in dieser Frage genauso bedrängte und letzterer in seiner Entschlussfassung immerhin eigenständig war. Weiter geht es mit einer fehlerhaften Meldung deutscher Fliegerverbände, die darauf schließen ließ, dass die RN nur noch über ein einsatzbereites Schlachtschiff im östlichen Mittelmeer verfügen würde, wenn es derer drei waren. In der Tat ein Problem, wenn die Richtigstellung nicht noch rechtzeitig den italienischen Stellen zugegangen wäre. Letztere waren jedoch nicht in der Lage diese Information dem Flottenchef zeitnah zur Kenntnis zu bringen. Und schließlich passte auch der Jagdschutz nicht, weil die Luftwaffe ihre Jagdflugzeuge in den Abendstunden nicht riskieren wollte, wenn das eigentliche Problem die Entscheidung des italienischen Flottenchefs war, kehrtzumachen und die Nacht über de facto bewegungslos in feindlichen Gewässern zu verbringen.
Der militärische und wirtschaftliche Beitrag Deutschlands wird dagegen an jeder erdenklichen Stelle marginalisiert. Dabei war es im weiteren Kriegsverlauf z.B. die KM, die u.a. unter Aufgabe ihrer Fähigkeit zur Atlantikkriegführung mit schweren Überwasserstreitkräften, die RMI mit so viel Öl versorgte, dass sie wenigstens ihre dringendsten Aufgaben erfüllen konnte.
Warum ist das Buch also dennoch lesenswert?
Einerseits muss man festhalten, dass der Autor in der Beschreibung dieser Vorgänge durchaus dazu in der Lage ist der Argumentation gegensätzliches anzuführen. Meist geschieht dies in Fußnoten, immer wieder aber auch im Text (dort allerdings oftmals relativierend), sodass sich der aufmerksame Leser ein eigenes Bild machen kann. Der Autor rezipiert in diesem Zusammenhang praktisch die gesamte italienisch- und englischsprachige Literatur zum Thema und ermöglicht damit einem fremdsprachigen Publikum erstmals einen Einblick in die unterschiedlichen Auffassungen und den Stand der (RMI-)Forschung zu Beginn der 1990er Jahre. Darüber hinaus gibt es auch heute noch keine englischsprachige Darstellung, die über umfangreicheres statistisches Material zur RMI verfügt, als "The Italian Navy". In über 40 Tabellen wird auf eine Fülle von aufschlussreichen Einzelheiten eingegangen. Und schließlich gelingt dem Autor, trotz argumentativer Schlagseite, trotzdem der überzeugende Nachweis, dass die RMI weder feige noch ineffektiv oder inkompetent war. Und das ist gerade auch für das deutsche Publikum, dessen Wahrnehmung des italienischen Kriegsbeitrags gerne mal verzerrt ist, allemal lesenswert.
Weiterführende Literatur:
Battistelli, Pier et al.: Italian Medium Tanks, 1939-45, Oxford 2012
Carrier, Richard: Some Reflections on the Fighting Power of the Italian Army in North Africa, 1940-1943, in: War in History (2015): pp. 503-528
Ceva, Lucio: The North African Campaign, 1940-43: A Reconsideration, in: Journal of Strategic Studies XIII (1990): pp. 84-104
Griffith, Paddy: World War II Desert Tactics, Oxford 2008
Palermo, Michele: North Africa Air Battles, November-December, 1941, Rome 2011
Sadkovich, James: Of Myth and Men: Rommel and the Italians in North Africa, 1940-1942, in: International History Review XIII (1991): pp. 284-313
Sullivan, Brian: The Italian Soldier in Combat, June 1940-September 1943: Myths, Realities and Explanations, in: Time to Kill: The Soldier’s Experience of War in the West, London 1997
MfG