Posts by Rote-Kapelle

    Lieber Thomas,

    auch meinen herzlichen Dank für dein Engagement hier. Wie kein anderer hast du dem Forum über viele Jahre hinweg sein Gepräge gegeben und - gemeinsam mit deinen Kollegen - sicher durch so manche Untiefe geführt. Auch deshalb weiß ich, dass du das Forum in guten Händen hinterlässt. Und wie viele vor mir hoffe ich, dass du uns mit deiner Tatkraft, deinem Wissen und deinem Charakter in anderer Funktion erhalten bleiben wirst.

    Alles Gute
    Alexander

    Hallo zusammen!

    Ich lese gerade “Die Italiener an der Ostfront 1942/43” von Thomas Schlemmer.

    Treffend konstatiert der Autor, dass über den italienischen Feldzug gegen die Sowjetunion – die Campagna di Russia – zwar viel geschrieben, jedoch nur wenig geforscht wurde. Die Parallelen zur deutschen Vergangenheitsbewältigung - insbesondere in der Nachkriegszeit – sind hier unübersehbar. Auch in Italien wurde das Geschichtsbild zunächst durch die Memoirenliteratur geprägt, die sich zügig daran machte, eine italienische Variante der deutschen Wehrmachtslegende zu schaffen. Die Rollenverteilung fiel dabei so eindeutig wie vorhersehbar aus: Der anständig, fernab nationalsozialistischer Vernichtungslogik tapfer kämpfende Italiener wurde vom grausamen Deutschen benutzt und verraten. Eine Vorstellung, die sich - mangels kritischer Auseinandersetzung mit dem Thema - lange im kollektiven Gedächtnis der italienischen Öffentlichkeit halten konnte und einmal mehr zeigt, wie schädlich eine auf Selbstzeugnissen beruhende Geschichtsschreibung mitunter sein kann.

    Angesichts dieser Zerrbilder ist es wenig überraschend, dass Schlemmer schon auf wenigen Seiten ein deutlich differenzierteres Bild über den italienischen Kriegsbeitrag in Russland zeichnen kann. Der Autor räumt dabei mit zahlreichen, zuweilen auch im deutschen Sprachraum, tief verankerten Legenden auf, darunter zur Ausrüstung des italienischen Heeres, der Tapferkeit seiner Soldaten, der italienischen Besatzungspolitik und natürlich auch zur deutschen Verantwortung an der Niederlage der Armata Italiana in Russia. Gerne hätte ich mehr dazu gelesen. Die kenntnisreichen Ausführungen des Autors beschränken sich jedoch auf die umfangreiche thematische Einleitung, denn im Zentrum der Darstellung steht die ausgewogene Edition unveröffentlichter Quellen deutscher und italienischer Provenienz zum Kampf und Untergang des königlich-italienischen Heeres in der Sowjetunion. Die sorgfältig ausgewählten Dokumente ermöglichen dem Leser auch tiefe Einblicke in das deutsch-italienische Verhältnis jener Tage. Die Ereignisse des Winters 1942/43 am Südabschnitt der Ostfront sollten sich nicht nur zu einem militärischen Desaster für die Achsenmächte entwickeln, sondern auch über Generationen hinweg das jeweilige Bild über den einstigen Bündnispartner bestimmen.

    Die abgedruckten Quellen werden von einem hilfreichen Anmerkungsapparat begleitet, der die Kontextualisierung der geschilderten Vorgänge und Teilnehmer maßgeblich erleichtert. Zu bemängeln ist allerdings das Kartenwerk. Obwohl es die einleitenden Bemerkungen des Autors sinnvoll unterstützen kann, werden die in den Gefechtsberichten geschilderten Verläufe taktischer Kampfhandlungen nicht abgebildet. So lassen sich diese Vorgänge bestenfalls rudimentär verorten.

    Ungeachtet dessen hat Schlemmer - über alle Sprachgrenzen hinweg - wichtige Impulse für die künftige Forschung zum italienischen Wirken an der Ostfront gesetzt. Und da das Beste bekanntlich zuletzt kommt, an dieser Stelle noch der Hinweis, dass der Verlag das Buch mittlerweile nicht nur digitalisiert, sondern auch zum kostenlosen Abruf zur Verfügung gestellt hat. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann das hier tun: https://www.degruyter.com/view/title/306515

    MfG


    Hallo zusammen!

    Passend zum fünfjährigen Jubiläum des Threads möchte ich mich gerne bei allen Mitgliedern bedanken, die hier ihren Lesestoff vorgestellt haben! Bei der beachtlichen Themenvielfalt war sicherlich für so machen Leser ein Buchtipp dabei.

    Ich las gerade "The Japanese Merchant Marine in World War II" von Mark Parillo.

    Wenn sich die Marinegeschichte dem Pazifikkrieg zuwendet, dann für gewöhnlich den großen See- und Luftschlachten des Kriegsschauplatzes. Parillo aber beleuchtet die weitgehend unbeachtet gebliebene Handelsschifffahrt des japanischen Kaiserreichs. Auf den ersten Blick mag der Materie die Faszination bedeutender militärischer Auseinandersetzungen fehlen, doch das Thema entpuppt sich nicht nur als äußerst facettenreich, sondern für ein besseres Verständnis des pazifischen Krieges auch als unabdingbar, denn Aufstieg und Fall Japans hingen untrennbar mit seinen Lebensadern - den zahlreichen Seewegen - zusammen.

    Dem Autor gelingt das beachtliche Kunststück, auf gerade einmal 235 Textseiten, durchaus erschöpfend der Frage nachzugehen, weshalb die drittgrößte und gleichzeitig effizienteste Handelsmarine der damaligen Welt in nur dreieinhalb Kriegsjahren ihrem Untergang entgegen ging. Sicherlich tragen die zahlreichen - mitunter durchaus umfangreichen - Tabellen und das lehrreiche Kartenmaterial ihren Teil dazu bei, dennoch ist es selten, dass ich ein Themengebiet so befriedigt verlasse, wie nach Parillos kenntnisreicher Auseinandersetzung mit der Thematik. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich mir an mancher Stelle mehr Sorgfalt im Umgang mit Daten gewünscht hätte. Auf S.105 liest man z.B., dass der Geleitträger Shinyo bereits auf seiner ersten Geleitzugfahrt versenkt worden wäre, obwohl das offensichtlich unzutreffend ist (vgl. TROM).


    Die Darstellung selbst fußt auf den Ergebnissen einer zehnjährigen Forschungstätigkeit, die den Autor auch in japanische Archive führte. Letzteres grenzte im westlichen Sprachraum - zum Erscheinungszeitpunkt dieser Darstellung - noch an eine Sensation. Alleine der Rückgriff auf die offizielle japanische Kriegsgeschichte (Senshi Sōsho) macht das Werk lesenswert.

    Parillo ging allerdings nicht nur beim Thema neue Wege. Lange begnügte sich die Forschung zum Pazifikkrieg damit, die japanische Niederlage mit einem Hinweis auf das einseitige Kräfteverhältnis zu erklären. Obwohl das Argument faktisch nicht von der Hand zu weisen ist, verstellt dieser monokausale Zugang die Sicht auf Aspekte, die die Kriegsniederlage unabhängig personeller und materieller Zwänge erklärbar machen.


    Die dem Buch zugrundeliegende Theorie, wonach das kaiserliche Japan Opfer einer Modernisierungskrise wurde, wird heute weitgehend akzeptiert. Insbesondere die Tradierung archaischer Einstellungen - etwa der Kriegerkaste - sollten sich für die Restrukturierung des Landes als folgenreich erweisen. Während der japanischen Gesellschaft die Abkehr von vorindustriellen Strukturen gelang, hielt sie in grundlegenden Lebensbereichen an vormodernen Denkmustern fest. Diese Entwicklungsdefizite führten zu allerlei Ambivalenz im japanischen Handeln: Während man z.B. durch eine kluge staatliche Subventionspolitik im Schiffbausektor sogar den Branchenprimus Großbritannien im umkämpften Markt des kommerziellen Seehandels herausfordern konnte, ergriff man keinerlei administrativen, doktrinalen, technischen oder anderweitig zum Schutze dieses Schiffsraums geeigneten Maßnahmen. Getreu dem Motto der Samurai suchte man sein Glück in der Offensive, da kamen Mahan und die von ihm propagierte Entscheidungsschlacht gerade recht. Die marinehistorischen Schriften des Amerikaners sollten das japanische Denken zur See beherrschen – mit fatalen Konsequenzen. So rechnet Parillo z.B. vor, dass für ein Schlachtschiff der Yamato-Klasse 235 Küstenwachboote hätten gebaut werden können (oder um 65 mehr als die Japaner während des gesamten Krieges fertigten). Tatsächlich waren die Rüstungsprogramme derart auf die Herstellung von offensiv einsetzbaren Kriegsschiffen getrimmt, dass zu Beginn der Feindseligkeiten überhaupt keine geeigneten Schiffe zum Schutz der vitalen Seewege zur Verfügung standen. Freilich schlug sich diese Einstellung auch in anderen Bereichen nieder, darunter in organisatorischen Fragen. Noch Ende 1942 existierte etwa in der japanischen Marine lediglich eine Vollzeitstelle, die sich mit Konvoi-Fragen befasste. Die gesamte Tragweite der japanischen Überforderung offenbart jedoch die paradoxe Tatsache, dass die japanische Handelsschifffahrt in den ersten Kriegsjahren vor allem vom falschen Ansatz der amerikanischen U-Bootwaffe profitierte.

    Die Conclusio ist so eindeutig wie einleuchtend, Japan hätte den Krieg schon aufgrund seiner sträflich vernachlässigten Seewege verloren. Bar aller Voraussetzungen stürzte sich das partiell modernisierte Japan in einen Weltkrieg, der das Land vor unlösbare Herausforderungen stellte.

    MfG

    Hallo zusammen!

    Wolfgang

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    Auch an der Südfront war Hitler partout nicht mit dem Kriegsziel des Generalstabes: Moskau.

    Es ging hier doch um den Nordbabschnitt, oder nicht?


    Quote

    Immerhin wurde die Heeresgruppe Nord aus Spanien verstärkt, die Spanier wurden aus Grafenwöhr durch das Kampfgebiet der Heeresgruppe Mitte geführt,und dies Anfang September 1941*! Hitler hat sich da also gegenüber dem Generalstab durchgesetzt.


    1) Wurde der "spanischen Division" - im Zuge ihrer Verlegung an die Ostfront - eine geringe Kampfkraft attestiert. Dem Urteil deutscher Dienststellen zufolge war sie für Angriffsaufgaben ungeeignet. Ihr Einsatz bei der Heeresgruppe Nord spricht daher für sich selbst. Bei der Heeresgruppe Mitte, die sie ursprünglich verstärken sollte, dürfte man diese Entscheidung jedenfalls wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, hatte doch noch kurz zuvor Generalfeldmarschall von Kluge einen Einsatz der Division in seinem Befehlsbereich abgelehnt (vgl. Müller, 2007, 117).

    2) Musste die Heeresgruppe Nord bis Mitte September 1941 wesentliche Teile ihrer schnellen Verbände und taktischen Luftunterstützung an die Heeresgruppe Mitte für ihren Stoß gegen Moskau abgeben. Damit war die Einnahme Leningrads vom Tisch. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich Hitler im Norden nicht gegen die Auffassung des Generalstabs durchsetzen konnte.


    Literatur:

    Müller, Rolf-Dieter: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" 1941-1945, Berlin 2007

    MfG

    Hallo zusammen!


    Wolfgang

    Quote

    seit der Weisung Nr. 21 hat Hitler die Einnahme von Leningrad für wichtiger, als die von Moskau, gehalten.

    Präzise wäre hier "in der Weisung" [...]. Im Gegensatz zu Moskau war Leningrad nicht nur bedeutender Industriestandort und Verkehrsknotenpunkt, sondern für Hitler auch "die Wiege der Revolution" (Ganzenmüller, 2005, 19) und damit von besonderer politischer Symbolkraft. Tatsächlich lässt sich den Akten entnehmen, dass der "Führer" noch Ende August 1941 der Inbesitznahme Leningrads eine höhere Bedeutung beimaß, als der Eroberung Moskaus. Doch schon zwei Wochen später folgte er schließlich der Forderung des Generalstabs, die Entscheidung im Zentrum der deutschen Front zu suchen (vgl. Hürter, 2009, 108f.). Damit war Leningrad endgültig in den Hintergrund der Überlegungen gerückt.

    Militärisch blieben diese Gedankenspiele ohnehin ohne jede Konsequenz. Obwohl Leningrad in der Weisung Nr. 21 Priorität eingeräumt wurde, sah der Generalstab im nördlichen Frontabschnitt nie mehr als einen Nebenkriegsschauplatz und dislozierte entsprechend. Daran vermochte auch Hitler nichts zu ändern.


    Literatur:

    Ganzenmüller, Jörg: Das belagerte Leningrad 1941-1944. Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern, Paderborn 2005

    Hürter, Johannes; Lieb, Peter; Pohl, Dieter: Der deutsche Krieg im Osten 1941-1944. Facetten einer Grenzüberschreitung, München 2009

    MfG

    Hallo Amelie!

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    Daraus geht nach meiner Lesart nur hervor, daß das Gebiet nach dem Waffenstillstand vom 8. September besetzt wurde, nicht jedoch das konkrete Besetzungsdatum von Pola, ob am nächsten Tag oder in den folgenden Wochen.

    Zum Zeitpunkt des Waffenstillstands lagen schwache Kräfte der Kriegsmarine in Pola. Auf Initiative ihres Kommandeurs und unter Androhung von Luftangriffen und weiteren Repressalien übernahmen diese Truppen vom 10. September 1943 an die "Aufsicht" über Pola. Aufgrund der starken zahlenmäßigen Überlegenheit der italienischen Garnision blieb die deutsche Herrschaft vor Ort allerdings noch bis zum 12. September vom guten Willen des ehemaligen Bündnispartners abhängig. Erst mit Eintreffen einer Kampfgruppe der 71. Infanteriedivision konnten die Italiener entwaffnet und damit die Kontrolle auch de facto übernommen werden. Zwischenfälle traten dabei nicht auf (vgl. Schreiber, 1990, S. 110ff.).

    Literatur:

    Schreiber, Gerhard: Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943-1945: Verachtet - verraten - vergessen. München 1990

    MfG

    Hallo zusammen!

    wirbelwind

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    Glaubte die STAWKA so den Kessel bereinigen zu können?

    Die zunächst durch das sowjetische Oberkommando beabsichtigte Zerschlagung der deutschen Heeresgruppe wurde nach erfolgloser Beendigung der dritten Kurlandschlacht aufgegeben. Fortan sollten die deutschen Kräfte lediglich an einem Ausbruch bzw. an ihrer Rückführung gehindert werden. Die folgenden Angriffe, durch die Rote Armee in wesentlich verringerter Intensität vorgetragen, dienten dann der Kräftebindung.

    Letzteres war auch der offizielle Grund auf deutscher Seite, eine vollständige Evakuierung der deutschen Truppen bis zuletzt abzulehnen. Noch Anfang Mai glaubte man mit 19 (nunmehr stark abgekämpften) Divisionen neun sowjetische Armeen mit zusammen 86 Schützendivisionen und weiteren 85 Panzerverbänden zu binden. Das wäre ein Verhältnis von nahezu 1:5 bei den Divisionen gewesen, rechnet man die selbstständigen Panzerverbände (meist in Brigade- und Regimentsstärke) mit ein, liegt man bei etwa 1:10 (vgl. Grier, a.a.O., S. 235). Kaum zu glauben, dass zu diesem Zeitpunkt ein wirksamerer Einsatz dieser deutschen Mittel möglich gewesen wäre.

    Karl

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    das kann von AH eigentlich nur eine vorgeschobene Begründung sein...

    Danke für deinen Hinweis! Die finnische Frage spielte in erster Linie in den Diskussionen vor der eigentlichen Einschließung der Heeresgruppe Nord durch die Rote Armee eine Rolle. Bereits im Frühjahr 1944 war den Führungsstäben klar geworden, dass die Front im Nordabschnitt einem sowjetischen Großangriff nicht würde standhalten können. Die konkrete Gefahr einer Einschließung wurde spätestens im Sommer offen diskutiert und von Hitler u.a. unter dem Hinweis auf das fragile Bündnis mit Finnland bewusst in Kauf genommen.

    Noch ein Nachtrag zur Versorgungslage:

    Der zwischenzeitliche Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Kurland, Generaloberst Vietinghoff, sah im guten Versorgungszustand den Hauptgrund für die erfolgreiche Verteidigung Kurlands (vgl. ebd., S. 161). Dessen ungeachtet kam es natürlich zu Nachschubschwierigkeiten und Engpässen u.a. in der Nahrungsmittelversorgung. Mit der Zeit gingen Häfen, Schiffe und andere Voraussetzungen für eine ausreichende Versorgung verloren - mit entsprechenden Konsequenzen für die Truppe. Ende April 1945 schätzte das OKW, dass die deutschen Kräfte noch über eine ausreichende Bevorratung für etwa drei Wochen verfügen würden (vgl. ebd., S. 183). Zustände, wie sie aus Stalingrad bekannt sind, traten im Kurland-Kessel trotz unbestreitbarer Engpässe und Entbehrungen der Truppe jedoch nicht auf.

    Dieter

    Quote

    ...ein Abtransport der Truppen nach Verlust von Riga über See durch die Kriegsmarine nicht mehr darstellbar.

    Studien der Kriegsmarine und Heeresgruppe haben das auch 1945 noch anders beurteilt. Welche Informationen liegen dir denn hierzu vor?

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    Hier angemerkt, daß nur mit größter Mühe ~8.500 Soldaten von Ösel nach Windau transportiert werden.

    Anfang Januar 1945 evakuierte die Kriegsmarine 32.000 Mann in fünf Tagen aus dem Kurland-Kessel (vgl. ebd., S. 249 ff.). Zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1945 evakuierte die Kriegsmarine acht Divisionen mit insgesamt 64.000 Mann und 14.000 Fahrzeugen aus dem Kurlandabschnitt (vgl. ebd., S. 432).

    Quote

    In den dortigen KTB´s zu Kurland wird der Mangel an allen zur Kampfführung nötigen

    Mittel beschrieben: Soldaten, Verpflegung, Munition, Pak und andere Geschütze, Panzer ... die Liste läßt sich weiterführen.

    Primärquellen müssen immer auch in ihren historischen Kontext gestellt werden. Offensichtlich wird das in unserem Fall am Beispiel der Panzerfahrzeuge. Während die deutschen Kurland-Truppen, im Vergleich zu anderen Abschnitten der Ost- und Westfront, über außerordentlich starke Panzerkräfte verfügen konnten, entstand vor Ort - sicherlich auch angesichts der sowjetischen Übermacht - der Eindruck eines Mangels. Dieser mag durchaus real gewesen sein, im Kontext war es jedoch nicht. Ein Muster, das sich bedenkenlos auch auf andere materielle und personelle Ressourcen übertragen lässt. Tatsächlich muss die materielle und personelle Ausstattung der Heeresgruppe Kurland - im Rahmen der Gesamtlage und unter Berücksichtigung des jeweiligen Zeitpunkts - als günstig bezeichnet werden. Ein Umstand, der durch die selektive Auswertung einzelner Truppen- und Zustandsberichte sicherlich nicht vollumfänglich klar werden kann.

    MfG

    Hallo zusammen!

    Die deutsche Strategie im Baltikum hat zuletzt Howard Grier ausführlich beleuchtet: Hitler, Dönitz, and the Baltic Sea. The Third Reich´s Last Hope, 1944-1945, Annapolis 2007

    Dort werden viele der hier aufgeworfenen Fragen auch beantwortet. Daher in aller Kürze:


    Folgende Aspekte haben, neben den hier schon eingebrachten Überlegungen, die Entscheidung zur Einschließung beeinflusst (vgl. Grier, 2007, S. 367 ff):

    • Erhaltung des Übungs- und Erprobungsgebiets der deutschen U-Bootwaffe.

    Der neuen U-Boot-Generation wurde kriegsentscheidende Bedeutung beigemessen. Mit dem Verlust des Baltikums wäre der Ausbildungsbetrieb jedoch nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen. Die Marine drängte daher darauf, diesen Raum zu halten.

    • Sicherstellung Finnlands als Bündnispartner und Gewährleistung der schwedischen Neutralität.

    Ein Rückzug aus dem Baltikum drohte, jedenfalls nach Hitler, das Ausscheiden Finnlands aus dem Kriege herbeizuführen und die schwedische Neutralität infrage zu stellen.

    Dies galt es aus militär-politischen und wirschaftlichen Erwägungen abzuwenden.


    Folgende Aspekte haben die deutsche Verteidigung nach der Einschließung wesentlich begünstigt (vgl. ebd., S. 160 ff.):

    • Das vorteilhafte Kräfteverhältnis der Heeresgruppe Kurland.

    Zum Jahreswechsel 1944/45 lag nirgendwo sonst an der (deutschen) Ostfront ein besseres Rohr pro Kilometer-Verhältnis vor als im Kurland-Kessel. An keinem anderen Abschnitt der Ostfront mussten deutsche Divisionen weniger Kilometer halten, als in Kurland. Im März 1945 konnte die Heeresgruppe über dieselbe Anzahl an Panzerfahrzeugen und Selbstfahrlafetten verfügen wie die gesamte Westfront.

    • Die verhältnismäßig gute Versorgungslage der deutschen Kräfte.

    Die Versorgung wurde durch die Kriegsmarine über See sichergestellt und soll nach einschlägigen Berichten besser gewesen sein, als in dem geographisch näher und militärisch einfacher zu versorgenden Italien.

    • Die Militärtopografie.
              

    Das Gelände hat die Verteidigung außerordentlich erleichtert. Das infrastrukturell unterentwickelte Land (wenige Straßen, zahlreiche Wälder) war mit Sümpfen, Flüssen und Seen durchzogen und stellte damit ein formidables Hindernis für Panzervorstöße dar. Dazu lag häufig schlechtes Wetter vor.

    • Die Qualität der sowjetischen Truppen.    
             

    Die Kampfkraft der sowjetischen Einheiten wurde von deutscher Seite mehrheitlich negativ beurteilt. Die sowjetischen Kräfte bestanden vorwiegend aus rasch aufgestellten Verbänden in den eben erst eroberten Gebieten.

    • Der Abzug sowjetischer Kräfte.

    Mit Abschluss der dritten Kurland-Schlacht begann die sowjetische Führung erhebliche Kräfte an andere Abschnitte der Ostfront zu verlegen. Sie trug damit der veränderten strategischen Bedeutung der Heeresgruppe Kurland und des von ihr gehaltenen Gebiets Rechnung.


    MfG

    Hallo Uwe!


    Die Literaturangaben hätten natürlich gleich in den ersten Beitrag gehört. Mea culpa!

    Die dich interessierenden Arbeiten kommen aus dem englischen Sprachraum.

    Zur Festungsstrategie hat Baastian Willems einen Aufsatz im Journal of Slavic Military Studies vorgelegt. Ders.: (2015) Defiant Breakwaters or Desperate Blunders? A Revision of the German Late-War Fortress Strategy, The Journal of Slavic Military Studies, 28:2, 353-378

    Der Autor forscht seit einigen Jahren - mit Schwerpunkt Ostpreußen - zur Ostfront und kann immer wieder überraschende Erkenntnisse präsentieren. Erst jüngst gelang ihm beispielsweise der Nachweis, dass nicht die Rote Armee für die Hungerkatastrophe in Ostpreußen verantwortlich war, sondern die Wehrmacht selbst. Siehe: Willems, B. (2018). Nachbeben des Totalen Kriegs. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 66 (3), pp. 403-434.

    Zum Baltikum liegt seit einigen Jahren eine Darstellung von Howard Grier vor: Hitler, Dönitz, and the Baltic Sea. The Third Reich´s Last Hope, 1944-1945, Annapolis 2007

    Grier reiht sich mit seiner Arbeit in eine länger werdende Liste von Autoren ein, die Zweifel an der gängigen Vorstellung hegen, Hitler habe sich in einem Zustand weitgehender Konzeptlosigkeit befunden.

    Der Vollständigkeit halber sei schließlich auch zum dritten Beispiel noch eine Quelle angegeben: Jochen Lehnhardt, Die Waffen-SS: Geburt einer Legende. Himmlers Krieger in der NS-Propaganda, Paderborn, München, Wien, Zürich 2017


    MfG

    Hallo Rainer,

    ich habe nicht geschrieben, dass Versorgungsprobleme nicht bekannt gewesen wären. Tatsächlich waren derartige Schilderungen weit verbreitet. Wer kennt sie nicht, die Bilder von im Schlamm versinkenden Radfahrzeugen oder die Berichte über die eingefrorenen Motoren der Lastwagen (und Panzer und Flugzeuge). Und natürlich dürfen in so einer Aufzählung auch nicht die Forstschäden an den empfindlichen Lokomotiven vergessen werden, die immerhin die Hauptlast der Versorgung zu tragen hatten. Nein, an den witterungsbedingten Versorgungsschwierigkeiten zweifelte man nicht.

    MfG

    Hallo Paul!


    Die Adressaten können dem Verteiler entnommen werden. Das Dokument ging allen wesentlichen Stellen zu. Wie die Umsetzung dann im Einzelfall aussah, müsste man sich im Detail ansehen. Da meines Wissens dazu keine Studien vorliegen, wird man um ein entsprechendes Aktenstudium nicht umhinkommen.

    Aufgrund der vorliegenden Quellenlage ist jedoch davon auszugehen, dass Überläufer auch im Reich begünstigt wurden. Wieviele das waren und in welchem Ausmaß diese Bevorzugung schließlich ausfiel, steht auf einem anderen Blatt.


    MfG

    Hallo Thomas,

    Quote

    Kannst du mir / uns Beispiele nennen,

    wofür die Geschichtsschreibung jahrzehntelang brauchte, um das Nachkriegsbild der Wehrmacht,

    verursacht durch die FMS, in den richtigen Kontext zu stellen?

    Ich glaube nicht, dass eine bloße Aufzählung von Beispielen deiner Frage gerecht werden würde. Für eine nachvollziehbare Einordnung der Vorgänge ist es meiner Meinung nach wichtig zunächst auf die Hintergründe einzugehen, denn erst dann wird ersichtlich, welche Mühen die Forschung mitunter zu überwinden hatte, welche Rolle die FMS dabei spielten und warum ihre Nachwirkungen auch heute noch spürbar sind.


    Ich hoffe also, du siehst es mir nach wenn ich aushole:


    Das Unheil nahm seinen Lauf, als der ehemalige Generalstabschef des deutschen Heeres, Generaloberst Halder, zum Leiter der kriegsgeschichtlichen Forschungsgruppe der Historical Division ernannt wurde, also jener Abteilung die für die Erarbeitung der FMS zuständig war.


    Halder begriff schnell, welche Möglichkeiten sich durch diese Funktion boten und verlor keine Zeit das Geschichtsbild seinen eigenen Vorstellungen entsprechend umzugestalten. Die gesamte militärgeschichtliche Tätigkeit dieser Abteilung folgte fortan der Prämisse dem deutschen Soldaten (und Generalstab) ein literarisches Denkmal zu setzen.


    Die Grundpfeiler dieses Narratives bildeten dabei die außerordentliche Tapferkeit des einfachen Landsers und das überragende Können der militärischen Führungsschicht.


    Die Urteile fielen dann auch entsprechend eindeutig aus: Man hat hart aber anständig gekämpft. Die militärischen Fehlschläge waren nicht das Ergebnis von Planungs- oder Führungsfehlern, sondern von unkontrollierbaren Naturgewalten oder Hitlers Inkompetenz.


    Die FMS fungierten somit nicht nur als Brutstätte für die Legende von der sauberen Wehrmacht, sondern auch für den Mythos Wehrmacht. Tatsächlich aber waren sie nicht mehr als die vergifteten Deutungen Halders und seiner Mitautoren.


    Doch noch war der Schaden begrenzt, denn die FMS befanden sich unter Verschluss. Um dem Geschichtsbild ihre Prägung geben zu können, mussten sie erst der zivilen Forschung zugänglich gemacht werden. Mit der Gründung des Arbeitskreises für Wehrforschung (AfW) gelang der ehemaligen Wehrmachtselite schließlich nicht nur die Überführung dieser Quellensammlung in den öffentlichen Raum, sondern auch die Schaffung eines (von ihnen) kontrollierten Forschungs- und Publikationsorgans, das dieses Material nun in ihrem Sinne verarbeitete. Dabei war es zweifellos hilfreich, dass die Arbeitsgruppe um Halder für viele Jahre der einzige Personenkreis in Deutschland bleiben sollte, der Zugang zu Primärquellen hatte. Die Rückgabe der deutschen Akten begann erst Anfang der 1960er Jahre und erfolgte auch dann nur schleppend. Wer also in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zur deutschen Militärgeschichte forschen wollte, kam um die FMS gar nicht herum. Ein Abgleich der dort vorgestellten Erkenntnisse mit Primärquellen war zunächst nicht möglich. Ein Grund mehr, weshalb die FMS das Nachkriegsbild der Wehrmacht so nachhaltig prägen konnten. Dazu kam, dass auch außerhalb des AfW der Erkenntnisfortschritt mühsam erkämpft werden musste. In öffentlichen Einrichtungen, wie dem MGFA, saßen neben jungen Historikern nämlich auch ehemalige Offiziere der Wehrmacht. Und die konnten und wollten an vieles nicht glauben, was nun nach und nach zu Tage gefördert wurde. Die Veröffentlichung des Barbarossa-Bandes des MGFA-Reihenwerks "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" wurde z.B. von Rechtstreitigkeiten der beteiligten Autoren begleitet.

    Das war also das Umfeld, in dem sich die Geschichtswissenschaft lange bewegen musste.


    Nun zu ein paar Beispielen:


    • Von den Beteuerungen er Wehrmachtselite in Nürnberg, den Kommissarbefehl nicht ausgeführt zu haben, bis zur Feststellung seiner flächendeckenden Anwendung, vergingen mehr als 60 Jahre. Römers wegweisende Darstellung stand am Ende eines jahrzehntelangen Forschungsprozesses.
    • Noch Mitte der 1980er Jahre war die Meinung vorherrschend, das deutsche Ostheer sei vor Moskau in erster Linie am eisigen Winter gescheitert. Eine überzeugende Korrektur dieser Deutung gelang schließlich Klaus Schüler in seinem Grundlagenwerk zur Logistik im Russlandfeldzug.
    • Der erstmals von Halder implizierte Charakter des deutschen Feldzugs gegen die Sowjetunion als präventive Handlung hat die Geschichtswissenschaft bis in die 1990er Jahre hinein immer wieder beschäftigt und ist ein gutes Beispiel dafür, dass einige Erkenntnisse erst lebhafte wissenschaftliche Debatten durchlaufen mussten um anerkannt zu werden.
    • Die erstmals vom ehemaligen Generalstabschef des deutschen Heeres, Generaloberst Zeitzler, in die Welt gesetzten Unwahrheiten zum Unternehmen Zitadelle wurden teilweise noch in den 2000er Jahren von der offiziellen deutschen Militärgeschichtsschreibung tradiert. Sie sind erst in den letzten Jahren umfassend entkräftet worden.
    • Der verbrecherische Charakter im Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangen wurde Ende der 1970er, durch Christian Streit, in seinen Ausmaßen sichtbar gemacht.
    • Die Bedeutung der Kooperation zwischen der Wehrmacht und den Einsatzgruppen der SS wurde Anfang der 1980er Jahre durch Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm erkannt.



    Meiner Meinung nach liefert der Mythos Wehrmacht die interessanteren Beispiele, weil er bis heute fortwirkt. Das liegt daran, dass sich die Geschichtsschreibung vor allem auf die Aufarbeitung von Wehrmachtsverbrechen konzentriert hat. Diejenigen Arbeiten, die sich der klassischen Militärgeschichte widmeten, trugen zwar erheblich zu einem besseren Verständnis der tatsächlichen Gelegenheiten bei, waren (und sind auch nach wie vor) jedoch nicht zahlreich genug, um das Bild einer alles überlegenen Militärinstitution zu verschieben. Noch heute fehlt beispielsweise eine operationsgeschichtliche Aufarbeitung zur Waffen-SS.

    Aber auch in den letzten Jahren sind immer wieder Arbeiten erschienen, die Zweifel an alten Deutungen aufkommen lassen, etwa zum angeblich sinnlosen Festungskonzept im Osten, zum Einsatz und Wert von Waffen-SS Divisionen oder zu Hitlers angeblich sinnbefreitem Haltekonzept im Baltikum.

    Wir verfügen heute sicherlich über ein wesentlich besseres Verständnis über die Wehrmacht als militärischer Apparat, als dies etwa in der Nachkriegszeit der Fall war, ein Ende dieses Erkenntnisprozesses ist allerdings noch nicht in Sicht.


    Bei all dem steht außerdem zu beachten, dass ich mich auf die Beeinflussung des wissenschaftlichen Umfeldes konzentriert habe. Was Historiker herausfinden und was die Öffentlichkeit akzeptiert ist ja bekanntlich zweierlei.

    Man darf nicht vergessen, dass z.B. die Legende der sauberen Wehrmacht in der breiten Öffentlichkeit erst 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ins Wanken geriet, obwohl schon Ende der 1960er Jahre erste wissenschaftliche Arbeiten erschienen, die daran Zweifel aufkommen ließen. Der Mythos Wehrmacht besteht dagegen in der Öffentlichkeit fort, obwohl sich viele landläufige Annahmen heute nicht mehr aufrecht erhalten lassen.

    Ebenfalls unberücksichtig blieben die Auswirkungen auf die internationale - insbesondere englischsprachige - Forschung, die sich noch über viele Jahrzehnte auf die übersetzten Ausarbeitungen der FMS stützten und somit noch in den 1990er Jahren Auffassungen tradierten, die im deutschen Sprachraum längst obsolet waren.


    MfG

    Hallo Paul,

    Quote

    Erstreckte sich dieser neue Umgang nur auf den engeren Rahmen der Frontverbände oder auch auf die rückwärtigen Gebiete und sogar das Reichsgebiet?


    Die o.a. Anordnungen der Heeresgebiete bezogen sich auf den rückwärtigen Raum.


    Gräbt man in den Akten tiefer, finden sich auch Hinweise zur Situation im Reichsgebiet.

    In einer OKW-Verfügung vom Sommer 1943 heißt es z.B., dass Überläufern - nach Möglichkeit - eine bevorzugte Behandlung bei Unterbringung, Verpflegung, Bekleidung und Arbeit zu gewähren war. Es ist also anzunehmen, dass ihnen auch im Heimatkriegsgebiet der Zugang zu Vergünstigungen gewährt wurde - jedenfalls soweit die Lage dies erlaubte.


    MfG

    Hallo zusammen!

    Die FMS sind ein spannendes Thema.

    Zunächst sei aber noch darauf hingewiesen, dass sich bei fold3 ein kostenfreies Probeabonnement abschließen lässt, das jedem Interessierten die Möglichkeit bietet sich selbst ein Bild zu machen. Die Plattform lässt sich am einfachsten als eine umfangreiche militärhistorische Datenbank beschreiben, die sich auf die Digitalisierung (vornehmlich) amerikanischer Dokumente spezialisiert hat. Die FMS sind folglich nur ein sehr kleiner Teil dessen, was dort abgerufen werden kann.

    Warum sind die FMS interessant? Weil sie ein sehr eindringliches Beispiel dafür sind, wie Geschichte vom Verlierer geschrieben wird.

    Bernd Wegner hat dazu einen Aufsatz vorgelegt, den ich als Einleitung zum Thema nur empfehlen kann: Erschriebene Siege. Franz Halder, die "Historical Division" und die Rekonstruktion der Zweiten Weltkrieges im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Ernst Willi Hansen / Gerhard Schreiber / Bernd Wegner (Hrsg.), Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit, Oldenbourg / München 1995, S. 287–302

    Wer sich dazu vertiefen möchte, findet bei Esther-Julia Howell Gelegenheit dazu: Von den Besiegten lernen? Die kriegsgeschichtliche Kooperation der U.S. Armee und der ehemaligen Wehrmachtselite 1945–1961. Berlin 2015

    Die Schriften selbst sind also mit Vorsicht zu genießen. Manche Detailstudien sind auch heute noch wertvoll, weil es dazu bislang keine anderweitigen Ausarbeitungen gibt oder die fragmentarische Überlieferung der Akten eine quellengesättigte Rekonstruktion ihrer Inhalte gar nicht erst gestattet, andere Arbeiten sind dagegen ihrer Intention nach bewusst irreführend und daher von geringem historischen Wert.

    Unglücklicherweise haben die FMS das Nachkriegsbild der Wehrmacht nachhaltig beeinflusst. Dieses Bild dann in den richtigen Kontext zu stellen, war ein jahrzehntelanges Unterfangen der Geschichtsschreibung.


    MfG

    Hallo zusammen!

    Quote

    Es scheint so gewesen zu sein, dass zumindest Überläufer der RA keine privilegierte Behandlung erfuhren. (s. dazu den Beitrag von Natu). Umgekehrt scheint es ähnlich gewesen zu sein.

    Die unterschiedslose Behandlung von in Gefangenschaft geratenen Rotarmisten endete im Frühjahr 1942 mit der Erkenntnis der deutschen Stellen, dass der Sieg im Osten erst noch errungen werden musste und jeder freiwillig in Gefangenschaft gehende Soldat Blut sparen würde.


    Im März 1942 ordnete etwa das Heeresgebiet Nord an, dass Überläufern unverzüglich Schwerarbeiterzulagen und Tabakwaren zu gewähren seien. Brot aus (nährwertarmen) Ersatzstoffen war dagegen nicht mehr an sie auszugeben (vgl. Streit, 1991, S. 401). Ähnlich verhielt es sich im Heeresgebiet Mitte. Aus einer Versorgungsanordnung vom April 1942 geht hervor, dass alle Überläufer - ungeachtet ihrer Tätigkeit - fortan Anspruch auf eine Schwerarbeiterzulage hatten (vgl. Hartmann, 2009, S. 751).


    Die Neuausrichtung in der Behandlung von Überläufern schlug sich auch in Anordnungen der Frontverbände nieder. Dort hielt man u.a. fest, dass die für die Versorgung der Überläufer notwendigen Nahrungsmittel sogar den Nachschubbeständen der Truppe entnommen werden durften. Die administrativen Maßnahmen wurden dabei von baulichen Tätigkeiten begleitet. So kam es zur Errichtung von Sonderlagern, mit dem Ziel den Überläufern die zugesicherte besondere Behandlung auch tatsächlich ermöglichen zu können (vgl. ebd., S. 552).


    Die oben skizzierten Vorteile fielen allen Überläufern zu.


    Davon abgesehen ließen sich aber weitere Verbesserungen erzielen, etwa wenn man sich freiwillig in den Dienst der Deutschen stellte. Die Hilfswilligen, ab 1943 fester Bestandteil der deutschen Truppenkörper im Osten, wurden nicht nur adäquat verpflegt, sondern konnten auch befördert werden und hatten - neben weiteren Leistungen - Anspruch auf Sold (vgl. Absolon, 1995, S. 363).

    Noch besser erging es nur den deutschstämmigen und volksdeutschen Überläufern der Roten Armee. Für sie wurden schon 1941 eigene Lager eingerichtet und eine bevorzugte Behandlung durch die deutschen Dienststellen sichergestellt (vgl. Fleischhauer, 1983, S. 87f.)



    Die Praxis, Überläufer besser zu versorgen, wurde übrigens auch in der Sowjetunion verfolgt (vgl. Hilger, 2000, S. 130).

    MfG


    Literatur:


    Absolon, Rudolf: Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. VI: 19. Dezember 1941 bis 9. Mai 1945, Boppard a. Rh. 1995

    Fleischhauer, Ingeborg: Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion, Stuttgart 1983

    Hartmann, Christian: Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42, München 2009

    Hilger, Andreas: Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, 1941 - 1956. Kriegsgefangenenpolitik, Lageralltag und Erinnerung (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 11), Essen 2000

    Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941– 1945, Bonn 1991

    Hallo zusammen!

    Dirk

    Die von Thomas gestellte Frage nach deinen Beweggründen scheint mir durchaus berechtigt zu sein. Ich wäre jedenfalls - wertfrei - an einer Antwort interessiert.

    Vielleicht möchtest du ja dazu noch Stellung nehmen?

    Wolfgang

    Deine Annahme, es ließe sich nur über Stauffenbergs Rolle am 20. Juli sicher urteilen, entspricht nicht den Tatsachen. Die Widerstandsforschung ist da deutlich weiter.

    MfG

    Hallo zusammen!


    @ Aders

    Wenn ich deinen erst kürzlich eingestellten Beitrag in einem anderen Thread richtig verstehe, kam es offenbar doch zu einer Verteilung derartiger Visiere an ortsfeste Flak-Einheiten?! Mit dem Heranrücken der Fronten scheint eine Zuteilung dieser Richtmittel - jedenfalls soweit vorhanden - ja durchaus plausibel zu sein. Mir selbst fehlen dazu allerdings jegliche Unterlagen, deshalb meine Frage.


    @ Ralph


    Ich kann dir nicht folgen.

    Ging es hier nicht um Hydrieranlagen? Mit Raffinerien haben die nämlich nichts zu tun.

    Eine vollständige Liste aller Hydrieranlagen findest du in dem von mir verlinkten Buch. Die waren alle auch noch nach August 1944 in Betrieb.

    Das gilt übrigens auch für die Raffinerien. Die von dir erwähnten Anlagen im Wiener Becken wurden z.B. durch die dort herrschende Erdölhöffigkeit noch bis zu ihrer Eroberung durch die Rote Armee betrieben.

    Der Fortfall der rumänischen Erdöllieferungen führte also nicht zu einer Stilllegung der deutschen Raffinerien.


    MfG

    Hallo zusammen!

    Eine vollständige Liste der deutschen Anlagen findet sich hier: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.…iew=1up&seq=148

    Bei solchen Fragen empfiehlt sich immer ein Blick in die USSBS. Zur Dislozierung der Flak findet sich in dem online nicht zugänglichen Addendum (Band 110) näheres.


    Aders

    Quote

    Die ortsfestenn Batterien führten in ihrem Bestand gar keine Erdzieloptiken für die Geschütze, die verlegefähigen auch nur wenige.


    Das Flakzielfernrohr 20 wurde nicht an ortsfeste Batterien ausgeliefert? Liegen dir dazu Unterlagen vor?


    MfG

    Hallo Eberhard!

    Anhand der überlieferten Aktenbestände lässt sich Ribbentrops Rolle in dieser Frage nur schwer beurteilen. Klar ist, dass seine Nachkriegserinnerungen mit Vorsicht zu genießen sind und mitunter auch im Widerspruch zu Erinnerungen anderer Beteiligter stehen.

    Es erscheint jedenfalls wahrscheinlich, dass sich der Reichsaußenminister im Verlauf des Krieges dazu durchringen konnte, Hitler einen Ausgleich im Osten nahezulegen. Ob dies bereits Ende 1942 geschah, wie von Ribbentrop behauptet, muß jedoch bezweifelt werden. Ähnlich verhält es sich dann auch mit anderen Behauptungen Ribbentrops.

    MfG

    Hallo zusammen!


    Zu keinem Zeitpunkt des deutsch-sowjetischen Krieges kam es zu Gesprächen zwischen autorisierten Unterhändlern der beiden Nationen. Das vorweg.

    Zu den hier dargestellten Vorgängen ist zu bemerken, dass sie leider in Teilen korrekturbedürftig sind.


    Ein paar Beispiele: Der deutsche Kontaktmann in Schweden hieß Klauss, nicht Klein. Die Sowjets signalisierten bereits Anfang 1942 Gesprächsbereitschaft und nicht erst während der Schlacht um Stalingrad. Und Goebbels versuchte seinen "Führer" schon 1943 von einer "Ostlösung" zu überzeugen und nicht erst ein Jahr darauf.

    Diese und weitere Erkenntnisse hat Bernd Martin in einem Aufsatz erarbeitet, den ich empfehlen kann: Deutsch-sowjetische Sondierungen über einen separaten Friedensschluß im Zweiten Weltkrieg. Bericht und Dokumentation, in: Inge Auerbach (Hrsg.): Felder und Vorfelder russischer Geschichte : Studien zu Ehren von Peter Scheibert. Freiburg: Rombach, 1985, S. 280 - 308

    Wer sich dazu noch weiter vertiefen möchte, findet bei Ingeborg Fleischhauer Gelegenheit dazu: Die Chance des Sonderfriedens. Deutsch-sowjetische Geheimgespräche 1941-1945. Berlin 1986


    Eine reelle Aussicht auf einen Separatfrieden bestand jedenfalls nicht.

    Neben den - aus deutscher Sicht - inakzeptablen sowjetischen Angeboten, deren Ernsthaftigkeit aufgrund der unzugänglichen russischen Archive ohnehin nicht festgestellt werden kann, ist dafür vor allem die Weigerung Hitlers verantwortlich, ein Arrangement mit dem ideologischen Erzfeind zu suchen. Dieser Entschluss wurde sicherlich auch von seiner Erkenntnis getragen, dass ein erreichbar scheinender Separatfriede die Niederlage nicht würde abwenden können.

    MfG