Grüß Gott zusammen,
in gut zwei Monaten wird es wieder Gedenkveranstaltungen zum 20. Juli 1944 geben. An diesem Tag trat mit dem Attentat auf Adolf Hitler der jahrelang im Verborgenen wirkende deutsche militärische Widerstand
gegen das NS-Regime an das Licht der Weltöffentlichkeit. Auch sollten die anderen Nazi-Größen Himmler, Göring, Goebbels etc. von bewaffneten Wehrmachtseinheiten entmachtet und verhaftet werden.
Im Allgemeinen spricht man ja deshalb von einem gescheiterten Militärputsch.
Auch wenn zahlreiche prominente Zivilisten wie der aus Protest gegen die Nazis zurückgetretene Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler
oder Helmuth James Graf von Moltke (Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis) mit eingebunden werden sollten.
Hier zum Beispiel das Gedenken 2016 an den wichtigsten Planer des Attentats, Generalmajor Henning von Tresckow (Generalstab der Heeresgruppe Mitte)
und die 5000 weiteren vom NS-Regime verfolgten Verschwörer, aus der Magdeburger Volksstimme:
QuoteDisplay More20. Juli 1944
Gedenken an den Widerstand
20.07.2016
In Magdeburg haben Vertreter aus Politik und Gesellschaft Henning v. Tresckow gedacht, der zum Widerstand um den 20. Juli 44 gehörte.
An den gebürtigen Magdeburger Henning von Tresckow und die Widerstandskämpfer des 20. Juli ist am Mittwochnachmittag gedacht worden. Vertreter aus Politik und Gesellschaft legten an der von Tresckow zu Ehren errichteten Gedenkstele am Nordpark Kränze nieder. [...]
Henning von Tresckow wurde am 10. Januar 1901 in Magdeburg als Sohn einer pommerschen Adelsfamilie geboren.
Als 1941 immer mehr Details über die Konzentrationslager und Kriegsverbrechen zu ihm durchdrangen, schloss er sich der Berliner Widerstandsgruppe um Ludwig Beck und Hans Oster an.
In den folgenden Jahren plante er mehrere Attentate auf Hitler, die jedoch stets an unvorhersehbaren Umständen scheiterten.
Henning von Tresckow war maßgeblich an der Vorbereitung des Attentats beteiligt, das Oberst Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auf Hitler in dessen ostpreußischem Bunker verübte.
Da von Tresckow kurz zuvor an die polnische Front versetzt worden war, konnte er sich an der unmittelbaren Ausführung des Attentates nicht beteiligen.
Als er hörte, dass Hitler noch am Leben war und die Umsturzpläne der Verschwörer ebenfalls fehlgeschlagen waren, nahm er sich an der Front das Leben.
Er wollte nicht riskieren, unter Folter die Namen weiterer Beteiligter preisgeben zu müssen.
Ich würde gerne wissen, wie prominente und weniger prominente deutsche Soldaten die Nachricht vom Putschversuch 1944 erlebt und für sich eingeordnet haben.
Und welche Konflikte es vorher und danach mit überzeugten Nazis in Wehrmachtsuniform gab.
Mein Vater z.B. hat sich bis zu seinem Tod vor zwei Jahren jedes Mal am 20. Juli genau daran erinnert, wie er und seine Kameraden auf das Attentat reagiert haben.
Er war damals nach dem Rückzug und Untergang der Heeresgruppe Mitte in Weißrußland immer noch Obergefreiter bei der Luftwaffe.
Der Flakmeßzug seines Regiments befand sich Ende Juli 1944 nach dem Rückzug aus Bobruisk in Lyck/Ostpreußen.
Als versprengter Rest wurde sein Meßzug dann nach der Vernichtung des zugehörigen Flakregiments 101 im August aufgelöst.
Danach musste er wieder in den Fronteinsatz bei der Flaksturmabteilung I./3 im Osten (Titelverleihung "Sturm" ehrenhalber im Januar 1945).
Nachdem der gescheiterte Umsturzversuch gegen das NS-Regime bekannt wurde, konnte mein Vater bei einer Diskussion ganz offen im Kameradenkreis
(Gefreite und Unteroffiziere) sagen:
"Vielleicht wird man die Attentäter später einmal groß feiern."
Keiner der Kameraden hat ihm widersprochen oder gar etwas gegen diese Aussage unternommen (ihn z.B. gemeldet bzw. denunziert).
Er hatte auch niemandem der Kameraden im Verdacht, womöglich überzeugter Nationalsozialist zu sein, obwohl viele der Flaksoldaten als Ersatz
aus der "Reichshauptstadt Berlin" gekommen waren.
Als Flakmeßsoldat bei der Luftverteidigung russischer Städte galt mein Vater als unabkömmlich. Er durfte daher nicht zu Uffz.- oder Offz.-Lehrgängen abkommandiert werden.
Seine Perspektive war also von ganz unten. Befehle konnte er kaum jemandem erteilen, höchstens im Verlauf des Krieges als Geschützführer seinen Kanonieren.
Mit Stabsoffizieren hatte er überhaupt keinen Kontakt, anders als z.B. Helmut Schmidt als Oberleutnant im Luftwaffenstab.
Was mich persönlich erstaunt hat:
Genauso wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat mein Vater immer wieder betont, daß unter Kameraden und Vorgesetzten selten echte Nazis erkennbar waren.
Helmut Schmidt hat sich mehrfach zu dem Thema geäußert, u.a. in einem langen Interviewgespräch mit der TV-Journalistin Sandra Maischberger:
(“Helmut Schmidt außer Dienst“, NDR-Fernsehen 24. 12. 2008, Zitat Maischberger: “Sie haben sogar gesagt, daß Sie nur einem einzigen Nazi in der Wehrmacht begegnet seien.”)
https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Schmidt
Das hatte Helmut Schmidt schon vor Jahrzehnten in seinem Buch “Menschen und Mächte” über ein Gespräch mit dem damaligen Sowjetführer Leonid Breschnew geschrieben.
Schmidt begegnete ihm im Frühjahr 1973 als Bundesfinanzminister bei einem gemeinsamen Abendessen mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt:
QuoteDisplay More“[...] Ich räumte ein, wie sehr Breschnew im Recht sei, aber ich widersprach dem Wort von den faschistischen Soldaten.
Ich schilderte die Lage meiner Generation:
Nur wenige von uns seien Nazis gewesen und hätten an den “Führer” geglaubt, es seien Ausnahmen gewesen;
die meisten von uns hätten es jedoch als Pflicht empfunden, die Befehle ihrer militärischen Vorgesetzten zu befolgen;
diese hätten im übrigen ebenso gedacht, auch von ihnen seien die wenigsten Nazis gewesen.
Während meiner acht Jahre in der Wehrmacht hatte ich in der Tat keinen einzigen überzeugten Nationalsozialisten als Vorgesetzten oder Kommandeur gehabt. Wohl aber war ich zum Patrioten erzogen worden.
Ich erinnerte Breschnew an jene Offiziere, die einerseits als Patrioten gegen den Feind, andererseits aber gegen Hitler gekämpft hatten, bereit zum Hochverrat, nicht aber zum Landesverrat.
Ich sprach vom Sterben in den zerbombten Städten, vom Elend auf der Flucht und während der Vertreibung;
davon, daß wir an der Front oft wochenlang nicht wußten, ob unsere Eltern, Frauen und Kinder zu Hause noch lebten.
Während wir nachts Hitler und den Krieg verfluchten, erfüllten wir tagsüber als Soldaten unsere Pflicht.
Ich machte unseren sowjetischen Gästen die Schizophrenie deutlich, in der wir jungen deutschen Soldaten den Krieg durchgestanden und durchlitten hatten.”
(Helmut Schmidt, Menschen und Mächte, Berlin 1987, S. 20.)
[Blocked Image: https://www.fotosverkleinern.de/images/093877663.gif][Blocked Image: http://img.welt.de/img/deutschland/crop123177740/8539591924-ci3x2l-w540-aoriginal-h360-l0/Helmut-Schmidt-als-Wehrmachts-Offizier.jpg]
Dieses bekannte Foto (zuletzt häufiger in der Tagespresse zu sehen) zeigt Altbundeskanzler Helmut Schmidt als Leutnant der Luftwaffe (Flakartillerie) 1940.
Interessant ist außerdem, dass sich auch der NS-Propagandaminister Joseph Goebbels im Tagebucheintrag ähnlich wie die genannten Zeitzeugen geäußert hat (natürlich negativ):
Goebbels beklagte (im Sinne Hitlers) die "fehlende nationalsozialistische Gesinnung" in der Wehrmacht allgemein
und in der deutschen Luftwaffe im besonderen:
QuoteDisplay More
4. März 1944
[...]
Die Luftwaffe ist auch [wie das Heer] in keiner Weise als nationalsozialistisch anzusprechen,
was in der Hauptsache darauf zurückgeführt werden muß, daß sie einen großen Teil ihrer Offiziere, vor allem ihrer älteren, aus dem Heer übernommen hat.
Der Führer will [Generaloberst] Schörner zum NS-Führungsoffizier für das Heer machen. Das tut mir eigentlich etwas leid.
Ich hätte mir Schörner als Nachfolger für Fromm für das Ersatzheer gedacht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. [...]"
(Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels. Tagebücher Band 5: 1943-1945, München 2003, S. 2009-2011.)
Und unter dem 15. März ein erneuter Tagebucheintrag von Goebbels zum Thema "Wie kann man endlich mehr Nazi-Gedankengut in die Wehrmacht hinein bekommen":
Quote"15. März 1944
[...] Mittags bin ich beim Führer zu Gast. [...]
Die Durchdringung der Wehrmacht mit nationalsozialistischem Gedankengut stellt [Reichsminister] Bormann sich etwas einfacher vor, als sie ist.
Ich glaube, wir werden noch sehr viel Arbeit tun müssen, bis wir hier zu einem greifbaren Ergebnis kommen. [...]."
(Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels. Tagebücher Band 5: 1943-1945, München 2003, S. 2002.)
Also, der NS-"Oberpropagandist" Dr. Goebbels beklagt das fehlende Nazi-Gedankengut in der Großdeutschen Wehrmacht!
QuoteAls Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer hatte Goebbels von 1933 bis 1945 in Deutschland zwei entscheidende Positionen für die Lenkung von Presse, Rundfunk und Film sowie des sonstigen Kulturschaffens inne.
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels
Gleichzeitg hat Goebbels mehrfach (mit Bezug auf Hitlers Äußerungen) der Wehrmacht drastische Säuberungsmaßnahmen angedroht, z.B. Zitat vom 22. Juni (!) 1944. einen Monat vor dem Attentat auf Hitler:
"Es sei nicht an dem, daß alles seinen gewohnten Gang gehe, sondern der Führer greife, wo er überhaupt Fehler entdecke, rigoros ein. Eine Unmenge von Todesurteilen - auch gegen hohe Offiziere - seien schon ausgesprochen und vollstreckt. Er handele ohne Säumen und lasse sich auf nichts mehr ein."
(Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels. Tagebücher Band 5: 1943-1945, München 2003, S. 2063-2064.)
Schon im März hatte Goebbels im Tagebuch den Offizieren der Wehrmacht mit Massenerschießungen und Säuberungen wie durch Stalin in der Roten Armee gedroht:
QuoteDisplay More4. März 1944
"[...] Die Generalität insgesamt hält der Führer, wie er mir schon häufiger gesagt hat, für denkbar ekelhaft. Die Generäle haben kein inneres Verhältnis zu ihm; sie stehen in Reserve [= sind reserviert] und möchten zum großen Teil lieber heute als morgen Schwierigkeiten machen.
Stalin tut sich da leichter. Er hat die Generäle, die uns heute im Wege stehen, rechtzeitig erschießen lassen, sie können ihm deshalb heute nicht mehr in die Quere kommen.
[...]
Wir haben auf diesem Gebiet noch einiges nachzuholen. Aber der Krieg ist dazu die ungeeignetste Zeit.
Nach dem Kriege werden wir uns sowohl der Frage der Offiziere als auch der Frage der Pfaffen annehmen.
Heute müssen wir gute Miene zum bösen Spiel machen."
(Ralf Georg Reuth (Hrsg.), Joseph Goebbels. Tagebücher Band 5: 1943-1945, München 2003, S. 2009-2011.)
Besonders interessant finde ich, dass das Thema (indirekt) schon einmal vor Jahren hier im Forum aufgetaucht ist.
Das war auch einer der Gründe, warum ich mich damals angemeldet hatte. Ich hatte auf weitere Infos gehofft,
weil mein Vater beim Vormarsch 1941 öfters bei der 18. Panzer-Division eingesetzt war.
Kordulas (KKN) Vater hatte offenbar 1967 bei einem Verhör u.a. folgendes ausgesagt:
"Die Abteilung hatte 31 Offiziere, von denen nicht einer ein Nazi war. Im ganzen Regiment (mit über 100 Offizieren) gab es nur einen, auf den wie ein Rhinozeros gezeigt wurde. ..."
Das Thema war damals von Kordula über die Panzerabteilung 18 gestartet worden:
QuoteDisplay Morekkn
Hi an all die Spezialisten,
läßt sich aus nachstehendem herausfinden, bei welcher/n Einheit/en mein Vater vom Angriff auf die SU bis Dez. 1941 (Rücktransport per Lazarettzug) gewesen sein könnte?
-------------------
Panzer-Abteilung 18
(Anfang 1941 bis Dezember 1941)
Überraschend wurde ich zurückgerufen und zu einer Elite-Panzereinheit versetzt, die vorerst in Reichenbach i. V., dann auf dem Truppenübungsplatz Milowice bei Praha lag. Der Truppenteil war für den Angriff auf England aufgestellt und mit Tauchpanzern ausgerüstet worden. Jetzt lag der Angriff auf die Sowjetunion in der Luft.
Die Abteilung hatte 31 Offiziere, von denen nicht einer ein Nazi war. Im ganzen Regiment (mit über 100 Offizieren) gab es nur einen, auf den wie ein Rhinozeros gezeigt wurde. ...
Den Krieg gegen die Sowjetunion habe ich bei dieser Einheit vom ersten Tage bis zum Zusammenbruch des Vorstoßes auf Moskau im Dezember 1941 mitgemacht.
Nach drei Wochen waren wir in Smolensk (statt „planmäßig“ in Moskau); 1/3 der Offiziere der Abteilung waren tot, 1/3 schwer verwundet, von den restlichen 10 war ich der einzige unverwundete. Unser Infanterie- (Panzer-Grenadier ) Regiment existierte eigentlich nicht mehr, vom Pionierbataillon lebte kein einziger Offizier.
Die Truppe war ungern gegen die Sowjetunion gezogen. Der Kommandeur äußerte sich unmißverständlich. Zu mir sagte er, als er mich später im Lazarett besuchte: „Von uns (den aktiven Offizieren) kommt keiner lebend zurück.“ Dabei war die Truppe militärisch vorzüglich.
Ich habe erlebt, daß man zu gleicher Zeit Offizier der faschistischen Wehrmacht, Teilnehmer an einem Angriffskrieg, ein Antifaschist (nicht nur Hitler-Gegner), humanitär gesonnen und ein bis zum Tod getreuer Soldat sein konnte. Wenn den armen Kerlen bei dieser Mischung nicht wohl war, so fand ich das nicht verwunderlich.
* Zusatz von mir
[aus: Vernehmungsprotokoll 12/1967, S.16-19]
Panzer-Abteilung 18 - Genaueres dazu?
Das sind meiner Meinung nach sehr interessante Aussagen von Kordulas Vater.
Welche Zeugnisse gibt es sonst noch zum Verhältnis zwischen Christen bzw. Christlichen Humanisten und den Nazis innerhalb der Wehrmacht?
(Das Stichwort "Christlicher Humanismus" wird hier ganz gut erklärt:)
"Der Begriff bezeichnet eine geistige Strömung hauptsächlich des 20. Jahrhunderts, die in spannungsvoller Synthese sowohl humanistische als auch christliche Werte zu verbinden sucht.
Die geistige Bewegung, welche seit dem frühen 19. Jahrhundert in Deutschland als Humanismus bezeichnet wird, entstand im Bürgertum der spätmittelalterlichen mittel- und norditalienischen Stadtstaaten
und breitete sich rasch über ganz Europa aus."
Link: http://www.kas.de/wf/de/71.9152/
In weiteren Beiträgen würde ich gerne noch die Stellungnahmen und Einsichten von anderen Soldaten sammeln, die ausgewiesene Nazi-Gegner und christliche Humanisten waren,
wie z.B. Dr. Manfred Schick (Hochschullehrer und Gefreiter a.D.) und Generalleutnant Theodor Groppe ("Der Schwarze General"), daher die Thread-Überschrift.
Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Groppe</a></p><p><br></p><p>Beste Grüße<br>Bodo