• Hallo zusammen,

    Im Rahmen meiner Ausarbeitungen zur 23. PD bin ich natürlich nicht an dem Zwischenfall des Ia der Divsion Major Joachim Reichel vorbeigekommen. Meine Informationen stützen sich teilweise auf das Kriegstagebuch der 23. PD, welches im Militärarchiv in Freiburg einzusehen ist.


    Doch nun zu meinen Anhaltspunkten:

    19.6.1942
    Der I. Generalstrabsoffizier (Ia) der 23. Panzer-Division Major Joachim Reichel startet um 14.00 Uhr zur Geländeerkundung des Zwischenaufstellungsraumes der 23.PD im Rahmen der Operation Blau in einem Fieseler Storch zum Gefechtsstand des VIII. Armeekorps und 336. Inf.-Div. nach Woltschansk. Offenbar über den Korpsgefechtsstand hinausgekommen, wird er zwischen den deutschen und sowjetischen Linien von den Russen abgeschossen. Aus nicht ersichtlichen Gründen führt er die geheimen Aufmarschpläne der Division zur ersten Phase der Operation Blau in einer Handakte mit sich. Aus diesen geht hervor, dass die Wehrmacht einen Umfassungsstoß aus dem Raum Kursk zur Einnahme Woroneschs plant, um darin die sowjetischen Kräfte zwischen Oskol und Don in einem Kessel zu vernichten.
    16.00 Uhr: Meldung dass Ia noch nicht gelandet. Annahme Zwischenlandung wegen schlechten Wetters

    20.6.1942
    14.00 Uhr Meldung vom Festungsstab 50, dass Fieseler Storch von 12./JR 687 der 336. Inf.-Div. 2km südostwärts Ssarkawo gefunden wurde. Notlandung. Von Insassen keine Spur.
    Überläuferaussagen führen zur Bergung der gebrabenen Leichen Reichels und des Flugzeugführer. Handakte nicht dabei. Maschine steht Kopffront nach Westen. Motor und alle wichtigen Teile fachmännisch ausgebaut. Benzintank Loch evtl. Durchschuss. Keine Blut- bzw Brandspuren. Keine Hinweise auf Vernichtung der mitgeführten Geheimsachen.

    Die deutsche Militärführung muss nun davon ausgehen, dass den Sowjets die Pläne bekannt sind und dass sie eventuell dabei sind Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
    Stalin jedoch hält das Dokument für ein Täuschungsmanöver und erwartete weiterhin eine Offensive im Bereich der Heeresgruppe Mitte zum Angriff auf Moskau.
    Das XXXX. Panzer-Korps drängt auf Abänderung der Angriffsbefehle doch die obere Heeresführung, speziell Feldmarschall von Bock und General Paulus, halten an den Befehlen fest, da der geplante Angriffstermin kurz bevor steht und den Sowjets somit keine Zeit für groß angelegte Umstrukturierungen der Truppe bleibt.

    Als Hitler von dem Vorfall am 19.6. erfährt, lässt er den kommandierenden General des XXXX. Panzer-Korps General der Panzertruppen Georg Stumme, den Chef des Generalstabes Oberstleutnant Franz und auch Generalmajor von Boineburg-Lengsfeld verhaften und vor ein Kriegsgericht stellen. Franz und Stumme werden daraufhin nach Afrika versetzt, wo letzterer am 24. Oktober 1942 an einem Herzanfall stirbt.
    Die Soldaten und die Öffentlichkeit erfahren von diesem brisanten Vorfall natürlich nichts.

    Was mich jetzt natürlich brennend interessiert ob ihr zu diesem Fall ergänzende oder gar neue Anhaltspunkte habt. Im Kriegstagebuch der 23. PD ist von einer seperaten Akte Reichels die Rede, die es aber in Freiburg nicht gibt. Wurde diese evtl vernichtet?
    Klar ist wohl, dass die Russen die Handakte Reichels gefunden haben. Ist damit vielleicht ein Indiz zu finden, dass die ersten Phase des Falls Blau mehr oder weniger nicht erreicht wurde, nämlich die Einkesselung der Russen in Frontnähe, totzdem das Stalin das Dokument für eine Finte hält? Denn den Russen gelang der planmäßige Rückzug über den Don.

    Freue mich über jegliche interessante Beiträge zu diesem Thema.

    mfg
    Patrick

    Suche alles über die 23. Panzer-Division
    speziell Pz.-Rgt. 201

  • Hallo,

    Fall Reichel ist ein interessantes Thema.

    Der Deckname für die vorgetäuschte Sommeroffensive auf Moskau trug den Namen "Operation Kreml". Damit sollte Stalin bzw. Stavka in der Verteilung der Kräfte (nicht: in den Ausweichstrategien zwecks Vermeidung von Kesselbildungen) dazu verleitet werden, die Hauptkräfte bzw. Reserven um Moskau zu positionieren.

    Einiges findet man dazu (vgl. zB DRZW, Band 6) in der übergreifenden Literatur. Es gibt auch einen Aufsatz, den ich aber nicht kenne, der sehr interessant klingt:

    "Ziemke, Earl F.
    "Operation Kreml: Deception, Strategy, and the Fortunes of War."
    Parameters 9 (March 1979):72-83.
    This article discusses the possible influence the German deception plan, Kreml, may have had on Eastern Front campaigns during the summer of 1942. Kreml was intended to make the Russians believe that the main German thrust during the 1942 campaign season would be directed at Moscow. The great Soviet strategic retreat on the southern flank during the summer of 1942 is seen as a possible response to this German deception plan."

    auf dieser Seite gefunden:
    http://www-cgsc.army.mil/carl/resources…ge2/bjorge2.asp

    (nebenbei: das meinte ich übrigens mit der Unmöglichkeit, englischsprachige links zu übersetzen :D )

    Weitere schmale Informationen in Glantz & House: When Titans Clashed und wohl etwas weitergehend in Glantz: Soviet Military Intelligence in War (letzteres habe ich leider nicht).

    Die Planung/Täuschung ging, soweit man das in etwa am Ergebnis messen kann, auf. Zu Beginn der Südoffensive im Juni 1942 war die Masse der im Frühjahr neu gebildeten "strategischen Reserve" der Roten Armee im erweiterten Halbkreis um Moskau aufgestellt, darunter die zwei neu gebildeten Panzerarmeen (3. PA - RVGK-Reserve bei Tula im Mai 1942 und 5. PA Bildung spätestens 1.7.42 bei Brjansker Front), weitere selbstständige Panzerkorps sowie ein halbes Dutzung weiterer Armeen.

    Die Verbände wurden teilweise sukzessiv in die Schlacht bei der Heeresgruppe Süd geworfen, beginnend mit mehreren Panzerkorps und der 5. PA nordwestlich Woronesch. So ging das regelmäßig weiter bis August 1942, mit einer Ausnahme: weitere Reserven gingen in den Frontbogen von Suchinitschi, der im August 1942 von Teilen der HG Mitte angegriffen worden ist. Andere Teile der Reserven verblieben um Moskau und wurden dann für die Operation MARS (gegen den Rshew-Bogen) eingesetzt.

  • Hallo zusammen,

    ich möchte gern die Beschreibung von Ignition etwas vervollständigen.

    Da hat einer die Unterlagen des 40 Pz.-Korps auf
    Russisch übersezt in einem rus. Forum:

    http://imf.forum24.ru/?1-17-20-00000048-000-0-0-1255552329

    Von daher gibt's etwas mehr Informationen in Vergleich zum KTB der 23. PD.

    Jetz geh's los mit 'ne Übersetzung ins Original-Form :)

    Es ist schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, daß die
    Soldaten der 336. ID hinter die russ. Linien gehen müssen.
    Das erste Suchunternehmen am 20. Juni 1942 war im Prinzip erfolgreich.
    Das Flugzeug wurde in einer Senke gefunden, ungefähr 2 km südöstlich
    vom Dorf Surkowo, aber die beiden Leichen von Major Reichel und Oblt.
    Dechant hatte keiner bemerkt.Nach dem Zurückkehren der Truppe wurde der Stab des 40. Panzerkorps
    sofort benachrichtigt und eine weitere Meldung an die Führung der 6.
    Armee verschickt.

    Eine prompte Reaktion von der obersten Stelle der Wehrmacht erreichte
    den Stab des 40. Panzerkorps ungefähr gegen Mitternacht aus dem Stab
    der 6. Armee. Das Telegramm:
    Laut Führerbefehl sollen folgende Fragen beantwortet werden:

    1. Wie weit sind die Vorbereitungen und Befehle zum Unternehmen Blau
    getroffen? Bis auf welche Ebene?

    2. Wo liegt der Stab der 23. PD?

    3. Wer hat Major Reichel befohlen zu fliegen?

    4. Wieso ist er überhaupt geflogen und hat nicht ein anderes
    Transportmittel benutzt?

    5. Hatte Major Reichel ein Feuerzeug und Benzin bei sich, um die
    geheimen Unterlagen zu vernichten?

    Eine Rückantwort sollte der Stab der 6. Armee bis 6 Uhr bekommen.

    Es ist auch interessant zu wissen, wie Paulus die höchste Stelle
    informiert hatte. In seinem Schreiben stand u.a.:

    Reichel hat das Flugzeug
    benutzt, weil er keine anderen Möglichkeiten hatte, weil alle
    Straßenwege dermaßen schlecht und sumpfig waren.
    Seine Antwort zu Punkt 5 sah zuerst so aus: "Nicht möglich
    festzustellen", aber dann wurde es gestrichen. "Vermutlich hatte
    Major Reichel kein Feuerzeug und Benzin bei sich gehabt".

    Es war nun sofort klar, daß es so nicht weitergehen konnte und ein
    zweites Unternehmen wurde sofort vom Kommandeur des 40. Panzerkorps befohlen.
    In der Nacht zum 21. Juni 1942 ist es einer Stoßtruppe der 336. ID
    gelungen, einige russ. Soldaten zu fangen, die wiederum zur 76. russ.
    Schützendivision gehörten. Laut ihren Aussagen war die Besatzung des Flugzeuges auf der Stelle
    tot und wurde neben dem Wrack des Flugzeuges begraben.
    Der Unfallort lag am Fluß Neshegol im Abschnitt der 336. ID.
    Außerdem sagten die Gefangenen aus, daß ein Koffer mit Dokumenten
    schnell im Flugzeug gefunden wurde. Am 21. Juni früh wurde laut Korps-Befehl eine verstärkte Kompanie in
    Richtung des Unfallortes geschickt mit dem Zweck, die beiden Leichen
    zu holen.

    Bei der Truppe waren anwesend: Oberleutnant Frank von der 6.
    LuftGruppe, ein Gefreiter von der 23. PD, Stabsarzt Roux und sogar
    ein russ. Gefangener, der Zeuge des Absturzes.
    Nach mehrstündigem Gefecht wurde die russ. Verteidigungslinie
    durchbrochen, und um 15.30 Uhr hatte der Stoßtrupp den Unfallort
    erreicht. Der Fieseler Storch lag immer noch da. Die Unfallstelle wurde untersucht und fotografiert. Der Bericht über
    die Ereignisse dieses Tages ergab u.a. folgendes: Das Flugzeug
    FI-156, Werknummer 5275, liegt in Richtung NW bis SO in einem Sumpf.
    Sein Ruder steht hoch, aber sonstige Teile liegen im Umkreis von ca.
    50 m. So wurde z.B. sein rechter Tank vom Platz gerissen und hat
    Einschußlöcher. Die anderen tragbaren Teile wie MG, MP,
    Leuchtkugel-Pistole fehlen sowie auch alle Karten, Dokumente,
    Flugbuch. Ungefähr 10 m vom Flugzeug entfernt liegen zwei Leichen unter einer
    dünnen Erdschicht. Eine davon liegt mit dem Gesicht nach unten, die
    andere nach oben. Die Erdschicht bedeckt die Leichen nur ein einigen Stellen, ist nur
    über die Leichen verstreut. Die Leichen wurden von Oberleutnant Frank
    als Major Reichel und Oberleutnant Dechant identifiziert.
    Beiden fehlten: die Stiefel und Jacken. Die Schädel sind gebrochen
    und teilweise zerdrückt, auf beiden Gesichtern tiefe blutige Wunden.
    Der mitgebrachte russ. Gefangene, der einzige Zeuge des Absturzes,
    sagte aus, daß die beiden Flugzeuginsassen auf der Stelle tot waren.
    Die Leichen sind bis zum Divisionsstab gebracht worden und liegen am
    Gefechtsstand des 686. Infanterie-Regimentes.

    Bericht des Stabsarztes der Luftaufklärungsgruppe 4

    Herr Roux hat zwei Leichen identifiziert: eine als Major Reichel und
    die andere als seinen Pilot Oberleutnant Dechant(*). Reichel hatte das Hemd, die Hosen und die Stiefel angehabt, dann die
    Erkennungsmarke, das Offiziersbuch, andere Dokumente und persönliche
    Sachen. Sein Schädel war völlig zersplittert. Und es gab eine noch eine ca. 3 cm lange Wunde oberhalb des rechten Auges. Seine Brust war zusammengedrückt, ein paar Rippen gebrochen. Die
    linke Schulter war gebrochen, Blut auf beiden Armen.
    Auf der Außenseite des linken Beins waren 5 Schußwunden, jede
    ungefähr so groß wie ein Pfennig-Stück. Die Schußwunden gingen durch
    die Beinknochen bis an die Genitalien. Auch der linke Unterschenkel
    war gebrochen.

    Oberleutnant Dechant hatte Hemd, Krawatte, Unterhosen und Hosen an.
    Ihm fehlten: Jacke, Strümpfe, Stiefel, seine Piloten-Dienstmarke, andere
    Dokumente und wertvolle persönliche Sachen. Sein Schädel war gebrochen und eine 2 cm lange Wunde war auf seiner Stirn. Auch Blutspuren in Ohren
    und Nase. Seine Brust war auch zusammengedrückt. Der Rest des Körpers
    war okay.

    Die Titelseite von Unterlagen des 40. Pz-Korps "Akte Reichel" :

    http://radikal.ru/F/s61.radikal.…28aaba.jpg.html

    (*) Nachname: Dechant
    Vorname: Ernst Hermann
    Dienstgrad: Oberleutnant
    Geburtsdatum: 08.05.1919
    Geburtsort: Ziebigk
    Todes-/Vermisstendatum: 19.06.1942
    Todes-/Vermisstenort: 3 km S.O. Ssurkowo

    gruss

    Edited 3 times, last by Vlad (May 14, 2010 at 4:25 PM).

  • Hallo,

    anbei ein Zufallsfund:

    Der Divisionskommandeur verabschiedete sich am 28.06.1942 von den Kommandeuren "Auf Grund eines langwierigen, von einem schweren Kraftfahrzeugunfall herrüherenden Leidens." Er unterzeichnete mit Freiherr von Boineburg. Am gleichen Tag fand eine Kommandeursbesprechung geleitet von seinem Nachfolger Mack statt.

    15.00 Uhr: Eintreffen des neuen Div.Kommandeurs, Generalmajor Mack. Generalmajor Frhr. v. Boineburg gibt die Div. aus gesundheitlichen Gründen ab.

    15.30 Uhr: Übergabe der Div. durch den Gen.Maj. Frhr. v. Boineburg an Gen.Maj. Mack und Verabschiedung von den Offz. des Stabes.

    18.00 Uhr: Kommandeur-Besprechung.

    Quelle: NARA T315 R785, KTB 23. PD.

    Gruß

    Jörg