Heeresgruppe C Anfang/Mitte Sept. 1939 - Suche neuere bzw. genaue Angaben zum Bestand

  • Guten Tag !

    Zum Bestand der Heeresgruppe C zu Beginn und während des Verlaufs des Überfalls auf Polen konnte ich bislang nur ältere Angaben finden, die zudem widersprüchlich sind.

    Jodl sprach während der Nürnberger Prozesse von 'fünf aktiven Divisionen und sieben Reservedivisionen in einer Westbefestigung, die nur eine große Baustelle war'.

    An anderer Stelle bezifferte er die an der Westgrenze stationierten Divisionen mit 23.

    (Nürnberger Prozesse, 04.06.1946, Nachmittagssitzung)

    Im Spiegel-Artikel „Dann Finis Germaniae“, 1969, sind folgende Angaben zu finden:

    - rund 900 000 deutsche Soldaten = etwa 34 2/3 Divisionen

    - weniger als 50 Panzer sowie ein paar Jäger und Aufklärer

    - nach einer Meldung der Heeresgruppe C verfügten die Franzosen mit 16 350 Geschütze über "zehnmal soviel" wie die Deutschen an der Grenze stationiert hatten

    In jenem Artikel-Abschnitt wird Bezug auf das Buch "The Unfought Battle" von Jon Kimche, 1962, genommen. Ich habe das Buch gelesen. Die wesentlichsten der dort gemachten Angaben lauten:

    - 15 Divisionen in der 1. Linie, 11 Landwehr-Divisionen in der 2. Linie, 7 Divisionen in der 4. Linie,

    kein Panzer, nur wenige Flugzeuge (Seite 103)

    - 11 aktive Divisionen, unterstützt von zusätzlich 25 Divisionen der 2. Linie; 300 Kanonen (Franzosen: 1600 ); keine Panzer ( Franzosen: 3 286 ); praktisch keine Kampfflugzeuge an der Grenze, da die knapp 1000, die zum Zweck des Heimatschutzes nicht am Überfall auf Polen teilnahmen, im unmittelbaren Bereich der Großstädte stationiert wurden (Franzosen: 934); keine Bomber, weil ausnahmslos alle vorhandenen beim Überfall auf Polen eingesetzt wurden ( Briten: 776) (Seite 154)


    All diese Angaben sind über 50 Jahre alt. Es scheint schwer vorstellbar, dass seither keine neueren Forschungsergebnisse zu diesem Thema publiziert wurden.

    Allerdings konnte ich via Google nichts finden, weder in Deutsch noch in Englisch.

    Ich wäre für jeden weiterführenden Hinweis dankbar.

  • Hallo Ballasttank,

    nach meinen (auch älteren) Unterlagen komme ich auf 34 Div. plus 5 Grenzschutz- u Festungskommandos.

    HGr C am 1.9.39

    5. Armee 6 ID

    1. Armee 13 ID

    7. Armee 6 ID

    HGrReserve 9 ID = 34

    davon:

    aktiv 12

    2. Welle 7

    3. Welle 12

    4. Welle 3 = 34

    Die Auflistung der HGr. C im LdW kommt auf weniger Divisionen.

    Bestr Grüsse

    atlantis

  • Weitere Angaben bei John Kimche:

    Deuxieme Bureau, franz. Auslandsnachrichtendienst, 9. September:

    43 Divisionen.

    ( Seite 101 )

    Generaloberst Halder, Mappe für Hitler persönlich, zusammengestellt ebenfalls 9. September:

    1 Division 1. Linie + 6 weitere für den Bereich Richtung Belgien

    3 Divisionen 1. Linie + 7 weitere für den kritischen Bereich Luxemburg-Mosel

    2 Divisionen 1. Linie + 4 weitere für den Bereich Oberrhein, Schwarzwald, runter bis zur Schweizer Grenze

    8 Divisionen 1. Linie + 9 weitere im dort gut ausgebauten Teil des Westwalls an der Saarlinie den Rhein runter bis nach Karlsruhe

    = 40 Divisionen

    ( Seite 92, nach Halder, KTB Bd. 1, Karte 1 )

    General Westphal: 33 Divisionen

    ( Seite 105, nach Westphal,‭ H‬eer in Fesseln, ‭S. ‬109-11 )

    Dann wäre da noch Generalfeldmarschall von Manstein:

    11 aktive Infanterie-Divisionen + etwa 1 Division Festungstruppen + 35 Divisionen 2. bis 4. Welle. Insgesamt 46 Divisionen, von denen aber 3/4 nur bedingt einsatzfähig waren.

    ( Verlorene Siege, S. 25 )


    Soweit wohl ein Paradebeispiel für die Redewendung:

    Nichts Genaues weiß man nicht.


    Ich bedanke mich für deine Bemühung, Atlantis !

  • Hallo !

    >> Soweit wohl ein Paradebeispiel für die Redewendung: Nichts Genaues weiß man nicht. <<

    Ich muss Dir da leider vollständig widersprechen :

    Ich würde sagen die Angaben aus den verschiedene Quellen sind ALLE ziemlich korrekt (bis auf die von Jodl) !

    Deswegen gibt es vermutlich auch nichts wesentlich Neues zu dem Thema, einfach weil alle

    Zahlen im Wesentlichen beklannt sind und sich nicht geändert haben.

    Es ist nur wichtig zu unterscheiden, was wie (und zu welchem Zeitpunkt !) gezählt wird !

    Ich würde mich bei dem Thema auf das Werk von Burkhard Mueller-Hillebrand (Das Heer 1933 - 1945, Bd. I und II) verlassen.

    In Band II, S: 21-22 findet sich eine Auflistung, welche Einheiten den drei AOKs an der Westgrenze ab dem Zeitpunkt

    der Mobilmachung zur Verfügung standen (s. Scan) :

    Das waren 31 2/3 Divisionen (wobei die verschiedenen Grenztruppen zusammen als 1 Division gezählt wurden)

    Danach (aber noch vor dem 1.9.39), wurden noch zusätzlich drei Divisionen der 2. Welle (75., 76. und 87. Inf.Div)

    den AOK 1 und 5 zugeführt. Das macht dann 34 2/3 Divisonen und entspricht ziemlich genau den Angaben von

    Ingo (Atlantis) (auch in der Zusammensetzung) und ebenso den Angaben von Westphal und dem Spiegel-Artikel.

    Bei diesen Divisionen sind aber noch keine Divisionen der 4. Welle enthalten, die zunächst alle noch OKH Reserve waren.

    Nach der Kriegserklärung durch die Westmächte wurden dann noch weitere 9 Divisionen der 4. Welle aus der

    OKH-Reserve der Westfront zugeführt.

    Das ergibt dann 43 2/3 Divisionen und entspricht dann in etwa den Zahlen des Deuxieme Bureau, den Angaben

    von GFM von Manstein, sowie der Karte aus dem Halder KTB (die ja auch erst vom 9.9.1939 datiert).

    Atlantis hat sich also nicht nur stets bemüht, sondern auch eine ziemlich exakte Angabe für den 1.9.1939 abgeliefert :thumbup: .

    Die Angaben der anderen Autoren, beziehen sich einfach auf einen Zeitraum kurz danach, in dem sich die Lage schon wieder

    etwas verändert hatte.

    Zu den Zahlenangaben zur Artillerie und den Panzern kann ich leider nichts sagen, sie erscheinen mir aber nicht unrealistisch.

    Beste Grüsse,

    Uwe

  • Uwe:

    >>....weil alle Zahlen im Wesentlichen bekannt sind....<<

    Da bin ich anderer Meinung.

    Man kennt wohl Anzahl und Welle der dort stationierten Divisionen.

    Aber aus wie viel Mann bestand die jeweilige Division ?

    Ergo, wie viel Mann ergibt bzw. ergab das insgesamt ?

    Dieser wesentliche Punkt ist m.E. völlig unklar.


    Laut Plan bestand eine Infanteriedivision im Sept.1939 aus 17 734 Mann.

    ( Christian Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, S. 30; nach Mueller-Hillebrand, Heer, Bd. 1, S. 73 )

    Diese Angabe gilt allerdings nur für eine Infanteriedivision 1. Welle. Hatten die der 2., 3. und 4. Welle in etwa dieselbe Mannstärke ?

    Und erfüllte jede Infanteriedivision 1. Welle das Plansoll, oder zumindest der überwiegende Großteil ?

    ( natürlich jeweils bezogen auf die an der Westgrenze im Sept. 1939 stationierten )

    Wikipedia nennt für die 71., 75. und 76. Infanteriedivisionen eine Sollstärke von 15 000.

    Wieder das gleiche Problem: Soll und Haben sind zwei Paar Schuhe.

    Somit bleibt aus meiner Sicht offen, wie viel Mann an Zahl dort tatsächlich stationiert waren. Und eben deshalb wundert es mich sehr, dass seit den 1960er Jahren kein Historiker oder Doktorand sich dieses Themas angenommen zu haben scheint. Zumal die damals festgestellten Angaben nicht die ersten wären, die durch eine neuere Forschung revidiert werden mussten, oder, wie es in diesem Fall wahrscheinlicher wäre, deutlich präzisiert werden konnten.


    Uwe, ich bedanke mich sehr für Deine Antwort, insbesondere fürs raussuchen und einscannen der Aufstellung aus dem Buch von Mueller-Hillebrand.

    Mit Dank

    und allerbesten Grüßen aus Berlin,

    Marco

  • Hallo Marco,

    Infanteriedivision-Stärken 1.9.39:

    1. Welle= 534/102//2701/14397=17734

    2. Welle=

    491/98//2273/12411=15273

    3.Welle=

    578/94//2722/14507=17901

    4.Welle=

    491/99//2165/12264=15019.

    Mueller-Hillebrandt Bd.1, S.71

    Beste Grüsse

    Ingo

  • Guten Abend, Ingo !

    John Kimche nennt in seinem Buch nur einmal eine Gesamtzahl für die an der Westgrenze stationierten deutschen Truppen, ohne Datum:

    800 000

    (Zitat:" Den 4,5 Millionen Franzosen standen circa 800 000 Deutsche gegenüber, aber etwa die Hälfte davon befand sich noch im Prozess der Zusammenführung oder auf dem Weg zur Front." S.102 )

    Geht man dabei von 43 Divisionen aus, erfordert das etwas über 18 500 Mann pro Division.

    Das deckt sich mit Deinen Angaben aus dem Buch von Mueller-Hillebrand, wenn man's nicht so genau nimmt.

    Bleibt noch das Grundproblem: die Angaben sind alt und scheinbar wurden sie seither keiner neueren Überprüfung unterzogen.

    Aber dieses Problem ist mir im Moment, frei gesagt, völlig schnuppe.

    Ich bin hellauf begeistert über Deine Antwort und bedanke mich vielmals !

    Marco

  • Hallo Marco !

    Ganz am Anfang hattest Du ja sehr ausführlich und mit guten Quellenangaben erläutert, dass nach deiner Meinung

    sehr verschiedene Zahlen zur Anzahl der Divisionen an der Westfront Anfang September 1939 existieren.

    Ich hatte dann versucht zu erklären, woher die unterschiedlichen Anzahlen von Divisionen kommen, und dass dazu

    eigentlich alle Angaben bekannt sind (welche deutsche Division sich Anfang des Krieges wo befand ist klar nachvollziehbar

    und daran ändern auch neuere Forschuingen nichts).

    Darauf bezog sich :

    >>....weil alle Zahlen im Wesentlichen bekannt sind....<<

    und sie passen ja auch zusammen !

    Wenn Du jetzt aber schreibst

    >> Aber aus wie viel Mann bestand die jeweilige Division ? Ergo, wie viel Mann ergibt bzw. ergab das insgesamt ?

    Dieser wesentliche Punkt ist m.E. völlig unklar. <<

    dann gibst Du dem Thema doch eine leicht andere Richtung.

    Nicht weiil die Anzahl der Soldaten in den verschiedenen Typen von Divisionen unklar wäre (die entsprechenden Angaben

    hat Ingo ja sehr genau aufgelistet).

    Aber die Anzahl der Soldaten an der Westfront ist ja nicht einfach gleich der Summe der Soldaten in den verschiedenen Divisionstypen.

    Dazu kommen ja noch Unmengen von sogenannten Heerestruppen und anderen Unterstützungseinheiten.

    Ich komme z.B., wenn ich nur die Divisionen der 1. - 3. Welle für den 1.9.1939 zusammenrechne auf ungefähr 530.000 Mann (ohne Grenztruppen).

    Generaloberst Halder spricht in seinem KTB (auf S. 48) am. 31.8.39 von 1,07 Mio. Mann (im Falle Belgien Feind), davon 150.000 Westwallarbeiter,

    und 0,95 Mio. Mann, im Falle Belgien nicht Feind,

    Diese Zahlenangabe deckt sich dann in etwa wieder mit den 900.000 Mann vom Spiegel Artikel.

    Der Unterschied dürfte durch die grosse Anzahl von zusätzlichen sogenannten Armee- bzw. Heerestruppen zustande kommen, die nicht einer

    Division, sondern eben z.B. den Armeen unterstanden. Dazu gehören, Artillerie-Einheiten, Pioniere, Nachrichtentruppen, Nachschub- und

    Sanitätseinheiten, Veterinärdienste, viele Baueinheiten und noch weitere.

    Da kommt dann einiges zusammen ...

    Auch die Anzahl dieser Heerestruppen und ihre Verteilung nach Ost und West ist für den Zeitpunkt der Mobilmachung prinzipiell bekannt.

    Deswegen hat sich kein Doktorand erneut mit dieser Frage beschäftigt.

    Angaben dazu findet man ebenfalls bei Mueller-Hillebrand und z.B. auch auf der Webseite von Dr. Leo Niehorster.

    Hier findest Du die EInheiten der Westfront (auf HGr. C klicken) :

    http://www.niehorster.org/011_germany/39-oob/_39-oob.html

    und hier eine Anzahl der sogenannten Heerestruppen :

    http://www.niehorster.org/011_germany/39…g/_missing.html

    Wenn Du Dich wirklich für Einzelheiten interessierst, solltest Du die Bücher von Mueller-Hillebrand durchgehen. Sie sind sehr klar und

    verständlich geschrieben und sie gibt es in vielen Bibliotheken. Dann klären sich vielleicht viele Fragen.

    Beste Grüsse,

    Uwe

    P.S.: Ich habe leider wieder mal viel zulange für meine Antwort gebraucht. Sorry.

    Eventuell haben sich ja jetzt sowieso schon alle Probleme hinreichend genau geklärt.

    Seltsam, die Infanterie ! Sie fährt nicht, sie reitet nicht und unser himmlischer Vater bewegt sie doch...

  • An Uwe und Ingo


    Guten Morgen aus Berlin !

    In dem eigentlichen Punkt, um den es mir ging, nämlich um Soldaten im Sinne von Kampfsoldaten,

    also: wie viel Mann mit Gewehr in der Hand hätten sich einem Angriff der Franzosen entgegenstellen können,

    habe ich mich fahrlässig-ungenau ausgedrückt.

    Ich bitte dafür um Entschuldigung.

    Ich weiß jetzt alles, was es in dieser Frage zu wissen gibt, so auch, dass die damals erarbeiteten Angaben wohl zu gut sind als dass eine neuerliche Überprüfung Sinn machen würde.

    Und wo ich künftig, bei ähnlich gelagerten Fragen, mit hoher Wahrscheinlichkeit fündig werden kann. Kanzlerin Merkel sagte mal: "...eine gut geführte Akte ist ein Wert an sich."

    Das gilt sicherlich auch für einen guten Literaturhinweis (Müller-Hillebrand).

    Ich bedanke mich bei euch beiden für die Antworten !

    Mit freundlichen Grüßen

    Marco