Moin,
ein Freund, er ist gerade in Russland unterwegs, hat mich eben auf einen Artikel in "Die Zeit" vom 2. 2. 2023 "Wir allein gegen die ganze Welt" aufmerksam gemacht, es geht um das Ende der Schlacht von Stalingrad. Ich zitiere einen Ausschnitt:
"Wie viele Opfer die Schlacht von Stalingrad forderte, ist bis heute unklar. Wladimir Nikolajewitsch spricht von 1,3 sowjetischen Toten und Verletzten und 1,5 Millionen bei den Deutschen und ihren Verbündeten. Ein anderes Museum in Wolgograd beziffert die Verluste auf 1,13 und 1,26 Millionen. Westliche Historiker schätzen die Zahlen vor allem auf deutscher Seite als deutlich geringer ein.
In Russland sind die Verluste heute eher Märtyrerstatistik als Anlass zur Trauer - eine Entwicklung, die auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu spüren bekommt, der im Dorf Rossoschka bei Wolgograd einen Friedhof für mehr als 64.000 deutsche Soldaten angelegt hat. Genau gegenüber entstand mit deutscher Unterstützung ein sowjetischer Soldatenfriedhof. Viele Jahre trauerten Deutsche und Russen gemeinsam an den Gräbern, saßen bei Kaffee und Kuchen, Suppe und Wodka in einem nahe gelegenen Haus der Gemeinde Rossoschka, das von den Deutschen finanziert wurde. Doch seit Kriegsausbruch im Februar 2022 können die deutschen Besucher nicht mehr kommen, die russischen Partner sabotieren die Zusammenarbeit. Für den Treffpunkt nahe dem Friedhof wurde den Deutschen der Mietvertrag gekündigt. "Unsere Versöhnungsarbeit mit den offiziellen Stellen in Russland", sagt der Präsident des Volksbundes, General a.D., Wolfgang Schneiderhan, "liegt in Scherben".
Verständigung passt nicht mehr in eine Zeit, in der Russland die Formel "Nie wieder Krieg" durch die Redewendung "Wir können das wiederholen!" ersetzt. In Moskau inszeniert die Propaganda den Angriffskrieg gegen die Ukraine als heroische Fortsetzung der Schlachten des Zweiten Weltkrieges.
Der unabhängige russische Journalist Sergej Medwedew beschreibt die staatliche Erinnerung an den Sieg von 1945 als eine Art "permanente Liturgie", ein ekstatisch-mystisches Erleben der Vergangenheit, das den Menschen ihre triste Zukunft ersetzen soll. Das Siegesgedenken werde zum Hochamt und diene der Legitimierung der Gewalt von heute. Jedes kritische Hinterfragen des Hergangs sowie der Führung Stalins werde vom isolationistischen Imperativ übertönt:
"Wir allein gegen die ganze Welt!" Statt das Ende des Krieges mit vielen Millionen Opfern feierlich zu würdigen, sagt Medwedew, "feiert Russland den Krieg selbst."
Beste Grüße
Horst