Ausbildung und Werdegang eines Matrosen

  • Liebe Mitglieder des Forums,

    ich hoffe, mit meiner Frage hier richtig zu sein: Ich versuche gerade die Biographie eines Matrosen zu rekonstruieren. Da ich mich in der Marinegeschichte sehr schlecht auskenne, würde ich gerne meine Daten auf Plausibilität und Konsistenz prüfen lassen. Ich hoffe, jemand ist dabei, der mir helfen kann.

    Die Person um die es hier geht wurde im Sommer 1914 in Bremen geboren.

    Abitur mit 18?

    Oktober 1932 Deutsche Seemannsschule Finkenwerder;

    Kriegsmarine ab 1.10.1935 bis 30.9.1936, II. Marine-Artillerie-Abteilung und M-110 bei der 1. Minensuchflottille in Pillau;

    Entlassung als Matrose der Reserve, tauglich 1.

    Danach 2 Jahre und 11 Monate im Zivilleben (Studium TU), dann wieder eingestellt für sechs Wochen (4.9.-30.10.1939);

    Pause im Zivilleben (Studium)

    Neue Einberufung 5.5.-12.7.1941 zunächst bei 4. Schiffstammabteilung Wilhelmshaven, dann 2. Ausbildungsabteilung für Kriegsschiffneubauten Wilhelmshaven; u.k.-Stellung;

    nach Entlassung und Pause erneute Einstellung für 5 Wochen in W.haven, 4. Schiffstammabteilung (20.7.-31.8.1942), g.v.H.

    Letzte Einstellung 25.9.1943, 2. Marine-Ersatz-Abteilung W.haven, dann Maas-Flottille als Matrose am Deck, anschließend zu den Marine-Festungspionieren und ab 24.3.1944 in La Spezia (Italien). Zuletzt Obergefreiter.

    Mich würden neben Plausibilität und Konsistenz des Werdegangs Informationen über die Ausbildung bei der Seemannsschule (Dauer usw.) sowie über die Marine-Festungspionieren interessieren. Dass er die Seemannschule mit einem Offizierspatent verlassen hat, scheint mir in Anbetracht seines Werdegangs bei der Kriegsmarine (Mannschaftsstand) sehr unwahrscheinlich. Ist das korrekt oder liege ich flasch?

    Für alle Hinweise wäre ich sehr dankbar.

    Mit freundlichen Grüßen

    Carlo Gentile

    Edited once, last by c.g. (April 2, 2022 at 3:45 PM).

  • Guten Morgen Carlo,

    um Bewegung in die Beantwortung Deiner Anfrage zu bringen:

    Ein Abitur mit 18 (evtl. fast 19) ist ohne Weiteres möglich bei einer üblichen Einschulung im Alter fünf, dann den üblichen vier Jahren Grundschule und anschließend den üblichen neun Jahren Oberschule / Gymnasium. Das wäre der Regelfall. Die Angabe ist also plausibel.

    Der Besuch der Deutschen Seemannsschule Finkenwerder erscheint mir für einen Abiturienten aber eher ungewöhnlich. Denn an diesen Schulen wurden meines Wissens nicht etwa Offiziere ausgebildet, sondern "nur" so genannte Schiffsjungen bzw. (Leicht-)Matrosen.

    Die Kriegsmarine ab 1.10.1935 bis 30.9.1936 dürfte sich durch die im Jahr 1935 wiedereingeführte Wehrpflicht erklären. Der Jahrgang 1914 war (nach dem Jahrgang 1900) wieder der erste Jahrgang, der 1935 für die Dauer von einem Jahr eingezogen wurde. Allerdings wurde am 24. August 1936 die Dienstpflicht - meines Wissens auch für den bereits eingezogenen Jahrgang 1914 auf zwei Jahre verlängert. Der Dienst hätte folglich noch nicht zum 30.09.1936 enden dürfen, sondern erst ein Jahr später. Möglicherweise gab es aber Gründe für eine Entlassung nach einem Jahr.

    Die "Wiedereinstellung" für sechs Wochen vom 04.09.-30.10.1939 dürfte auf die allgemeine Mobilmachung im Hinblick auf den Angriff auf Polen zurückzuführen sein. Die kurze Dauer ist wohl auf die kurze Blitzkriegsdauer zurückzuführen. Nach der schnellen Kapitulation Polens konnte die Truppenstärke reduziert werden.

    Die erneute Einberufung vom 05.05.-12.07.1941 dürfte sich durch den Angriffskrieg auf Russland (Fall Barbarossa) erklären und die nur kurze Dauer durch die erfolgte UK-Stellung.

    Die Einberufung ab 20.07. bis 31.08.1942 ist plausibel, wenn die UK-Stellung zuvor geendet hat. Die kurze Dauer erklärt sich wohl durch die seinerzeit festgestellte (vermutlich aus gesundheitlichen Gründen) nur noch eingeschränkte Verwendungsfähigkeit gvH (garnisonverwendungsfähig Heimat = verwendbar bei Einheiten in der Heimat oder in den besetzten Gebieten)

    Die Einberufung zum 25.9.1943 zur zunächst 2. Marine-Ersatz-Abteilung W.haven entspricht der Verwendungsfähigkeit gvH und könnte im zeitlichen Zusammenhang mit dem Fall Achse stehen, der Besetzung Italiens durch die Wehrmacht.

    Aber was meinst Du mit "Maas-Flottille"? Die ital. X-MAS unter Borghese? Mir wäre nicht bekannt, dass deutsche Kriegsdienstpflichtige in ital. Einheiten gedient hätten. Das ist allerdings auch nicht mein Thema.

    Die Marine-Festungspioniere und ab 24.03.1944 Spezia in Ligurien entsprächen wohl wieder der Verwendungsfähigkeit gvH (vorliegend eben im besetzten Gebiet).

    Zu den Marine-Festungspionieren kann ich (da in meinem Gebiet eher wasserscheu) nichts sinnvolles beitragen. Hier findet sich aber sicherlich ein Spezialist. Ist denn die Einheit bekannt?

    Richtig ist die Annahme, dass er die Seemannschule mit keinem Offizierspatent verlassen hat, nachdem diese so genannten Schiffsjungenschulen eben nur Schiffsjungen / Leichtmatrosen unterrichtet und keine Schiffsoffiziere ausgebildet haben.

    Für die weitere Abklärung viel Erfolg und für den Sonntagabend vielleicht einen rassigen Pigato.

    Beste Grüße nach Köln

    MP

    Ich bin ständig auf der Suche nach Informationen zu: I. GJR 98 - Hochgebirgsjäger-Bataillon 3 (Hoch 3) - GJR 296 - 157. Geb.Div. - 8. Geb.Div.

  • Guten Morgen Eumex

    und vielen Dank für Deinen Hinweis. Und weil mir das nicht klar war, habe ich danach gefragt. Da habe ich mich vom späteren Einsatzort La Spezia auf eine falsche Fährte locken lassen. Die Maas als Fluss kenne ich ja. Aber dass es dort eine so genannte Maas-Flottille gab, wusste ich nicht. So habe ich wieder was dazugelernt.

    Schönen Sonntag noch

    MP

    Ich bin ständig auf der Suche nach Informationen zu: I. GJR 98 - Hochgebirgsjäger-Bataillon 3 (Hoch 3) - GJR 296 - 157. Geb.Div. - 8. Geb.Div.

  • Lieber MP und lieber Eumex,

    vielen Dank für die Antworten. Er ist nach der 12. Klasse von der Schule abgegangen. Die Hintergründe kenne ich noch nicht. Die Familie erzählte, der Vater habe den Sohn geraten, wegen der politischen Lage in Deutschland in die Handelsmarine einzutreten, damit er "weit vom Schuss" sei. Das bringt mich jedenfalls ein ganzes Stück weiter.

    Beste Grüße aus Köln

    C.G.

  • Lieber Monte Palmo,

    für guten Pigato muss man doch nach Ligurien fahren! Gestern Abend war es immerhin Barbaresco. Den kriegt man auch hier anständig...

    Viele Grüße

    C.G.

  • Hallo zusammen,

    zu den Erklärungen von Monte Pelmo ist eigentlich nichts zuzufügen. Auffallend für mich war, das der Wehrdienst im Rang eines Matrosen beendet wurde. Zu der Wiedereinberufung kam er dann zu 4.SStA und dann auch noch zu 2.MEA. Die 4.SStA und 2.MEA waren für viele Soldaten, die militärisch bestraft wurden, die Einheiten die zuständig waren, wenn die Strafe im WG oder die Frontbewährung bei einer FSA beendet war. Von dort aus ging es dann weiter zu anderen Einheiten. Es wurde dann nach den Beurteilungen entschieden, ob eine Rückkehr zu den alten Einheiten noch möglich war. Die 4.SStA war auch als Auffrischung der soldatischen Ausbildung bekannt. Bei der U-Bootwaffe übernahm dies UAA. Bei anderen Einheiten war dafür die 4.SStA zuständig. Die 2.MEA wurde dafür auch eingesetzt. Ich vermute also, dass der o.g. Seemann im Sinne der Militärausbildung auffällig war und erst mit der Versetzung zur Maasflottille er einen "soldatischen" Weg nahm und es zu Beförderungen im normalen Rahmen kam. Auf jeden Fall sind mir vergleichbare Fälle bekannt. In welche Richtung die "Verfehlungen" des Soldaten gingen, weiß ich natürlich nicht. Das Spektrum ist dafür ist groß.

    Es ist schon ein Zufall, dass Carlo Gentile hierzu anfragt. Erst letzte Woche urde mir sein Buch für mein Interessengebiet empfohlen.

    Schöne Grüße

    Heinz-Jürgen

    Arbeitsgemeinschaft Zeitzeugen Treptow-Köpenick

  • Lieber Heinz-Jürgen,

    das ist eine sehr interessante Anmerkung, vielen Dank. Tatsächlich war der Matrose ein Nazi-Gegner. Wo kann man sich über die 4. SStA und 2. MEA besser informieren?

    Herzliche Grüße

    C.G.

  • Lieber Eumex,

    danke sehr. Die zwei Einträge kenne ich natürlich. Mich interessierte vor allem die Zuständigkeit für straffällige Matrosen, die Heinz-Jürgen angesprochen hat, weil sie in dem Zusammenhang in dem ich gerade recherchiere eine wichtige Rolle spielt. Der Zusammenhang hat mich überrascht.

    Das Buch von Bölscher werde ich wohl bestellen müssen.

    Besten Dank

    C,G.

  • Hallo Carlo,

    vielleicht noch einmal zum Verständnis.

    Bei einer Urteilsbestätigung durch einen Gerichtsherr wurde sicherlich auch das Gesamtbild des Soldaten beurteilt und unter Umständen wurde nach der Verbüßung die Versetzung zu einer bestimmten Einheit vorgeschrieben. Bei wenigen Diszilpinverstößen (2-3 sind eher normal) kam der Marinesoldat zur alten Einheit zurück. War die Disziplin eher schlecht, wurde gerne eine Versetzung zur 30.SStA oder 31.SStA angestrebt. Bei ganz jungen Soldaten wurde eventuell die Ausbildungsphase wiederholt. Da waren dann die Ausbildungseinheiten zuständig. Haben alle Maßnahmen nicht geholfen, wurde der Soldat bei der Marine zur Feldsonderkompanie versetzt, die der 31.SStA unterstellt war. Es gab jeweils Kompanien, die zum Fronteinsatz kamen. Straffälligkeit kann im idealen Fall gar nicht vorgekommen sein. Das heißt, die Versetzungen wurden durchgeführt, weil der Soldat ohne Disziplin war, das Soldatentum grundsätzlich ablehnte oder sich der Befehlsstruktur nicht fügen konnte. In wenigen Fällen gab es sicherlich auch einfach eine politische Motivation. Es gab also dann gar keine Verurteilungen vor einem Militärgericht. Zu empfehlen wäre noch Hans-Peter Klausch -Endstation Hela? Die Sonderabteilungen der deutschen Kriegsmarine 2017

    Schöne Grüße

    Heinz-Jürgen

    Arbeitsgemeinschaft Zeitzeugen Treptow-Köpenick

  • Lieber Heinz-Jürgen,

    vielen Dank für die Erklärung. Aus den Personalunterlagen lässt sich nichts über schwerwiegende Disziplinverstöße ersehen. Aber immerhin soll er später im Krieg in Italien desertiert sein.

    Besten Dank und viele Grüße

    Carlo