Hallo zusammen,
als ehemaliger Panzer-Feldwebel auf Leopard 2 A4 möchte ich einige Dinge hier Beitragen.
Das Thema betrifft von den 3 wichtigen Kernthemen beim Panzerbau, nämlich Feuerkraft, Panzerung und Beweglichkeit, die Themen Feuerkraft und Panzerung. Ich möchte auf jedes einzeln kurz eingehen.
Feuerkraft:
Im Feuerkampf gegen gepanzerte Ziele und damit meine ich jetzt in erster Linie schwer gepanzerte Ziele, gibt es 2 Arten von Panzermunition und zwar
Hohlladungsgeschosse und Wuchtgeschosse.
Zu deren Wirkungsweise verweise ich auf folgende Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hohlladung
https://de.wikipedia.org/wiki/High-Explosive_Anti-Tank
https://de.wikipedia.org/wiki/Wuchtgeschoss
Beim letzten Link verweise ich zudem auf die Tabelle mit den Durchschlagsleistungen, da hat sich seit den 80er Jahren einiges verändert.
Panzerung:
Hier wird unterschieden zwischen:
Stahlpanzerung
Reaktivpanzerung
Verbundpanzerung/Chobhampanzerung
Zu deren Beschreibung siehe nachfolgende Links:
http://www.panzertaktik.de/die-panzerung-von-panzern/
https://de.wikipedia.org/wiki/Reaktivpanzerung
https://de.wikipedia.org/wiki/Verbundpanzerung
https://de.wikipedia.org/wiki/Chobham-Panzerung
Reaktivpanzerung schützt in erster Linie und fast ausschließlich nur gegen Hohlladungsmunition. Das ist auch der Grund, warum sog. Tandemhohlladungen entwickelt wurden, deren Geschoss 2 Hohladungen enthalten. Die erste soll dafür sorgen, dass die Sprengstoffkachel der Reaktivpanzerung ausgelöst wird und die zweite Hohlladung wirkt dann auf die darunter liegende Panzerung.
Gegen Wuchtmunitionen, vor allem moderner Art, hat eine Reaktivpanzerung so gut wie keine Wirkung.
Um auf Karls Eingangsfrage einzugehen, sehe ich mehrere Möglichkeiten, warum die russichen Panzertypen so schlecht abschneiden. Es können sog. Tandemhohlladungen eingesetzt worden sein, oder Wuchtgeschosse oder wie schon erwähnt, der Panzer wurde auf der Turmoberseite von einer einfachen Hohlladung getroffen. Die Turmoberseite ist tatsächlich eine der am schwächsten gepanzerten Stellen eines Panzers.
Bei unseren Leo's z.B. meine ich mich an max. 4 bis 6 cm zu erinnern, ähnlich beim M 48 und Leo 1.
Auch das Argument von Henry hinsichtlich der möglichen Lücken in der Reaktivpanzerung ist eine Möglichkeit.
Nochmal zur Turmoberseite. Ich gehe davon aus, das sämtliche Kampfpanzer ein großes Problem bekommen, wenn der Treffer von oben kommt, auch die westlichen. Es kann sein, dass modernere Versionen gewisse Verbesserungen erhalten haben, aber die modernste Version des Leo 2 hat immer noch als Basis das Grundmodell des Leo's aus den 80ern. Ich bin hier nicht ganz up-to-date, aber von einer Verbesserung des Panzerschutzes auf dem Turmdach ist mir bislang nichts bekannt.
Zum Panzer als Sarg. Ich hatte damals großes Vertrauen in unsere Leo's und zwar wegen der ausgezeichneten Kanone, den wahnsinnig schnellen Bekämpfungszeiten, der guten Optiken und Nachtkampffähigkeit, der hohen Geschwindigkeiten im Gelände, aber letztendlich auch wegen der Panzerung, vor allem an der Fahrzeugfront, da waren vor der Besatzung am Turm gut 70 cm Kompositpanzerung, an der Turmseite irgendwas zwischen 20 und 30 cm, für damalige Zeit ein Wahnsinn und im Vergleich zum M48, auf dem ich "Panzer" gelernt habe, ein Riesenunterschied.
Und um es gleich vorweg zu nehmen, klar ist der Leo 2 keine Wunderwaffe, aber richtig geführt sind die Überlebenchancen deutlich besser, als in KPz russicher Produktion. Treffer von der Seite und vor allem von hinten sollten aber tunlichst vermieden werden. Das führt mich dazu, dass die Grundsätze des Panzerkampfs aus taktischer Sicht natürlich einzuhalten sind. Im Orts- und Häuserkampf sind KPz ohne Infanterieschutz höchst anfällig, ebenfalls beim langen verweilen in einer Stellung. Wenn der Panzer aufgeklärt ist und dem Gegner Zeit zur Bekämpfung gegeben wird, dann hat jeder Panzer ein Problem. Feuer und Bewegung, das ist der wichtigste Grundsatz der Panzerei!
Zu den eingesetzten Panzern auf beiden Seiten und auch bei den Nato Panzern, bei allen Panzern handelt es sich um Modelle, deren grundsätzliche Entwicklung und Produktion in den 70er und 80er Jahren stattfand, beim T-64 sogar in den 60er Jahren. Alle bis heute modernisierten Panzer beruhen auf diesen Grundmodellen. Erst mit dem T-14 Armata und dem KF 51 und dem geplanten Panzer, der von Deutschland und Frankreich in Kooperation entwickelt werden, sollen vollkommene Neuentwicklungen möglicherweise zur Einführung kommen.
Was ich damit sagen will, vor allem die russischen Panzer haben mit den gleichen Schwächen zu kämpfen, wie zur Zeit des Kalten Krieges, da hat sich ganz wenig geändert.
Mein persönlicher Eindruck zum "Panzerkampf" in der Ukraine --- er entspricht nicht dem Konzept einer beweglichen Gefechtsführung. Die Kämpfe orientieren sich viel zu sehr an Ortschaften. Das hat sicher was mit dem Gelände und der Witterung zu tun, aber soweit ich das beurteilen kann verwenden die Russen Ihre Panzer in erster Linie zur Unterstützung der Infanterie, vor allem auch im Häuserkampf. Da brauchen sie sich nicht wundern, wenn Ihre Verluste so hoch sind.
Panzer im Verbund mit Panzergrenadieren und allen unterstützenden Truppengattungen müssen im sog. Gefecht der Verbundenen Waffen den Durchbruch erzielen und dann Raum gewinnen und den Gegner zum Rückzug zwingen, im Idealfall! Aber damit sage ich Euch ja nix Neues, die Wehrmacht und auch die Israelis und auch die Alliierten im Golfkrieg 1990/91 haben das vorgemacht. Und im kleinen Massstab auch die Ukrainer bei Charkiw.
Noch eine Anmerkung. Aus meiner Sicht sind die Urkainer ohne modere Kampf- und Schützenpanzer in ausreichender Anzahl nicht in der Lage eine Durchbruchsoperation zu führen, da fehlen ihnen aktuell die Mittel dazu, sonst wäre es schon passiert. An Einsatzwillen, Motivation und Opferbereitschaft zum einen, aber auch am taktischen Geschick fehlt es ihnen nicht, sonst hätten sie nicht so lange Stand halten können. Das verdient meinen größten Respekt.
Viele Grüße
Helmut