Hallo,
vor Ostern lege ich noch einen nach, auch wenn es manchen sicherlich schon nerven wird.
Aber keiner Sorge, dies wird mein letzter Beitrag zum Thema Wirths sein, es sein denn, es liegen in Zukunft neue verwertbare Forschungsergebnisse zur Person vor.
Da in den letzten Beiträgen von Onkel Horst, Rote Kapelle und Jockel überaus großer Wert auf eine wissenschaftliche Rezension gelegt wurde, nehme ich jetzt mal kurz Abstand von Völkleins Arbeit und Kramers dazugehöriger Rezension und wende mich daher ebenfalls einer wissenschaftlichen Rezension zu, nämlich der vom Historiker Sven Keller.
Dieser kommt in seinem Resumee zu Beischls Arbeit, welche u.a. von Rote Kapelle als Quelle angegeben wurde, zu einer ambivalenten Erkenntnis, und dass obwohl der Buchautor Wirths „zweifellos zu den größten Massenmördern der NS-Zeit“ zählte.
Selbst Keller sprach in seiner Rezension aus dem Jahr 2006 von einer nur „schwer aufzulösenden Ambivalenz, die den Standortarzt von Auschwitz kennzeichnet“. Weiterhin stimmte er auch „sehr eingeschränkt“ zu, dass Wirths „widerwillig am Vernichtungsprozess mitarbeitete, Verbesserungen für die Häftlinge erreichte und letztlich nur in Auschwitz blieb, um Schlimmeres zu verhüten“.
Siehe: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-8207
Ergänzend dazu möchte ich auch noch auf die zahlreichen Ausarbeitungen einer „wirklichen“ Auschwitz-Expertin hinweisen, der polnischen Historikerin Danuta Chech, welche Eduard Wirths und Arthur Liebehenschels Handlungen in der Vergangenheit wesentlich differenzierter betrachtet und ihre Verqickungen zum Lager-Widerstand (Kampfgruppe Auschwitz) veranschaulicht, die bis heute leider nicht wirklich untersucht wurden.
Siehe dazu exemplarisch:
Chech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945 etc., weitere Arbeiten von Chech wurden übrigens auch von Völklein verwendet
Wo genau liegt jetzt eigentlich das Problem in dieser Forums-Kontroverse?
In den geforderten bzw. gewünschten Desideraten von Kramer und Keller (Stichwort: Abhängigkeitsverhältnis der Funktionshäftlinge Langbein, Lill usw.), die bis heute nicht erschienen sind und auf die wir womöglich nochmal 15 Jahre warten werden, falls wie oben bereits angemerkt, sich einer ihrer Forscherkollegen dem überhaupt jemals annehmen wird?
In der nicht rezepierten bzw. beachteten Forschungsliteratur, u.a. von Karin Orth, zu der Keller interessanterweise in der Fußnote angemerkt hatte, dass „die Standortärzte in ihrer gruppenbiografischen Studie zum Führungspersonal der Konzentrationslager nicht berücksichtigt“ wurden? Gegenfrage: Warum also dann berücksichtigen, wenn die SS-Standortärzte gar nicht drin vorkamen?
Des weiteren beleuchtete bis heute niemand kritisch Handlungsweisen der Historiker im Allgemeinen. Es fehlen Studien zur ihrer politischen Gesinnung, Partei-Nähe, Wahlverhalten und der daraus resultierenden Motivation beim Erarbeiten von wissenschaftlichen Texten, Auftragsarbeiten usw. Eine spannende und durchaus berechtigte Frage, gerade zu besonders brisanten Themen, zumal wir danach ihre Arbeiten besser einordnen könnten (Stichwort: Transparenz, durchaus zu vergleichen mit Lobbyarbeit bei Politikern). Mir ist selbstverständlich klar, dass das nicht erwünscht ist. Aber es ist trotzdem ein Punkt der grundsetzlich hinterfragt werden sollte. Denn unvoreingenommen, neutral und ausgewogen zu arbeiten ist nicht so selbstverständlich, wie viele hier glauben.
Trotz allem schöne Ostern & beste Grüße
Daniel