Die Angst und Panik des Soldaten auf dem Schlachtfeld

  • Hallo,

    Die Angst des Soldaten auf dem Schlachtfeld, ein Thema, das meines Erachtens bezüglich des II. Weltkriegs und dem Einsatz der dt. Wehrmacht in der Kriegspsychiatrie noch nicht vollständig aufgearbeitet aufgearbeitet ist. Auch in der Literatur findet sich relativ wenig, wenn man von einigen Beiträgen in medizinischen Fachblättern und Büchern einmal absieht.

    Im Gegensatz dazu ist diese Thematik mit Bezug zum I. WK ausführlich behandelt worden.

    Hierzu Bonhoefer:" Der Krieg" habe "große Teile der Bevölkerung plötzlich und dann durch Jahre hindurch Situationen" gegenüber gestellt, "welche das Äußerste an gewaltsamen, optischen und akustischen Sinneseindrücken, depressiven Affektinhalten der Angst, des Schrecks, gespannter Todeserwartung, der Sorge, des Schmerzes und der Trauer enthielten."*

    Es wird zweckmäßig sein, dieses Thema hier im FdW auf den II. WK und ausschließlich die dt. Soldaten ( Über die Alliierten, insbes. die US - Army gibt es Studien) zu begrenzen.

    Von besonderem Interesse und den Schwerpunkt möchte ich auf

    Angst und Panik durch Kriegserlebnisse dt. Soldaten (und ihre Folgen - Nur wenn bekannt!) begrenzen.

    Ich bitte um Beiträge.

    Gruß Karl


    *Bonhoefer: Über die Bedeutung der Kriegserfahrungenfür die allgemeinePsychopathologieund Ätiologie der Geisteskrankheiten. In Bonhoefer: Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg 1914/1918.

    Siehe auch: " Susanne Michl: "Gefühlswelten: Konzepte von Angst in der Kriegspsychiatrie" Deutsches Ärzteblatt Jg.11, Hefft 33/34 18. August 2014

    Edited 2 times, last by Karl Grohmann (May 4, 2021 at 3:37 PM).

  • Servus Karl,

    das ist mal ein Thema, das mein - und wahrscheinlich auch vieler anderer - großes Interesse findet ….

    Bin gespannt.

    Dass die überlebenden Soldaten nach dem Krieg als ganz andere Leute zurückgekommen sind,

    dass viele Ehen nicht mehr funktionieren konnten,

    dass vielfach das Verhältnis zu den Kindern ein gestörtes war,

    dass mancher nicht mehr in einen Arbeitsprozess eingegliedert werden konnte,

    usw. usw., ist ja hinlänglich bekannt.

    Ich weiß von meinem Vater, dass (1944) die "jungen" (ich nehme an, auch die älteren!) Soldaten,

    wenn ihnen stundenlang die Splitter der Stalinorgeln um die Ohren geflogen sind,

    sich in ihren Gräben in die Erde gekrallt haben und - nach der Mutter! - geschrien haben ….

    (Möchte fast hinzufügen, nach wem denn sonst?).

    Das zeigt doch sehr deutlich auf, wie klein und hilflos der Mensch in solchen Momenten ist.

    Vielleicht ein Vergleichsmoment als Hinweis zu den Folgen - gerade heute erkennbar bei vielen, die längere Zeit etwa in Afghanistan eingesetzt waren …..

    Gruß Eddy
    Suche alles zu 143. Reserve-Division und Füsilier-Bataillon 217.

    Edited once, last by ehansl02 (May 4, 2021 at 12:53 PM).

  • Hallo,

    vielleicht noch ein Hinweis zu den Symptomen psychosomatischer Auswirkungen als Folge der Kriegserlebnisse/Angst - und Panikzustände bei Soldaten:

    Waren es im I. Weltkrieg vor allem die sog. " Kriegszitterer"*, so finden sich in der Literatur Hinweise darauf, dass im II. WK im Unterschied dazu vor allem

    >Magen-

    > Darm-

    > Herz-

    > Kreislaufbeschwerden auftraten* *

    Diese Ausführungen dienen nur dem Verständlich der Folgen!!.

    * Ernst Friedrich: " Schockfotos WK I"

    ** "Spiegel: Geschichte, " Kriegstrauma, verhärtete Seelen, Abhandlung von Christoph Wöhrle vom 7.2. 2020.

    Siehe auch:

    https://www.leading-medicine-guide.de/erkrankungen/p…ankungen#topics

  • Hallo zusammen!

    Wenn auch vielleicht kein hilfreicher Beitrag:

    Heute hat jeder Helfer nach Unfällen ein KIT zur Verfügung, um die Kameraden der damaligen Zeit hat sich wohl niemand gekümmert.

    Auch aus Einsatzgebieten zurückkehrende Soldaten der heutigen Zeit haben fest eingeplante Zeiten für das Gespräch mit Psychologen.

    Bezeichnend für die durchlebten Situationen und Momente dürfte wohl sein, das die letzten noch existierenden Zeitzeugen sich noch teilweise auf den Tag genau an einige Ereignisse erinnern können und auch noch Gesprächsbedarf haben. Und dies geschieht nicht aus Angeberei.

    Manche wollen sich im Gegensatz dazu überhaupt nicht mitteilen und schweigen komplett zu diesem Thema.

    Des weiteren ist auffallend - z.B. in dem Buch "Ritterkreuzträger der SS" - das von denen, die den Krieg überlebt haben, nicht viele wirklich alt wurden. Oft starben sie an den körperlich Kriegsfolgen früh oder als Todesursache wurden Herzleiden angegeben. Und das oft in einem Alter von Ende 50.

    Gruß Stephan

    Suche alles zur Waffenschule des AOK 1

  • Tag allerseits,

    unser Dank an Karl für dieses Thema! Das Kriegszittern war im Ersten Weltkrieg vielfach aufgetreten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Ländern der Westfront. Aber ganz offensichtlich gab es solche

    Ausfälle im 2. Weltkrieg kaum noch.

    Interessant auch, dass bei den Unterhaltungen ehemaliger Soldaten nach dem Kriege von Angst und Panik kaum die Rede war. Man wollte offensichtlich über dieses sehr persönliche Thema schweigen.

    In vielen Veröffentlichungen ist aber die Rede davon, dass "fronterfahrene Soldaten", die auf ihren Urlauben während diverser Luftangriffe einige Stunden in Luftschutzkeller verbringen mussten, sich äußerten,

    dass der Luftkrieg "ja fast schlimmer sei, als das Leben im Schützengraben".


    Grüße

    Bert

  • Hallo Stephan, hallo zusammen!

    Auch aus Einsatzgebieten zurückkehrende Soldaten der heutigen Zeit haben fest eingeplante Zeiten für das Gespräch mit Psychologen.

    Ich möchte kurz auf deine Aussage eingehen.

    Es ist vollkommen richtig, dass im Einsatz bereits ein psychologisches Gespräch stattfindet.

    Zeitnah nach dem Einsatz findet ein Wiedereingliederungsseminar statt.

    Auch dort finden psychologische Gespräche statt.

    Über die Qualität des eingesetzten Personals, die diese Gespräche zu meiner Zeit durchgeführt hat, möchte ich mich lieber nicht äußern.

    Gruß

    Christian

    Suche Informationen über die 170. Infanteriedivision

  • Lieber Bert und alle anderen Leser,

    In vielen Veröffentlichungen ist aber die Rede davon, dass "fronterfahrene Soldaten", die auf ihren Urlauben während diverser Luftangriffe einige Stunden in Luftschutzkeller verbringen mussten, sich äußerten,

    dass der Luftkrieg "ja fast schlimmer sei, als das Leben im Schützengraben".

    dazu gibt es Erklärungen:

    Der Soldat ( jeder Nation) ist gewohnt in dem festen Rahmen seiner Einheit zu leben und ggf. zu sterben, weil er, wenn, dann nur in äußerster Angst und Panik dieses "Gefüge" verlässt.

    Er stützt sich auf seine Kameraden. Er nutzt und stützt diese Gemeinschaft. Sie ist seine "Ersatzfamilie", innerhalb der er "sein Gesicht nicht verlieren will". ( Ganz wichtiges Argument). Er hält also für gewöhnlich in schwierigen und auch gefährlichen Situationen durch, was er u. U. als einzelner Mann nicht tun würde.

    Militärs sagen: " Der Drill hat sie zusammen geschweißt!" .

    Der Soldat sucht in der Gruppe Halt, wenn ihn die Hilflosigkeit überkommt.

    Er ist lieber in einem Schützenloch mit mind. noch einem Kameraden, anstatt in einem Einmann -Panzerdeckungsloch, wenngleich dieses im Falle eines Panzerangriffs "sicherer" sein kann.

    Militärs sagen: "Der einfache Soldat ist gewohnt Befehle zu befolgen! Bleiben diese aus, wird er unsicher."

    Kurz gesagt: Der Soldat ist außerhalb der (seiner) Kampfgemeinschaft für Angst - und Panikzustände wesentlich anfälliger.

    Dies belegt auch die Feststellung von Generalmajor Kissel, dass "Alarmeinheiten", im Rußlandkrieg , also zusammengewürfelte Einheiten aus Urlaubern, Trosseinheiten, Soldaten aller Waffengattungen, "ungewöhnlich panikanfällig" waren.

    Diese Umstände/Situation gibt es im LS - Keller nicht. Er fühlt sich hilflos, kann sich nicht mit der Waffe wehren, wie er es an der Front gewohnt ist.

    Gruß Karl

  • Hallo Karl ,

    mein Opa hatte mir mal erzählt, daß er das Jammern und Weinen der Frauen und Kinder nicht ertragen konnte und den LS-Keller verlassen hat.

    Er kroch statt dessen im Hof des Hauses in eine Ecke. Er kam sich den Frauem und Kindern hilflos gegenüber vor.

    Zudem war er wütend weil er sich nicht wehren konnte. An der Front konnte er zurück schießen und war nicht wehrlos.

    So ungefähr waren seine Worte.

    Viele Grüße Micha

    P.S.- Karl, wieder mal ein sehr interessantes Thema !!!

    Suche alles zur 208.Infanterie-Division

  • Hallo zusammen, ich freue mich sehr, dass das Thema so gut angenommen wird. Hatte da so meine Bedenken.

    Guten Abend Karl!

    Dazu besteht überhaupt keine Veranlassung, wie ich finde. Es ist ein ganz weites Feld mit vielen Facetten.

    Was ich unglaublich spannend finde - aber darüber kann man sicher streiten und es gibt auch andere Auffassungen dazu -, sind die Aussagen von Psychologen, die davon ausgehen, dass sich diese Kriegsängste und -traumata über Generationen hinweg weitervererbt haben.

    Ich habe vor Jahren einmal ein berufliches Gespräch mit einem Psychiater geführt, der damals meinte: ,Wissen Sie, jemand, der im Büro- und Führungsalltag einfach nicht mehr kann, der am liebsten schreiend und kurz vor dem Nervenzusammenbruch davonlaufen würde, weil ihm die E-Mails im Dauerbeschuss um die Ohren fliegen, der hat da möglicherweise von seinem Opa etwas übernommen an Ängsten - mit dem Unterschied, dass es dort die Maschinengewehr-Salven waren.'

    Für manche mag das lächerlich klingen. Ich konnte und kann dem viel abgewinnen. Weil es auch in Familien genug Alltagssituationen gibt, in denen alte Ängste bis heute durchschlagen - mal schwächer, mal ausgeprägter.

    Spätestens an dem Tag, an dem ich mit meinem Onkel miterlebt habe, wie mein Großvater mit seinen 90 Jahren auf dem Totenbett Kriegserlebnisse verarbeitet hat, ist mir tief berührt klar geworden, was dieser Generation angetan wurde und wie tief diese Schrecken und Ängste saßen.

    Mehr oder weniger im Sterben hat mein Opa Dinge noch einmal durchlitten, die er 70 Jahre zuvor hatte erdulden müssen.

    Viele Grüße, danke für dieses Thema, Karl!

    Frank/Evergreen

  • Hallo!

    Die Angst des Soldaten auf dem Schlachtfeld, ein Thema, das meines Erachtens bezüglich des II. Weltkriegs und dem Einsatz der dt. Wehrmacht in der Kriegspsychiatrie noch nicht vollständig aufgearbeitet aufgearbeitet ist.

    ... ein schweres Thema, aber das weißt du ja! Mutig trotzdem! :thumbup:

    mein Opa hatte mir mal erzählt, daß er das Jammern und Weinen der Frauen und Kinder nicht ertragen konnte und den LS-Keller verlassen hat.

    Er kroch statt dessen im Hof des Hauses in eine Ecke. Er kam sich den Frauem und Kindern hilflos gegenüber vor.

    Zudem war er wütend weil er sich nicht wehren konnte. An der Front konnte er zurück schießen und war nicht wehrlos.

    ... nachdenkliche Worte, danke dafür!


    Ich habe anbei ein paar Auszüge aus Feldpostbriefen von verschiedenen Soldaten aus der Normandie vor und nach der aliiierten Landung:

    28. Mai 1944: "... Heute Nacht stieg ein großer Angriff gegen England, und unsere Flieger brausten toll über uns hinweg, ja, wir mußten sogar aus den Zelten. Wenn aber der Tommy so zu uns auf Besuch kommt, sehe ich schwarz, und Gott möge uns beistehen. Es sollte halt ein Ende sein mit dem verdammten Krieg ..."

    07. Mai 1944: "... Die Lastensegler kamen wie ein Rabenschwarm, und dann ging der Krieg richtig los.“

    15. Juni 1944: "... Die schöne Normandie ist heute eine Hölle für die Landser, und Materialschlachten finden hier statt, an die Stalingrad nicht hin kann. Und wir Übriggebliebenen können uns nicht erklären, wie das enden soll. Deshalb muß man mit allem rechnen [...]."

    22. Juni 1944: "... Der Führer sagte einmal ´Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr geschlagen´. So ist es uns gegangen. Wir mussten durch Sumpf und Wasser, und mancher braver Landser, der nicht schwimmen konnte, musste ertrinken. Darum sollen die Buben schwimmen lernen. ..."

    03. Juli 1944: " ... Den gestrigen Sonntag habe ich auf einer grünen Wiese verbracht, in Sprungnähe haben wir unsere Erdlöcher, welche wir gut gebrauchen können, denn der Tommy schießt ziemlich oft mit seiner verfluchten Artle und dann heißt es husch husch in Körbchen, denn die Splitter kommen mit einer affenartigen Geschwindigkeit angelaufen, ist man in seinem Loch, dann können sie uns am Abend begegnen. ... "

    07. Jui 1944: "... Die USA-Fallschirmtruppen sind mitten in unsere Stellungen abgesprungen. Das war vielleicht eine Nacht, die ich euch gerne mündlich schildern würde. Tags darauf kamen die Lastensegler wie ein Rabenschwarm, und dann ging der Krieg so richtig los, wie er auch bis heute noch anhält. Der Gefangenschaft war ich auch schon sehr nahe. Nach 14tägigem Einsatz kam ich dann zum Troß und baute diesen mit auf, denn nach wenigen Tagen hatten wir alles verloren. Wir hatten weiter nichts als das, was wir am Leibe hatten. Am schlimmsten sind halt nach wie vor die Flieger, so daß alles bei Nacht gemacht werden muß. Die Hunde schießen auf jeden einzelnen mit Bordwaffen. Flak und Flieger sollten wir haben, davon ist aber nichts zu sehen. Daß wir moralisch dabei fertig werden, kannst Du Dir vorstellen. Jetzt heißt es wieder, in den nächsten Tagen sei ein Großangriff mit Fliegern, die in ganz großer Zahl bereitstehen. Ich glaube ja solche Sachen schon lange nicht mehr. Hoffentlich müssen wir nicht wieder zurück. ..."

    ... usw.!

    Grüße

    Sven

    Suche alles über die 91. Luftlandedivision und 77.Infanterie-Division

  • Tag allerseits,

    einige Dinge, die sich an der Ostfront ereigneten, darüber sprach mein Vater gelegentlich.

    Welche Folgen Panikgefühle bei Soldaten hatten, dazu ein Vorfall an der Woroneschfront im Sommer 1942:

    Einer der Soldaten, der bei Nacht zur Wache eingeteilt war, machte Gestalten in etwa 100 m Entfernung aus und begann zu schießen. Dies löste einen gehörigen Feuerüberfall der Russen aus.

    Die Folge: In der Kompanie gab es 3 Verwundete durch massiven Beschuss der Russen. Des Rätsels Lösung: In der Nacht herrschte auflebender Wind, der Büsche bewegte.....

    Grüße

    Bert

  • Hallo,

    ein Beispiel aus den Winterkämpfen 1941/42 bei 50 Grad Kälte:

    " In der Schützengraben- HKL ( Der tiefe Bahndammgraben) stehen die Tagesposten gut gedeckt und lauern und sichern gegen den nur 50 m entfernten Waldrand. Die Sonne geht strahlend auf und - schlagartig knallt es aus den Wipfeln des gegenüberliegenden Waldes.

    Um Gottes Willen was ist das? Schon dicht neben uns sehen wir das Unglück. Sämtliche Posten des Schneegrabens im gesamten Abschnitt der 11. liegen mit Kopfschuss auf der Grabensohle, erschossen aus den Wipfeln der Tannen, in denen sich die Russen ( Mongolen) in der Nacht festgebunden hatten".

    Zu gleicher Zeit begann die russische Angriffstruppe sich keilförmig gegen den Bahndamm vorzuschieben.

    "Die Masse der Besatzung des Abschnitts der 11. Kompanie, zusammengewürfelt aus 5 Verbänden, erlag angesichts des Kopfschussgrabens einer Panik

    Kälte und Schreck wirkten lähmend, sie hockten tatenlos, entschlusslos, entsetzt und bereit wehrlos dem Tod durch einen gnadenlosen Gegner entgegenzunehmen in ihren zeltüberspannten Schneelöchern. Die große Panne von Menschen, bei denen der seelische Bogen überspannt wurde. Gutes Zureden half nichts. Augen starrten mich an, abwesend, angstvoll, halbirr.

    Es ging um Sekunden und wir wären alle hin. Nur hartes, fast brutales Zufassen rettete uns.".*

    Gruß Karl

    *Otto Lais: " Die 215. Inf. Div. bei Polistij" in Zeitschrift "Alte Kameraden" 4/1954

  • Hallo Karl Grohmann, gestatte mir, die Gefühle eines zehnjährigen Pimpfes während zweier Bombenangriffe im April 1945 auf meine Heimatstadt Nordhausen/Thüringen darzustellen.

    Am 3. April - auf dem Heimweg vom Jungvolkdienst- scheuchten mich krachende Explosionen in einen ebenerdigen Luftschutz-Raum, voller Frauen und Kinder. Die stählerne Aussentür flatterte wie ein Blatt im Wind, als eine nahe Explosion das Haus schaukeln liess. Das Nachbarhaus war getroffen worden. Ich lehnte stoisch an einer Wand und zählte die Sekunden zwischen Erschütterungen und Explosions-Geräusche. Bei der Differenz NULL überkam mich Angst, von der Stahltür erschlagen zu werden. Aber sie hielt.

    Das Nachbarhaus war seitlich runtergebrochen. Ich rannte nach Hause. Mutter kam mir entgegen und schloss mich weinend in die Arme.

    "Junge, da bist Du ja". Am nächsten Tag ging es wieder los. Mein Vater scheuchte uns in den Kellerraum am Durchbruch zum Nachbarhaus.

    Er beugte sich schützend über mich, als das Haus zu beben und schaukeln begann. Der Kalk rieselte von der Decke. "

    "Hoffentlich kommt die Decke nicht runter. Ich möchte nicht verschüttet werden. Aber Vati wird mich rausbringen."

    Das Krachen und Pfeifen dauerte eine Ewigkeit. Nach zwanzig Minuten war es vorbei. Niemand war verletzt, das Haus und die Nachbarhäuser standen noch. Auf der Strasse gähnte ein ca 3 Meter breites Loch, wohl ein Blindgänger. Scheinbar unbeeindruckt suchte ich meine Bücher und das Spielzeug in meinem Zimmer zusammen. Beide Fenster gähnten leer. Die nächsten Tage verbrachte ich mit Mutter im Keller einer Fabrik. Die war auch Kommandostelle des Volkssturmes. Ein HJ-Bannführer schickte uns Pimpfe mit einem Tafelwagen täglich Essen holen. "Bei Tieffliegern sofort auseinander in Deckung". War traurig, als ich meine neuen Freunde vom "Geheim-Kommando Kaiserberg"- am Kaiserberg war die Grossküche - verlassen musste. Vater schickte uns zur Oma in Wernigerode, weil die SS und der Volkssturm auf Befehl von SS- General Kammler Nordhausen und die Harzpforte verteidigen sollten. Ist nichts draus geworden, die SS ist abgehauen und die Volkssturm-Männer haben sich um ihre Familien gekümmert. Mit neu gewonnenen Selbstbewusstsein - ich bin ja jetzt kriegserfahren - liess ich mich nicht mehr von den Frauen rumkommandieren und nahm mir das Fahrrad meines Opas, das ich vorher nie benutzen durfte.

    Gruss jostdieter.

  • Hallo, lieber Jostdieter,

    sehr interessante und aufschlussreiche Darstellung Deiner Kriegserlebnisse als Pimpf. Eine schlimme Zeit.....

    Ich danke Dir dafür, auch wenn diese Angsterlebnisse (es waren sicher mehrere Bombenangriffe, vermute ich mal) nicht auf dem Schlachtfeld stattfanden, so stehen diese doch in unmittelbarem Zusammenhang zum Krieg.

    Grüße von Karl

  • Moin zusammen,

    @ Karl, danke für die Eröffnung eines solchen threads. Ich finde ihn gut und sinnvoll.


    Hallo Karl,

    hallo Jostdieter,

    in diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß meine Mutter (Jahrgang 1935) ihr Leben lang kein "Feuerwerk" sehen bzw hören konnte. Dies waren Auswirkungen von den Bombenangriffen auf deutsche Städte. Sie hatte es von zuhause zum Bunker nur einige hundert Meter. Aber das "Erlebte" als Kind hat sie ein Leben lang geprägt. Sie hat auch immer erzählt, dass es nach dem Krieg nicht möglich war, mit anderen darüber zu sprechen und das "Erlebte" zu verarbeiten. Es wurde beiseite geschoben. Auch gab es, aus heutiger Sicht, keine Angebote für "Gespräche von Kriegserlebnissen".

    Dies ist mit Sicherheit auch auf die Soldaten anzuwenden.

    Es war von den heimgekehrten Soldaten nicht möglich, mit "fremden" Personen über erlebte Dinge zu sprechen, da diese es angeblich nicht verstehen konnten, welchem Grauen sie ausgesetzt waren. Sie hatten nur ihre ehemaligen Kameraden (wenn vorhanden) mit denen sie sich austauschen konnten - denn sie "verstanden", worüber man redete. Und man mußte darüber reden, um seine Angst (später Albträume) zu besiegen.

    Diese Meinung habe ich selbst erlebt.

    Mein Großvater (Jahrgang 1904) hat in meiner Kindheit nie über Kriegserlebnisse erzählt. Später, als ich im Polizeidienst tätig war und über Tote, zerstückelte Unfallopfer, mißhandelte Kinder, Grauen des Alltags, erzählt hatte, öffnete er sich, wenn er sagte: "Jetzt kannst du ja einiges verstehen, was wir in Russland erlebt hatten." Ab diesem Zeitpunkt erzählte er auch über detaillierte Vorkommnisse.

    Auf meine Fragen, warum er nicht schon vorher darüber gesprochen hatte, sagte er: "Du hättest da Grauen ja doch nicht verstanden, denn es geht über die eigene Vorstellungskraft hinaus."

    Was ich natürlich nicht weiss, ist, ob die Inhalte der Erzählungen meines Großvaters auch wirklich 1 : 1 stattgefunden haben.

    Dies ist, im Nachhinein betrachtet, auch völlig egal.

    Ein Gespräch mit meinem Großvater möchte ich hier als Beispiel mitteilen:

    Ich fragte ihn einmal, ob er grundsätzlich(während des gesamten Krieges) oder nur im Ausnahmefall (Kämpfe mit Gegenern) "Angst" gehabt hatte. Er antwortete sinngemäß:

    "In Frankreich hatte er keine Angst, aber in Russland. Dort hatte er Kameraden an seiner Seite, die in bestimmten Situationen "als erwachsener Mann sich in die Hose gemacht hatten", und er wäre keine Ausnahme. Diese Angst wäre bis über die Kriegsgefangenschaft hinaus nicht verebbt.


    Gruss Walter

    Suche alles zu:

    Diensthunde der Wehrmacht

    Luftwaffen Bau Bataillone, insbesonders 115/III (K)

  • Tag allerseits,

    man sagt ja immer scherzhaft, "der Mensch ist ein Gewohnheitstier".....

    Der Kriegsalltag in der "Heimatfront" führte auch in Süddeutschland in den letzten beiden Kriegsjahren zu ständigen Bombenangriffen. Dass man auch nachts durch die Alarmsirenen aus den Schlaf gerissen wurde,

    daran gewöhnte sich die Bevölkerung und dann ging es eben in den Luftschutzkeller. Die Stimmung im Keller, so erlebte ich es in den letzten Kriegsmonaten im 6. Lebensjahr, war eigentlich nicht total geprägt

    von Angst und Panik. Selbst wir Kinder verhielten uns tapfer und überstanden diese schlimmen Tage und Nächte meist ohne gesundheitliche Schäden, selbst wenn heute oft das Gegenteil behauptet wird.

    Ähnlich muss es auch an der Front gewesen sein. Ohne dem jedem Menschen innewohnenden Gewöhnungseffekt, hätte die Masse der Soldaten unter solchen Panik- und Angstattacken gelitten, dass eine Kriegsführung kaum noch möglich gewesen wäre.

    Grüße

    Bert

    Edited once, last by Jahrgang39 (May 5, 2021 at 6:09 PM).

  • Hallo Karl, liebe Forumsgemeinde!

    Ähnlich muss es auch an der Front gewesen sein. Ohne dem jedem Menschen innewohnenden Gewöhnungseffekt, hätte die Masse der Soldaten unter solchen Panik- und Angsattacken gelitten, dass eine Kriegsführung kaum noch möglich gewesen ware.

    Woran sich mein Opa, der ab Ende 1943 an der Ostfront war, nie gewöhnt hat, das war der Artillerie-Beschuss. Der war nach seinen Erzählungen oft so langanhaltend und mörderisch, ,dass du stundenlang in deinem Loch gekauert hast und nur darauf gewartet hast, dass es einschlägt und vorbei ist'. So hat er es einmal formuliert.

    Er hat, wie oben geschildert, wie die meisten damals Schlimmes gesehen und ertragen müssen, aber von Angst oder echten Angstmomenten an der Front hat er nie berichtet. Er hatte sie tief in sich vergraben, wie es schien.

    Ich habe mich leider auch nie getraut, ihn nach seinen Emotionen zu fragen, weil ich nicht noch mehr aufwühlen wollte. Es hat ihm oft genug sowieso schon sehr zugesetzt.

    Zur Sprache kam seine Angst ,da vorne im Dreck' tatsächlich ganz direkt ,nur' in seiner Erinnerung an das Geschützfeuer.

    Viele Grüße!

    Frank/Evergreen

  • Grüß Dich Frank,

    ich führte bereits aus, dass die Veteranen in ihren Gesprächen nach dem Krieg kaum über Ängste und Panik an der Front redeten. Viele Soldaten mochten über solche Dinge eben nicht reden. So war es auch

    bei meinem Vater. Aber er trug schon irgendwie die Kriegserlebnisse mit sich herum. Bei Wanderungen sagte er z.B. plötzlich, "diese Landschaft erinnert mich irgendwie an Charkow......"

    Und in den ersten Jahren nach dem Krieg schlief er vielfach unruhig und träumte von Kriegsereignissen. Wenn meine Mutter ihn danach fragte, dann blieb er jeweils einsilbig. Was den Veteranen nach dem Krieg half, das waren die Gespräche, die sie untereinander führten.

    Soldaten der BW haben da größere Probleme, wenn sie von Einsätzen aus Afghanistan zurückkommen. Es fehlen ihnen meist die notwendigen Gesprächspartner.

    Grüße

    Bert

  • Hallo,

    Selbst wir Kinder verhielten uns tapfer und überstanden diese schlimmen Tage und Nächte meist ohne gesundheitliche Schäden, selbst wenn heute oft das Gegenteil behauptet wird.

    Ähnlich muss es auch an der Front gewesen sein. Ohne dem jedem Menschen innewohnenden Gewöhnungseffekt, hätte die Masse der Soldaten unter solchen Panik- und Angstattacken gelitten, dass eine Kriegsführung kaum noch möglich gewesen wäre.

    Heute herrscht - zum Wohl der Menschen - die oft vertretene Meinung vor, dass man schlimme/prägende Erlebnisse "verarbeiten" muss und nicht verdrängen soll/darf.

    Ich habe in meinem Leben sehr viel erlebt und nie einen Psychotherapeuten/Psychiater in Anspruch genommen. Erlebnisse der besonderen Art konnte ich immer erfolgreich verdrängen. Allerdings musste ich mich einmal, zwei Stunden nach einem, "besonderen" Erlebnis, plötzlich und überraschend übergeben, ohne es vorher zu verspüren.

    ( laienhafte Anmerkung: Magennerven durch Anspannung angegriffen) Hin und wieder schlafe ich schlecht, aber ansonsten lebe ich gut damit.

    Ich glaube es ist, zumindest teilweise, auch eine Frage der Erziehung ( Die in dieser Form heute jedem erspart bleiben sollte), wie man "mit so etwas fertig wird bzw. fertig werden kann.".

    Und so gehe ich auch mit einer schweren, inzwischen, wie ich hoffe, geheilten Krankheit um. Das angebotene Psychotherapeutengespräch habe ich abgelehnt.

    Zum Thema zurück: Ich glaube die Mehrzahl der Soldaten war streng, und/oder nationalsozialistisch erzogen -schon als Folge der vormilitärischen Jugendorganisationen ( Geländespiele/ Boxen usw.) und hat die schlimmen Erlebnisse damals, im Felde auch zwangsläufig verdrängt.

    Die von Psychologen vertretene Lehrmeinung zur Notwendigkeit der Auf-/Verarbeitung solcher Erlebnisse ist wissenschaftlich nachgewiesen.

    Edited 3 times, last by Karl Grohmann: mehrfache Korrektur (May 5, 2021 at 10:59 PM).