Hallo
Hier zwei interessante Zeitzeugenaussagen zur Geschichte des Fort VII und den Erschiessungen in Barbarka, aus dem Buch von Mallmann/Böhler/Matthäus "Einsatzgruppen in Polen - Darstellung und Dokumentation" WBG 2008.
„Dok. 37) Aussage Richard Otto Dey, 1939 evangelischer Pfarrer in Thorn, v. 24.7.1962 (Auszüge)
BAL, B162/3240, Bl. 662f.
Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass die ersten großen Festnahmeaktionen der polnischen Intelligenz in Thorn bereits am 13. oder 15. September stattfanden. Ich möchte sagen, dass diese Aktionen teilweise auch schon früher begannen. Zunächst hörte man von einzelnen Festnahmen. Alsbald wurden daraus große Aktionen. Ich kann mich erinnern, dass die ersten Gefangenen der polnischen Intelligenz im Thorner Gerichtsgefängnis festgesetzt wurden. Später wurde die Zahl der Gefangenen so groß, dass man mit diesem Gebäude nicht mehr auskam. Die Gefangenen kamen meiner Erinnerung nach erst von etwa Mitte Oktober an ins Fort VII. Mit Bestimmtheit möchte ich sagen, dass das Internierungslager Fort VII als solches nicht vor dem 15.10.39 bestanden hat. Die Sicherheit meiner Aussage begründe ich damit, dass vor dem von mir angegebenen Datum die Gefangenen aus dem Gefängnis zu Arbeitsleistungen herangezogen wurden. Sie mussten u.a. die in der evgl. [evangelischen] Kirche am Neumarkt aufgebahrten Leichen-40-von der Kirche zum Identifizierungsraum, von dort zum Rathausplatz, wo die Feierstunde stattfand, tragen. Die Feierstunde fand in den letzten Septembertagen 1939 statt. Die Gefangenen kamen alle aus dem Gerichtsgefängnis und gehörten ausschließlich der Intelligenz an. Nach dieser Feierstunde mit anschließendem Begräbnis muss eine große Exekution in Thorn stattgefunden haben. Hierzu muss ich ein Ereignis schildern: Am Abend vor dieser Feierstunde, nach Identifizierung der aufgebahrten 40 Leichen, erschien ein SS-Mann in schwarzer Uniform mit Zeichen des SD in meinem Dienstzimmer. Er hatte die Rangabzeichen eines SS-Führers, ich meine, er war im Offiziersrang. Er verlangte von mir die Schlüssel zu der Kirche, in der die Leichen aufgebahrt waren. Sein Ansinnen lehnte ich mit dem Hinweis ab, was er denn bei dem starken Leichengeruch allein in der Kirche wolle und ich die Verantwortung hätte, dass die Leichen am nächsten Tag unversehrt zum geplanten Staatsbegräbnis bereit stünden. Er sagte mir hierauf, dass er die Schlüssel unbedingt haben und die Nacht bei den Leichen verbringen müsse, um sich voll Wut zu laden für die Aktion am kommenden Tage. Ich habe ihm die Schlüssel nicht ausgehändigt. Ich habe aber gehört, dass er sich dennoch Eingang zur Kirche verschafft hatte und die Nacht bei den Leichen verbrachte. [...] Am Tage des Staatsbegräbnisses hörte ich erstmals die Parole, dass für jeden ermordeten Deutschen 10 Polen umgelegt werden würden. Diese Äußerung wurde später in den Propagandareden wiederholt gebraucht. Demnach müssten an diesem Tage 400 Polen erschossen worden sein. Aus Gerüchten habe ich gehört, dass an diesem Tage auch wirklich eine große Exekution erfolgte. Über die Zahl der Opfer kann ich nichts sagen. Diese Aktion soll im Wald von Barbarken stattgefunden haben.“ (Quelle: Mallmann/Böhler/Matthäus „Einsatzgruppen in Polen – Darstellung und Dokumentation“ S.140-141)
„Dok. 91) Aussage Franciszek Komar, 1939 Einwohner von Thorn, v. 26.6.1968 (Auszüge)
BAL, B 162/3242, Bl. 1107, 1109 u. 1111
An den Tagen des 17., 18. und 19. Oktober 1939 haben die Deutschen systematische Treibjagden auf der Straße und in den Wohnungen von Thorn durchgeführt. Dabei wurden ungefähr 1100-1200 Personen verschiedener Berufe festgenommen (Intelligenz, Handwerker, Kaufleute, Arbeiter, Schüler und Studenten). Die festgenommenen wurden mit Militärfahrzeugen ins Fort VII abtransportiert. Ich wurde am 17. Oktober 1939 in der Wohnung festgenommen. [...] Am 30. Oktober wurde das Fort VII durch die Gestapo aus Danzig und den örtlichen Selbstschutz übernommen. [...] Aufgrund der vorliegenden Lebensläufe begannen Zivile vom Gericht und Funktionären der Gestapo mit den Verhören der Häftlinge. Zu diesem Zweck wurden im Saal im Erdgeschoss Tische aufgestellt und eine Kartei angelegt. Das war der Sitz der Mord-Kommission und der Vernehmungsraum. Hier qualifizierte und sonderte man die Polen aus zur Vernichtung in Barbarka, zur Verfrachtung ins Konzentrationslager oder zur Entlassung. Manche Häftlinge wurden mehrere Male verhört. Im Monat November 1939 wurden Todesurteile an den Häftlingen an jedem Mittwoch der Woche ausgeführt. Die Opfer wurden in der Leibwäsche in den Wald nach Barbarken zum Erschießen gefahren. Nach der Erinnerung und dem Kalender von 1939 fanden Hinrichtungen im Wald von Barbarken an jedem Mittwoch des Monats November statt und umfassten ungefähr 340 Personen: Mittwoch 8.XI.-42 Personen, Mittwoch 15.XI.-ca. 65 Personen, Mittwoch 22.XI.-ca. 75 Personen, Mittwoch 29.XI.-ca. 150 Personen“
(Quelle: Mallmann/Böhler/Matthäus „Einsatzgruppen in Polen – Darstellung und Dokumentation“ S.172-173)
mfG Daniel