Hallo liebe Forumsmitglieder,
ich hoffe, das Thema ist nicht zu ungewöhnlich. Ich möchte euch fragen, wie es euch mit euren Recherchen geht, da ich mich momentan mit Reaktionen meiner Angehörigen konfrontiert sehe, die mich belasten:
Ich hole etwas weiter aus:
Das letzte Lebenszeichen ist ein Feldpostbrief aus Februar 1945. Im Jahr 1946 wurden Nachforschungen beim DRK von der Ehefrau in Auftrag gegeben, da Kameradenberichten zufolge mein Uropa in Kriegsgefangenschaft geraten sei. Das DRK hat offenbar nie geantwortet oder konnte nichts näheres sagen. Bisher hieß es in der Familie immer nur "ist im Krieg in Russland gefallen" und niemand hat näher darüber gesprochen.
Vor mir (ich bin die Urenkelin des Soldaten) hat bis auf die Ehefrau damals (1946 - 1955) offenbar niemand mehr recherchiert und versucht, das Geschehen zu klären. Ich hatte vor kurzem einen Fernsehbeitrag gesehen und daraufhin mit meinen Recherchen angefangen, da ich mich fragte, wo mein Opa eigentlich in Russland genau gefallen ist. Da ich keine Informationen zu Geburtsdatum usw. hatte, wandte ich mich an meine Mutter.
Nun ist es so, dass meine Mutter (die Enkelin des Soldaten) nicht unbedingt begeistert über meine Recherchen ist und über Herzattacken, Panik usw. berichtet (ich hatte ein paar Lagekarten geschickt und Dokument zur Kapitulation) und sie sich eine mögliche Gefangenenakte auch nicht durchlesen möchte. Mir wurde von ihr nahegelegt, dass ich die Recherchen nicht so intensiv betreiben solle, da ich "nachts sonst nicht mehr schlafen" könne und die Reaktion war in etwa, ob ich nichts anderes zu tun hätte.
Deshalb wollte ich mal fragen, wie ihr die Reaktionen von Angehörigen erlebt? Wurde bei euch das Thema auch über viele Generationen "totgeschwiegen"? In welcher Generation seid ihr, wo ihr euch um Recherchen bemüht? Ich habe in meiner Familie immer wieder den Eindruck, dass absolute Gefühlskälte vorherrscht, man muss sich am Riemen reißen und die Konfrontation mit den Ergebnissen meiner Recherche wühlt alles auf. Ich empfinde es aber als absolut würdelos und selbstgerecht, jetzt, wo man die Möglichkeiten schon länger hat (neue Akten aus Russland usw.) nicht das Schicksal meines Uropas zu klären. Ich finde, das ist man ihm schuldig und ich kann auch nicht ruhen, bevor ich nicht mehr darüber erfahre.
Die Vorgenerationen sind in meiner Familie vor der Sache und den heftigen Gefühlen, die damit einhergehen davongelaufen und haben sich auf diesem Weg auch vor Überwältigung geschützt. Es gibt aber trotzdem heftige Folgen deswegen in der Familie (Suizide etc.) und ich möchte aus diesem Verdrängungs-Kreislauf raus.
Wie geht ihr mit euren Recherchen um? Habt ihr jemanden, mit dem ihr über das sprechen könnt, was ihr in den Akten lest? Was damals passiert ist, ist für mich nicht in Worte zu fassen und an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten. Ich möchte den unermesslichen Schrecken in keinster Weise in Abrede stellen oder ähnliches. Das Durcharbeiten der Akten lässt einen empathischen und einfühlsamen Menschen aber vermutlich nicht kalt. Meine Gefühle beim Durcharbeiten der Akten gehen von tiefer Traurigkeit und Scham bis hin zu Abscheu und Hass. Aber wieder bin ich mit meinen Gefühlen alleine, weil die Vorgenerationen immer noch nicht mit den Gefühlen konfrontiert werden wollen. Es schmerzt mich sehr, dass meine Mutter und deren Mutter offenbar nie bereit waren und auch nicht bereit ist, zu trauern und endlich Frieden mit dem Schicksal zu schließen. Um zu trauern und abschließen zu können, muss man sich aber doch erstmal mit der Angelegenheit beschäftigen und die Gefühle auch an sich ranlassen?
Das waren meine aktuellen Gedanken. Vielleicht hat jemand Interesse, auch was zu schreiben zum Thema? Eine Gefangenenakte habe ich vom DRK ja noch nicht erhalten (sofern eine solche vorhanden ist). Bislang habe ich nur allgemeine Kriegsberichte gesehen, die mir gefühlsmäßig schon die Schuhe ausgezogen haben (Einschwörungen und Reden kurz vor Kriegsende, wo die Soldaten auf Hass getrimmt werden sollten; Dienstanweisung mit 2 Wochen Urlaub für 5 abgeschossene Panzer, Spähberichte in denen berichtet wurde, wie Personen niedergeschossen wurden. Das besonders Erschreckende ist für mich nicht die Brutalität von Kampfszenen oder ähnliches, sondern die Wortwahl bzw. die Beiläufigkeit und technokratische Kälte, mit der geschrieben wird. So, als würde man darüber berichten, wie man 5 Brötchen vom Bäcker holt, dabei geht es um das Töten von Menschen. Die dezidierten Anweisungen; die vielen Akten, in denen alles akribisch festgehalten wurde. Das empfinde ich persönlich als sehr schlimm, weil es doch zeigt, wie instrumentalisiert und unmenschlich sowohl das System, als auch die Ausführenden im System waren.) Konkret über das persönliche Schicksal eines Angehörigen aus einer Akte zu lesen, wird wahrscheinlich noch herausfordernder sein, aber ich möchte in jedem Fall wissen, was passiert ist. Ich verstehe nicht, wie man das im Falle der Angehörigen so lange nicht wissen wollen kann.
Noch eine letzte Frage an alle, die sich mit transgenerationalen Traumata auseinandergesetzt haben: Gibt es hier mehr Menschen, die mehrere Generationen Abstand zu den Soldaten haben, aber sich dennoch belastet durch die Situation fühlen und selbst den Drang haben, zu recherchieren? Könnt ihr zuordnen, warum ihr das machen wollt, falls es bei euch auch so ist?
Viele Grüße erstmal an alle.