• ... Wenn aber die Nachricht gefunkt worden wäre, hätten die deutschen diese wiederum abfangen können und, falls möglich, beim Entschlüsseln gemerkt, dass hier Informationen weitergegeben werden, die nur aus deutschen Funksprüchen stammen können ...

    Hallo,

    genau das ist ja auch eines der Probleme mit den deutschen Meldungen bei Enigma gewesen. Die entschlüsselten Meldungen konnten durch die britische Militärführung zum großen Teil nicht oder nur in stark veränderter Form an die betroffenen alliierten Einheiten weitergegeben und nicht vollumfänglich verwertet werden. In dem Roman "Enigma" von Robert Harris (und auch in der gleichnamigen Verfilmung) wird das am Beispiel eines alliierten Geleitzuges im Nordatlantik geschildert. Dem brit. Geheimdienst waren die Angriffsabsichten der deutschen U-Boot-Waffe auf diesen Geleitzug durch entschlüsselte Enigma-Meldungen vorzeitig bekannt geworden, der Geleitzug konnte aber nicht entsprechend gewarnt oder auf eine andere Route umgeleitet bzw. ausgewichen werden - es wäre im OKM sicherlich aufgefallen, wenn die Geleitzüge auf einmal die deutschen U-Boot-Bereitstellungen weiträumig umfahren hätten oder plötzlich von den bisher genutzten, üblichen Geleitzugrouten abgewichen wären. Der Geleitzug wurde dann in vollstem Wissen um sein Schicksal auf seinem ursprünglich vorgegeben Kurs "geopfert", um dadurch weiterhin die Geheimhaltung der entschlüsselten Enigma-Meldungen zu gewährleisten.

    Zur Entschlüsselung der Enigma reichte es übrigens auch nicht, nur die Mechanik eines erbeuteten Enigma-Gerätes offenzulegen und mittels eines Großrechners und Mathematik zu entschlüsseln und Auszuwerten. Harris beschreibt in dem Roman auch, dass die Briten zwar durchaus Anfangserfolge bei der Entschlüsselung einzelner Enigma-Codes hatten, die deutsche Marineführung aber längst nicht voll auf das System Enigma vertraute und daher mehrfach u.a. die notwendigen Codeverfahren (z.B. die Wettercodes und Standortkürzel in U-Boot-Meldungen) zum Teil auch sehr kurzfristig änderte - was den britischen Geheimdienst dann aufgrund der dort fehlenden Codebücher zunächst vom "Mitlesen" vieler Meldungen wieder ausschloss.

    Gruß, J.H.

  • Hallo zusammen,

    vielen Dank für die schnellen und zahlreichen Antworten. Mich würde noch interssieren, ob es den Deutschen prinzipiell gelungen ist den britischen Funkcode zu knacken (ggf. nur teilweise)? Darüber habe ich nichts gefunden, entsprechende Schlagworte in Suchmaschinen liefern immer Enigma und Bletchley Park als Ergebnis.

    Im Zusammenhang mit Marinenachrichten hatte ich gelesen, dass einige der deutschen Spezialisten nicht überrascht waren, dass Enigma geknackt wurde. Sie meinten nur, dass es länger dauert und so viel Zeit braucht, dass die Information nicht mehr wertvoll ist.

    Grüße

    Alex

  • Hallo Alex,


    der deutschen Funkaufklärung gelangen ihre Erfolge besonders in den Anfangsjahren des Zweiten Weltkrieges. Eine etwas marinelastige Übersicht zu den deutschen Einbrüchen in gegnerische Schlüssel findest Du nachstehend:


    durch den B-Dienst der Kriegsmarine Einbruch in den/die…

    …Admirality Code der Royal Navy der Vorkriegszeit

    …Naval Cypher No.1 inklusive des Merchant Navy Code – eingeführt 1935 und ab Kriegsausbruch genutzt – vom April 1940 an für ein Drittel bis zur Hälfte der aufgefangenen Sprüche, z.B. während der Norwegen-Unternehmungen mit kurzen Einschränkungen im August 1940

    …Naval Cypher No. 2 (deutscher Deckname „Köln“) – eingeführt am 20. August 1940 – ab Ende 1940 teilweise, ab Februar 1941 vollständig für nahezu 2 Jahre; bedeutsam z.B. bei der Operation RHEINÜBUNG, bei der der B-Dienst die Meldungen der Beschatter der BISMARCK wahrscheinlich schon an Bord des deutschen Schlachtschiffes entschlüsselte und diese Erkenntnisse nach Berlin weitermeldete

    …Naval Cypher No. 3 (deutscher Deckname „Frankfurt“) – eingeführt am 20. August 1940, gültig bis 10. Juni 1943 – ab Ende 1940 teilweise, ab Februar 1941 fast vollständig für nahezu 2 Jahre, wenn auch mit Verzögerungen, so dass tatsächlich nur ca. 10% operationell nutzbar waren

    …Naval Cypher No. 5 – eingeführt am 10. Juno 1943 – nur noch gelegentlich, auch wegen des Materialverlustes durch das Ausbomben von Teilen des OKM in Berlin

    …Verfahren der Franzosen

    …zwei Verfahren der U.S.-Marine (Siehe dazu auch unten!)


    …ab 1942 bis 1944 in den Verkehr des diplomatischen Dienstes der USA

    …ab Herbst 1941 bis Juni 1942 in den Verkehr des amerikanischen Militärattachés in Kairo, der damit die Pläne der 8. Armee nach Washington weitermeldete

    …in die die schon erwähnte C 38/M 209 (entsprechende Hinweise sind schon in den Werken von H. Bonatz zu finden; so z.B. in „Die deutsche Marine-Funkaufklärung 1914-1945“ von 1970; diesbezügliche Erkenntnisse sind also nicht soooo neu, wie im ersten Link in Arnds Posting #223 dargestellt)


    …in die Schlüssel der Vorkriegszeit der polnischen Marine

    …in spanische und italienische Schlüssel


    durch das OKW/Chi und die Heeresstellen…

    …ab Anfang der dreißiger Jahre in französische Codes

    …ab 1938 in den Verkehrskreis Frankreichs mit Italien, dessen Verfahren später auf den ganzen Nachrichtenverkehr angewendet wurde und so in die gesamte französische Kommunikation während des Westfeldzuges


    Weiterführende Informationen findest Du u.a. in
    F.L. Bauer: „Entzifferte Geheimnisse – Methoden und Maximen der Kryptologie“, Springer, 2000
    J. Rohwer/E. Jäckel: „Die Funkaufklärung und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg“, Stuttgart, 1978
    H. Bonatz: „Die deutsche Marine-Funkaufklärung 1914-1945“, Darmstadt, 1970

    und insbesondere in

    H. Bonatz: „Seekrieg im Äther – Die Leistungen der Marine-Funkaufklärung 1939-1945“, Herford, 1981 auf den Seiten 24 bis 55


    Mit freundlichen Grüßen

    Schorsch

  • ... ob es den Deutschen prinzipiell gelungen ist den britischen Funkcode zu knacken (ggf. nur teilweise)? Darüber habe ich nichts gefunden, entsprechende Schlagworte in Suchmaschinen liefern immer Enigma und Bletchley Park als Ergebnis ...

    Hallo,

    die Enigma war ja ein "offenes Geheimnis", sie wurde schon vor dem Krieg z.B. auf Messen öffentlich vorgestellt und bis zur Entscheidung, die Enigma als Chiffriergerät bei der Wehrmacht einzuführen, auch weltweit kommerziell vertrieben. Die Briten haben daraus ihr eigenes Chiffriergerät mit verschiedenen Typen weiterentwickelt, die Typex Cipher Machine. Auf der HP des Bletchley Park Museum sind auch die Verfahrensabläufe im brit. Nachrichtendienst zu den deutschen Funkmeldungen in vier Stufen dargestellt: Abhören, Dechiffrieren, Analysieren und Verbreiten der aufgefangenen und entsprechend aufbereiteten deutschen Nachrichten.

    Gruß, J.H.