Hallo zusammen,
ich würde mich freuen, wenn ihr mir mit Eurem Hintergrundwissen helfen würdet, etwas mehr Licht in die folgende Geschichte zu bringen.
Mein Opa hat den Krieg überlebt, aber ich habe ihn zu Lebzeiten nie zu seinen Erlebnissen befragt. Aus mündlicher Überlieferung weiß ich aber, dass er kurz vor Kriegsende desertiert ist. Mein Opa war zum besagten Zeitpunkt beim Stab I. Bataillon Grenadier-Regiment 220 und zwar Krad-Fahrer, also vermutlich Melder und Kundschafter. Irgendwie hat er sich mit seinem Krad im Frühjahr 1945 von der Ostfront nach Hause (bei Lüneburg) durchgeschlagen und wurde dort von seinen Eltern bis nach Kriegsende versteckt. Die genauen Umstände seiner Fahnenflucht sind unklar.
Vor Kurzem habe ich vom Bundesarchiv die Auskunft zu meinem Großvater erhalten (nach weniger als zwei Monaten Bearbeitungszeit!). Darin heißt es, dass mein Opa ab dem 17.04.1945 bei einem Ort namens Petersfelde vermisst wurde.
Vier Fragen dazu:
- Wo befand sich das Grenadier-Regiment 220 im April 1945? Welcher Division/AK und Armee war es unterstellt?
- Kann das Datum 17.04.1945 stimmen? Ich habe große Zweifel!
- Welcher Ort „Petersfelde“ könnte gemeint sein?
- Wie könnte die Fahnenflucht abgelaufen sein? (Spekulieren ist hier ausnahmsweise erlaubt und erwünscht.)
Hier mein eigener Kenntnisstand und meine eigenen Schlussfolgerungen und Vermutungen:
Zu Frage 1 (GR 200): Laut Eintrag im Lexikon der Wehrmacht kämpfte das GR 220 Anfang 1945 bei Memel, dann in Ostpreußen/Samland und zog sich zuletzt nach Hela zurück, wo die Reste des Regimentes von der Roten Armee festgesetzt wurden.
Das GR220 war bis Anfang 1944 der 58. Infanterie-Division unterstellt, dann kurzzeitig der 170. ID, danach „diente [das Regiment] verschiedenen Divisionen als Reserve-Einheit“.
Zu Frage 2 (Datum): Zum genannten Zeitpunkt 17. April 1945 war nach meinem Kenntnisstand das GR220 bereits auf Hela, und beide u.g. in Frage kommende Orte „Petersfelde“ waren bereits seit längerer Zeit von der Roten Armee eingenommen und lagen weit hinter der Front. Ich kann mir kaum vorstellen, dass hier noch ein deutscher Kradfahrer im Einsatz gewesen sein sollte und dass er von hier durch die sowjetische Frontlinien entkommen konnte.
Hinzu kommt, dass der 17.04.45 ziemlich genau der Tag war, an dem das Heimatdorf meines Opas bei Lüneburg von den Briten eingenommen wurde. Mein Opa wäre also wohl den Briten quasi in die Arme gelaufen. Das Datum passt auch nicht mit der Erzählung zusammen, wonach mein Opa von meinen Urgroßeltern über mehrere Wochen vor der deutschen Strafverfolgung versteckt wurde, bevor er sich nach der Kapitulation den Briten gestellt hat.
Könnt Ihr Euch einen Reim daraus machen? Liegt beim Datum vielleicht einfach ein Schreibfehler in der WASt-Kartei vor? Oder wurde die Meldung in den Wirren des Kriegsendes erst verspätet weitergegeben, so dass auch das Datum des Meldeeintrags verspätet ist?
Zu Frage 3 (Ort): Meines Erachtens kommen zwei Orte mit diesem deutschen Namen grundsätzlich in Frage, da sie zumindest grob in der Nähe des Einsatzgebietes des GR 220 im Jahr 1945 lagen:
- Option A: Petersfelde (russisch Petrowo) bei Tilsit in Ostpreußen. Tilsit fiel bereits Mitte Januar 1945; das GR 220 verteidigte zu dieser Zeit die Stadt Memel, etwa 100 km nordwestlich. Wenn also Petersfelde in Ostpreußen gemein ist, dann wäre nur Datum 17. Januar 1945 plausibel.
- Option B: Petersfelde (polnisch Poradz) in Hinterpommern, ein Dorf etwa 30 km südlich von Kolberg. Diese Region wurde im Februar/März 1945 von der Roten Armee eingenommen.
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Das GR 220 stand meines Wissens zu dieser Zeit ca. 200 km weiter östlich, an der Danziger Bucht, entweder in der Weichselniederung oder bereits auf Hela. Wenn also Petersfelde in Hinterpommern gemein ist, dann wäre das Datum 17. Februar oder vielleicht auch noch März 1945 möglich.
Was meint ihr? Welcher Ort ist wahrscheinlicher? Kennt ihr noch eine dritte Option?
Zu Frage 4 (Ablauf): Ich tendiere beim Ort zu Option B, also Petersfelde in Hinterpommern, und damit beim Zeitpunkt wahrscheinlich 17. Februar 1945. Zu dieser Zeit war wohl jedem deutschen Soldaten bereits klar, dass der Krieg verloren war, und die Angst, kurz vor Kriegsende zu fallen oder in sowjetische Kriegsgefangenschaft zu geraten, war sehr groß. Vielleicht wurde mein Großvater mit seinem Krad auf einen Kundschafter- oder Meldeeinsatz Richtung nach Westen geschickt und hat die Gelegenheit ausgenutzt, um noch schnell nach Vorpommern zu entkommen, bevor die Rote Armee den Fluchtkorridor entlang der Ostseeküste abschneiden und so die deutschen Einheiten an der Danziger Bucht einkesseln konnte.
Was denkt ihr, wie die Geschichte abgelaufen sein könnte?
Ich bedanke mich vorab für alle Hinweise und neue Informationen zum GR220 und zur Lage an der Nordostfront im April 1945!
Viele Grüße
Harm (Tetris L)