Hallo zusammen,
ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn man über viele Jahre veröffentlichte Tagebücher oder Kriegserinnerungen von Soldaten liest,
stößt man unweigerlich von Zeit zu Zeit auf besonders tragische Einzelschicksale von Kameraden der jeweiligen Verfasser, die einen als Nachgeborenen besonders berühren.
Diese Einzelschicksale ragen dann aus den oft Hunderten oder gar Tausenden von Gefallenen, welche die Tagebuchschreiber in bitterer Kriegsnot miterleben mussten, heraus.
An solche besonders tragischen Einzelschicksale von Soldaten an allen Fronten des Zweiten Weltkrieges würde ich hier unter diesem Thema gerne erinnern.
Zunächst zu meiner Ausgangsfragestellung:
Wenn man im Netz den Suchbegriff "tragisches Einzelschicksal" eingibt, erscheint als Treffer u.a. ein SPIEGEL-Artikel zu einem Film über die Suche nach dem im April 1945 über Deutschland abgeschossenen US-Piloten Shannon Estill. Für die Hinterbliebenen tragisch, weil der US-Soldat nur gut drei Wochen vor der deutschen Kapitulation gefallen ist.
Und wenn man das Filmfoto auf der Seite betrachtet wohl ein Einzelschicksal, weil insgesamt nur relativ wenige alliierte Aufklärungsflieger abgeschossen wurden:
QuoteEine Liebe in Zeiten des Krieges
Der letzte Flug von Lieutenant Estill
Es war ein tragisches Einzelschicksal in den Wirren des Zweiten Weltkrieges: Am 13. April 1945 wurde der US-Air-Force-Pilot Shannon Estill über Nazi-Deutschland abgeschossen. Er hinterließ seine Ehefrau Mary und seine zwei Wochen alte Tochter Sharon. Ein Kind, das sein ganzes Leben darunter leiden wird, ohne Vater aufzuwachsen.
Als erstes Beispiel für einen deutschen Soldaten, dessen Todesumstände als besonders tragisch erscheinen, möchte ich den Vater des prominenten Schlagersängers Heino erwähnen.
Ich bekam zufällig Heinos Autobiographie in die Hände, und dort schildert der Sänger die wirtschaftliche und seelische Not der Familie nach dem Tod des Vaters als Funker bei der Wehrmacht Anfang August 1941:
Quote"Finanziell ging es uns nie wirklich gut, vor allem die ersten Jahre meiner Kindheit waren nicht leicht. Am 13. Dezember 1938 wurde ich in Düsseldorf geboren, nur wenige Monate später begann der Zweite Weltkrieg. Mein Vater Heinrich, ein Zahnarzt, wurde im Krieg als Funker eingesetzt. Doch schon am 2. August 1941 starb er, als ein betrunkener Kamerad wild um sich schoss, während die Truppe beim Abendessen saß.
Mit achtundzwanzig Jahren war meine Mutter plötzlich Witwe - und ich gerade drei Jahre alt. Kein Wunder, dass meine Erinnerungen an meinen Vater ganz verschwommen sind. Mein letztes Bild: Ich saß in unserer Küche, als er auf Heimaturlaub nach Hause kam. Das war ganz kurz vor seinem Tod."
(Heino mit Martina Mack, Mein Weg. Autobiografie, Köln 2016, S. 16-17.)
Vielleicht gibt es ja ein Verzeichnis, wo der Todesort des Vaters Heinrich Kramm vermerkt wurde. Ich vermute, es war an der Ostfront, wo er von einem betrunkenen Kameraden beim gemeinsamen Abendessen erschossen wurde, nach den ersten sechs Wochen Russlandfeldzug, denn auf der offiziellen Internetseite steht folgendes dazu:
"Heinos Vater, ein Zahnarzt, starb in den ersten Kriegstagen.
Seine Mutter Franziska und seine fünf Jahre ältere Schwester Hannelore wurden nach Pommern evakuiert. Erst 1945 kehrte die Familie nach Düsseldorf zurück.
Heinos Erinnerungen an seine ersten Jahre sind von Bomben-Angst und Hunger geprägt."
http://www.heino.de/biografie.html
Zuerst hatte ich mich gewundert, dass der Vater trotz anerkannter Praxistätigkeit in Köln nicht als Militärzahnarzt eingesetzt wurde sondern nur als Funker. Das scheint aber häufiger vorgekommen zu sein, denn in den Erinnerungen Ludwig Igels an die sowjetische Kriegsgefangenschaft wird ein ähnlicher Fall geschildert:
QuoteDisplay More"Es ist klar, daß hier niemand darauf Wert legt, Offizier gewesen zu sein; denn dann hat er fast gar keine Aussicht, nach Hause zu kommen.
Der Russe hat nichts Besonderes vor; er will nur, daß die Offiziere in Zukunft bei den Appellen vor der Front stehen.
Ich schlendere von der Küche nach unserer Kommandostelle, als mich ein baumlanger Landser anhält:
"Sag mal, braucht ihr keinen Zahnarzt?"
Ich nehme den Langen, er mag wohl 2.10 Meter groß sein, mit.
Gehlen soll darüber entscheiden.
Der Lange erzählt uns von seiner ehemaligen Praxis. Wegen irgendwelcher Umstände, die er uns nicht berichtet, ist er nur als Gefreiter beim Kommiß beschäftigt worden. Wenn er spricht, hüpft sein Adamsapfel lustig auf und ab."
(Ludwig Igel, dawai, dawai. Lager 292 - Zitadelle Dünaburg, Balve i. W. o. J., S. 213.)
Obwohl es im militärischen Umfeld nachweislich oft zu tödlichen Unfällen mit Schusswaffen kam, dürfte der Tod beim gemeinsamen Abendessen durch Schüsse eines alkoholisierten Kameraden (der "wild um sich schoss") ein besonders tragisches Einzelschicksal sein. Leider erfährt man nicht, ob Heinos Vater das einzige Opfer des Schützen war oder noch andere Soldaten verwundet wurden. Welche Strafe den Todesschützen anschließend erwartete bleibt ebenfalls unerwähnt. Strafkompanie oder Schlimmeres?
Beste Grüße,
Bodo