Was bedeutet der Begriff "Abdecken" an einem Flakgeschütz?

  • Guten Tag,
    ich bin neu hier und hoffe, dass ich diese Anfrage gerade nicht versehentlich schon einmal gepostet habe ...
    In einem Brief meines verstorbenen Vaters aus seiner Flakhelferzeit im Jahr 1943 habe ich folgende Sätze gefunden:
    "Auf einmal hören wir wüstes MG und 2cm−Feuer sowie 8,8 in niedriger Höhe. Kurz darauf tauchte noch
    etwa 2 km von uns entfernt eine Fortress in ca. 200 m Höhe auf, die aber sofort
    wieder in den tiefliegenden Wolken verschwand. Wir richteten sofort die
    Maschinen an und schossen ein paar Gruppen mit einer Rohrerhöhung von 3 – 7 °,
    so dass unser ganzer Wall zersplitterte. Hätte ich noch weiter auf 2° und 1°
    abgedeckt, hätten wir 90 Schuß Muni zur Explosion gebracht und das wäre für uns
    kein Vergnügen gewesen. "
    Mich würde interessieren, 1.) um was für eine Situation es sich handelt. Ich nehme an Beschuss der Batterie oder Stellung durch Tiefflieger. Wie gefährlich war das für die Leute in diesem Moment? 2.) Was bedeutet dieses "Abdecken" genau. Lässt es darauf schließen, dass mein Vater selbst am Geschütz gefeuert hat, oder hat er die Position angegeben, aus der geschossen werden soll?
    Ich danke euch im Voraus für eure Hilfe und für eure Antworten.
    Tochter

  • Moien,
    kein Tieffliegerangriff,die Jungs schossen mit der 8,8cm so niedrig über den Stellungswall hinweg hinter der B-17 her daß die Erdaufschüttung des Walles durch den gewaltigen Mündungsfeuerdruck hinweg geblasen wurde!! Heftig heftig!!! (Ichdenke das nicht nur ein einzelnes Geschützen schoß, sondern wohl die ganze Batterie, also vier Geschütze!) Ich denke,Dein Vater war woh am E-Messer im Einsatz!!
    h.

  • Hallo Tochter,

    erstmal herzlich willkommen in unserem Forum. Übrigens ein Vorname macht sich für eine Anrede besser.

    Wie AviaB.33 schrieb, handel es sich bei der beschossenen Maschine um einen amerikanischen Bomber vom Typ B 17, der aus welchen Gründen auch immer
    sehr tief (200 m) flog. Vielleicht war er schon beschädigt. Die Flak - Batterie deines Vaters versuchte nun diesen Bomber endgültig abzuschießen, was bei diesem
    Nahbereichsfeuer eigentlich nur durch einen "Glückstreffer" möglich wäre.

    Ich denke nicht, dass dein Vater am E - Messer (Entfernungsmesser) saß. Er schreibt von 3 - 7 ° und meint damit die Einrichtung der Höhe des Geschützes.
    Ein Geschütz in Ruhelage hat die Gradstellung 0 ° - also waagerecht. Hebt man das Rohr um 3 - 7 ° ist das eine sehr geringe Rohrerhöhung - in diesem Fall notwendig, da der
    Bomber ja nur 200 m hoch flog. Die Auswirkungen eines so flachen Winkels beim Abschuss sind die beschriebenen Schäden am Schutzwall der Geschützstellung.
    Ich denke dein Vater bediente die Höhenrichtmaschine der Kanone. In dieser Funktion ist er nicht für das Abfeuern der Kanonen zuständig.

    Wie gefährlich ein derartiges Flachfeuer für die Geschützbesatzung wird kommt darauf an, was sich an losen Teilen oder gar Munition im Geschützstand befindet.
    Die Druckwelle des Mündungsfeuers ist durchaus erheblich. Es kann dabei passieren, dass in einer festen Stellung - also nicht auf freiem Feld - die Bedienung Schäden erleidet.
    Geplatzte Trommelfälle wären da noch das kleinste Übel. Das dabei der Kampfsatz an Munition (hier 90 Schuss Muni) explodiert, ist eher unwahrscheinlich.
    Bei festen Geschützstellungen gab es i. d. R. in Nähe der Geschütze Munitionsbunker zum Schutz der Granatpatronen.

    Viele Grüße Frank

    Edited once, last by askanier (March 13, 2018 at 6:50 PM).

  • Hallo Tochter,

    das mit dem Abdecken ist wohl so zu verstehen:
    Ein vom weiter entfernt stehenden Kommandogerät angesteuerter "Sollwert-Zeiger" am Geschütz "befahl" Deinem Vater eigentlich, das Rohr auf 1° - 2° abzusenken.
    Dazu hätte Dein Vater an der Höhenrichtmaschine ("Kurbel") das Geschützrohr so weit nach unten "kurbeln" müssen, bis der "Istwert-Zeiger", der die Position des Geschützrohres anzeigt, sich mit dem "Sollwert-Zeiger" deckt.

    Hier gute Beschreibungen der Abläufe in einer Heimat-Flakstellung, in denen auch das "Abdecken" erwähnt wird:
    http://www.sprache-werner.info/Luftwaffenhelfer.7836.html
    https://www.bunker-kiel.com/marine-flak-br…1-251-nordmark/

    Viele Grüße
    Bernhard

    Edited 2 times, last by Bernhard_63 (March 13, 2018 at 5:28 PM).

  • Hallo Bernhard,

    den Richtvorgang beim Schießen mit Kommandogerät hast du gut beschrieben.
    Auch den Begriff "Abdecken", also Gleichstellung der Soll - und Istzeiger für Höhen- und Seiteneinrichtung des Rohres.

    Nur ein Punkt passt nicht ganz. Bei Nahbereichsfeuer - in diesem Fall, Ziel in ca. 2000 m Entfernung und ca. 200 m Höhe ist ein
    Schießen mit Kommandogerät eigentlich Unsinn. Bevor der Soldat am Kommandogerät die entsprechenden Sollwerte ermittelt und
    über das Kommandogerät an die Geschütze weitergegeben hat, ist das Ziel längst verschwunden.

    Im Ernstfall kann im Nahbereich nur nach "optischer Zielanrichtung" einigermaßen effektiv geschossen werden.
    Wobei ein Treffer, ob nun mit oder ohne Kommandogerät, bei dieser kurzen Entfernung und Höhe ohnehin mehr als unwahrscheinlich ist.

    Es bedarf schon einer sehr erfahrenen und voll eingespielten Geschützbedienung, um in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit,
    den Zündzeitpunkt am Zünder einzustellen, die Granatpatrone zu laden und das Ziel incl. Vorhaltepunkt anzurichten,

    Aus meiner Sicht sind Treffer auf fliegende Ziele im Nahbereich nur glückliche Zufälle.

    Viele Grüße Frank

  • Guten Morgen, ihr Lieben,
    ihr macht euch ja richtig Arbeit mit mir! Eure Informationen sind super! Allerdings ermutigt mich euer Einsatz, immer neue Fragen zu stellen, die euch wahrscheinlich naiv erscheinen - aber für jemand wie mich, die keine Ahnung hat, wichtig sind.
    Danke an alle, und hier ein Vorname:
    Thea

  • Guten Tag,
    das Problem ist nur, dass die schweren Flakgeschütze keine optischen Zielvorrichtungen hatten (ausgenommen die Erdzieloptik, die nur an die 8,8 im Frontbereich ausgegeben wurde). In Fällen wie dem oben geschilderten wurde grob über das Rohr gepeilt und - wenn greifbar - die sog. Nahfeuer-Patronen verschossen. Erfolgsquote sprich Treffer waren äußerst gering, die Truppe hatte wohl das Erfolgserlebnis, dass sich nicht tatenlos war.
    Ich habe bei meinen Recherchen zur 7. FlakDiv (Köln) so an die 300 ehem. Soldaten und Flakhelfer befragt. Bei JaboAngriffen auf die Stellung wurde von den schweren Batterien Nahfeuer geschossen, was manchmal den Effekt hatte, dass die Jabos abdrehten.
    Beste Grüße
    Gebhard Aders

  • Hallo Gebhard,

    mit " optischer Zielanrichtung" meinte ich genau das Anvisieren des Zieles über das Rohr - eigentlich bei sich schnell bewegenden Zielen unmöglich.

    Die Verwendung von Nahfeuerpatronen habe ich extra nicht erwähnt. Die standen i.d.R. nicht irgendwo griffbereit im Geschützstand, sondern mussten
    erst aus dem Muni - Bunker herangeholt werden. Also zwangsläufig wieder Zeitverlust.

    Besser den Zünder einer griffbereiten Granatpatrone auf eine kurze Zündzeit einstellen. Aber das kann man eigentlich auch nur grob schätzen, da
    die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses nach dem Abschuß am höchsten ist.

    Wie schon geschrieben, nur sehr erfahrene und eingespielte Geschützbedinungen hätte hier überhaupt eine Chance etwas zu erreichen.
    Nahbereichsfeuer von schweren Flakgeschützen ist eigentlich nur ein "Nervenpflaster" zur Beruhigung für Geschützbedienung.

    Völlig anders sähe das natürlich aus, wenn man eine 2 cm - Vierling zur Verfügung und ausreichend Munition hätte. Da hätte der Bomber schlechte Karten.  8)

    Viele Grüße Frank

  • Richtig Frank,
    bei den Nahfeuer-Patronen hatte ich auch geschrieben: Wenn greifbar - meist lagen die auch in den weitere entfernten Muni-Bunkern und nicht in denen im Geschützstand.
    Nebenbei: Mir berichteten LwH aus einer Kölner Stellung, dass beim Tiefangriff von Jabos alle in Deckung gingen, die russischen HiWis wären dann ans Geschütz gesprungen und hätten geschossen - rein aus Selbsterhaltungstrieb.
    Noch ein Kursiosum: Am 4.2.44 kam eine angeschossene B-17 nahe über den südlichen Kölner Raum hinweg - 6 leichte Batterien haben darauf geschossen - die spätere Untersuchung ergab nur 1 TreffeN in einer Treibstoff-Hauptleitung, der den Bomber zur Baulandung zwang.
    Best Grüße
    G. Aders

  • Guten Abend zusammen,
    ich bin platt: der 4.2.1944 ist genau der Tag, über den mein Vater schreibt. Mein Vater lag damals in Brühl Vochem.
    Kann euch nicht sagen, wie mich das berührt, wenn Geschichte lebendig wird.
    Beste Grüße,
    Thea

  • Guten Tag, Thea,
    da bin ich auch platt! Bei welcher Batterie war Ihr Vater - 5./135, 4./335 oder 5./371? Die haben auch auf die B-17 geschossen, die bei Rödingen eine Bauchlandung machte, dann demontiert zum Fliegerhorst Ostheim geschleppt wurde.
    Die Brühler Batterien und ihre Luftwaffenhelfer kommen auch in meinen Veröffentlichungen über die Kölner Flak vor.- bei Interesse bitte mir eine private Mitteilung schicken.

    Die Schutzwällen wurden Anfang 1945 bei den Batterien im Westen von Köln abgebaut, damit die schweren Geschütze für die Panzerabwehr eingesetzt werden konnten, also mit minimaler Rohrerhöhung.
    Beste Grüße
    Gebhard Aders

  • Moien,
    Capt. Ernest Dahlberg, Fliegerass in der 9th Airforce wurde durch einen solchen Glücktreffer durch eine 8,8cm Batterie vom Sturmflakregiment 1 bei Bitburg im Februar 1945 abgeschossen und geriet in Gefangenschaft. Die Batterie wehrte mit 20mm und 8,8cm einen Tiefangriff der 354th FG (noch mit P-47) ab. Die 8,8cm stand offen auf einem Sportplatz.
    h.