Hypothese zur Kinderlandverschickung

  • Hallo,

    je weiter der Krieg fortschritt, wurden auch mehr Männer einberufen.

    An ihre Stelle traten Zwangsarbeiter*innen und Frauen.

    Neben der Arbeit, z.B. in der Rüstungsindustrie, mussten die Frauen noch den Haushalt und die Kinder (wenn vorhanden)

    versorgen. Dies bedeutete eine hohe körperliche und psychische Belastung.

    Kann es deshalb sein, dass die KLV nicht nur dazu diente, die Kinder aus luftkriegsgefährdeten Gebieten herauszuholen,

    sondern auch, die arbeitenden Frauen zu entlasten?

    Gruß
    Gerd (der aus Bielefeld)

  • Hallo Gerd,

    ich habe so einen Fall in der Familie gehabt (mein Vater, Jahrgang 1937, und dessen Mutter) - da wurden allerdings Mutter und Kind gemeinsam im Sommer 1943 aus Berlin in die Nähe von Jüterbog evakuiert - und kamen erst nach Kriegsende wieder zurück. Soweit mir erinnerlich ist, hat sich meine Oma dort in der Landwirtschaft, die zugleich ihre Unterkunft darstellte, betätigt. Davor war sie einfach nur Hausfrau und Mutter, hatte auch keinen Beruf erlernt außer nach der BdM-Pflichtzeit "Postbeamten-Gattin" zu werden - bis ans Lebensende...

    Wobei, es war auch von einer Hausputzstelle und gelegentlicher Aushilfe in einem kleinen Lebensmittelgeschäft die Rede.

    Gruss aus Berlin

    Henry

  • Hallo Gerd,

    ann es deshalb sein, dass die KLV nicht nur dazu diente, die Kinder aus luftkriegsgefährdeten Gebieten herauszuholen,

    sondern auch, die arbeitenden Frauen zu entlasten?

    Ich denke mal beides. Außerdem war sicher als als Nebeneffekt daran gedacht, weitere Frauen zum Arbeitseinsatz frei zu machen, die bisher im Haushalt tätig waren.

    Die Kinderveschickung in weniger gefährdete oder überhaupt nicht betroffene Gebiete gab es nach den deutschen Bombenangriffen auch in England.

    Gruß Karl

  • Hallo Gerd,

    das kann man wohl mit "ja" beantworten. Das war eines der ausdrücklichen Ziele der KLV, auch die Mütter von ihren Aufgaben frei zu stellen, damit diese für eine Arbeitsdienst-Verpflichtung "in der Rüstung" oder bei Verkehrsbetrieben etc. frei waren.

    Hatte dazu sogar eine Schriftquelle gelesen, die als Scan auf der Homepage eines "Unterwelt"-Vereins auf der Seite über einen Verkehrsbetrieb eingestellt war.... ( Muß mal etwas in mich gehen, hatte aber wohl sogar mit dem Einsatz der KHD-Maiden bei der Stuttgarter Strab zu tun...!? )

    Doch, auch wenn ich das jetzt nicht ad hoc mit einer Erstquelle belegen kann, rein sachlich gesehen hatte das aber schon einen direkten "Neben-Effekt": wenn die Kinder "in das sichere Hinterland" verschickt wurden, hatte man "den Nachwuchs" geschützt,

    Gleichzeitig waren die sonst "als Hausfrau und Mutter" getreu der NS-Ideologie tätigen Frauen nun zeitlich frei und konnten dienstverpflichtet werden.

    Herzliche Grüße
    Uwe

    An Informationen zur Heeres-Neben-Muna Kupfer, Muna Siegelsbach, Muna Urlau, Muna Ulm und zur Aggregat 4 - speziell Logistik für den Verschuß und den Eisenbahntransport- interessiert.

  • Guten Tag,

    eine Zeitzeugin schrieb:

    "Damals habe ich gedacht, daß es trotz allem den Männern im Krieg insofern besser ging als uns Frauen, weil sie nur Angst um ihr eigenes Leben haben mußten, aber nicht wie wir auch noch um die Leben der Kinder. Bei jedem großen Fliegerangriff mußte man fürchten, daß man sie nicht schützen könne und sie neben einem verwundet oder zerfetzt werden, ersticken oder verbrennen. Nun wurden kinderreiche Frauen offiziell aus den Großstädten evakuiert. Wir sollten irgendwohin in den Spessart zu einer Bauernfamilie."

    (Edel Gasch: Langer Brief an meine Kinder)

    Grüße

    Jockel

    Der Mensch ist böse von Jugend auf (Bibel 1. Mose 8, 21)

  • Hallo zusammen,

    aus meiner Familie kann ich berichten das mein Vater (geb.: 1932) aus Mannheim mit seiner gesammten Schulklasse KLV nach Schönau im Odenwald "verschickt" wurde, während meine Mutter (geb.: 1933) bis zur "Ausbombung" 1943 die ganze Zeit in Ludwigshafen verbrachte. Während mein Großmutter aus LU, Staatsbankbeamtengattin, die Zeit damit verbrachte die Reste des 1938 gebauten Hauses zu Sichern, ist von meiner Großmutter aus MA, Großvater war in Mannheim bei der BF,

    mir eine Berufstätigkeit während des Krieges nicht bekannt.

    Intressanter "Nebeneffekt" der KLV: Der "klassische Familienausflug" der späten 1960er Jahre bestand darin, "nach Schönau" zu fahren im "Stammhaus" der Metzgerei Bordne zu Mittag zu Essen um anschließend "in den Wald" zu den Baraken zu wandern in denen mein Vater seine KLV-Zeit verbrachte.

    (Solche Geschichten sind mir aus "meiner Generation" mehrfach berichtet worden ("Der klassische Familienausflug...") ... und haben sich in Karlsruhe "wiederholt", nur das das Ziel der Ausflüge im Albtal und seinen Seitentälern lag...

    Leicht OT, aber zum "Herdentrieb" passend: Ende der 1980er/ Frühen 1990er Jahren fuhren oft eine Gruppe "strammer Damen" Sonntags mit der 14 Uhr Bahn zum Kaffeetrinken nach Bad Herrenalb, "irgendwann" kam einmal "Heraus" das es sich um eine Gruppe "brauner Schwestern" handelte welche Ihre Ausbildung in Bad Herrenalb erhielten...

    Schöne Sonntagsgrüße, Thomas

  • Tag allerseits,

    Grundlage der Kinderlandverschickung war eine Anordnung des "Führers"

    Text:

    "Auf Anordnung des Führers werden Kinder aus Gebieten, die immer wieder nächtliche Luftalarme haben, zunächst insbesondere aus Hamburg und Berlin, auf Grund freier Entschließung der Erziehungsberechtigten in die übrigen Gebiete des Reiches verschickt.

    Mit der Durchführung dieser Maßnahmen hat der Führer Reichsleiter Balduin von Schirach beauftragt, zu dessen Unterstützung insbesondere die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), die Hitlerjugend und der NS-Lehrerbund tätig werden.

    Die NSV übernimmt die Verschickung der noch nicht schulpflichtigen Kinder und der Kinder der ersten vier Schuljahrgänge, die HJ übernimmt die Unterbringung der Kinder vom 5. Schuljahre an. Die Unterbringungsaktion beginnt am Donnerstag, den 3. Oktober 1940."

    Grundgedanke war, den Schutz der Kinder vor dem Bombenkrieg in den gefährdeten Gebieten zu gewährleisten. Dass die Kinderlandverschickung einen tatsächlichen Nebeneffekt hatte, nämlich die Entlastung der Mütter, das kann nicht in Abrede gestellt werden.

    Grüße

    Bert

  • Guten Abend Thomas und Bert,

    Danke für die interessanten, da aufschlußreichen Beiträge.

    Solch "traditionsbewußte" Damen habe ich bei der Recherche zu einer Muna auch kennengelernt: als junge Mädchen aus den umliegenden Dörfern in die Muna dienstverpflichtet, wurde auch im hohen Alter "bis zuletzt" noch der Sonntags-Spaziergang auf dem damaligen Zugangsweg gemacht. Selbst wenn das Gehen mittlerweile schon beschwerlich geworden war, der Sonntags-Spaziergang "mußte sein". Und dabei wurde auch in alten Erinnerungen geschwelgt.....

    @ Bert:

    Dein Zitat ist im Moment für mich sehr interessant, gerne würde ich es in einer Veröffentlichung zitieren. Darf ich daher um die Mitteilung der Quelle bitten, aus der das zitiert ist. Vielen Dank!

    Ich wünsche Euch eine angenehme Woche,

    herzliche Grüße aus der Schreibstube

    Uwe

    An Informationen zur Heeres-Neben-Muna Kupfer, Muna Siegelsbach, Muna Urlau, Muna Ulm und zur Aggregat 4 - speziell Logistik für den Verschuß und den Eisenbahntransport- interessiert.

  • Guten Morgen Bert,

    vielen Dank, das hilft mir gut weiter.

    Herzliche Grüße und einen schönen Tag,

    Uwe

    An Informationen zur Heeres-Neben-Muna Kupfer, Muna Siegelsbach, Muna Urlau, Muna Ulm und zur Aggregat 4 - speziell Logistik für den Verschuß und den Eisenbahntransport- interessiert.

  • Tag allerseits,

    natürlich regelte der NS-Staat genau, wer nicht Teil der Kinderlandverschickung wurde:

    - Epileptiker

    - Kinder mit Infektionskrankheiten

    - Chronische Bettnässer

    - Schwer erziehbare asoziale Kinder

    Vor der Abfahrt fand eine schulärztliche Untersuchung statt.

    Jüdische Mischlinge zweiten Grades, nach den Nürnberger Gesetzen den "Deutschblütigen" gleichgestellt, waren ursprünglich nicht zugelassen. Erst im Nov. 1943 wurde diese Vorschrift

    aufgehoben.

    Quelle

    https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/767294

    Grüße

    Bert