Verfügung im Konzentrationslager Flossenbürg

  • Hallo,

    Am 6. Mai 1944 wurde der Konzentrationslager-Insasse Kawalecki von dem KZ Groß Rosen in das KZ Flossenbürg verlegt.

    Er wurde laut Stempel auf der Karteikarte gemäß Verfügung vom 9.2.1943 behandelt (von mir gelb hervorgehoben).

    Nun stellt sich die Frage, was versteckt sich hinter dieser Verfügung?

    Kann vielleicht jemand hierbei helfen?

    Vielen Dank

    Ralf Anton Schäfer

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  • Servus Ralf Anton,

    ich habe eine Vermutung, vielleicht ergibt sich ein Zusammenhang daraus:

    Lt. Wiki/Flossenbürg wurden ab 1943 Teile der Produktion der Regensburger Messerschmitt nach Flossenbürg umgelagert.

    "Im Herbst 1944 befanden sich 8000 Häftlinge im überfüllten Lager..... Flossenbürg wurde zum Zentrum eines weit verzweigten Lagersystems mit fast 90 Außenlagern. Über 5000 Häftlinge arbeiteten für Messerschmitt." (Zitat Wikipedia).

    Der Mann war noch jung und anscheinend arbeitsfähig, so wäre es nachvollziehbar, dass man ihn - wie viele andere - in die Produktion verlegte.

    Gruß Eddy
    Suche alles zu 143. Reserve-Division und Füsilier-Bataillon 217.

  • Hallo,


    meine erste Vermutung ist, dass sich der Vermerk auf seine Kleidung bezieht.
    Handschriftlich steht über der Auflistung der Kleidungsstücke „hat keinen Sack“ (Kleidersack?). Demzufolge wäre es denkbar, dass die Kleidung einer Behandlung bedurfte (Stichwort Entlausung).

    Ich stimme Dir zu, dass im Inhalt der Verfügung des Rätsels Lösung liegt.


    Viele Grüße,

    Justus


    P.S. Beispiel Theresienstadt

  • Hallo Zusammen,

    ich bin ein weng verwundert. Die Verlegung erfolgte (ganz grob) in Richtung Osten. Ich las von der Messerschmittproduktion. Aber ich las auch mehrfach von Verlegungen entweder in Vernichtungslager oder Richtung Westen aufgrund der sich nähernden Ostfront. In diesem Zusammenhang nennt eine Quelle (siehe Anhang) auch Groß Rosen:

    "Bereits seit Juni 1943 gab es „Überstellungen“ nach Auschwitz. Angesichts des erfolgreichen Vormarsches der Roten Armee begann die Evakuierung Majdaneks im April 1944. Die weiblichen Häftlingen – seit August 1942 befand sich auf Feld IV ein Frauenlager – wurden u.a. nach Auschwitz, Natzweiler und Ravensbrück deportiert, die männlichen Häftlinge kamen nach Groß-Rosen, Auschwitz und Natzweiler. Ungefähr 15.000 Häftlinge aus Majdanek wurden „evakuiert“, im Lager verblieben annähernd 1.500. Befreit wurde das Lager am 23. Juli 1944 durch die Rote Armee."

    Ich finde das etwas wiedersprüchlich und bin ebenfalls gespannt was der Inhalt der Verfügung besagt.

  • Hallo Hennesmeister,

    wenn, wie in unserem Fall, jemand im Mai 44 von Groß Rosen (Niederschlesien) nach Flossenbürg (Oberpfalz) verlegt wurde, so ist die Richtung eindeutig, nämlich von Ost nach West, rd. 500km.

    Die Vernichtungslager im Osten wurden durch die Rote Armee frühestens im Laufe der Operation Bagration, die am 22. Juni 1944 begann, direkt bedroht.

    Groß Rosen wurde kriegsbedingt erst mit Beginn des Jahres 1945 durch Todesmärsche Richtung Westen bzw. Norden evakuiert.

    Vor dem Hintergrund schließe ich aus, dass die Überstellung von Tadeusz Kawalecki mit dem Vordringen der Roten Armee zu tun hatte.

    Die Verfügung von Februar 1943 dürfte eher abstrakterer Natur gewesen sein, jedenfalls nicht einzig auf den überstellten Häftling bezogen. Allein schon wegen des großen Zeitraums von rd. 15 Monaten zwischen der Verfügung und d er Überstellung. Wir sollten versuchen die Verfügung zu finden und nicht weiter spekulieren.

    Gruß

    Paul


    G-W-G'

  • Guten Abend Paul,

    Du hast völlig Recht. Ich hab die Orte Verwechselt. Kommt (hoffentlich) nicht wieder vor. Danke für den Hinweis.

    Gruß Christian

    Dankbar für Informationen über: (Pz)PiBtl 51, PzPiErsBtl. 19, PiBtl 675 (116 PD), PiBtl 203 (203 ID)

  • Hallo,

    wenn man sich die weiteren Dokumente von Tadeusz Kawalecki im Archiv anschaut, lässt sich diese "Verfügung" nicht erklären.

    Tadeusz Kawalecki war gelernter Ingenieur, wurde von der Gestapo verhaftet und kam als polit. Häftling (Kraftfahrer) in verschiedene KZs, kam im April 45' frei. In '46 heiratete er Annelie Zenker (geb. 1926) (ehem. NSDAP-Mitglied deren Spruchkammerverfahren eingestellt wurde). Ende er 40er Jahre hat er sich bei Amberg (Bayern) auf dem Metallsektor selbständig gemacht und hat den Antrag (IRO) gestellt als Flüchtling anerkannt zu werden.

    Gruß

    Dieter

  • Guten Tag!

    Kann es sein, dass sich der Vermerk über die Behandlung auf die Bekleidung und nicht auf den Herrn Kawalwcki bezieht? Der betreffende Satz wurde über den Teil der Karte gestempelt, auf dem sich Angaben zu Bekleidungsstücken befinden.

    Dies würde auch den langen Zeitraum zwischen der Verfügung und der Ausstellung der Karte erklären. Die Verfügung wäre dann eine Verwaltungsvorschrift über die Behandlung der Bekleidung.

    Beste Grüße,

    Maxe

  • Guten Abend,

    der Gedanke, daß es sich auf die Kleidung bzw. das Gepäck beziehen könnte kam mir auch.

    laut Stempel auf der Karteikarte gemäß Verfügung vom 9.2.1943 behandelt

    Bei genauerer Betrachtung fällt mir auf, daß es womöglich gar kein Stempel ist. Für mich sieht es nach schreibmaschine aus. Bezöge sich der Hinweis auf die Person oder den verwalterischen Vorgang, könnte man den Hinweis zwischen die Kleiderauflistung und "Abgabe bestätigt" schreiben. Um den Hinweis schräg schreiben zu können, mußte die Karte neu in die Schreibmaschine eingespannt werden. Warum der "Aufwand" (es waren sicher viele Karten zu beschriften) wenn man nicht einen bestimmten Bereich der Karte meint? Ich finde Maxes Idee plausibel. Ich verstehe dann nur nicht warum der Sack-Vermerk handschriftlich ist.

    Ferner frage ich mich ob das Wort "Verfügung" ein feststehender Begriff ist. So wie es einen Unterschied zwischen "Vergehen" und "Verbrechen" gibt, gibt es sicher auch Unterschiede zwischen "Verfügung" und z.B. "Erlass". Worauf ich hinaus möchte: Wer durfte Verfügen? Die Beantwortung dieser Frage könnte Eingrenzen wo nach besagter Verfügung gesucht werden kann.

    Gruß Christian

    Dankbar für Informationen über: (Pz)PiBtl 51, PzPiErsBtl. 19, PiBtl 675 (116 PD), PiBtl 203 (203 ID)

  • Hallo Ihr,

    Vielen Dank für euer aller Informationen. Ich denke ebenfalls das sich die Verfügung auf das Kleidergut des Mannes bezieht.

    Es steht ja von Hand geschrieben: "Hat keinen Sack!"

    welchen er also mitbringen sollte, in dem sich Kleidungsstücke befanden, die abzugeben waren, wie auf der Karte unter "Bei Einlieferung abgegeben:"

    Er hatte also nur das dabei, was er unmittelbar am Körper getragen hat und nichts konnte "abgegeben" werden.

    Wurde er nun gemäß Verfügung behandelt, WEIL er NICHTS abgeben konnte?

    Die Verfügung wird m.E. mit der Effektenverwaltung zusammenhängen?

    Oder vielleicht gibt es einen Zusammenhang damit, das Kawalecki selbst Kapo war (wenigstens wurde er einer in Flossenburg)?

    Der Umgang mit den Effekten änderte sich nicht nur im Kriegsverlauf, sondern hing auch von der Nationalität des Gefangenen ab. Starb ein deutscher oder westeuropäischer Häftling, war die einliefernde Stelle zu benachrichtigen, die wiederum Angehörige vor Ort finden sollte, damit die Wertgegenstände von der KZ-Verwaltung an diese geschickt werden konnten. Spätestens ab 1942 waren polnische, jüdische und sowjetische Häftlinge von dieser Regelung ausgenommen, ihre Effekten zog die SS meist zugunsten des Deutschen Reichs ein. Eine Verordnung des Wirtschafts-Verwaltungshauptamts vom 11. November 1944 ordnete schließlich an, dass Effekten von ausländischen Häftlingen grundsätzlich nicht mehr zurückgegeben werden sollten. Die Effektenkarten tragen einen entsprechenden Stempel.

    Viele Grüße


    Ralf

  • Hallo Ralf,

    kann man diese Verfügung nicht als allgemeingültigen "Verwaltungsakt" verstehen, auf Basis dessen Häftlinge verlegt wurden?

    Der Einzelfall wurde dann darauf bezogen.

    Gruß

    Dieter

  • Hallo Ralf, liebe Forumsgemeinde!

    Mit Euren Gedankenspielen zur Kleidung habt Ihr richtig gelegen.

    Ich kenne Jörg Skriebeleit, den Leiter der Gedenkstätte in Flossenbürg, habe ihn angemailt und um eine Auskunft zur besagten Verfügung gebeten. Er schreibt mir vorhin:

    "Jetzt aber zu Deiner Anfrage, die tatsächlich relativ einfach und eindeutig zu beantworten ist:

    Bei dem Stempel "Gem. Vfg. v. 9.2.1943 behandelt" auf Effektenkarten handelt es sich um einen Befehl des SS-WVHA vom 9.2.1943, nach dem "die mitgebrachte Bekleidung der in den Konzentrationslagern einsitzenden polnischen und russischen Häftlinge – soweit die lagereigene Häftlingsbekleidung nicht ausreicht – als Häftlingsarbeitsbekleidung" zu verwenden sei. Des Weiteren heißt es: "Diese Zivilkleidung ist nach gründlicher Desinfektion durch Anbringen entsprechender Farbzeichen und der in der Lagerordnung vorgeschriebenen Häftlingsabzeichen besonders kenntlich zu machen.“

    Quelle: ITS Digital Archive/1.1.0.6/82343599

    Kurz gesagt: Der Stempel weist darauf hin, dass Tadeusz Kawalecki in Flossenbürg wahrscheinlich keine gestreifte Häftlingsuniform getragen hat, sondern zivile Kleidung, gekennzeichnet u.a. mit den Farbzeichen K/L."

    Kurz noch zur Erläuterung, weil ich hier nachgefragt hatte (mir war die Abkürzung in Gänze nicht geläufig): Hinter "SS-WVHA" verbirgt sich das Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt der SS. In der dortigen Amtsgruppe D sei der Arbeitseinsatz der KZ-Häftlinge organisiert worden. Die gescannte Quelle sei eine Karteikarte des WVHA, hat mir Jörg Skriebeleit erläutert.

    „K/L“ bei "Farbzeichen K/L" steht für „Konzentrationslager“.

    Ich hoffe, ich konnte Euch weiterhelfen!

    Viele Grüße!

    Frank/Evergreen

  • Hallo Frank und alle Anderen,

    Wie schön fundiert deine Mitteilung ist! Hervorragend! SO macht die Recherche doch Spaß!

    Meine Anfrage in Arolsen wurde gestern ebenfalls beantwortet, allerdings mit negativer Auskunft.

    In der Nachricht an mich wurde darauf verwiesen, dass der Inhalt der Verfügung unbekannt ist und gleiche in Arolsen leider nicht vorliegt!
    Somit ist die Antwort, welche Du nun zur Verfügung stellst, ein absolutes Highlight!

    Vielen Dank für deinen Einsatz!

    Das es sich um die Bekleidung handelt müsste, war schon irgendwie offensichtlich, aber die Richtung der eindeutigen Markierung eines KZ-Häftlings habe ich nicht einen Augenblick einen Gedanken verschwendet!

    ...Ich hoffe, ich konnte Euch weiterhelfen!..

    JA! Auf jeden Fall! Und noch einmal ganz herzlichen Dank dafür!

    Viele Grüße

    Ralf

  • Hallo Frank und alle Anderen,

    Wie schön fundiert deine Mitteilung ist! Hervorragend! SO macht die Recherche doch Spaß!

    Somit ist die Antwort, welche Du nun zur Verfügung stellst, ein absolutes Highlight!

    Guten Abend Ralf!

    Es freut mich, wenn ich Dir helfen konnte.

    Fundiert ist die Mitteilung zu 100 Prozent dank Jörg Skriebeleit. Ich hatte in diesem Fall einfach nur das Glück, buchstäblich die bestmögliche Quelle für dieses Thema zu kennen.

    Viele Grüße!

    Frank/Evergreen

  • Hallo,

    beim ITS Arolsen gibt es viele Unterlagen zu Tadeusz Kawalecki, er blieb nach dem Krieg in Deutschland und heiratete eine Deutsche.

    Grüße

    Thilo

    Suche alles zur Lehrtruppe Fallingbostel und zum Einsatz des NSKK in der Ukraine 1941