Beschuss ausbootender Besatzung rechtens?

  • Hallo Forum,

    Ich hätte mal eine Frage und zwar in wie weit ist es rechtens oder eben nicht auf eine Panzerbesatzung zu schießen, die aus einem brennenden Panzer aussteigt. Wäre das tatsächlich ein Bruch geltender Konventionen, vielleicht sogar ein Kriegsverbrechen oder lediglich etwas, das man einfach nicht tut? Ich führe da gerade eine Diskussion mit einem Bekannten und bin persönlich der Meinung, dass es nicht verboten ist solange die Besatzung nicht explizit anzeigt, dass sie sich ergibt, durch erhobene Hände oder ähnliches.

    Kann mir da jemand mehr zu sagen?

    Ich danke im voraus ?

    Viele Grüße

    Marius

  • Guten Tag ans Forum und an Marius,

    die Fragestellung bewegt sich meiner Kenntnis nach auf dem Gebiet des humanitären Völkerrechts. Der beschriebene Sachverhalt trifft den Bereich "Menschlichkeit".

    Wie immer "Menschlichkeit" definiert wird oder individuell gesehen wird, muss auch der Begriff "Unmenschlichkeit" einer Definition unterzogen werden.

    Die themenbezogene Diskussion wird nicht nur von Juristen kontrovers geführt. Soweit zum völkerrechtlichen Aspekt, der sich in der Haager Landkriegsordnung und den Nachfolgeverträgen, den Genfer Konventionen wiederfinden lässt.

    Der gemeinsame Artikel 3 aller vier Genfer Konventionen spricht von der Schutzwürdigkeit von "Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen."

    Konfliktparteien werden meiner Einschätzung nach allgemein dazu angehalten, auch im Krieg menschlich zu sein.

    Zu dem Beispiel mit der ausbootenden Panzerbesatzung fehlen mir zitierfähige Quellen. Ich weiß nicht, ob es hierzu überhaupt eine Schriftlage gibt und ggf. welche.

    Ich kann mir jedoch vorstellen, dass auch in solchen Beiträger -so es sie dann geben sollte- kontrovers diskutiert wird, so wie es Marius und sein Bekannter jetzt ja ebenfalls tun.

    Mit freundlichen Grüßen aus der Normandie

    Peter

    (PH)

  • Hallo Marius,

    vom Grundsatz her kommen zwei der vier Genfer Abkommen (GA) in Frage.

    Das 1. GA betreffend den Schutz Verwundeter und Erkrankter der Streitkrägte zu Lande und das 3.GA betreffend das Schicksal der Kriegsgefangenen in der Vereinbarung von 1929. Auch nach der Neufassung der GA 1949 sind die vorher getroffenen Vereinbarungen als eigenständige Regelwerke noch immer in Kraft.

    Angehörige der Streitkräfte der Konmfliktparteien sind eindeutig Kombatanten und fallen so zunächst nicht unter den Schutz der GA. Erst wenn sie eindeutig Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige oder Kriegsgefangene sind, fallen sie unter den Schutz der GA und dürfen nicht vorsätzlich angegriffen werden.

    Das bedeutet, dass ich einen gegnerischen Soldaten meinem Auftrag / Befehl gemäß solange bekämpfen muss bis er nicht mehr kampfähig ist oder sich ergeben (Kriegsgefangener) hat. Dabei ist es unerheblich ob er im Moment auch tatsächlich kämpfen kann. So ist ein Fallschirmjäger im Moment der Landung sicher nicht in der Lage seine Waffe zu benutzen, er ist aber noch immer ein gegnerischer Kombatant.

    Viele Grüße

    Anton

    Suche Informationen zum PzGrenRgt 33 und FjRgt 9

  • Hallo zusammen,

    die Frage ist eigentlich eindeutig zu beantworten: Die Antwort ergibt sich aus Art. 41 des

    Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949

    über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 08.06.1977

    in der Fassung vom 30.11.1993 (BGBl. 1990 II 1551; 1997 II 1367):

    Das heißt also, wenn ein Soldat der Panzerbesatzung ausbootet und unmißverständlich die

    Hände hebt, steht er unter dem Schutz des Kriegsvölkerrechts.

    Wenn ein Soldat lichterloh brennend den Panzer verlässt, steht er ebenfalls unter dem

    Schutz des Völkerrechts.

    Wenn ein Soldat nach dem Ausbooten in Deckung geht und von der Waffe Gebrauch macht,

    darf er bekämpft werden, denn das Kriegsvölkerrecht schützt ihn nicht.

    Wenn ein Soldat nach dem Ausbooten flüchtet, steht er nicht unter dem Schutz des Kriegsvölkerrechts

    und darf an der Flucht - auch mit Waffengewalt - gehindert werden.

    Gruß

    Rudolf (KINZINGER)

  • Hallo Rudolf,

    Genau das war die Rechtslage. Danach wurde meines Wissens auch verfahren. Anders als beispielsweise auf See ist eine ausbootende Besatzung durchaus nicht in jedem Fall wehrlos bzw. kampfunfähig. Flüchtende Besatzungen wurden mit neuen Fahrzeugen wieder eingesetzt - sie kampfunfähig zu machen ist wohl ein legitimes Kriegsziel.

    Herzliche Grüße

    Eberhard

    Suche alles über die 101. Jägerdivision.

    Edited once, last by rebelau: "War" statt " ist" (March 7, 2020 at 3:39 PM).

  • Hallo,

    Quote

    Wenn ein Soldat nach dem Ausbooten flüchtet, steht er nicht unter dem Schutz des Kriegsvölkerrechts

    und darf an der Flucht - auch mit Waffengewalt - gehindert werden.

    im Panzernahbekämpfungstrupp besteht aus zwei Soldaten ist es ausdrücklich die Aufgabe des Sicherers, die ausbootende Besatzung niederzukämpfen.

    Grüße

    Thilo

    Suche alles zur Lehrtruppe Fallingbostel und zum Einsatz des NSKK in der Ukraine 1941

  • Hallo Rudolf,

    volle Zustimmung.

    Bei meiner Antwort habe ich ZP I und II nicht berücksichtigt. Ich habe in die Frage hineiniterpretiert, dass es sich um einen Vorgang im WK 2 ging. Für diese Zeit sind die GA von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 ja nicht anwendbar.

    Gruß

    Anton

    Suche Informationen zum PzGrenRgt 33 und FjRgt 9

  • Ich habe in die Frage hineiniterpretiert, dass es sich um einen Vorgang im WK 2 ging. Für diese Zeit sind die GA von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 ja nicht anwendbar.

    Hallo Anton,

    ich gehe mal davon aus, dass auch im II.Weltkrieg i.d.R. so verfahren wurde.

    Kriegsvölkerrecht ist in weiten Bereichen "Gewohnheitsrecht", das erst im

    Nachhinein rechtlich verbindlich sanktioniert wurde.

    Gruß

    Rudolf (KINZINGER)

  • Hallo Rudolf,

    aber 1949 und 1977 waren doch nur Überarbeitungen der alten Genfer Konventionen aus den Jahren 1864 und 1929?

    Da waren die grundsätzlichen Fragen des Schutzes von Personen, die aus Kampfhandlungen ausscheiden, doch schon geregelt.

    Herzliche Grüße

    Eberhard

    Suche alles über die 101. Jägerdivision.

  • Guten Tag zusammen,

    Theorie ist eine feine Sache,

    Genfer Konvention, Kriegsvölkerrecht ...

    der "Vernichtungskrieg" gegen die "Untermenschen" ab 1941 zeigt uns wohl deutlich,

    wie "wertvoll" solche Abkommen sind, nichtmal das Papier wert.

    Selbst später im Westen, glaubt jemand, die Allierten hätten sich daran gehalten?

    Grüße Thomas

  • der "Vernichtungskrieg" gegen die "Untermenschen" ab 1941 zeigt uns wohl deutlich,

    wie "wertvoll" solche Abkommen sind, nichtmal das Papier wert.

    Hallo Thomas,

    sicherlich hast Du da recht. Dazu kommt, dass die Genfer Konventionen samt Zusatzprotokollen

    in weiten Bereichen z.B. von der UdSSR erst nach dem Krieg unterschrieben/ratifiziert wurden.

    Das sah Hitler ja u.a. auch als Legitimation an, sich ebenfalls nicht ans Kriegsvölkerrecht halten

    zu müssen.

    Im übrigen kann man sicher nicht allgemeingültig sagen: Die haben sich nicht daran gehalten !

    Ich gehe schon davon aus, dass sich die Masse der Beteiligten daran gehalten hat.

    (Legendär ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit Dum-Dum-Geschossen; schon im

    I.Weltkrieg. Man war da schon sensibilisiert.)

    Gruß

    Rudolf (KINZINGER)

  • Hallo zusammen!

    Interessant dies gerade zu lesen. Die gleiche Frage stellt sich ja mit "ausgestiegenen" Flugzeugbesatzungen die am Schirm hängen/hingen. Auch da gab es ja Unterschiede wie sich aus verschiedensten Augenzeugenberichten erkennen ließ. Und die konnten sich aber wohl weniger zur Wehr setzen wie ein Panzerbesatzungsmitglied das sich mit einer Maschinenpistole oder Pistole am Mann absetzt.

    Eine Grauzone im Gefecht, Genfer Konvention hin oder her.

    Wenn einer die Hände hebt und sich augenscheinlich und eindeutig ergibt OK, klare Situation. Aber nur wenn einer davonläuft und in Deckung geht? Was anderes ist ausbooten ja nicht...

    Gruß Stephan

    Suche alles zur Waffenschule des AOK 1

  • Die gleiche Frage stellt sich ja mit "ausgestiegenen" Flugzeugbesatzungen die am Schirm hängen/hingen.

    Hallo Stephan,

    das ist sogar ausdrücklich im Zusatzprotokoll geregelt:

    "Art. 42 Insassen von Luftfahrzeugen

    1. Wer mit dem Fallschirm aus einem Luftfahrzeug abspringt, das sich in Not befindet, darf während des Absprungs nicht angegriffen werden.
    2. Wer mit dem Fallschirm aus einem Luftfahrzeug abgesprungen ist, das sich in
    Not befand, erhält, sobald er den Boden eines von einer gegnerischen Partei kontrollierten Gebiets berührt, Gelegenheit, sich zu ergeben, bevor er angegriffen wird, es
    sei denn, er begeht offensichtlich eine feindselige Handlung.
    3. Luftlandetruppen werden durch diesen Artikel nicht geschützt."

    Gruß

    Rudolf (KINZINGER)

  • Hallo zusammen,

    sehr schönes Thema bring vielen Beiträge und es lässt vortrefflich darüber parlieren....schön

    ......aber nach den ersten zwei Antworten wird klar das die Frage ein veritablen Zielkonflikt beschreibt.

    Man muss sagen, wenn man die Frage "Beschuss ausbootender Besatzung rechtens?" rein technisch/juristisch

    nimmt, dann muss die Antwort klar "JA" lauten.

    Alle anderen Wertung beschreiben den angesprochenen Zielkonflikt die es auf den einzelnen Schützen abwälzt ob

    eine Bekämpfung hier gerechtfertigt ist. Er muss sein Handeln in Nachhinein so oder so natürlich rechtfertigen.

    Gerne kann hier weiter diskutiert werden, aber was ich mit meinem Beitrag sagen will, zum Schluss fällt es immer

    auf den einzelnen bzw. auf die Urteilsfähigkeit und Empathie des einzelnen zurück und deshalb sind die hier angeführten

    "Regeln" nur in dem Kontext zu sehen.

    Gruss Dieter

  • Hallo,

    Ich bin auch positiv überrascht wie ausführlich hier diskutiert wird ? wie oben erwähnt bin ich eigentlich auch davon ausgegangen, dass es nicht ausdrücklich verboten ist solange die Besatzung nicht deutlich anzeigt, dass sie sich ergibt. Das ganze dürfte natürlich in der Hitze des Gefechts manchmal etwas schwierig gewesen sein....

    Viele Grüße

    Marius

    Ps: ich bezog mich tatsächlich auf den Zeitraum des zweiten Weltkrieges, die Diskussion kam bei einem Gespräch über den panzerkampf am Kölner Dom 1945 auf.

  • Hallo Marius,

    Quote

    PS: ich bezog mich tatsächlich auf den Zeitraum des zweiten Weltkrieges, die Diskussion kam bei einem Gespräch über den panzerkampf am Kölner Dom 1945 auf.

    gerade dieses Beispiel macht deutlich wie schwer eine Wertung von außen ist. Auf dem Einmarsch der US-Truppen kam es auf dem Weg zum Dom/HBF immer

    wieder zu Scharmützeln und auch nach der amerikanisch G2 Lage war Köln Feind besetzt und es gab auch Infos zu "Panzereinheiten"

    Die Lage war nicht dazu angetan das der Gegner "geschont" wird.

    Gruss Dieter

  • Alle anderen Wertung beschreiben den angesprochenen Zielkonflikt die es auf den einzelnen Schützen abwälzt ob

    eine Bekämpfung hier gerechtfertigt ist. Er muss sein Handeln in Nachhinein so oder so natürlich rechtfertigen.

    Hallo Dieter,

    jeder, der als Soldat eine Waffe in der Hand hatte, weiß das.

    Das fängt doch schon als Soldat im Wachdienst an. Er muss in Sekunden

    etwas entscheiden, das er einmal mehr oder weniger gut als rechtliche

    Grundlage verinnerlicht hat.

    Und Staatsanwalt und Gericht haben dann alle Zeit der Welt zu prüfen, diskutieren

    und zu entscheiden, was er falsch gemacht hat.

    Gruß

    Rudolf (KINZINGER)