Hallo,
Ist über das weitere Schicksal des Majors Witmer etwas im Buch verzeichnet?
leider nein, man konnte nur weitere 3 Monate Führung des Lagers belegen.
Und diese Formel soll dann als allgemeingültig gelten?
Wie passen dann die Äusserungen des in Dresden geborenen Erich Kästners mit der Tatsache zusammen,dass insbesondere Dresden als "regimetreu" galt und darüberhinaus auch der Gau Sachsen für die grösste Anzahl von NSDAP Parteimitgliedern sowie einer grossen Anhängerschaft Hitlers bekannt war?
Wie kann man denn ersthaft allgemein behaupten das die deutsche Bevölkerung antinazistisch war?
Das darfst du natürlich nicht wörtlich nehmen, es ist eine sarkastische Übertreibung, er ist bekannt für diese Art. Kästner sollte man durchaus als eine Art Kronzeuge wahrnehmen, wurde nur in Dresden geboren, gelebt hat er zur Kriegszeit in Berlin. War auch nur eine kleine Anmerkung, wo andere hier ein polemisches "keiner will es gewesen sein" anbringen.Das Thema umfasst eigentlich nicht das gesamte Dritte Reich mit über 90 Millionen Reichsbürgern, nicht die Wahlen 1933 und nicht die Entstehungsgeschichte der NSDAP. Allerhöchstens sollten Rückgriffe auf Sozialisierung der erwähnten Akteure stattfinden. Der Blickwinkel ist hier die Front mit Kriegsteilnehmern. Auch vom Zeitpunkt ist eher Mitte 1941 anzusetzen, in unmittelbarer Konfrontation eines sich hemmungslos entwickelnden Vernichtungskrieges.
Mit Sachsen und der NSDAP kenne ich mich leider nicht aus, weiß nur, das der sächische Adel in Punkto Widerstand sowas wie eine Frühform der Al Qaida gewesen sein soll.
Möchtest du etwa Justus Aussage dazu ,
Abgesehen davon, dass nach dem Krieg und dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur es natürlich keiner gewesen sein wollte, keiner mitgemacht und etwas gewußt hat (und eigentlich immer dagegen war), sind nach dem Mai 1945 verfasste Berichte nicht mehr objektiv verwendbar bei dem Versuch, Erkenntnisse zu gewinnen. Mehr als eine bestenfalls ausgewogene Sammlung von Eindrücken und Einzelmeinungen wird in diesem Thread nicht möglich sein, wenn man differenziert bleibt.
wiedersprechen?
Das sollte kein Problem sein, die Wissenschaft hat für Skeptiker längst ausreichend hieb- und stichfeste Tagebücher sowie Feldpostbriefe editiert. Bereits seit einigen Jahrzehnten, die es aufgrund ihrer Langweiligkeit weder auf die BILD-Titelseite noch in die Wehrmachtsausstellung geschafft haben. Aber in militärhistorischen Kreisen sehr aussagekräftige Fundstücke sind. Hier mal spontan zwei christlich-konservative Beispiele. Nur wenige interessiert leider ein knöcherner, 65 Jahre alter Wehrmachtsoffizier, der sich freut, wenn ihn wegen der guten Behandlung die russischen Gefangenen bereits auf 50 Meter Entfernung mit Absetzen der Mütze grüßen?
QuoteDisplay MoreUngewöhnlich ist freilich auch, daß dieses Tagebuch frei ist von Haß auf den Gegner, selbst Ressentiments
oder Klischees sind so gut wie nicht zu finden. Statt dessen dürften die knappe, nüchterne Diktion dieses
Berichts, seine Unaufgeregtheit und Sachlichkeit der Unvoreingenommenheit entsprochen haben,
mit der der Verfasser anscheinend der anderen Seite begegnete, dem Soldaten wie dem Zivilisten.
Rassenideologische Kategorien hatten da wenig zu suchen, eher schon die althergebrachte Vorstellung,
daß man den wehrlosen und insbesondere den gefangenen Gegner „anständig" zu behandeln habe.
Unter dem Datum 9. Februar 1943, als sich sein Dulag nach dem Ende der Kämpfe um Stalingrad
überhastet zurückziehen mußte, findet sich in Gutschmidts Tagebuch ein bezeichnender Eintrag96:
„Unterwegs begegneten mir die ersten Kolonnen unserer weiter marschierenden Gefangenen.
Die Gefangenen waren begeistert über die Verpflegung und die aus Jewdakowo, die dabei waren, grüßten mich, teilweise durch Abnehmen der Mützen und riefen: Jewdakowo gut, [S]Passibo [Danke]. Ja sogar mir ganz fremde Gefangene grüßten.
Sie hatten wohl von den anderen gehört, daß die Gefangenen es in meinen Lagern gut gehabt hatten." Die „ehrliche Freude der Gefangenen" habe ihm, so heißt es in Gutschmidts Tagebuch wenig später, „große Freude gemacht.
Offenbar sind die Gefangenen sonst nicht so anständig behandelt worden."
Eine solche Einstellung hatte kaum etwas zu tun mit dem „Gefühl des Stolzes und der Überlegenheit", das laut Vorschrift gegenüber den Kriegsgefangenen „jederzeit erkennbar bleiben" sollte97 . Vielmehr offenbart sich in Bemerkungen wie diesen,
daß sich dieser Offizier dem traditionellen soldatischen Selbstverständnis weiterhin verpflichtet fühlte; da der Erste Weltkrieg seine Sozialisation in der Armee beendet hatte, ist es nachvollziehbar, wenn für ihn jene Vorstellung einer vergleichsweise domestizierten, wenn man so will: kultivierten Gewalt maßgeblich war, wie sie das Europa des 19. Jahrhunderts ausgezeichnet hatte98
. Zu dieser „Kultur des Krieges"99 gehörte auch die Forderung, daß die gefangenen Gegner „mit Menschlichkeit behandelt
werden"100 sollten - so die Haager Landkriegsordnung, in der die ungeschriebenen
Regeln und Gebräuche des Krieges vor 1914 ihre Kodifizierung gefunden hatten
Christian Hartmann
Aus dem Tagebuch eines deutschen Lagerkommandanten
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2001_1_5_hartmann.pdf
Auch die Feldpostbriefe des schmächtigen Dulag-Kommandanten Konrad Jarausch sprechen für sich, wie konventionell es hinter der Front zugehen konnte.
Quote
Überhaupt registrierte Jarausch sehr genau die ideologischen Gegensätze in seinem Umfeld: "die alten und die neuen, die Weltkriegsteilnehmer und die jüngere 'nationalsozialistische' Generation" (29.12.1941).
Ein Religionslehrer, ein zarter und im Grunde völlig unmilitärischer Mensch gerät in ein durch und durch inhumanes System, das ihn Stück für Stück für sich vereinnahmt. Fast könnte man sein Schicksal als Lehrstück begreifen, in zweifacher Hinsicht - zunächst als ein Beispiel dafür, wie schnell man unter solchen Umständen Dinge tut, die man sonst nie getan hätte. Und zum anderen auch als Mahnung, wie sehr man sich vor schnellen Schuldzuweisungen hüten sollte.
Christian Hartmann rezensiert "Das stille Sterben..." (Konrad H. Jarausch / Klaus Jochen Arnold)
http://www.sehepunkte.de/2010/09/15225.html
MfG
Tac