Die Flucht des GFM Schörner per Fi 156 am 9. Mai 1945 von Podersam

  • Hallo zusammen,

    beim Lesen diverser Quellen zum Ende der Heeresgruppe Mitte am 8.-9. Mai 1945 in Böhmen und Mähren sind mir Ungereimtheiten bezüglich der Flucht des Generalfeldmarschalls aufgefallen.

    Gesichert ist, das GFM am Mittag des 8. Mai vom bisherigen Hauptquartier in Bad Welchow (Josefstadt) mit der motorisierten Führungsstaffel in Richtung Westen zum neuen Hauptquartier in Saaz/Westböhmen raste.

    Angeblich hatte er (1.Version) mehrere Fi 156 seiner HGr.-Verbindungsstaffel von Flugplatz Königgrätz nach Saaz "vorausfliegen" lassen. In Saaz wartete er 1 Stunde, doch keine Maschine kam. Stattdessen stießen die Russen der 1. Ukrainischen Front mit Panzern auf den Flugplatz vor. Schörner ließ die Wagenkolonne zum nahegelegenen Ort Podersam fahren, wo er bei Einbruch der Dunkelheit ankam.

    In der 2. Version waren keine Fi 156 vorausgeflogen.

    In der 1. Version erhielt er am Abend in der Ortskommandantur(?) Podersam die Meldung, dass endlich 1 Fi 156 in der Nähe auf einer Wiese gelandet sei. Diese Maschine ließ er durch ein Kommando für sich persönlich sicherstellen. Er bestieg diese Maschine in Zivilkleidung mit seinem Ordonannzoffizier und flog um 03:00 Uhr am 9. Mai von dieser Wiese ab. Vor dem Abflug soll es zu gespenstischen Szenen zwischen ihm und dem Chef des Stabes der HGr. Mitte Gen.Ltn. von Natzmer gekommen sein. Dazu gibt es wohl auch Augenzeugenberichte(?)

    In der 2. Version ist Schörner gleich nach Podersam gefahren und hat dort, im Hauptquartier des Luftwaffenkommandos VIII, den Kommandierenden General, Gen. der Flieger Seidemann um einen Fi 156 Storch gebeten. Seidemann habe ihm diese Bitte gewährt. Schörner habe sich in soldatisch einwandfreier Form verabschiedet.

    Kennt jemand nähere Einzelheiten, welche die 1. oder 2. Version untermauern??

    Vielen Dank und beste Grüße

    Ingo

  • Hallo Ingo,

    ich habe hier einen von v. Natzmer verfassten Kurzbericht dazu, der Deine 1. Version weitgehend bestätigt.
    Da ich Deine Quellen nicht kenne kann es durchaus sein, dass Du die Info aus dem gleichen Bericht hast.

    Grüße.

    Frank.

  • Hallo Frank,

    vielen Dank für Deine Antwort.

    Ja, die 1. Version war von Schörners Seite menschlich gesehen "unanständig", um es höflich auszudrücken.

    Der Bericht den Chef des Stabes Gen.Ltn. v. Natzmer liegt mir leider nur in kurzen Zitaten vor;(.

    Frank, wäre es wohl möglich, dass Du mir diesen Natzmer-Bericht zugänglich machen könntest?

    Ich würde mich sehr darüber freuen.

    Beste Grüsse

    Ingo

  • Hallo Ingo, hallo zusammen,

    in der Titelgeschichte der Spiegel Ausgabe 7/1955 vom 9. Februar 1955 "Heimkehrer/Schörner: Der laute Kamerad" wird die 1. Version bestätigt, allerdings mit der Abflugzeit um 9 Uhr am 9. Mai 1945.

    Zitat Auszug:

    "Als Schörners Hauptquartier am 8. Mai von Josefsstadt in Mähren nach Saaz (westlich Prag) verlegt wurde, stand die von Norden kommende sowjetische Panzerspitze bereits in Saaz. Schörner, der die Funkstaffel der Heeresgruppe unterwegs verloren hatte, fuhr ohne Aufschub nach Podersam weiter.

    Nach dem Verlust dieser Funkstaffel war ein in Podersam stehender Fieseler Storch das einzige Führungsmittel der Heeresgruppe. Mit diesem Storch startete Schörner am 9. Mai morgens um 9 Uhr. Allerdings nicht, um seine zerschlagenen Armeen zu den Amerikanern zu führen, sondern zu seiner ganz privaten Flucht nach Bayern.

    Die Amerikaner faßten ihn, obgleich er Räuberzivil trug, und lieferten ihn den Sowjets aus."

    (Quelle: https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/31969169 oder https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-31969169.html)

    Viele Grüße

    Nicco

    Edited 2 times, last by Nicco (March 5, 2021 at 10:10 PM).

  • Hallo Ingo,

    In der 2. Version ist Schörner gleich nach Podersam gefahren und hat dort, im Hauptquartier des Luftwaffenkommandos VIII, den Kommandierenden General, Gen. der Flieger Seidemann um einen Fi 156 Storch gebeten. Seidemann habe ihm diese Bitte gewährt. Schörner habe sich in soldatisch einwandfreier Form verabschiedet.

    aus welcher Quelle genau stammt denn diese Version?

    Ich kenne diese 2. Version ebenfalls aus Erich Kerns Schörner-Biographie,welche selbstverständlich aufgrund dessen politischer Beeinflussung und Ansichten durchaus kritisch zu bewerten ist.

    Eventuell ist diese von dir beschriebene 2. Version der Flucht auch lediglich nur ein Versuch ,ein eher positives Bild Schörners zu vermitteln.

    In Erich Kerns Buch "Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner. Ein deutsches Soldatenschicksal",fällt mir insbesondere der klägliche Versuch auf Schörners Flucht in Zivil zu rechtfertigen.


    Gruss Chris

  • Hallo zusammen,

    lieben Dank für eure Antworten u Einschätzungen.

    Die 2. Version erscheint mir auch sehr geschönt; sie wird durch Kern und vor allem Kaltenegger dargestellt. Es wirkt wie ein "Weiß-Wasch-Versuch"; vor allem diese wenig überzeugende Rechtfertigung der Flucht auf "Führerbefehl", der schon 8 Tage tot war!!

    Leider wird aber auch die 1. Version "reißerisch" dargestellt, z.B. von Thorwald.

    Die Wahrheit wird wohl in der Mitte liegen? Ich bin vor allem an den historischen Fakten interessiert. Da könnte der Natzmer-Bericht helfen....

    Beste Grüsse

    Ingo

  • Hallo Frank,

    handelt es sich bei dem Dir vorliegenden Text um:

    Gen.Ltn. v. Natzmer: Kurzer Bericht über die letzten Tage der Heeresgruppe Mitte Ende April bis 9.5.45. Niederschrift Februar 1947.

    Dieser soll im BA-MA Freiburg unter der Nummer MSg 2/15 archiviiert sein??

    Leider liegt dieser Text mir nicht vor.

    Beste Grüße

    Ingo


  • Vor dem Abflug soll es zu gespenstischen Szenen zwischen ihm und dem Chef des Stabes der HGr. Mitte Gen.Ltn. von Natzmer gekommen sein. Dazu gibt es wohl auch Augenzeugenberichte(?)

    Hallo Ingo!

    Weil ich das Thema mit Interesse gelesen habe: Inwiefern ,gespenstisch'? Was soll sich da genau abgespielt haben?

    Viele Grüße und ein schönes Wochenende!

    Frank/Evergreen

  • Hi

    Es gibt eine weitere Version die mit der 1. Version fast identisch ist.

    Sie ist aber aus der DDR Zeit.

    Quelle weis ich nicht. Wurde so in der Schule weitergegeben. Unser Lehrer war wohl dabei.

    Schörner flog von seinem HQ , lies seine Armeen zurück was später als Verrat aufkam, direkt mit dem Friesler zu diesem Ort.

    Seine Staffel fuhr in einem russ. Angriff.

    Am Ort tauchte Natzmer auf. Es gab wohl ein Handgemenge.

    Da war er wohl schon in Zivil.

    Natzmer führte dann die Armeen Richtung Westen.

    Das aus meiner Erinnerung aus Schulzeiten.

    Jan

  • Hallo zusammen,

    vielen Dank für alle Eure bisherigen Antworten; das lässt mich hoffen, doch noch in diesem Thema etwas weiter voranzukommen....

    @Evergreen/Frank:

    wenn man beispielsweise den Schilderungen von J. Thorwald folgt, muss sich Schörner nicht "so"- wie man es in damaliger Zeit von einem "preußischen" Generalfeldmarschall erwartet hätte - verhalten haben. Wenn man bedenkt, wie grausam er gegen "echte" oder auch nur vermeintliche "Fahneflüchtige" vorgegangen ist, muss man sein persönliches Verhalten als zutiefst schäbig betrachten.

    Sein Stabschef von Natzmer muss ihm deshalb seine Verachtung der Person Schörner wohl sehr schneidend kundgetan haben.

    Natzmer warf Schörner indirekt Fahnenflucht vor. Weiter folgerte er, der Feldmarschall könne unmöglich in dieser höchst kritischen Situation seine Heeresgruppe ohne Führung und somit alleine lassen. Schörner steckte diese Kritik wohl ohne Reaktion ein.

    Leider sind die publizierten Texte z.B. von Kern, Kaltenegger wenig belastbar, und auch der Text von Thorwald scheint mir etwas "zorngesteuert".

    Die relativ aktuellen Schörner-Kurzbiografien von Klaus Schönherr (1995), Peter Steinkamp (1998) und Malte Wasselowski (2001) schweigen sich zu diesem Thema leider aus..

    Deshalb bin ich ja "so" an dem Bericht von Natzmer interessiert.

    Beste Grüße

    Ingo

    Edited once, last by Atlantis (March 6, 2021 at 1:34 PM).

  • (...) wenn man beispielsweise den Schilderungen von J. Thorwald folgt, muss sich Schörner nicht "so"- wie man es in damaliger Zeit von einem "preußischen" Generalfeldmarschall erwartet hätte - verhalten haben. Wenn man bedenkt, wie grausam er gegen "echte" oder auch nur vermeintliche "Fahneflüchtige" vorgegangen ist, muss man sein persönliches Verhalten als zutiefst schäbig betrachten.

    Sein Stabschef von Natzmer muss ihm deshalb seine Verachtung der Person Schörner wohl sehr schneidend kundgetan haben. (...)

    Hallo Ingo!

    Besten Dank für die Hintergründe und Erläuterungen!

    Mit dem Natzmer-Bericht kann ich Dir leider nicht dienen. Ich habe vor allem gefragt, weil mich bei solchen und vielen Themen hier im Forum immer auch die menschliche Komponente interessiert. Die Geschichte hinter der Geschichte...

    In Extremsituationen - und auch das Aufeinandertreffen von Schörner und Natzmer zählt in dieser allerletzten Kriegsphase ja dazu - lassen die handelnden Personen sehr oft ihre Maske fallen und zeigen ihr wahres Gesicht.

    Sehr spannend! Danke!

    Ich drück' Dir den Daumen, dass Du vorankommst mit dem Thema!

    Viele Grüße!

    Frank/Evergreen

  • Hallo Ingo,

    handelt es sich bei dem Dir vorliegenden Text um:


    Gen.Ltn. v. Natzmer: Kurzer Bericht über die letzten Tage der Heeresgruppe Mitte Ende April bis 9.5.45. Niederschrift Februar 1947.

    das ist richtig.
    Schickst Du mir kurz Deine Mailadresse?

    VG!

    Frank.

  • Hallo zusammen,

    Gen.Ltn. v. Natzmer: Kurzer Bericht über die letzten Tage der Heeresgruppe Mitte Ende April bis 9.5.45. Niederschrift Februar 1947.

    dieser Bericht, um den es hier wohl hauptsächlich geht, würde mich und bestimmt auch andere auch interessieren. Wäre jemand, dem diese Quelle zugänglich ist, so nett und würde den Bericht, sofern es möglich ist, hier einstellen?

    Vielen Dank dafür im Voraus.

    Viele Grüße

    Nicco

  • Hallo zusammen,

    nachdem ich nun - *frank sei Dank für seine schnelle Hilfe:)- den Natzmer-Bericht aufmerksam studieren konnte, ist es ersichtlich, dass die "1.Version" die korrekte ist!

    Die 2. Version (Kern & Kaltenegger) gehört eher in die Abteilung "Grimms Märchen für Fortgeschrittene"<X.

    Nach dem Natzmer-Bericht dürfte klar sein, dass diesem "Feldherrn" Schörner das Schicksal der ihm anvertrauten Soldaten in den letzten 48 Stunden des Krieges sch...egal war und er sich nur noch mit Fragen seiner privaten Zukunft beschäftigte....

    Mit nachdenklichen Grüssen

    Ingo

  • Hallo Nicco,

    ich möchte und darf mir nicht anmaßen für *frank zu sprechen; habe aber eine generelle Anmerkung:

    Bei dem Bericht handelt es sich um ein Dokument im Eigentum des Militärarchivs Freiburg. Bei meinen zahlreichen Besuchen in Freiburg habe ich gelernt, dass die Nutzung und öffentliche(!!) Verbreitung von Bundesarchivalien sehr strengen Regeln unterliegt.

    Aus diesem Grund könnte das freie "hier einstellen" rechtlich bedenklich sein:/....

    Aber es gibt ja andere Wege der Übermittlung an ernsthaft Interessierte.....

    Beste Grüsse

    Ingo