Moin,
nun ist es soweit, die Reise an den Kamper See, auf polnisch Fresko Przymorskie, kann beginnen. Am Mittwoch, 27. 7. 2022 starte ich mit der Bahn in Kiel, übernachte in Hannover und werde am nächsten Morgen sehr früh am Hotel abgeholt. An einem geländegängigen Kombi hängt ein Trailer mit Schlauchboot und einem Außenbordmotor. Zwei Mann steigen aus, wir kennen uns alle gut vom Winterbergprojekt in der Champagne/Frankreich. Es sind Norbert, Meister und technischer Allrounder, und Yannick, Geowissenschaftler, in dem Heeker Unternehmen georadar-nrw. Und dann geht es auf die Autobahnen, der Trailer verhindert das sonst übliche Tempo und in Polen sind eh Geschwindigkeitsbegrenzungen zu beachten. Immer mal wieder telefonieren wir mit den Tauchern, die in ihrem vollgefüllten Bulli separat anreisen.
Sehr auffällig sind zahlreiche osteuropäische LKW mit schwerem Militärgerät beladen, die offensichtlich zur polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs sind. Solidarität mit der angegriffenen Ukraine.
Am Nachmittag erreichen wir unser Standorthotel direkt am wunderschönen Ostseestrand gelegen, nur wenige Fahrminuten vom Kamper See entfernt. Ein Hotel reiht sich an das andere und überall zeigen sich Campingplätze, hier brummt der Tourismus, kein Wunder bei diesen Stränden und den Kiefernwäldern.
Dann eine Raumerkundung, wo können wir mit unserer Ausrüstung ungestört arbeiten, ohne von Touristen bedrängt zu werden. Es ist nicht ganz einfach, aber wir finden im Schilfgürtel einen Seezugang und da bewährt sich der Allradantrieb. Dort wo sich der Seefliegerhorst befand, ist ein Einstieg nicht möglich.
Abends stoßen dann Sebastian von der Berufsfeuerwehr Münster und Nico von der Freiwilligen Feuerwehr Heek zu uns. Ein dritter Mann erlitt einen Unfall und konnte nicht mitreisen. Die mitgeführte Ausrüstung ist beachtlich: u.a. sechs Flaschen Sauerstoff (die auch alle gebraucht wurden), ein Magnetometer zum Aufspüren metallischer Körper, Tauchertelefon, Unterwasserkamera, Sondierstäbe. In unserem Wagen führen wir eine Drohne mit angehängter Kamera (Reichweite 4 km) mit.
Wichtig ist uns auch, die Genehmigung für die Tauchgänge der polnischen Behörde liegt vor, immerhin sind wir in einem Naturschutzgebiet unterwegs.
Der Freitag beginnt mit einer längeren Einsatzbesprechung, wie wollen wir vorgehen, welches Gerät soll an Bord und auch die längere Vorgeschichte wird wieder herausgeholt.
Ich spürte schon im Mai am am Winterberg, dass bei dem Unternehmer Winfried Leusbrock und seinen Mitarbeitern großes Interesse bestand, auch weitere Geheimnisse zu knacken und da fiel dann auch häufiger der Name des Kamper Sees. Viermal suchten Mitarbeiter den See in den letzten Jahren auf, der letzte Besuch fand im November 2021. Yannick ,vor Ort ,bewertete mehrere Faktoren, auch Hinweise von polnischen Tauchern, um die mögliche Absturzstelle einzuschätzen. Das Ergebnis war, dass 9 % der Seefläche mit einer Industriedrohne, beflogen wurde, die ein Magnetometer/Messinstrument trug. In sehr geringer Flughöhe scannte die Drohne den Boden. Das Ergebnis war, das zwei Anomalien gemessen wurden, die in einer Entfernung von 35 m lagen. Das mußte das abgestürzte Flugzeug sein. Diese Stelle entsprach auch den Einschätzungen polnischer Taucher, die bereits vor vielen Jahren suchten.
Nachmittags dann mit dem Team an den Seezugang, wir besprechen den praktischen Teil. Skeptische Gesichter lösen heftige Böen aus, die von der Ostsee her über den See fegen. Wie kann man in dem Wind ein Schlauchboot auf einem Punkt halten, ein üblicher Anker rutscht durch den Schlick und macht keinen Sinn.
Als Ostseesegler weiß ich, dass diese Winde sehr oft erst in den Mittagsstunden auftreten und so fassen wir den Entschluss, den Tauchgang am Sonnabend sehr früh zu beginnen.
Abends beim Bier versuchen wir uns vorzustellen, wie die Lage am 4. März 1945 rund um den Seefliegerhorst war. Es muß eine unvorstellbare Hektik geherrscht haben. Hunderte von Kindern aus der "Kinderlandverschickung" und ihre Betreuerinnen sollten vor der heranrollenden Fron überwiegend nach Rügen ausgeflogen werden. Die Russen kämpften bereits im nur 20 km entfernten Kolberg. Alle 15 Minuten startete eine Maschine, ungezählte Kinder entkamen der Lage. Nur ein Wasserflugzeug, eine Do 24, schaffte es nicht, sie stürzte kurz nach dem Start in den See, eine Rettung war nicht möglich. An Bord 75 Kinder, ihre Betreuerinnen und Betreuer sowie die Besatzung. Später wurde spekuliert, ob die völlige Überladung der oder Beschuss die Katastrophe auslösten. Wir sind bei den Vorbereitungen auch auf Legenden, die sich um den Absturz drehen gestoßen, aber die schätzen wir als nicht seriös ein.
Und dann kommt der Sonnabend, der 30. Juli 2022, wir starten sehr früh und dann ist das Boot mit Sebastian, Nico und Yannick auf dem See. Norbert und ich beschaffen vorher noch einen schweren rechteckigen Stein, der als Anker dienen soll. An der Absturzstelle angekommen, geht Sebastian ins Wasser und stellt eine geringe Wassertiefe von 2 bis 3 m fest, aber alles sehr morastig, er sinkt tief ein. Über das Tauchertelefon kommt die Meldung Sicht gleich null, ich kann die Hand vor Augen nicht sehen. Also muß mit dem Magnetometer gearbeitet werden, Sondierstäbe und ein Spaten kommen in Einsatz. Und tatsächlich stößt er auf einen mehrere Meter langen Körper, das Messinstrument schlägt wie wild aus und die Sondierstäbe reflektieren einen deutlichen metallischen Klang.
Wir halten die Spannung an Land kaum aus, wissen aber, die wirkliche Arbeit leisten die Freunde im Boot. Über uns brummt etwas, wir sehen die Drohne mit ihrer Kamera auf uns zukommen. Ein netter Gruß von der Besatzung. Das Schlauchboot kehrt zurück, Erholungs- und Verpflegungspause, ein weiterer Tauchgang zu dem zweiten Objekt soll folgen. Beruhigend, die Böen sind nicht annähernd so heftig wie an den Vortagen.
Unerwartet erscheint an der Einstiegsstelle ein junges Paar, es will baden. Nach einigen Metern brechen sie den Versuch ab und und erklären uns, in diesem Morast nicht möglich.
Und dann geht es wieder auf den See. Ich schlage die Einladung mit einzusteigen aus, vermutlich würde ich die Akteure nur stören. Und dann wiederholt sich das Ergebnis der Vormittagssuche auch am zweiten Objekt. Vermutlich ist die Do 24 beim Wasseraufprall in zwei Teile zerbrochen oder später durch Wasserkraft getrennt worden Die abgetasteten Profile passen.
Für uns ist damit der Beweis erbracht, genau hier liegt die Maschine. Sebastian erwähnt später, ihm sei in dem Morast streckenweise doch sehr gruselige Gefühle gekommen, wir verstehen ihn sehr gut.
Es dauert Stunden ehe die Ausrüstung gesäubert und verpasst ist und es vergeht auch einige Zeit, um in dem vollbesetzten Hotel einen Parkplatz für ein Auto mit langem Trailer zu finden. Im Hotel dann gemeinsames Abendessen, nur zwei kleine Bier, wir wollen am Sonntag um 5.00 h wieder zurück nach Deutschland.
Und jetzt wird die Frage kommen, wer ist der Träger einer solchen Maßnahme, wer bezahlt sie? Die Antwort ist, es ist eine Privatinitiative eines Unternehmers aus Heek/NRW, dem die Aufklärung von Kriegsschicksalen eine Herzensangelegenheit bedeutet. Es ist nicht seine erste gute Tat.
Und auf der Rückfahrt wird schon die nächste Reise geplant, sie führt nach Ungarn. Dort sollen einheimische Kräfte in die Technik des Georadars eingeführt werden, um weitere Kriegstote zu bergen.
Beste Grüße
Horst
P.S. Bilder folgen, im Moment fehlt die Zeit