Hallo werte Forengemeinde,
in einem Werk über die Führungs-Nachrichten-Regimenter 40 und 601, welches ich momentan studiere, bin ich über folgenden Vorfall gestolpert:
"Anfang Mai bereits war ein Schiffstransport nach Afrika im Hafen von Tripolis eingetroffen, bei dem sich auch das 10.000 BRT große Handelsschiff "Birmania" befand. Dieser italienische Frachter hatte Munition und Fliegerbomben geladen. Unter diesen Bomben befand sich auch eine Ladung von Splitterbomben. Diese 10-kg-Fliegerbomben besaßen an ihrem Kopfende einen Berührungsstab, der nach dem Ausklinken einer Zehnergruppe dieser Bomben, die durch ein Blech zusammengehalten wurden, scharf wurde. Dies geschah folgendermaßen:
Auf dem Blech befand sich eine Sprengpatrone, die nach drei Sekunden Fallzeit scharf wurde, explodierte und das Blech wegriß, wodurch jede Bombe einzeln auf ihr Ziel fiel und der Berührungszünder frei wurde, so daß er bei der geringsten Berührung die Bombe zur Detonation brachte.
Diese Bomben, die eine verteufelte Sprengkraft entwickelten und von großer Zerstörungskraft waren, sollten in Afrika das erstemal eingesetzt werden.
Major Graf Klinckowstroem [Seetransportführer Major Graf Klinckowstroem, Leiter des Sonderstabes Neapel, Verantwortlich für die Transporte von Neapel nach Tripolis] ließ durch die Funktstelle Dammert [Wachtmeister Herbert Dammert, Funkleiter Funkstelle OKH, Neapel] einen Funkspruch an den Entladestab in Tripolis absetzen und den Seetransportchef Tripolis, Korvettenkapitän Meixner, warnen. In diesem Funkspruch wurde Meixner gebeten, nur erfahrenes Fachpersonal, am besten Pioniere, mit dem Entladen dieses Schiffes zu betreuen [sic].
Diese Warnung kam nicht von ungefähr. Bereits beim Beladen in Neapel war es zu einem Unglücksfall gekommen, der nur deshalb nicht zur Katastrophe wurde, weil nur ein Zehnerblech detonierte.
Dammert mußte durchtasten, daß die "Birmania" nur an einem besonderen Liegeplatz gelöscht werden sollte und daß sie nur von Feuerwerkern betreten werden dürfte, die die Ladung auf ihre Unversehrtheit untersuchen müßten.
An diesem Tage schien die Funkerei wieder einmal zu einem Teufelsspiel zu werden. Die Gegenstelle Tripolis gab nach vielen Wiederholungen zu verstehen, daß die Funkstelle Neapel fast nicht hörbar sei.
Kurz entschlossen gab Dammert diesen wichtigen Text chiffriert nach Rom durch. Von dort wurde er 30 Minuten später mit dem dortigen starken Sender nach Tripolis durchgetastet. Dieser Funkspruch wurde zum Vergleich von der Funkstelle Neapel mitgehört und auch mit der Quittung von Tripolis in das Betriebsbuch eingetragen.
Am nächsten Nachmittag erst kam dieser Geleitzug mit der "Birmania" in Tripolis an, und wieder einen Tag später traf aus Tripolis die Meldung ein, das das in dem Funkspruch besonders genannte Schiff, die "Birmania", am 4. Mai beim Entladen in die Luft geflogen sei und daß es etwa 200 Tote gegeben habe.
Was war in Tripolis geschehen? Die in Transportkisten verpackten Bomben waren in diesen Kisten nicht fest genug fixiert worden, und da die Kisten beim Beladen der Schiffe auch geworfen wurden, rutschten die jeweils zu zehn Stück in ihren Blechen hängenden Bomben in den Kisten hin und her. Auf diese Weise waren die Züner, die nur mit einem schwachen Stift gesichert waren, scharf geworden. Nun würde eine kleine Berührung der Berührungsstifte genügen, um die Explosion herbeizuführen. Diese war an Bord eines bis unter die Halskrause voll mit Munition, darunter auch größeren Fliegerbomben, beladenen Schiffe [sic] eine Katastrophe.
Und diese Katastrophe trat auch ein. Beim Absetzen einer Kiste war eine der scharf gewordenen Bomben detoniert und hatte durch Selbstzündung aller anderen das Schicksal des Schiffes und von 200 Soldaten und Stauern besiegelt.
Da noch zwei weitere Schiffe mit solch tödlicher Ladung unterwegs waren, ließ Reichsmarschall Göring ein Fernschreiben absetzen, in dem er befahl, diese Schiffe auf hohe See zurückzubringen, die Besatzung von Bord zu nehmen und dann die Schiffe in die Luft zu sprengen.
Korvettenkapitän Meixner wußte nur zu genau, wie wichtig diese Bombenladung für die deutsche Luftwaffe in der Wüste war. Andererseits wußte der gelernte Jurist aber auch, was es für ihn bedeuten würde, wenn noch ein Schiff im Hafen von Tripolis in die Luft flog und Personenverluste verursachte.
Er ließ das Schiff auf der Reede von Tripolis ankern, wobei der Anker von Hand niedergelassen wurde, um jede Erschütterung zu vermeiden. Unter der Führung von Kapitän Reinen, dessen Schiff, die "Menes", in Tripolis wegen eines auf dem Hinmarsch erhaltenen Torpedotreffers festlag, und des Oberleutnants Krüger, Adjutant des Seetransportchefs Tripolis, gingen jeweils zehn Freiwillige an die Arbeit. Es war nur ein Feuerwerker darunter, der bereits bei der vierten Kiste eine scharf gewordene Bombe fand. Während Kapitän Reinen die Bombe festhielt, löste der Feuerwerker vorsichtig das Blech und nahm die Bombe heraus. Dann zeigte er dem Kapitän, wie der Zünder abgeschraubt wurde. Danach mußten Kapitän Reinen und Oberleutnant Krüger die Sache allein machen.
Insgesamt fünf Tage brauchten sie, bis sie alle Kisten untersucht hatten. Insgesamt 22 mal galt es, den Tod zu überlisten und von den scharf gewordenen Bomben die Zünder abzuschrauben. Dann war es geschafft. Kapitän Reinen erhielt als erster Zivilist das EK I.
Daß dieses Vorkommnis ein gewaltiges Nachspiel haben würde, war allen Beteiligten klar, und so wunderte es die Männer der Funkstelle Neapel nicht, als die von Reichsmarschall Göring eingesetzte Sonderkommission bei ihnen eintraf, um sich zu orientieren und den gesamten Fall zu untersuchen.
Major Graf Klinckowstroem wies auf die Funksprüche seiner Funkstelle hin. Die Kommission sah die Betriebsbücher ein und stellte die Richtigkeit des Gesagten fest. Sie erhielt aus Rom die Bestätigung und konnte schließlich auch in Tripolis in den Funkbetriebsbüchern die Bestätigung des Funkspruchs aus Rom ebenso finden wie die mitgehörte Bestätigung aus dem Betriebsbuch der Funkstelle Neapel erfahren.
Wie sich herausstellte, hatte man in Tripolis ebenfalls alles getan. Das Schiff hatte seinen besonderen Liegeplatz erhalten, aber beim Entladen konnte kein Feuerwerker dabeisein [sic].
So konnte das Unheil seinen Lauf nehmen."
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Soweit die mir vorliegenden Ausführungen. Die eingeklammerten Personenbeschreibungen habe ich für den Kontext ergänzt.
Ich bin etwas verwundert darüber, dass mir diese Tragödie im Zuge meiner Beschäftigung mit dem Kriegsschauplatz Nordafrika nie untergekommen ist, und würde den Informationsrahmen gerne - so weit wie möglich - vervollständigen.
Auf Anhieb tun sich mir folgende Fragen auf:
1.: Wie sah das Nachspiel dieses Vorfalls aus? Zu welchem Ergebnis kam die eingesetzte Sonderkommission? Gab es Folgen für die weiteren Munitionstransporte über das Mittelmeer?
2.: Um welche beiden anderen Schiffe handelte es sich?
3.: Um welches Modell von Streubomben handelte es sich? Waren es deutsche / italienische? Wurden diese aufgrund dieses Vorfalls modifiziert, eventuell sogar die Produktion ausgesetzt?
4.: Gibt es weitere Dokumente bezüglich dieses Vorfalls? Ich denke etwa an Berichte der Sonderkommission, Einträge in den einschlägigen KTBs (etwas die KTBs der Seetransportstellen Tripolis und Neapel), Verlustmeldungen ,...
5.: Liegen genaure Aufzeichnungen bezüglich der Menschen- und Materialverluste durch die Explosion im Hafen von Tripolis vor? Kann der Verlauf der Lösch- und Bergungsarbeiten nachvollzogen werden? Wurden andere Schiffe beschädigt?
6.: Kann es verifiziert werden, dass Kapitän Reinen tatsächlich als erster Zivilist das Eiserne Kreuz I. Klasse erhielt?
Weitere Fragestellungen sind natürlich gerne willkommen.
Nun hoffe ich auf rege Beteiligung und verbleibe mit freundlichem Gruß
Yannik