Hallo zusammen!
Heute möchte ich gerne meine Gedanken zu "Hitler's Fatal Miscalculation. Why Germany Declared War on the United States" mit euch teilen.
Über die Hintergründe der deutschen Kriegserklärung an die USA im Zweiten Weltkrieg wird seit Jahrzehnten in Historikerkreisen kontrovers diskutiert. Doch so unterschiedlich die Erklärungsansätze auch ausfallen, in einem war man sich bislang weitgehend einig: Die Entscheidung zur Ausweitung des Krieges ist ein weiterer Beleg für die irrationale Herrschaftsausübung des deutschen Diktators.
Ein Urteil, das zunächst auch durchaus naheliegt. Der deutsche Machtbereich war zur Jahreswende 1941/42 nicht nur militärisch in Bedrängnis geraten, sondern auch wirtschaftlich. Der eklatante Rohstoff- und Personalmangel ließ ernste Zweifel aufkommen, ob das notwendige Material zur erfolgreichen Fortführung des Krieges künftig noch bereitzustellen war. Vor diesem Hintergrund also gerade jenem Land den Krieg zu erklären, das schon einmal mitentscheidend eine Niederlage Deutschlands besiegelte, erscheint mindestens fragwürdig.
Was bewog Hitler also zu diesem Schritt?
Klaus Schmider hat sich mit dem Thema am bislang ausführlichsten befasst und dabei einen interessanten Zugang gewählt. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung will sich Schmider auf diejenigen Informationen konzentrieren, die den Diktator im Laufe des Jahres 1941 nachweislich erreicht haben. So soll der Bezugsrahmen sichtbar werden, in dem Hitler seine folgenschwere Entscheidung traf.
Doch so vielversprechend der Ansatz auch ist, schon in der Einleitung zeigt sich, wie schwer dem Autor die Einhaltung der eigenen Vorgaben fällt. Sichtbar wird das etwa am Umgang Schmiders mit einem für die Fragestellung durchaus zentralen Ereignis:
Am 29. November 1941 kam es in Berlin zu einer Besprechung zwischen dem Reichskanzler, dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt und dem mächtigen Wirtschaftsfunktionär Walter Rohland. Im Zuge dieses Gesprächs soll Todt nicht weniger als die Beendigung des Krieges gefordert haben, zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, als sich das Deutsche Reich noch gar nicht in einer militärischen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten befand. Rohland selbst will hingegen zumindest vor einer Ausweitung des Krieges gewarnt haben, da ein Kriegseintritt der USA die Niederlage Deutschlands zur Folge haben würde.
Doch hat es sich so zugetragen? Wir wissen es nicht!
Die einzige Überlieferung des Gesprächsinhalts findet sich in Rohlands Memoiren. Unabhängig davon, dass auch seine Angaben mit Vorsicht zu genießen sind (vgl. Feyer, 2018, 645), eignen sich verschriftlichte Nachkriegserinnerungen denkbar schlecht um einen Sachverhalt nachweislich zu belegen - insbesondere dann, wenn sie seine einzige Grundlage bilden. Vor allem aber steht die Berücksichtigung dieser Quelle in einem sichtbaren Gegensatz zur engen Abgrenzung des Quellenkorpus durch den Autor selbst. Rohlands Memoiren sind keine amtlichen Akten, keine Protokolle, finden sich in keinem behördlichen Archiv, ja sie sind nicht einmal zeitgenössische Tagebuchaufzeichnungen. Dieses Ereignis ist also - dem Konzept des Autors zufolge - zur Rekonstruktion des Bezugsrahmens denkbar ungeeignet – und findet dennoch Eingang.
Ein Vorgehen, das im Laufe der Arbeit immer wieder dort beobachtbar ist, wo Schmider der Enge des Quellenkorsetts zu entfliehen versucht. Besonders sichtbar wird das im Kapitel über die kriegswirtschaftliche Bedeutung der Gummi- und Kautschukversorgung. Dort wirft er seine Maßstäbe endgültig über Bord, wenn er unumwunden zugibt, über keinerlei Dokumente zu verfügen, die seinen Quellenkriterien entsprechen würden und belegen könnten, dass Hitler mit der Materie vertraut war. Da jedoch der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Hewel, über Expertise auf diesem Gebiet verfügt hätte und zum engsten Führungszirkel Hitlers gehörte, sei es unvorstellbar, dass Hitler darüber nicht unterrichtet wurde. Hier versucht sich Schmider an der Quadratur des Kreises und das ist schon deshalb schade, weil es ohne Not geschieht. Das Kapitel an sich ist durchaus lesenswert, da es sich jedoch an den Vorgaben der Selbstbeschränkung messen lassen muss, öffnet es der Kritik Tür und Tor.
Dass die Studie, aller Unzulänglichkeiten zum Trotz, lesenswert bleibt, hat im Wesentlichen zwei Gründe:
Einerseits widmet sich der Autor dem Thema auf beachtlicher Breite. Mit Akribie und unter großem Quelleneinsatz befasst sich Schmider mit den militärischen, wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und strategischen Aspekten der Fragestellung. Damit eröffnet sich dem Leser ein weiter Einblick in die Materie.
Und andererseits kann Schmider die Entscheidung Hitlers rationalisieren. Nicht, wie beabsichtigt, durch die Skizzierung seines Bezugsrahmens, sondern durch die ausführliche Rekonstruktion der zeitgenössischen Perzeption. Nicht immer gelingt dem Autor hierbei eine nachvollziehbare Verknüpfung der behandelten Themenaspekte mit dem damaligen Beurteilungsmaßstab, in Summe aber lässt sich ein Bild zeichnen, das aufschlußreiche Rückschlüsse auf die zeitgenössische Wahrnehmung und darauf fußende Entscheidungsprozesse erlaubt.
Ratlos lässt mich hingegen der Entschluss Schmiders zurück, auf eine ausgewogene Deutung der Ergebnisse zu verzichten. Obwohl zu erwarten war, dass der Autor die Frage nach Hitlers Beweggründen nicht abschließend würde beantworten können, ist die fehlende Diskussion der erarbeiteten Erkenntnisse eine herbe Enttäuschung. Klar scheint - und hier liegt der eigentliche Wert der Arbeit - dass die Entscheidung aus zeitgenössischem Blicke keineswegs so irrational zu bewerten ist, wie dies häufig kolportiert wurde. Hier kann Schmider deutlich nachvollziehbarer, als es etwa Ian Kershaw in "Fateful choices" gelingt, die rationale Irrationalität in Hitlers Handeln erklären.
Ganz anders verhält es sich hingegen mit der titelgebenden Beurteilung dieses Entschlusses.
Wenngleich nicht infrage steht, dass die deutsche Kriegserklärung im Dunstkreis zahlreicher Fehleinschätzungen entstand, bleibt unklar, ob sie selbst auch eine war. Schon Zeitgenossen haben vermutet, es habe sich hierbei womöglich um reine Symbolpolitik gehandelt. Hitler wollte dem erwarteten amerikanischen Kriegseintritt schlicht zuvorkommen. Im Zentrum derartiger Überlegungen stehen somit die amerikanischen Absichten, deren Analyse sich geradezu aufgedrängt hätte. Leider vergibt Schmider an dieser Stelle die Gelegenheit, der bisherigen Forschung substanzielles hinzuzufügen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang jedoch seine Empfehlung, die Arbeit von Evan Mawdsley (December 1941) begleitend zu lesen. Letzterer argumentiert, dass ein Kriegseintritt der USA nicht mehr abzuwenden war und konterkariert damit potenziell die vage formulierte Einschätzung Schmiders, Hitler habe sich schlicht verrechnet. Hier bedürfte es freilich weiterer Untersuchungen, um die Chancen und den Zeitrahmen einer proaktiven amerikanischen Kriegsbeteiligung klarer einschätzen zu können, wenngleich eine letztgültige Antwort auf diese Frage natürlich nicht zu finden ist.
Summa summarum legt der Autor eine Studie vor, deren Ambivalenz eine Beurteilung schwierig macht.
Den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werdend, ergänzt die Arbeit den Forschungsstand in Teilbereichen durch die Akzentuierung bislang wenig beleuchteter Aspekte. Von der im Vorwort reichlich optimistisch formulierten Ambition, mit diesem Werk einen “definitive account” - also eine endgültige Fassung der Ereignisse - vorzulegen, ist man jedoch in jedem Falle weit entfernt.
Literatur:
Feyer, Sven: Die MAN im Dritten Reich: Ein Maschinenbauunternehmen zwischen Weltwirtschaftskrise und Währungsreform, Baden-Baden 2018
Kershaw, Ian: Ten Decisions that Changed the World 1940–1941. London 2007
Mawdsley, Evan: December 1941: Twelve Days That Began a World War, 2011
MfG