Hallo zusammen!
Da sich bisher niemand gemeldet hat, und ich das Buch nun gelesen habe, versuche ich mich an einer Einschätzung. Vielleicht ist sie ja für den ein oder anderen Interessenten hilfreich (weitere Meinungsbilder sind ausdrücklich erwünscht!).
Ich habe die Lektüre von Töppels Werk zum Anlass genommen, die bisher dominierenden deutschsprachigen Darstellungen von Klink (1966) und Frieser (2008) noch einmal querzulesen, um mir deren Stärken und Schwächen in Erinnerung zu rufen und damit auch eine gewisse Vergleichsgrundlage zur jüngsten Kursk-Veröffentlichung zu haben.
Für alle Ungeduldigen: Ich kann das Buch empfehlen. Es ist leicht verständlich geschrieben und liefert wichtige Erkenntnisse zur Schlacht um Kursk. In vielerlei Hinsicht bildet es dabei den Stand der Forschung ab. Wer sich also über die grösste Schlacht des Zweiten Weltkriegs zuverlässig informieren möchte, kann bedenkenlos zugreifen.
Allen, die einen etwas längeren Atem haben, möchte ich gerne erklären, wie ich zu diesem Urteil komme.
Zur Methode:
Für den Kontext ist es zunächst wichtig zu wissen, dass die Arbeit im Rahmen der Buchreihe "Schlachten - Stationen der Weltgeschichte" erschienen ist. Ziel dieser Serie ist die verständliche Vermittlung militärgeschichtlicher Inhalte.
Was bedeutet das nun konkret?
In erster Linie hat das Auswirkungen auf die Tiefe des Anmerkungsapparats, der sich im Wesentlichen auf den Nachweis von wörtlichen Zitaten beschränkt und dadurch einen reibungslosen Lesefluss sicherstellen soll. Für das Publikum, das das Buch in erster Linie erreichen soll, bleibt das ohne Konsequenz. Für die Forschung hat diese Vorgehensweise jedoch ernste Folgen: wichtige Teile der Arbeit können dadurch die strengen Formalitäten wissenschaftlichen Arbeitens nicht erfüllen und sind damit in diesem Kontext nur eingeschränkt belastbar. Ein Beispiel dafür ist die umfangreiche - praktisch jedoch quellenfreie - Diskussion der materiellen und personellen Verhältnisse beider Kontrahenten vor, während und nach der Schlacht.
An dieser Stelle rettet das Buch allerdings zweierlei: Erstens die Tatsache, dass dies nicht die erste Veröffentlichung des Autors zum Komplex ist. Das ist deshalb von Interesse, weil sich Töppel an anderer Stelle den formalen Kriterien durchaus unterworfen hat und - gerade in der Zahlendiskussion - im Ergebnis nichts Neues präsentieren kann. Damit belegt er seine Ausführungen also indirekt. Zweitens gelingt es dem Autor durchaus, wichtige Erkenntnisse aus den Quellen direkt zu belegen. Beides führt dazu, dass sich die methodischen Defizite (im Sinne einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung) zu einem nicht unerheblichen Teil kompensieren lassen.
Zum Inhalt:
Die von Töppel im Vorwort angekündigten "überraschende[n] Forschungsergebnisse" (Töppel, 2017, S. 8 ) verblüffen den Leser - bis auf zwei Ausnahmen - nur dann, wenn man seine bisherigen Abhandlungen nicht kennt. Inhaltlich bohrt die Arbeit, über weite Strecken, die bereits veröffentlichten Beiträge des Autors auf und lässt sich damit grob in vier Stoßrichtungen einteilen:
1) Die Erinnerungskultur der deutschen Generalität
Minutiös widmet sich der Autor den zahlreichen Verzerrungen in den verschriftlichten Erinnerungen der beteiligten Heeresoffiziere und legt sie dabei schonungslos offen. Das Credo war stets dasselbe: Hitler war an allem Schuld. Kein Wunder, war es doch nach dem Kriege ein Einfaches dem toten Diktator jeden nur erdenklichen (eigenen) Fehler in die Schuhe zu schieben. Woher sollte der Widerspruch auch kommen?
Töppels Urteil - derartige Kriegserinnerungen bis zum quellenkritischen Gegenbeweis als grundsätzlich unglaubwürdig einzustufen - fällt dabei ungewohnt scharf aus. Zwar ist es keineswegs neu, dass die bisweilen in Apologien abdriftenden Memoiren der ehemaligen Militärelite kein Ruhmesblatt ihrer Offiziersehre waren - sofern sie nach diesem Kriege überhaupt noch eine besitzen konnten - doch so deutlich wurde ihr Quellenwert bisher nicht infrage gestellt.
2) Die sowjet-russische Historiographie
Ähnlich desaströs fällt das Urteil über die Geschichtsschreibung des "Großen Vaterländischen Krieges" aus, wie der deutsch-sowjetische Krieg im russischen Sprachgebrauch auch genannt wird. Dabei erstreckt sich die Kritik nicht nur auf Veröffentlichungen der Sowjetära, deren ideologisch geprägter Charakter ohnehin hinlänglich bekannt ist, sondern auch auf den Zeitraum nach 1991. Leuchttürme, wie Boris Sokolov, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die anhaltenden politischen Verhältnisse die russische Geschichtsforschung, nach Zielsetzung und Methodik, offenbar wieder in tiefste Sowjetzeiten zurückgeworfen haben. Erhellendes ist von dort also nur in Ausnahmefällen zu erwarten.
3) Die Beleuchtung wenig beachteter Geschehnisse
Meiner Meinung nach liegt hier die größte Stärke der Arbeit.
Ob es sich um die Schilderung der Lage der Verbände nach "Zitadelle" handelt oder um seine Ausführungen zur Professionalität der beteiligten Truppenkörper, um zwei Beispiele herauszugreifen, stets kann der Autor das Schlaglicht auf gleichermaßen wichtige wie vernachlässigte Aspekte der Thematik lenken und damit die Auseinandersetzung mit wertvollen Feststellungen bereichern.
4) Die substanzielle Erweiterung erforschter Aspekte
In diesem Zusammenhang gelingt dem Autor immer wieder die kenntnisreiche Vertiefung bereits vorliegender Erkenntnisse, beispielsweise zu Friesers lesenswerter Besprechung der Waffentechnik oder Klinks Ausführungen zum Ausbildungsstand der Angriffsverbände. Töppels Betrachtungen tragen damit zum besseren Verständnis der Ereignisse wesentlich bei.
Weit subtiler fällt hingegen die Kritik an der Militärgeschichtsschreibung des ehemaligen MGFA, besonders aber ihres Kursk-Exponenten Karl-Heinz Frieser, aus. Bereits die Einleitung, in der Töppel auf die getrennten Wege beider Historiker hinweist, lässt vermuten, dass das kollegiale Band außerordentlichen fachlichen Belastungen ausgesetzt war.
In der Tat ist Friesers Beitrag dann auch in wichtigen Punkten überholt. Dass dies insbesondere vor dem Hintergrund konstatiert werden muss, dass sich praktisch alle (neuen) Erkenntnisse aus den vorliegenden (zeitgenössischen) Quellen deutscher Provenienz erschließen lassen, ist kein gutes Zeichen. Gerade der Umgang Friesers mit Schriftstücken der Militärelite, die nach Kriegsende entstanden sind, muss als sorglos bezeichnet werden. Konkret zur "Zitadelle" wird Frieser u.a. in der Urheberfrage, in Teilen der materiellen Diskussion und in den Gründen für den Abbruch des Unternehmens widerlegt.
Nicht zu übersehen ist außerdem, dass Töppel die Arbeit von Klink explizit empfiehlt, während ein derartiger Hinweis bei Frieser fehlt (mit ähnlichem Ergebnis im Anmerkungsapparat, in den Frieser kaum Eingang findet).
Das wirkt zu hart, immerhin hat Frieser (gegenüber Töppel) nach wie vor die Nase bei der Kartografie, in der personellen Diskussion (insbesondere im Grad ihrer Detailierung) und in Teilen der materiellen Diskussion (insbesondere die deutsche Luftwaffe betreffend) vorn. Auch die Vorstellung der Abläufe bei Prochorowka, deren (erstmalige) kritische Beleuchtung Friesers Verdienst ist, ist im Grad ihrer Detaillierung nach wie vor im deutschen Sprachraum unerreicht. Damit ist der Beitrag, in seiner Gänze, also keineswegs obsolet.
Demgegenüber bietet Klink nach wie vor das umfassendste Kartenwerk zur "Zitadelle" und ist insbesondere in der Darstellung des (deutschen) Schlachtverlaufs (minus Prochorowka) nach wie vor empfehlenswert. Zudem profitiert die Arbeit von ihrem Anhang bzw. ihren interessanten Anlagen.
Letztendlich gelingt es Töppel hiermit allerdings einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der Vorgänge im Kursker Bogen während des Sommers 1943 vorzulegen.
An dieser Stelle möchte ich allen Mitgliedern und stillen Lesern ein gutes, neues Jahr wünschen!
MfG