• Tag allerseits,

    interessant ist die Eingangsbemerkung zum Kommissarbefehl:

    Es wird gebeten, die Verteilung nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bzw. Luftflottenchefs vorzunehmen und die weitere Bekanntgabe an die Befehlshaber und Kommandeure mündlich erfolgen zu lassen.

    Hitler und sein militärisches Umfeld waren sich damals wohl ziemlich darüber im Klaren, dass ein solcher Befehl international als Aufforderung zur Durchführung

    von Kriegsverbrechen anzusehen ist. Deshalb erfolgte dieser Befehl nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bzw. Luftflottenchefs in Schriftform. Und aus

    dieser erbärmlichen Einsicht der NS-Größen wurden die weiteren Kommandeure und die "Ausführenden" nur mündlich informiert.

    Grüße

    Bert

  • Lieber Karl,

    ja, ich habe es gelesen und kann Dir als Tipp geben: Achte auf die Monatsangaben und Jahreszahlen. Viele (Ab-)Sätze fangen mit denselben Worten an, beziehen sich dann aber auf andere Zeitangaben und Dokumente.

    Ich habe vor einigen Jahren mal eine sehr schlechte Ablichtung vom schreibmaschinengeschriebenen Original aus dem Internet abgespeichert, die im Text identisch ist.

    Meine Frage ist, was Bürkner damit bezweckt hat, dass er immer wieder auf die Unvereinbarkeit mit der Genfer Konvention hingewiesen hat. Lahousen und Warlimont haben in den Nürnberger Prozessen beide ausgesagt, dass das OKW beim OKH mehrfach interveniert hat, um den Kommissarbefehl "abzumildern". Dementsprechend wurde er wohl auch 2 mal geändert bis zur vorliegenden Schlussfassung. Wollte Bürkner sich hier "reinwaschen"? Da in dem Befehl die Genfer Konvention indirekt erwähnt wird, halte ich es durchaus für möglich, dass die hohen Offiziere des OKW - innerhalb ihrer begrenzten Möglichkeiten - versucht haben, Unrecht abzumildern. Wie seht Ihr das?

    Viele Grüße

    vom Anhalter

  • Hallo Anhalter,

    hatte meine Frage bereits zurückgenommen, da das Schreiben im Original, also auf englisch korrekt und nur in der mir übermittelten Übersetzung doppelte Absätze hat.

    Entschuldigung!

    OKW beim OKH mehrfach interveniert hat, um den Kommissarbefehl "abzumildern".

    Meinst du umgekehrt?

    Gruß Karl

  • Hallo zusammen,

    ich möchte noch zwei Literaturhinweise zum Thema geben:

    Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008, 666 Seiten, ISBN 978-3-506-76595-6 (zugleich: Dissertation, Universität Kiel, 2007;

    Inhaltsverzeichnis :[

    https://d-nb.info/98873379x/04

    Einen Kurzüberblick hierzu findet man ab S. 18 ( 39. Seite) "Einsicht 06, Herbst 2011"

    ttps://http://www.fritz-bauer-institut.de/fileadmin/edit…einsicht-06.pdf


    Interessant auch Johannes Hürter: "Hitlers Heerführer" ab S. 393.

    In diesen Veröffentlichungen finden sich, neben weiteren Quellenhinweisen, genügend Anhaltspunkte um die Diskussion zu vertiefen.

    Gruß Karl

    Edited 2 times, last by Karl Grohmann: Ergänzung (April 29, 2021 at 11:37 AM).

  • Lieber Karl, lieber Anhalter,

    ich bleibe fürs Erste beim Text dieses Befehls:

    im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine haßerfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten.

    Typisch für den NS-Staat: Man konstruierte seine eigenen Vorstellungen, welche Grundsätze der Menschlichkeit und des Völkerrechts nicht mehr gelten, in diesem Vernichtungskrieg. Der weitere Text,

    beschreibt, wie politische Kommissiare zu behandeln sind. Abscheulich empfindet man noch heute das Wort "erledigen"!

    Grüße

    Bert

  • Tag allerseits,


    aus Tagebüchern von Frontsoldaten:


    Obergefreiter Richter:

    „1. Juli 1941 Wir erschossen 60 Gefangene beim Regimentsstab. 7. Juli Matula und ich stöberten ein bißchen in unserm Quartier herum. Es gab fette Beute: 25 Eier und einen Sack Zucker [...] 19. Juli Uto erwischte einen Partisanen in den Wäldern und hing ihn auf.“


    Major Reich:

    „2. Juli Juden erschossen. 3. Juli Wir brechen auf. 22 russische Soldaten, einige von ihnen verwundet, werden in dem Hof eines Bauern erschossen. Fruchtbares Tal. Windmühlen. 6. Juli Rast bei einem ukrainischen Bauernhaus. Luftangriff, später noch mehrere Angriffe. Wir machen uns ein Omelette. Aufbruch (hell, Mondnacht). 7. Juli Bomber. 9. Juli Kommissar von einer MG-Abteilung erledigt. 10. Juli Verlegung nach Norden mit dem Zug. (Alte Frau mit Kindern Kontakt zu Partisanen.) Zwei Leichen in einem Haus. Verstärktes russisches Artilleriefeuer. 12. Juli Hübsche, ordentliche Dörfer. Ein Streifschuss von hinten auf meinen Stahlhelm. Dafür sterben drei Dorfbewohner. Ich liege in einem Obstgarten, als plötzlich eine Handgranate explodiert, ganz in meiner Nähe. 13. Juli Ein deutscher Luftwaffensoldat getötet, 50 Juden erschossen.“


    Quelle:

    https://storiaeregione.eu/attachment/get…88447608074.pdf

    Ergänzung:

    Bei alledem sei der Hinweis angebracht, dass auch auf der Gegenseite Grausamkeiten und Kriegsverbrechen zu verzeichnen waren. Selbst US-Truppen gingen in den letzten

    Kriegsmonaten vereinzelt dazu über, "keine Gefangenen mehr zu machen". Auch an der sogenannten Westfront kam es zu Erschießungen von deutschen Kriegsgefangenen.

    Grüße

    Bert


    Edited 2 times, last by Jahrgang39 (April 29, 2021 at 5:02 PM).

  • Hallo,

    ich denke aufgrund des Kommissarbefehls wurde der "Rote Stern mit Hammer und Sichel", an der Uniform auf dem Unterarm links getragen, abgeschafft, von den Kommissaren aber teilweise weiterhin getragen.*

    Gruß Karl

    Rio: "Die Rote Armee 1939 - 1945 "

  • Tag allerseits,

    besonders "geschätzt" wurde der Kommissarbefehl von der Truppe und ihren Offizieren wohl nicht. Es gab Truppenteile, bei denen die Liquidierung von Politkommissaren generell unterblieb.

    Am 6.5.1942 steht dann im Tagebuch des OKW:

    Um die Neigung zum Überlaufen und zur Kapitulation eingeschlossener sowjetischer Truppen zu steigern, befiehlt der Führer, dass den Kommissaren und Politruks zunächst versuchsweise in solchen

    Fällen die Erhaltung ihres Lebens zugesichert werden kann.

    Das war dann das unrühmliche Ende dieses widerlichen Befehls. Er wurde nie mehr in Kraft gesetzt.

    Grüße

    Bert

  • Hallo zusammen!


    Anhalter

    Quote

    Meine Frage ist, was Bürkner damit bezweckt hat, dass er immer wieder auf die Unvereinbarkeit mit der Genfer Konvention hingewiesen hat.

    Die Ausarbeitung des Kommissarbefehls lag nicht im Zuständigkeitsbereich des Amts Ausland/Abwehr und seiner Exponenten Bürkner, Canaris und Lahousen. Als das Ansinnen den Geschäftsbereich des OKW erreichte, wurde die Abteilung Landesverteidigung des Wehrmacht-Führungsamts unter General Warlimont damit befasst (vgl. Streit, 1997, S. 45). Ein Rechtsgutachten des Amts Ausland/Abwehr zum Kommissarbefehl ist meines Wissens nach nicht aktenkundig, gleichwohl jedoch die ablehnende Haltung seines Leiters gegenüber diesem verbrecherischen Befehl.


    Quote

    Da in dem Befehl die Genfer Konvention indirekt erwähnt wird, halte ich es durchaus für möglich, dass die hohen Offiziere des OKW - innerhalb ihrer begrenzten Möglichkeiten - versucht haben, Unrecht abzumildern. Wie seht Ihr das?

    Die Schutzbehauptungen der Wehrmachtsgeneralität in den Nachkriegsprozessen sind aus naheliegenden Gründen keine geeignete Quelle, um sich einen Überblick über die Vorgänge zu verschaffen. Zum Glück ist die Entstehungsgeschichte des Kommissarbefehls detailliert erforscht. Die von Warlimont erreichte “Abschwächung” zielte in erster Linie auf die Verschonung ziviler Kommissare ab. Er folgte damit den Zweck­mä­ßig­keits­er­wä­gungen des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, dessen Leiter die Verwaltung und Ausbeutung des zu erobernden Raums ohne die Mitwirkung der zivilen Funktionsträger für gefährdet hielt. Menschenrechte spielten bei diesen Erwägungen also eine zweitrangige Rolle, was sich darüber hinaus auch in der federführenden Mitwirkung des OKW bei der Einschränkung der Kriegsgerichtsbarkeit zeigte. Völlig klar ist zudem, dass die befassten Persönlichkeiten im OKW über den völkerrechtswidrigen Charakter der Vorgänge im Bilde waren (vgl. ebd., S. 44 ff.). Nicht ohne Grund wurde Warlimont wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Am umfangreichsten hat sich bisher Felix Römer mit dem Komplex auseinandergesetzt (Karl hat auf seine Studie bereits hingewiesen). Wenn dich das Thema interessiert, “Anhalter”, dann lege ich dir Römers Werk ans Herz.


    Literatur:

    Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941– 1945, Bonn 1997

    MfG

    Whoever saves one life, saves the world entire.
    Talmud Jeruschalmi

    Edited 2 times, last by Rote-Kapelle (May 2, 2021 at 12:19 AM).

  • Tag allerseits,

    Felix Römer lässt in seiner Darstellung keinen Zweifel daran, dass es sich um einen verbrecherischen Befehl handelte.

    „Die Politoffiziere der Roten Armee waren vollwertige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte, also reguläre Kombattanten, die nach dem Völkerrecht Schutz als Kriegsgefangene hätten beanspruchen können. Sie trugen Uniform, sie waren in die Hierarchie der sowjetischen Streitkräfte eingegliedert. Und genau diese beiden Punkte, die Uniform und die Eingliederung in die sowjetischen Streitkräfte, sind auch im Befehl explizit erwähnt worden, so dass besonders offenkundig war, dass mit der systematischen Tötung dieser Kriegsgefangenen ein ganz offenkundiger Völkerrechtsbruch vorlag. Die waren zu erkennen an besonderen Abzeichen, also einem roten Stern und goldenem Hammer und Sichel auf dem Ärmel, ein besonderes Abzeichen, das sie auswies, daran konnte man sie erkennen und selektieren. Und dann sollten sie umgehend im Frontbereich exekutiert werden, durch die Fronttruppe selbst. Und das aber möglichst unauffällig, das heißt im nächst gelegenen Waldstück.“

    Grüße

    Bert

  • Hallo zusammen,

    da stellt sich mir die Frage, ob der Kommissarbefehl Auswirkungen auf den ab dem 22.12.1943, eingeführten NSFO - hatte, folglich Erschießung nach Ergreifung.

    Gibt es dazu irgendwelche Erkenntnisse?

    Gruß Karl

  • Lieber Karl,

    zuerst einmal, die Idee eine im Sinne des Nationalsozialismus politisierte Wehrmacht strebte der "Führer" schon zu Beginn des Ostfeldzuges an. Wahrscheinlich waren die politischen Kommissare der Roten Armee

    für Hitler Grundlage für die Einführung des NSFO im Jahre 1943.

    Dazu:

    Als Hitler am 19. Dezember 1941 Brauchitsch entließ und selbst den Oberbefehl über das Heer übernahm, sollte gerade damit ein entscheidender Schritt
    auf dem Wege zu einem nationalsozialistischen Heer getan werden.

    Zu Halder sagte er damals: „Das bißchen Operationsführung kann jeder machen. Die Aufgabe des Oberbefehlshabers des Heeres ist es, das Heer nationalsozialistisch zu
    erziehen. Ich kenne keinen General des Heeres, der diese Aufgabe in meinem Sinne erfüllen könnte.

    Wenn der Krieg noch auf unabsehbare Zeit fortgesetzt werden müßte, dann würden die militärischen Fähigkeiten allein den Sieg nicht garantieren.
    Dem ideologischen Charakter des Kampfes mußte ein Höchstmaß an nationalsozialistischer Erziehung und Festigkeit gerade beim Offizier entsprechen".

    Quelle:

    https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1961_1_5_besson.pdf

    Grüße

    Bert

  • Guten Morgen!

    Insbesondere nach weitgehendem Ausfall des dt. Agentennetzes fehlten Informationen aus der Sowjetunion und Gefangenenaussagen, folglich Vernehmungen wurden immer wichtiger. Das bedeutete eine Intensivierung des Ic Dienstes ( Feindaufklärung), die nun Gehlen vorantrieb. Somit wurden hochrangige oder vermutlich gut informierte Kriegsgefangene von den Ic Diensten der Divisionen ins Reich zurückgeschickt und dort im sog. " Prominentenlager" angeblich gut versorgt um Aussagewilligkeit zu erreichen. Das "Prominentenlager" war ursprünglich ein Schloß nahe der ostpreußischen Stadt Lötzen, später nach Westen verlegt in das Sonderlager Festung Boyen.dann in ein Sonderlager in Brandenburg "Vernehmungslager " Luckenwalde, Lagerkommandant war ein russ. Major. In diesen Lagern waren auch russische Generale untergebracht. Der bekannteste dürfte, bis zu seiner weiteren Verwendung General Wlassow gewesen sein.*

    Ich geh nun davon aus, das möglicherweise dort unter den Gefangenen auch Kommissare waren. ( Wie mit diesen Gefangenen letztlich verfahren wurde entzieht sich meiner Kenntnis; man kann es sich aber denken.)

    Gruß Karl

    * Pahl: " Fremde Heere Ost" ab S. 119.

  • Hallo, über Karls Nebensatz von der "guten Versorgung von hochrangigen oder vermutlich gut informierten Kriegsgefangenen" komme ich zu der Behandlung von abgestürzten alliierten Fliegern. Die besassen ja aus ihrem Alltag und dem morgendlichen Briefing vor dem Flug die neuesten Informationen über die alliierten Bomber Air Commands. Diese aktuellene Informationsquellen müssten für die Wehrmacht von höchstem Wert gewesen sein.Trotzdem wurden immer wieder alliierte abgestürzte Flieger von fanatischen Zivilisten ermordet.

    Siehe einen Ausschnitt aus der Weimarer Zeitung:

    "Vor 20 Jahren erschien im Allgemeinen Anzeiger eine ­Serie von Artikeln über ­Morde an US-Fliegern um Weimar im 2. Weltkrieg. Es gab große Anteilnahme, Zeitzeugen meldeten sich, ­Gedenksteine wurden errichtet und Gregory S. Martin, Viersterne-General der US-Luftwaffe, damals Kommandeur der US-Luftstreitkräfte in Europa, lud die Initiatoren nach Ramstein ein. Traugott Vitz, Pfarrer im Ruhestand aus dem Rheinland und Bernd Schmidt, Weimarer Heimatforscher, ­recherchierten die Schicksale neu und packten ihre Erkennt­nisse in drei Bücher".

    Es wäre interessant, ob neben dem geheimen "Kommissarsbefehl" auch eine "Vorschrift über die Behandlung von gefangenenen vermutlichen Informationsträgern" existierte. Zu diesem Kreis gehörten neben den hochrangigen Offizieren ("Raupenschlepper "genannt wegen ihrer Offiziers-Abzeichen) meines Erachtens auch die gefangenen allierten Flieger. Die Mörder von alliierten Fliegern hätten dann wegen Verstoss gegen die Genfer Konvention von 1929" und "Zerstörung von kriegswichtigen Informationen" vor Gericht gestellt werden müssen.

    Kein Wunder, dass die Zivilisten in den Dörfern ungern über diese Morde reden, wie die Weimarer Heimatforscher Traugott Vitz und Bernd Schmidt in ihren Büchern berichteten.

    Gruss jostdieter

  • Es wäre interessant, ob neben dem geheimen "Kommissarsbefehl" auch eine "Vorschrift über die Behandlung von gefangenenen vermutlichen Informationsträgern" existierte. Zu diesem Kreis gehörten neben den hochrangigen Offizieren ("Raupenschlepper "genannt wegen ihrer Offiziers-Abzeichen) meines Erachtens auch die gefangenen allierten Flieger. Die Mörder von alliierten Fliegern hätten dann wegen Verstoss gegen die Genfer Konvention von 1929" und "Zerstörung von kriegswichtigen Informationen" vor Gericht gestellt werden müssen.

    Tag allerseits,

    die Wut der Bevölkerung auf gefangen genommene alliierte

    Flieger war in den letzten beiden Kriegsjahren ausgeprägt. Morde in diesem Zusammenhang ließ der NS-Staat m.E. nicht zu. Bei Versuchen von Bevölkerungsteilen, abgeschossene alliierten Flieger zu lynchen, schritt die Polizei sofort ein. Mir ist der Fall eines notgelandeten US-Bombers im Reg. Bez. Schwaben bekannt, als die Bevölkerung die

    Besatzungsmitglieder attackierte. Ein im Urlaub befindlicher Offizier der Wehrmacht konnte Schlimmeres verhindern, bis die Polizei kam.

    Grüße

    Bert