Bon soir Alain, guten Abend allerseits,
wie ich bereits allerdings längerer Zeit angedeutet habe, würde ich gerne versuchen Sie und Ihre Mitstreiter in Ihrem Anliegen zu unterstützen und möchte Ihnen deshalb über meinen Großvater erzählen, der als Marinesoldat in St. Nazaire stationiert war und dort auch in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft gegangen ist. Man möge es mir verzeihen, dass ich vll. hier und da etwas ausführlicher schreibe, aber ich glaube, dass ich damit der Persönlichkeit meines Opas gerechter werde und Sie Aussagen die ich dann und wann treff besser einordnen können.
Mein Opa wurde 1912 geboren und wuchs in Hessen und Südhessen auf. Drei seiner Schwestern wanderten in den Zwanziger und Dreißiger Jahren in die Niederlande aus um dort Arbeit zu finden und heirateten dort. Auch ich habe später noch niederländische Verwandte kennengelernt und meine Eltern und ich sind wohl auch deshalb mit den Niederlanden positiv verbunden. Im niederländischen Familienzweig soll es wohl auch "Nazis" gegeben haben aber auch Männer die auf Seiten Alliierten kämpften wie Bildmaterial belegt.
Mein Großvater war 1933 bereits 21 Jahre alt und war insofern nicht durch NS-Jugendorganisationen und Propaganda sozialisiert und in seinen Jugendjahren beeinflusst worden. Dies scheint mir im Hinblick auf seine generelle Einstellung nicht ganz unerheblich zu sein.
Mein Opa war professioneller Musiker und spielte Pauke im Staatstheater und trat als Musiker in verschiedenen hessischen Kurstädten auf, wofür er auch gute Arbeitszeugnisse ausgestellt bekam so bspw. auch 1938. Zudem spielte er wohl mit anderen Musikern auch auf regionalen Stadtfesten und verdiente so laut Aussagen meiner Mutter zusammen mit Trinkgeld mehr an einem Wochenende als sein eigener Vater, der als Handwerker tätig war, in einem Monat.
Er heiratete noch vor dem Krieg seine große Jugendliebe und blieb mit meiner Oma bis zu ihrem Tod Mitte der 1990er Jahre verheiratet. Soweit ich mich richtig erinnere gab es in der Familie seiner Frau einen halbjüdischen Bruder der zum Schutz als uneheliches Kind deklariert wurde.
Bereits vor dem Krieg begann mein Opa Morbus Bechterew zu bekommen und war damit aufgrund seines Alters und seiner Erkrankung sicherlich kein prädestinierter Mustersoldat.
Zu der Zeit vor dem Krieg weiß ich noch zu berichten, dass meine Oma wohl der Meinung war, dass man vor dem Wochenende noch ordentlich einkaufen müsste und Opa meinte, dass dies ja noch Zeit habe. Am Montag drauf jedoch sollen bereits die Lebensmittelkarten und damit die Rationierung im Deutschen Reich eingeführt worden sein. Dieses Erlebnis führte dazu, dass Opa im Zuge des Kosovo-Konflikts 1998, den er als mögliche Eskalationsstufe vor einem Krieg zwischen der NATO und der Russischen Föderation sah (man denke nur an die Geschichte um den Schmusebarden James Blunt als britischen Panzeraufklärer und den Disput zwischen den Generälen Mike Jackson und Wesley Clark um die Eroberung des Flughafens Pristina), meine Mutter jeden Tag zu Aldi schickte, um Vorräte wie Öl, Kartoffeln, Mehl und Zucker zu kaufen. Nach seinem Tod einige Jahre später waren noch Unmengen an diesen Vorräten vorhanden.
Im fortfolgenden der militärische Werdegang gemäß Auskunft der WAST:
Dienstzeit in der Kriegsmarine: 11.01.1942 – 08.05.1945 (Kapitulation)
Truppenteile: 11.01.1942 – 12.03.1042 Marinestammregiment Beverloo, Kompanie Ostende; Rekrut
13.03.1942 – 09.04.1942 Marine Landesschützenabteilung Wilhelmshaven; Ausbildungsabteilung
10.04.1942 – 09.10.1942 7. Unterseebootsflottille
lt. Meldung vom 28.01.1945 Einheit Leptin Kühn (ohne nähere Angaben)
Beförderungen:
01.10.1942 Musikergefreiter
01.10.1943 Musikerobergefreiter
Lazarettmeldung: 28.01.1945 – 02.02.1945 Marinelazarett La Baule Zugang von Einheit Leptin Kühn wegen Granatsplitterverletzung rechter Unterschenkel
Orden/Ehrenzeichen: nicht vermerkt (Anmerkung meinerseits: Verwundetenabzeichen in Schwarz)
Ihr Großvater geriet am 06.05.1945 in St. Nazaire in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er am 05.09.1946 entlassen wurde.
Im fortfolgenden versuche ich Einträge zu seiner Dienstzeit zu ergänzen – sofern mir dazu Aspekte überliefert wurden – und auf Ihre Fragen einzugehen:
Zu der Zeit vor St. Nazaire kann ich nichts sagen. Ich hörte als kleiner Junge immer nur, dass Opa bei der U-Bootwaffe war, habe mich aber irgendwann gefragt, ob er nicht vielmehr die Boote vll. nur beladen hat. Tatsache ist, aber, dass er zumindest mal auf einem U-Boot gewesen sein muss, da er meiner Mutter gegenüber den Geruch an Bord als sehr penetrant hinsichtlich des Ölgeruchs geschildert hat, den man auch so schnell nicht aus der Nase und dem Gedächtnis bekommen habe.
Zahlreiche Bilder und der Dienstgrad Musikobergefreiter sprechen dafür, dass mein Opa dem Orchester der 7. U-Bootflottille angehörte und hier möglw. auch Ladetätigkeiten oder anderes im Bereich des Kriegshafens durchgeführt hat. Zur See gefahren dürfte er aber wohl nicht sein.
Nach seinem Tod kondolierte ein ehemaliger Kriegskamerad meiner Mutter und schrieb zu diesem Anlass einen mehrseitigen Brief in dem Dinge standen, die meine Mutter so dezidiert wohl auch nicht von ihrem Vater wusste. So erklärte der Kamerad, der seinerzeit wohl der jüngste der Gruppe war und von meinem Opa unter die Fittiche genommen worden war, dass Opa und seine Kameraden beim Auslaufen der U-Boote fetzige Märsche und Schlager spielten, sowie man es aus dem Film „Das Boot“ kennt. Opa soll diese Art von Musik und speziell zu diesem Anlass abgelehnt haben. Seine Kameraden hätten ihn aber immer mal wieder daran erinnert, „dass das besser sei als Russland“. Hier möchte ich einen Einschub bringen, da er thematisch passen dürfte: Als ich als Jugendlicher bei Opa auf dem Teppich lag und „Hitlers Krieger“ von Guido Knopp las, sprach meine Mutter Opa darauf an, dass ich aktuell so ein Buch lesen würde und ja überhaupt sehr Geschichtsinteressiert sei. Es dauerte keine fünf Sekunden und Opa explodierte förmlich: „Dönitz, dieser Verbrecher, der hat bis zum Schluss all die jungen Kerle sinnlos geopfert!“
Ich kann hier nur vermuten, dass es Opa irgendwie nahe ging all die Boote mit Klang und Spiel in den Einsatz zu verabschieden und immer weniger Boote zurückkehren zu sehen. Da er ja selbst kein U-Bootfahrer war, scheint ihm auch das elitäre Gehabe um die U-Bootwaffe und Großadmiral Karl Dönitz als „gütigen Vater“ seiner Jungs eher abgegangen zu sein, unabhängig davon, dass Opa als Orchestermusiker sicherlich auch andere Musik favorisiert haben dürfte als profane Propagandamusik.
Einmal erwähnte Opa, dass der Krieg Scheiße gewesen war, aber was wirklich gut gewesen wäre, war die gute Verpflegung der Marine in Frankreich und die warme Marine-Unterwäsche. Seine dunkelblaue, grobgestrickte, lange Baumwollunterhose befindet sich noch heute in unserem Besitz J
Auch das Bild der Postkartenrückseite vom L’Hotel Royal in La Baule spricht dafür, dass sich mein Opa des Luxus doch bewusst war.
Von meiner Mutter wurde mir nur überliefert, dass Opa mal geäußert hat, dass „es eine Schande war, wie die deutsche Besatzungsmacht mit den Franzosen umgegangen“ sei. Was er jedoch damit konkret meinte oder besser gesagt, welches Ereignis, dass er selbst erlebt hat, er damit meint, weiß ich leider nicht.
Laut dem wundervollen Kondolenzbrief des Hamburger Kameraden der auch mehrfach bei Opa zu Besuch war und den ich dort auch kennengelernt habe und den Opa bis zum Schluss „Jungche“ nannte (hessisch für Jungchen/ Bübchen/ junger Kerl) wurden nach der Landung der Alliierten in Frankreich und der Einkesselung der Atlantikhäfen die jüngeren Jahrgänge aus Opas Trupp/ Gruppe aus St. Nazaire abgezogen und kamen woanders zum Einsatz, wo und in welcher Form entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.
Laut der Urkunde zum Verwundetenabzeichen in Schwarz wurde mein Opa am 27.01.1945 als Angehöriger der II. Marinegrenadierabteilung unter Kapitänleutnant Leptien verwundet. Er beschrieb das mal so, dass er nachts im Dunklen unterwegs war und er plötzlich einen Schmerz spürte, der sich anfühlte als sei er mit dem Knie unglücklich gegen eine schwere Holzkiste gelaufen. Diese Verwundung führte dazu, dass er später Schwerkriegsgeschädigt war und immer mit Stock umherlief und später ein Elektromobil nutzte, an dass ich mich mit Inline-Skates dranhängen konnte, was noch einmal eine tolle Zeit war.
Über seine Gefangennahme weiß ich nichts. Gesagt hat er immer, dass er bei französischen Bauern in der Landwirtschaft eingesetzt war. Eine Rückfrage beim Roten Kreuz ergab jedoch keine Informationen über seine Gefangenschaft. Aber ich nehme an, dass er von den Amerikanern später an Frankreich überstellt wurde.
Wie gesagt, scheint es ihm vergleichsweise gut ergangen zu sein. Er hat immer mal wieder den folgenden Vers aufgesagt, den er mutmaßlich aus seiner Zeit in Frankreich hat:
"Le Boeuf der Ox, la vache die Kuh, ferme la porte, mach’s Tür’le zu!"
Manchmal trällerte er auch: "Paul, halt’s Maul" und schob mit einem Lachen die französische Version „Paul, trois ta gueule“ (Halt die Klappe) hinterher.
Allerdings schien Opa dann doch heim zu seiner Frau zu wollen, zumal die beiden zweimal ausgebombt wurden (Gießen und Darmstadt). Wie er mit seiner Verletzung solche Entfernungen bis nach Hause zurücklaufen konnte entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings sind er und ein Kamerad/ Mitgefangener wohl wieder eingefangen worden und liefen beim zweiten Fluchtversuch nur noch nachts und versteckten sich am Tag. Der Grenzübertritt nach Deutschland soll durch einen empathischen Grenzbeamten Frankreichs möglich gewesen sein.
Nach dem Krieg hat Opa noch steten Kontakt zu seinem Kamerad „Jungche“ gehalten, den ich mehrfach noch gesehen habe und auch der Bildband „Der U-Bootkrieg“ von Lothar-Günther Buchheim stand bei ihm im Regal.
Meine Eltern sind in den 1980-er Jahren mit meinem Onkel nach St. Nazaire und zur Île de Noirmoutier gefahren, wo ich auch gezeugt wurde
, und haben sich die U-Bootbunker und all das angeschaut.
@ Alain: Der Text kann seitens eures Vereins gerne genutzt werden und die eingestellten Bilder gebe ich hiermit auch zur Nutzung frei.
Viel Erfolg für euer Projekt. Über eine Rückmeldung respektive euer Ergebnis würde ich mich freuen.
Beste Grüße
Robert