Propaganda in Witwenbrief: Todesumstände falsch dargestellt

  • Hallo zusammen,

    heute möchte ich eine Erkenntnis mit Euch teilen, die ich gerade gewonnen habe: im Witwenbrief an meine Grossmutter wurden die Todesumstände witwenbrief.jpgfalsch beschrieben. Sein Fahrer hat Jahre später als Augenzeuge die wahren Umstände berichtet:

    "Es erfolgte ein Luftangriff durch einen Tiefflieger mit Bordkanonen/Geschützen, der das fahrende Auto des Offiziers und seines Fahrers unter Beschuss nahm. Der Fahrer sprang links auf der Fahrerseite aus dem rollenden Auto und der Hauptmann rechts auf der Beifahrerseite, beide rollten sich in den Straßengraben um aus dem Zielfeld Auto herauszukommen. Als der Angriff vorbei war, ging der Fahrer zu seinem Hauptmann, der erschossen (schlimmer Kopfschuss) auf der anderen Straßenseite lag."

    Hat jemand hier im Forum ähnliche Erfahrungen oder schon einmal davon gehört?

    Viele Grüsse

    Henriette Sophie

  • Hallo Henriette,


    ich antworte mit einer Erkenntnis des Senators Hiram Johnson:

    “Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.”

    Mehr muss man nicht wissen, um richtig zu liegen.


    Gruß


    Paul


    G-W-G'

  • Guten Abend ans Forum und an die Anfragende,

    offizielle Todesbenachrichtigungen für Angehörige schilderten nicht wirklich die wahren Todesumstände wieder. Ein Beispiel dafür ist der Tritt eines Soldaten auf eine Mine. Liest man die Tatbestandsunterlagen, die auf einem Hauptverbandsplatz oder einem Lazarett gefertigt wurden, so waren die multiplen Verletzungen grausam und quälend. In den Benachrichtigungen hingegen stand dann der sofortige Tod durch einen Splitter in die Brust.

    Sollte der Mitteilende etwa von Splittern in der Brust, in Kopf, im Gehirn, in Armen, Beinen und sonst wo schreiben und von dem noch Stunden dauernden Todeskampf?

    Im Falle des Großvaters, der wohl Bataillonskommandeur war, wurden die Todesumstände "strahlend" und "verherrlichend" dargestellt, Das der Tod eines Bataillonskommandeurs im Grunde so "unspektakulär" war wie der eines jeden Soldaten bei einem ordinären Tieffliegerangriff, passte halt nicht ins damalige Weltbild.

    In der neuhochdeutschen Sprache sagt man wohl "Fake News" zu den damals üblichen Todesbenachrichtigungen.

    Das sind meine Erfahrungen beim Vergleich mit offiziellen Todesnachrichten und dazu anderen ausgewerteten Quellen.

    Sie als Anfragende haben jetzt die gleiche Erfahrung gemacht.

    Mit freundlichen Grüßen aus der Normandie

    Peter

    (PH)

  • Hallo Enkelin,

    die Todesnachrichten wurden wohl sehr häufig "geschönt".

    Zitat: "das er nicht mehr gelitten hat."

    Er starb also mit so wenig Schmerzen, wie überhaupt möglich.

    Das sollte die Hinterbliebenen in der Heimat beruhigen. Sie sollten

    sich mit dem massenhaften Sterben schnell anfinden.

    Hätte man die tatsächlichen Todesumstände beschrieben, wäre der Brief

    um einiges länger geworden. Und wer weiß, der wievielte Brief das schon

    war, der aus diesem Anlass geschrieben wurde.

    Auch der Verfasser stumpfte dann wahrscheinlich irgendwann ab.

    Hauptsache, der Brief war abgeschickt.

    Gruß Roland

    Als ich hätte fragen sollen, war ich zu jung.
    Als ich hätte fragen wollen, waren Sie zu alt.

  • Hallo, Henriette Sophie,

    bei dem von Dir gezeigten Brief nehme ich mal an, daß es sich um eine Abschrift handelt, richtig? Normalerweise waren Mitteilungen über den Tod eines Soldaten handschriftlich zu verfassen. Wie eine solche Nachricht zu verfassen war, regelte eine Heeresdienstvorschrift über den Schrift- und Geschäftsverkehr der Wehrmacht. --> Hier findest Du ein paar Erläuterungen dazu, die ich gerne noch präzisieren kann, sobald ich wieder Zugriff auf den Arbeitsordner habe.

    Grüße

    Diana

    Die Frau ist die einzige Beute, die ihrem Jäger auflauert (Ingelore Ebberfeld)

  • ... Hat jemand hier im Forum ähnliche Erfahrungen oder schon einmal davon gehört? ...


    Hallo,

    meiner Tante wurde im Dezember 1941 vom Regimentskommandeur seiner Einheit mitgeteilt, dass ihr Mann gefallen und von seinen Kameraden auf einem Heldenfriedhof beigesetzt worden sei. Dem Brief lag damals sogar ein Grabfoto mit entsprechender Kreuzinschrift bei. Die tatsächlichen Umstände seines Verbleibs sind in der Personalakte meines Onkels schriftlich festgehalten: Er wurde beim Angriff auf den Regimentsgefechtsstand durch Bauchschuß verwundet und zunächst von seinen Kameraden auf dem Rückzug mitgenommen. Später mussten sie ihn aber verwundet zurücklassen; seine mögliche Grabstelle ist bis heute unbekannt. Der Witwe wurde damals vorsätzlich eine falsche Auskunft erteilt: Gesucht wird Johann GERTJE

    Gruß, J.H.

  • Hallo,

    das Glorifizieren und Beschönigen der Todesumstände besonders bei Offizieren hatte Tradition, schon im Ersten Weltkrieg fielen diese "an der Spitze ihrer Kompanie, aufrecht stehend, als sie den Angriff persönlich anführten" und waren natürlich sofort tot. Steht so in zig Regimentsgeschichten und ähnlichen Berichten.

    Grüße

    Thilo

    Suche alles zur Lehrtruppe Fallingbostel und zum Einsatz des NSKK in der Ukraine 1941

  • Hallo zusammen,

    vielen lieben Dank für Eure Nachrichten und die bewegenden Berichte.

    Der Brief wurde tatsächlich per Hand geschrieben an die Witwe verschickt. Es gibt im Nachlass mehrere Abschriften per Schreibmaschine, eine davon ist wohl direkt noch an der Front erstellt worden.

    Der Schreiber des Briefes hatte eine Lese-/Rechtschreibschwäche aber der handgeschriebene Brief ist fehlerfrei. Er muss also eine Vorlage gehabt haben oder den gleichen Brief zig-Mal geschrieben haben.

    Mit den persönlichen Gegenständen wurden auch Fotos an die Witwe geschickt: vom Grab und der Beisetzung. Allerdings wurde hier versehentlich das Foto des Grabes eines anderen Soldaten versandt, der 3 Tage zuvor in der selben Region gefallen war. Diesen Umstand haben wir dem DRK-Suchdienst bereits gemeldet. Nun haben wir natürlich auch (berechtigte) Zweifel, dass die Bilder überhaupt von seiner Beisetzung stammen. Wir werden die Negative von den Beisetzungsfotos jetzt einmal vergrössern lassen und die Teilnehmer abgleichen (der Teilnehmerkreis ist uns teilweise bekannt und die Nachkommen, mit denen wir in Kontakt sind, können diese dann ggf. identifizieren).

    Viele Grüsse
    H. S.

  • Hallo Enkelin,

    freut mich sehr, dass wir hierhelfen konnten.

    Würdest du uns bitte die Grabfotos für unseren Thread Erstgrablagen zu Verfügung stellen?

    Schönes Wochenende.

    Gruß Roland

    Als ich hätte fragen sollen, war ich zu jung.
    Als ich hätte fragen wollen, waren Sie zu alt.

  • Hallo Roland,

    das Grabfoto meines Großvaters habe ich leider nicht, es wurde uns nicht geschickt. Das fälschlicherweise an uns geschickte Grabfoto des anderen Soldaten existiert nur als Negativ. Allerdings kann ich Dir die Daten, die ich mit einer Lupe erkennen konnte, bei Interesse gerne als PN zusenden. Ich habe ihn auch beim Volksbund gefunden: seine Grabstelle ist unbekannt, wahrscheinlich liegt er in einem Massengrab.

    Schönes Wochenende und Gruss
    H. S.