Hallo Chris,
endlich hatte ich Zeit, sämtliche erreichbaren Bücher von Professor Hoffmann zu dieser kontroversen Frage, was Stauffenberg am
30. Januar 1933 tat, durchzusehen.
Um es vorwegzunehmen: ganz so eindeutig, wie Peter Hoffmann es in dem von Dir zitierten Buch von 1998 beschreibt, ist die Sache nicht. Du hättest mir auch mitteilen können, dass das Buch keine Fußnoten hat und die Aussagen dort nicht anhand von Quellenbelegen überprüfbar sind:
Der renommierte Historiker Peter Hoffmann schreibt allerdings in seinem Buch ,,Stauffenberg und der 20. Juli 1944"
[München 1998, S. 21-22] dazu folgendes:
,,...Berichten zufolge begrüßte Stauffenberg 1933 Hitlers Ernennung zum Reichskanzler,nach manchen Berichten mit Begeisterung.
Nach unwiderlegbaren Zeugnissen geriet er am Abend des 30.Januar,auf dem Weg zu einer gesellschaftlichen Veranstaltung in Bamberg in einen Fackelzug,mit dem die Nationalsozialisten ihren Sieg feierten,und ging ander Spitze des Zuges mit den Demonstranten.Da Soldaten sich politischer Äusserungen zu enthalten hatten,wurde er von seinen Kameraden kritisiert,als er ihnen seine Verspätung an dem Abend erläuterte.
Seine Antwort auf die Kritik war,die Offiziere der Zeit der Befreiungskriege (1813) hätten sicher mehr Gefühl für eine echte Volkserhebeung bewiesen.
Stauffenbergs Teilnahme am Fackelzug ist in der Literatur trotz eindeutigen Berichten kontrovers.
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Im neuesten mir bekannten Buch von Professor Hoffmann (Stauffenberg. Die Biographie) von 2009 sind mir einige Widersprüche in der Darstellung der mutmaßlichen Ereignisse vom 30. Januar aufgefallen.
Zunächst einmal die Datierung Hoffmanns, seit wann die betreffende Zeitung "Bamberger Tagblatt" ein NSDAP-Organ wurde:
Quote
"Nina Gräfin Stauffenberg berichtet, Stauffenberg habe regelmäßig das Bamberger Tagblatt gelesen [...];
dieses Blatt hieß seit Anfang 1933 Fränkisches Volk-Bamberger Tagblatt. Amtliches Organ der N.S.D.A.P. des Gaus Bayerische Ostmark und sämtlicher Reichs- und Landesbehörden."
(Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie, München 2009, S. 539.)
Demzufolge würde man am 31. Januar 1933 einen entsprechenden Jubel-Artikel über den NS-Fackelzug des Vorabends erwarten.
Stattdessen aber war der betreffende Zeitungsartikel relativ nüchtern formuliert, wie Hoffmann ihn zitiert:
"Das Bamberger Tagblatt vom 31. Jan. 1933, S. 8, berichtete:
"Ein nationalsozialistischer Fackelzug-Propagandamarsch durch die Stadt war die äußere Bamberger Auswirkung der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.""
(Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie, S. 508.)
Der Grund dafür liegt darin, dass die Übernahme der Zeitung durch die NSDAP tatsächlich erst am 29. Juli 1933 erfolgte.
Hier hat sich Professor Hoffmann leider im Datum geirrt. Das steht im historischen Lexikon Bayerns nachzulesen:
Quote
"Aufgrund der Nähe des "Bamberger Tagblatts" zur DNVP verwundert es nicht, dass der Leitartikel der Ausgabe vom 31. Januar 1933 die Ernennung Adolf Hitlers (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler ab 1933) zum Reichskanzler zwar nicht frenetisch feierte, aber doch als wohl einzig verbliebenen Weg aus der politischen Krise Deutschlands ansah.
Einige Monate später trat die Eigentümerfamilie nach zähen Verhandlungen die Verlagsrechte an den Gauverlag Bayerische Ostmark in Bayreuth ab, so dass das "Bamberger Tagblatt" mit der Bamberger Nebenausgabe des erst seit dem 1. Oktober 1932 bestehenden NS-Blatts "Fränkisches Volk" fusionieren und seit dem 29. Juli 1933 unter dem Titel "Fränkisches Volk / Bamberger Tagblatt" firmieren konnte. Ab dem 1. Oktober 1934 hieß die Zeitung dann "Bayerische Ostmark / Bamberger Tagblatt", bevor die Umbenennung des "Gaues Bayerische Ostmark" in "Gau Bayreuth der NSDAP" eine erneute Titeländerung nötig machte"
https://www.historisches-lexik…rger_Tagblatt_(1834-1945)
Weitere Widersprüche ergeben sich aus den von Professor Hoffmann als Beleg angeführten Zeitzeugengesprächen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Ausführlich zu finden in der genannten Biographie
Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie, München 2009.
Um einmal zusammenzufassen, was laut Fußnoten ehemalige Offizierskameraden Jahrzehnte später berichtet haben:
Als "Hauptbelastungszeugen" für Stauffenbergs aktive Umzugsteilnahme nennt Hoffmann den Offizierskameraden Peter Sauerbruch, der 1964 gegenüber der Witwe Stauffenbergs das erstmals so dargestellt hat. Die Witwe Nina von Stauffenberg wusste bis 1964 nichts von der vermuteten Teilnahme ihres Mannes.
Zitat:
"Mein Mann kann diesem Ereignis, wie auch immer es gewesen sein mag, keine große Bedeutung zugemessen haben, sonst wüßte ich davon."
Sauerbruch beharrte aber dennoch auf seiner Erinnerung an den kontorversen Gästeabend mit Stauffenberg.
Laut Hoffmann wurde Sauerbruchs Stellungnahme von 1964 dann 1972 bestätigt durch Oberstleutnant a.D. Diethelm Mannschatz. Ludwig Freiherr von Leonrod (1933 Leutnant im R.R. 17) soll ihm 1944 erzählt haben, dass Stauffenberg 1933 mit der Hakenkreuzfahne und der SA durch Bamberg gezogen sei.
Aber Mannschatz datierte den Vorgang nach Leonrod auf den 1. Mai (!) 1933.
Hermann Teske, ein Hörsaalkamerad Stauffenbergs, berichtete 1973, dieser habe ihm von der Teilnahme an einem Umzug in Bamberg am 30. Januar 1933 erzählt.
Allerdings hat der Biograph Joachim Kramarz bei der Befragung sieben weiterer Zeitzeugen und eines Kriminalkommissars keine Bestätigung für Stauffenbergs Teilnahme gefunden. Keiner der Befragten wusste etwas davon.
Kurioserweise änderte Professor Hoffmann damit auch seine bisherige eigene Annahme (keine belegte aktive Teilnahme Stauffenbergs) im Buch "Widerstand, Staatsstreich, Attentat" von 1979:
Quote
"Aber Stauffenberg war niemals Nationalsozialist, weder im formalen Sinne noch als Anhänger aus irregeleitetem Idealismus.
Immer wieder wird berichtet, am 30. Januar 1933 habe Stauffenberg sich in Uniform an die Spitze einer begeisterten Menschenmenge gestellt, die durch Bamberg gezogen sei. Das ist eine Legende, der Vorgang hat nie stattgefunden.
Zwar gab es am Abend des 30. Januar 1933 einen von der NSDAP organisierten Fackelzug in Bamberg, aber ohne Stauffenberg, der als Soldat an Parteiveranstaltungen ohnehin nicht teilnehmen durfte."
(Peter Hoffmann, Widerstand. Staatsstreich. Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1979, S. 391.)
Das sind insgesamt so viele Widersprüche und ungenaue Datierungen zu dem Vorgang, dass ich die Zweifel der Enkelin Stauffenbergs, Sophie von Bechtolsheim, in ihrer Darstellung nachvollziehen kann.
Die Interviews der Zeitzeugen erfolgten doch 30 bis 40 Jahre später, was kann man da noch an zeitlicher Genauigkeit erwarten?
Ein Kamerad sagt 30. Januar, ein weiterer vom Hörensagen 1. Mai 1933 und spricht von marschierenden SA-Truppen mit Hakenkreuzfahne und Stauffenberg ganz vorne dabei
(soll die SA im übrigen die "begeisterte Menschenmenge aus Bamberger Bürgern" gewesen sein, von der Hoffmann ausgeht?):
"Am 30. Januar 1933 geriet Stauffenberg, unterwegs zu einer Abendeinladung, zu der er dann zu spät kam, in Uniform in eine begeisterte Menschenmenge und zog an der Spitze mit.
Er meinte, als er sein Erlebnis den Gastgebern und anderen Gästen erzählte, die begeisterten Bürger hätten es nicht verstanden, wenn ein Offizier sich in solcher Lage beiseite gedrückt hätte.
Als Ältere unter den Zuhörern ihn scharf kritisierten, sagte er, die großen Soldaten der Befreiungskriege [1813] hätten wohl mehr Gefühl für eine echte Volkserhebung bewiesen."
(Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992, S. 123.)
Anhand der vorliegenden Indizien könnte man die Ereignisse des 30. Januar 1933 in Bamberg nach meiner Meinung so rekonstruieren:
Stauffenberg wollte in Uniform und zu Pferd ein Haus in Bamberg aufsuchen, wo er mit anderen Gästen abends eingeladen war.
Auf dem Weg dorthin stieß er zufällig auf den Bürgermarsch von NSDAP-Anhängern, die die Straße entlangzogen.
Weil er den gleichen Weg hatte, ritt er eine zeitlang neben den mit Fackeln marschierenden Bürgern her.
(Selbst Professor Hoffmann hält eine Position Stauffenbergs hinter der vordersten Spitze des Zuges für wahrscheinlich).
So kam er zu spät zur privaten Party und nannte dann die Blockade der Straße durch den Fackelzug als Ursache,
was zu einer Diskussion über seine zufällige "Einreihung" als Offizier führte.
So können durchaus Legenden über SA-Marschkolonnen und Hakenkreuzfahnen rund um Stauffenbergs Ausritt entstehen,
die Monate später im Verhalten des damaligen Rittmeisters Hasso von Manteuffel gründeten. Von Manteuffel wollte nach eigenen Angaben im März 1933 "provozieren" und ließ seine Kavallerietruppe vor dem Rathaus und neuem NS-Bürgermeister Aufstellung nehmen, was ihm einen scharfen Verweis des Regimentskommandeurs einbrachte.
Auch Martina Metzger, eine Historikerin am Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt und der Universität Lüneburg,
hat das in einer neuen Veröffentlichung über "Offiziersehre und Widerstand. Das Reiterregiment 17 und die Wurzeln des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944" so dargestellt:
Quote
"In der älteren Literatur enthaltene Behauptungen, dass Stauffenberg am 30. Januar 1933, dem Tag der "Machtergreifung" - aus spontaner Begeisterung heraus an einem Fackelumzug in Bamberg teilgenommen haben soll, können inzwischen als widerlegt gelten. Sehr wahrscheinlich liegt in dem Zeitzeugen-Bericht von Peter Sauerbruch, auf dem diese Episode beruht, eine Verwechslung mit dem Rittmeister von Manteuffel, einem Regimentskameraden Stauffenbergs vor. Ein solches Vorgehen hätte einen klaren Verstoß gegen die geltenden militärischen Dienstvorschriften bedeutet. Der damalige Bamberger Kommandeur, Freiherr von Perfall, legte großen Wert darauf, dass das Gebot der parteipolitischen Unabhängigkeit im Offizierskorps des Reiterregiments 17 befolgt wurde."
(Martina Metzger, Offiziersehre und Widerstand. Das Reiterregiment 17 und die Wurzeln des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944, Bayreuth 2016 (Veröffentlichungen des Bayerischen Armeemuseums Bd. 14), S. 268, Anm. 72.)
Grüße,
Bodo