• Hallo,

    wieder einmal stehe ich bei meinen Heimatbriefen vore einem Problem. Was bitte ist eine Gorki-Tanne?

    Hier der Textauszug:

    ...(9.2.1942) liegt seit 4 ½ Wochen im Liegnitzer Reserve-Lazarett mit erfrorenen Händen und Füßen. Er hat noch gerade damit Glück gehabt, daß er an einer Amputation noch gerade vorbeigekommen ist. „ Am 25.12. … habe ich zwar nicht den Weihnachtsbaum, wohl aber die sogenannte Gorki-Tanne bei den Russen brennen sehen. Bei den heftigen Abwehrkämpfen an der mittleren Ostfront bin ich den Russen in die Hände gefallen.“ Sie waren eingekreist worden. „Mit unmißverständlichen Gebärden des Halsabschneidens und ähnlicher netten Gesten wurde uns allen abgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Zum Glück kamen aber nachher, das beste Weihnachtsgeschenk, was uns zuteil werden konnte, unsere Sturmgeschütze, und davor rissen die Russen aus. In der Eile vergaßen sie Gott sei Dank, uns mitzunehmen. Da es aber so einige 40 ° waren, erfror ich mir sämtliche Knochen ziemlich stark.“

    Danke

    Thomas

  • Hi Thomas, Dieter uaa.,

    dieser Soldat hat sicher nicht selbst diesen Bezeichnung für Weihnachtsbaum "erfunden";
    nur ist diese Wortschöpfung bisher nirgendwo aufgetaucht und im Textausschnitt wird ja
    auch nur davon gesprochen, daß seit 1931 ein Weihnachts- bzw. Neujahrskarneval mit
    geschmückter Tanne gefeiert wurde.

    Auch auf unserer Lieblings-W-Seite taucht das unter --> Soldatensprache nicht auf
    (was sicher noch kommt :D ).

    Wie kommt einer auf solch' eine Bezeichnung - kann natürlich keiner beantworten,
    würde mich trotzdem interessieren =) .

    Sollten wir den Ausdruck in unsere Sammlung aufnehmen?

    Grüße, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo zusammen,

    berücksichtigt man, dass Gorki zur damaligen Zeit für viele Deutsche die "Armut" des Landes versinnbildlichte (sein Leben, seine Romane), so wird es sich dabei um einen Nadelbaum-Ersatz (Kiefer, o.ä. Baum), im schlimmsten Falle um eine "armselige" Nachbildung aus Draht oder Holz gehandelt haben.

    Theoretisch könnten mit dem Vorsatz "Gorki" viele Wortneuschöpfungen geschaffen worden sein,
    die es nicht in den Duden geschafft haben.

    Gruß
    Udo

  • Hi allseits,
    hi Udo,

    Dein Beitrag hat mich etwas länger nachdenken lassen.
    Frage mich, wieviele Deutsche kannten Gorki, die Verhältnisse,
    in denen er lebte, hatten seine Romane gelesen ... und zogen
    daraus o.a. Schlüsse.

    Der Briefschreiber scheint ein gebildeter Mann gewesen sein -
    über ihn könnte uns vll. Thomas mehr sagen?

    Katharina Kuchers Buch werde ich demnächst erhalten;
    mal sehen, was sich darin finden läßt.

    Grüße, Kordula


    Katharina Kucher
    Der Gorki-Park: Freizeitkultur im Stalinismus 1928-1941, Köln [u.a.] : Böhlau, 2007
    Beiträge zur Geschichte Osteuropas. - Köln : Böhlau, Bd. 42

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo,

    es ist doch durchaus auch denkbar, daß mit Gorki-Tanne gar kein festlich geschmückter Weihnachtsbaum gemeint ist, sondern irgendeine russische Waffe, die an die Form eines Baumes erinnert. Ich denke da spontan an die Stalinorgel, die ja nun mit einem Musikinstrument auch wenig gemein hatte und trotzdem diesen klangvollen Namen trug. - Ist zumindest eine Überlegung wert, oder?

    Gruß

    Diana

    Die Frau ist die einzige Beute, die ihrem Jäger auflauert (Ingelore Ebberfeld)

  • Hi Diana uaa.,

    das finde ich einen interessanten Gedanken - lenkt uns in eine völlig andere Richtung ...
    Mal sehen, vll. gibt es ja irgendwann einen weiteren Fund zu dieser ominösen Tanne.
    Hatte so viele Seiten durchforstet und so viele Tannenbäume - russische natürlich :D -
    beguckt, die Erläuterungen per Übersetzer versucht zu verstehen ...

    Immerhin hat's mich bewogen, mir noch einmal den 1983er Krimi Gorki-Park anzusehen;
    gab's vor ein paar Tagen - ist natürlich völlig OT, weil nichts zur Tanne ;( nur viel Park.

    Grüße, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo zusammen,

    ich möchte meine obige Aussage etwas präzisieren. Der Schlüssel liegt hier wohl in Gorkis autobiographischen Roman "Meine Kindheit",
    welcher auf brutal sentimentale Art das ärmliche Weihnachtsfest seiner frühen Kindheit beschreibt (Todesfälle, Schläge, Betteln).
    In Russland mit einem Stellenwert, wie bei uns nur die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens.

    Der Briefschreiber scheint ein gebildeter Mann gewesen sein - über ihn könnte uns vll. Thomas mehr sagen?


    Das Werk von 1913 lag ab 1918 regelmäßig in deutscher Fassung vor, dürfte also einem großen Kreis von intellektuellen Offizieren
    bekannt gewesen sein. Damit liegst Du wohl richtig, Kordula.
    Wem auch immer der Brief galt, wird ebenfalls das Buch gelesen haben und sich an den im Roman beschriebenen Weihnachtsbaum / -schmuck erinnern.
    Ob es jetzt die ärmliche oder eigentümlich russische Dekoration war (buntes Papier) ist nebensächlich.

    Wer liest denn jetzt dieses Buch für uns, damit wir uns den Baum bildlich vorstellen können ? :)


    @Diana

    ...sondern irgendeine russische Waffe, die an die Form eines Baumes erinnert.


    Schreckliche Waffen werden wohl in jedem Land nach Ihren aktuellen Diktatoren benannt ("Hitlersäge" == Maschinengewehr 42),
    aber welche Waffe sollte denn den Namen eines proletarischen Weltenbummlers erhalten ?


    Gruß
    Udo

  • Hi Udo,

    nicht Thomas, sondern Diana hat von einer russ. Waffe, die an die Form eines Baumes erinnert,
    geschrieben; könntest das ja noch ändern ;) .
    Gorkis autobiograph. Romane sind in einer meiner Lieblingsbibliotheken im Verleih; sollte vll. alle
    drei anlesen - vll. kommt er ja auch an anderen Stellen auf Tannenbäume zu sprechen.

    Grüße, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo Kordula,
    weit weg der Klärung der Gorki Tanne .
    Vielleicht kennst Du den Kriegsfilm "Hunde, wollt Ihr Ewig leben".
    Im letzten Drittel des Films gibt es eine Weihnachsandacht für die Soldaten in Stalingrad. Der Weihnachtsbaum ist nachgebildet durch ein Lattengerüst mit Lichterkerzen.
    Beste Grüße
    Manfred

    Edited 3 times, last by gwdsoldat (June 13, 2014 at 6:42 PM).

  • Hallo,
    Ich kenne den Begriff Weihnachtsbäume oder Christbäume im Zusammenhang mit Leucht(spur)munition.
    Das gleißend helle Licht, das vom Himmel herab sank, wurde durch Beimengung von Magnesium erzeugt,
    beleuchtete aber Feind und Freund gleichermassen.
    Vielleicht ist mit Gorki-Tanne etwas derartiges gemeint.
    Gruß Christa

  • Hallo Christa,

    ich kenne den Begriff Weihnachtsbäume oder Christbäume

    Diese Begriffe stehen für die von den sog. "Pfadfindern gesetzten" Leuchtzeichen zur Einweisung und Markierung der Ziele für die alliierten Bomberverbände.

    "Pfadfinder" waren besonders ausgebildete Navigationspiloten zur Zielfindung und Zielerkennung mit anschließendem Abwurf der Leuchtzeichen/Christbäume.

    Gruß Karl

  • Hallo,

    Quote


    Am 25.12. … habe ich zwar nicht den Weihnachtsbaum, wohl aber die sogenannte Gorki-Tanne bei den Russen brennen sehen.

    aus dem Datum ergibt sich, daß wohl keine Variante eines Weihnachtsbaum gemeint ist, denn das orthodoxe Weihnachtsfest ist erst Anfang Januar.

    Grüße

    Thilo

    Suche alles zur Lehrtruppe Fallingbostel und zum Einsatz des NSKK in der Ukraine 1941