Wie wurden russlanddeutsche Überläufer / "volksdeutsche" Freiwillige in die Wehrmacht integriert?

  • Hallo Experten!

    Mein russlanddeutscher Schwiegervater aus dem Gebiet Taurien/Molotschna/Nähe Melitopol wurde 1941 mit 18 Jahren von sowjetischen Behörden zum Bau von Panzergräben am Dnjepr gegen die heranrückenden deutschen Truppen zwangsverpflichtet und ist dann zu denen übergewechselt.

    Dann ist er angeblich deutscher Soldat gewesen, bis er am Kriegsende schwerverwundet in ein Lazarett am Bodensee kam.

    Es gibt aber weder Militärpapiere noch Fotos aus seiner Zeit als Soldat der Wehrmacht. Nur seine Rentenpapiere bestätigen die vier Jahre Kriegsdienst.

    Lässt sich vermuten, in was für einer militärischen Einheit er als Soldat gewesen sein könnte? Oder anders gefragt: Ist es üblich gewesen, russlanddeutsche Überläufer in „normale“ deutsche Armeeeinheiten zu integrieren oder gab es für sie gesonderte Armeeteile?

    Wo/In welchen Archiven könnte ich Informationen über den Einsatz meines Schwiegervaters von 1941 bis 1945 erhalten?

    Gruß

    KHO

  • Hallo KHO,

    Quote

    Nur seine Rentenpapiere bestätigen die vier Jahre Kriegsdienst.

    wie sagt die Bestätigung aus ? Eigenauskunft ist in der Regel nicht ausreichend, wie ist der Wehrdienst belegt worden Zeugen Auskunft der WAST?

    Gruss Dieter

  • Hallo Dieter,

    mir liegt schriftlich nur ein Formular zur Feststellung von Rentenversicherungszeiten vor ("Zu dem mir übersandten Versicherungsverlauf ...mache ich folgende Angaben"). Und da steht unter "Ersatzzeiten": Zeiten militärischen Dienstes im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes: Von 1942 bis 1945 Soldat. Und auf der ersten Seite: Sind Versicherungsunterlagen verloren gegangen? Falls Ja: Wann? 1945 in Lindau/Bodensee; Wodurch? Kriegseinwirkung. (...erste Beschäftigung ab 1.10.45) (Ständiger Aufenthalt im Bundesgebiet seit 10/45).

    Mündlich gibt es natürlich Erzählungen aus seiner Militärzeit, aber wenige und keine, die Hinweise auf militärische Einheiten... enthielten.

    Gruß

    KHO

  • Hallo,

    wie ging es bei deinem Schwiegervater nach Kriegsende weiter. Ging er in Gefangenschaft? Wo lebte er nach Kriegsende?

    Erste Anlaufstelle sollte immer das Bundesarchiv PA in Berlin sein. Sofern er so lange in der Wehrmacht gedient hat, sollten dort auch Unterlagen vorliegen.

    Viele Grüße

    Alex

  • Hallo Alex,

    mein Schwiegervater lernte im Lazarett einen anderen Soldaten kennen, dem er in dessen Heimat (bei Göttingen) folgte, denn in die Ukraine konnte er nicht zurück und seine Mutter und Schwestern waren schon 1941 nach Kasachstan deportiert worden. Er fand Arbeit in der Familie seines "Lazarett-Kameraden", arbeitete dort als Bäckergeselle und heiratete eine der Bäckerstöchter.

    Etwa ab Februar 1945 wurden mehrerer Lazarette in Lindau errichtet und zahlreicher Verwundetentransporte aufgenommen, insbesondere aus Breslau und Oberschlesien.

    Wenn es Listen von Soldaten gäbe, die in diesen Lazaretten versorgt wurden, dann könnte man ihn vielleicht darauf finden...

    Gruß

    KHO

  • Hallo,

    jetzt liegt mir eine weitere Bestätigung der russlanddeutschen Verwandtschaft vor. Die hatte nach Kasachstan ein Bild von ihm in deutscher Militäruniform bekommen, das sie aber vernichtet haben, um keine Probleme zu bekommen.

    Er war also definitiv Soldat der Wehrmacht.

    Kann ich als Schwiegersohn einen Suchantrag im Bundesarchiv PA in Berlin stellen? Oder kann das nur mein Sohn, der mit ihm in direkter Linie verwandt ist?

    Gruß

    KHO

  • Hallo KHO,

    du könntest im Niedersächsischen Landesarchiv einmal nach Entnazifizierungsakten fragen, vielleicht gibt es da Unterlagen.

    Die Anfrage beim Bundesarchiv PA sollte auch als Schwiegersohn problemlos möglich sein. Ich würde dort auch direkt im Benutzungsantrag auch nach Krankenbuchunterlagen fragen. Vielleicht existieren ja noch Aufzeichnungen aus Lindau.

    Gruß Alex

  • Hallo,

    Du fragst nach der Integration...

    Ein Teil meiner Vorfahren war ebenfalls Teil der deutschen Gemeinde in Rußland. Nach dem 1. Weltkrieg gehörten sie plötzlich zu Polen. So kam es, daß einer meiner Vorfahren 1939 als polnischer Pionier in den Krieg zog. Er wurde Kriegsgefangener der Wehrmacht, als solcher in Deutschland in der Landwirtschaft eingesetzt und dann mit seiner Familie (die über die EWZ hierher kam) wieder zusammengeführt. Bei der Verschickung ins Warthegau bekamen sie wieder deutsche Papiere. Später "zog" die Wehrmacht die jungen Männer der Familie. Einer kam als Soldat zur Wehrmacht (206.ID), sein Bruder wurde zur Wehrmacht gezogen und direkt zur SS "weitergegeben". Beide überlebten.

    Ich kenne keine Erzählung, daß sie anders behandelt wurden als ihre Kameraden. Mit Fotos sieht es hierfür die Genannten auch mau aus.

    Gruß,

    1241

  • Ist es üblich gewesen, russlanddeutsche Überläufer in „normale“ deutsche Armeeeinheiten zu integrieren oder gab es für sie gesonderte Armeeteile?

    Moin KHO,

    dein S.-Vater stammte aus der Askania Nova, eine seit Anfang des XIX. Jh. von den deutschen aus Anhalt-Köthen besiedelten deutschen Kolonie zw. d. Fluß Molotschna und Krim. Viele junge Männer von dort waren von den Ideen des NS begeistert. Einige versteckten sich, um nicht eingezogen, deportiert oder zur Schanzarbeiten eingezogen zu werden. Viele liefen auch den deutschen Truppen entgegen, um sich in dessen Dienst zu stellten. Nicht selten waren die Namensänderungen. Ich kannte Männer, wo aus einem Rybak - ein Fischer, und aus einem Koala - ein Schmied wurde.

    Ich kannte persönlich Männer, die dann ohne weiteren Formalitäten entweder in der Wehrmacht, oder später in der SS gedient hatten. Alle diejenigen, die ich kannte, wurden 1945 von den Alliierten gemäß Vereinbarung als ehem. UdSSR-Bürger an die SMAD mit entsprechenden Folgen für die Betroffenen ausgeliefert.

    Die Lazarett-Unterlagen wurden von den Nachfolgeeinrichtungen übernommen und verwahrt. Weitere Schicksal davon hing in der Regel vom jeweiligen Verwaltungschef. In meinem Kreiskrankenhaus wurden 3 Großcontainer mit je 7,5 m3 Volumen Unterlagen des Lazarettes nach dem Ablauf von 30 Jahren vernichtet. Ich kenne aber auch Einrichtungen, dessen Unterlagen in das Landesarchiv gekommen sind. Eine Anfrage beim zuständigen Landesarchiv würde nicht schaden.

    Gruß Viktor

  • Die Lazarett-Unterlagen wurden von den Nachfolgeeinrichtungen übernommen und verwahrt. Weitere Schicksal davon hing in der Regel vom jeweiligen Verwaltungschef. In meinem Kreiskrankenhaus wurden 3 Großcontainer mit je 7,5 m3 Volumen Unterlagen des Lazarettes nach dem Ablauf von 30 Jahren vernichtet. Ich kenne aber auch Einrichtungen, dessen Unterlagen in das Landesarchiv gekommen sind. Eine Anfrage beim zuständigen Landesarchiv würde nicht schaden.

    Hallo Viktor,


    dass ist nicht ganz korrekt. Nach dem Krieg gab es an verschiedenen Standorten Krankenbuchlager und Krankenblatt-Sammelstellen, die 1952 zusammengefasst wurden (Kassel, München, Berlin). Die Sammelstellen waren in Süddeutschland in Freiburg, Rottweil und Stuttgart. Hauptanteil daran waren die Krankenunterlagen der ortsfesten Reservelazaretten. Die Aufgabe der Stellen war es, in den verschiedenen Sanitätseinrichtungen die Krankenunterlagen ausfindig zu machen und zu konzentrieren.


    Natürlich werden viele Unterlagen aus den Lazaretten und Krankenhäusern auch andere Wege gefunden haben und auch vernichtet worden sein. Aber der größte Teil aus den westdeutschen Lazaretten und auch den ehem. Lazaretten im Ausland, die im Wahrnehmungsbereich der Westalliierten lagen, wurden an die 2 Krankenbuchlager (Kassel, München) abgegeben. Ausnahmen habe ich natürlich auch schon gesehen. Gab hier kürzlich auch einen Fund aus Bayern.


    Aber der erste Weg sollte das Bundesarchiv PA sein, wo auch die Unterlagen aus den Krankenbuchlagern archiviert sind.


    Viele Grüße

    Alex

  • ass ist nicht ganz korrekt.

    Moin Alex,

    meine Feststellung bezog sich auf "mein Kreiskrankenhaus". Diese ist zu 100% korrekt.

    Ich hatte 1998 vom letzten abfahrenden Fahrzeug einen Ordner herausgegriffen und hatte Krankenunterlagen der behandelten Verwundeten Soldaten. Die enthielten neben Angaben zu Person, den Dienstweg, Verwundungen, Behandlungen, Einsatzräume und Auszeichnungen; dazu Angaben zu den Angehörigen und entsprechende med. Maßnahmen. Da war aber auch der "Osten" schon 10 Jahre "Westen", was die Unterlagen nicht gerettet hat! Da in der Kreisstadt mind. 8 weitere Lazarette gegeben hat, gehe ich davon aus, dass alle Unterlagen im Archiv des Kreiskrankenhauses gesammelt und damit auch vernichtet wurden.

    Gruß Viktor

  • Hallo Viktor,


    ja gut möglich, dass sich nach der Wiedervereinigung da keiner mehr drum gekümmert hat oder nachgefragt hat ob es noch Unterlagen gibt. Schade!
    Aber sowas kommt ja leider immer wieder vor. Siehe die Vernichtung der Kranken-Einzelunterlagen aus dem Ersten Weltkrieg durch das Bundesarchiv. Heute ein Fehler, wurde ja auch eingestanden. Oder die Vernichtung der Totenscheine von den NS Opfern in Hamburg vor ein paar Jahren.


    Manchmal braucht es da wohl Zufälle um so etwas ggf. aufzuhalten. Ich gehe davon aus, dass du in deine, Fall da auch nichts mehr machen konntest.


    Aber vielleicht hat der Themenersteller ja Glück im Bundesarchiv und die Akten sind erhalten geblieben. Der Schwiegervater dürfte auch schon länger als 10 Jahre tot sein, da gibt es im Zweifel auch keine Akten mehr im Versorgungsamt. Die Vernichten ja nach 10 Jahren. Auch eine tolle Quelle. Hat mir einiges über meinen Großvater gebracht, auch seine Urkunde zum Verw. Abz.


    Gruß Alex

  • Ich gehe davon aus, dass du in deine, Fall da auch nichts mehr machen konntest.

    Hallo Alex,

    es ist für mich heute noch ein Albtraum... Der Verwaltungsdirektor hatte zig Gründe, warum eine Rückholung nicht möglich war, bis dann er mir eine Mitteilung über die Vernichtung der Unterlagen zeigte... Es war und ist eine Schande! Zumindest konnte ich die Unterlagen der in den Lazaretten beschäftigten Zwangsarbeiter und KGF-Ärzte noch retten.

    Ich habe dann den Rest des Archivs übernommen. Dadurch sind wir die einzigen im Osten gewesen, die komplette Unterlagen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit zu DDR-Zeiten im Besitz hatten und damit auch zur Klärung der Schicksale vieler "Sternenkinder" beitragen konnten.

    Gruß Viktor

  • Alle diejenigen, die ich kannte, wurden 1945 von den Alliierten gemäß Vereinbarung als ehem. UdSSR-Bürger an die SMAD mit entsprechenden Folgen für die Betroffenen ausgeliefert.

    Hallo Viktor7,

    mein Stiefvater soll 1945 auf die Frage (von wem auch immer), ob er denn aus dem westdeutschen Karlsruhe stamme, "ja" gesagt haben. Zusammen mit dem unauffälligen Namen Meier hat ihn das vielleicht vor der Auslieferung an die SMAD bewahrt. Er war auch in späteren Jahren extrem vorsichtig mit Erzählungen über seine Herkunft. Deshalb sind ja wahrscheinlich auch alle Papiere und Fotos weg. Selbst seiner eigenen Tochter gegenüber hat er das Thema Herkunft immer ausgeklammert. Seine Frau musste ihn in den 60er Jahren drängen, über das Rote Kreuz nach seinen Geschwistern in Kasachstan zu suchen. Hätte ich nicht kurz vor seinem Tod gezielt und intensiv nachgefragt, hätten wir so gut wie nichts über seine Herkunft herausfinden können.

    Gruß

    KHO

  • Der Schwiegervater dürfte auch schon länger als 10 Jahre tot sein, da gibt es im Zweifel auch keine Akten mehr im Versorgungsamt. Die Vernichten ja nach 10 Jahren.

    Gruß Alex

    Hallo Alex,

    er ist schon vor 20 Jahren gestorben. Da war seine jüngere Schwester aus Kasachstan gerade seit zwei Jahren in Deutschland. Sie hatten sich über 60 Jahre nicht gesehen. Die ältere Schwester kam erst, als er schon gestorben war. Immerhin liegt sie heute auf dem Friedhof neben ihm...

    Ein vollständiger Rentenbescheid hätte auch weitere Informationen enthalten können, aber mir liegt nur der oben erwähnte grobe Entwurf mit dem Hinweis "1942 bis 1945 Soldat" vor.

    Gruß

    KHO

  • dein S.-Vater stammte aus der Askania Nova

    Hallo Viktor7,

    er stammt nicht genau von dort, aber sein Geburtsort Karlsruh, Kreisstadt Hochstädt ist tatsächlich in der Nähe und der spätere Besitzer der Askania Nova, der Gutsbesitz des adeligen deutsch-russischen Gutsbesitzers Fritz Fein taucht in einigen Geburtsurkunden als Geburtsort auf.

    Gruß

    KHO

  • Hallo KHO,

    ...

    Die Anfrage beim Bundesarchiv PA sollte auch als Schwiegersohn problemlos möglich sein. Ich würde dort auch direkt im Benutzungsantrag auch nach Krankenbuchunterlagen fragen. Vielleicht existieren ja noch Aufzeichnungen aus Lindau.

    Gruß Alex

  • Hallo Alex,

    die Anfrage beim Bundesarchiv hat so gut wie nichts erbracht. Antwort:

    "In den Beständen der Abteilung PA konnte zu Eugen Meier lediglich in der zentralen Personenkartei der Deutschen Dienststelle (WASt) eine Karteikarte (Bundesarchivsignatur B 563-1 KARTEI/M-1566/427)
    1 ermittelt werden. Die Recherchen zu Verwundungs- oder Erkrankungsmeldungen (Bestand B 578 Krankenbuchlager) verliefen leider ergebnislos."Die Angaben auf der Karteikarte sagen mir nichts. Kann man da irgendetwas für die Zeit in der Wehrmacht ablesen?

    Gruß

    KHO