Allgemeines zum Winterkrieg

  • Guten Morgen,

    ich habe mich nochmal näher mit den Gefechten vom Regiment DF im Januar/Februar 1942 am Wolgaknie befasst.
    Im Januar hatten die Grenadiere der Waffen-SS in ihrer Stellungen im hartgefrorenen Boden zwischen den Dörfern Klepenino - Jachino mit Minen, Bohrkernen, etc. Löcher gesprengt, die sie dann zu Schützenlöchern ausgebaut hatten.

    Meine allgemeine Frage ist:
    Bei kolportierten Temperaturen von -40°C/-52°C/-54°C ist da ein Überleben in den Schützenlöchern überhaupt möglich?
    Ich denke mal, dass diese Tiefstwerte nachts gemessen wurden.
    Kann ein Soldat diese Temperaturen in einem Erdloch nachts durchstehen? Auch mit Winterkleidung, gefütterten Stiefeln, viel heißem Tee bzw. Kaffee scheint mir das schwer vorstellbar.

    Es heißt bei Carell immer wieder: nur eine Holzhütte, eine Bauernkate konnte das Überleben der Soldaten - vor allem nachts - sichern. Deswegen wurde darum ja auf beiden Seiten so erbittert gekämpft: um einen Bauernofen, einen Kamin, denn der Aufenthalt im Freien hätte den Tod bedeutet.

    Also nachts irgendwo in einer Hütte ausharren und dann morgens raus in die Stellungen?
    Mussten die Alarmposten nachts draußen liegen oder wie war das geregelt?

    Gruss,
    Bodo

    Edited once, last by Bodo123 (December 7, 2012 at 7:23 AM).

  • Hallo Frank,

    stimmt. In einer Schneehöhle oder einem Iglu lassen sich diese mörderischen Temperaturen vielleicht überleben.
    Uns "Zivilisationsmenschen" sind ja schon -15°C tagsüber mit allen Annehmlichkeiten des 21. Jhrdts. zu viel.

    Obwohl ich denke, dass so etwas ganz stark von der Kondition und der Physis der jeweiligen Person abhängt.
    Für einen völlig erschöpften Menschen, dauernd unterkühlt, seit Tagen nicht geschlafen, möglicherweise auch noch verletzt, können vielleicht schon -5°C tödlich sein.

    Damals bei einer freilaufenden Übung im kalten Herzen Schleswig-Hostein (irgendwann im Februar), Heizung im Schützenpanzer Marder kaputt, habe ich mich geweigert, draußen im Knick Alarmposten zu sein.
    Und da war es vielleicht höchstens -10°C kalt.

    Diese kolportierten -54°C, welche immer so im Raum stehen.
    Ich habe noch nie eine Quelle gefunden, wo dies spezifiziert wird: Herresgruppe Nord, Mitte, Süd, zu welcher Tageszeit gemessen (tags/nachts), vielleicht in einer eisigen Talsenke oder auf einer Schneeverwehung?
    Im Wald, auf freier Pläne. So weit ich weiß, sind solche Temperaturen auch stark vom Relief der jeweiligen Landschaft abhängig.
    Die -54°C von 1941/42 wurden danach im europäischen Teil von Russland meines Wissens auch nicht mehr erreicht.
    Es gab mal eine Studie, dass diese außergewöhnlichen Tieftemperaturen, wie sie normalerweise nur ganz weit im Osten, in der sibirischen Taiga erreicht werden, ihre Ursache in den Kriegsfolgen hatten.
    Das Wetter beeinflusst durch den Seekrieg, etc.
    Aber so ganz plausibel war das für mich nicht.


    Gruss,
    Bodo

    Edited once, last by Bodo123 (December 7, 2012 at 10:17 AM).

  • Hallo,

    Das wir Mitteleuropäer von "heute" mit solchen Klimaverhältnissen nicht mehr so gut zurechtkommen würden glaube ich auch. Ich habe vor kurzen zwei Bücher über den Feldzug Napoleons von 1812 gelesen. Da war es ja ähnlich kalt wie 1941/42. Und ich weiß das ich nicht zurückgekommen wäre, obwohl ich nicht so leicht friere.

    MfG

    Frank

    Edit:R.F.

    Edited once, last by F.B. (December 7, 2012 at 10:33 AM).

  • Hallo,

    siehe auch hier:

    https://www.forum-der-wehrmacht.de/thread.php?thr…ght=winterkampf

    Man muss aber hinzufügen, dass man in Rußland die Kälte nicht so spürt wie bei uns, da es sich um eine trockene Kälte handelt (Durch eigene Erfahrung bestätigt/ heute wird das in der Textilbranche und im Outdoor Bereich mit " gefühlter Kälte" bezeichnet).

    Gruß Karl

    Edited once, last by Karl Grohmann (December 7, 2012 at 11:47 AM).

  • Hallo Bodo,

    "Wenn keine geheizten Unterkünfte gefunden werden konnte, durften die Soldaten nicht mehr schlafen, weil jeder jeden auf beginnende Erfrierungen zu beobachten hatte."

    Quelle:
    XXXXVII Pz.K. Abt. I a, Anlage Nr. 683 zum KTB Nr.3, vom 7.12.41.

    D.U.: Da galt es besonders auf weiße Stellen an Nasenspitzen, Wangen, Backenknochen, Ohren, Fingerspitzen und wenn möglich Zehen zu achten.

    Gruß Karl

    Edit: Sachbezogene Korrekturen.

    Edited 2 times, last by Karl Grohmann (December 7, 2012 at 8:06 PM).

  • Guten Abend !

    Mein Großonkel (Landser der berühmten 78. Sturmdivision) erzählte mir des öfteren, dass die Kälte in Russland eine andere, trockenere Kälte gewesen ist.
    Diese sei auch besser zu ertragen gewesen, als die hier bei uns.

    Das er etwas von Unterständen erzählt hat, kann ich mich nicht mehr erinnern.
    Aber von den nächtlichen Angriffen der russischen Infanterie, welche dann all zu oft mit viel zu geringer "Men-Power" zurück geworfen wurden.

    Rheinmetall

    "Die Sehnsucht nach der Heimat wächst mit dem Quadrat der Entfernung."
    (In Memorie of Jürgen Oesten † 05.08.2010)

  • Guten Morgen,

    vielen Dank für die Materialien.
    Also das erklärt, dass Regiment DF oben am Wolgaknie auch nachts unter bestimmten Vorkehrungen in winterfest gemachten Feldstellungen ausharren konnte. Vielleicht nicht die ganze Zeit aber uner bestimmten Maßnahmen ist es möglich.

    Möglicherweise hatte das Heer ja schon aus der schlimmen Erfahrung im Dezember 1941 gelernt und im Januar 42 war dann für die meisten wohl auch schon Winterausrüstung da.

    Gruss,
    Bodo

  • Hallo Bodo,

    hier ein Beispiel von der 4. SS - Polizei - Panzer - Grenadier - Division:

    " ....Die in der Meldung ( diese liegt mir nicht vor) erwähnten schwierigen Wetterverhältnisse bedeuteten Kälte von mehr als 50 Grad MINUS, brusthohen Schnee im Winter und unerträglich Hitze mit Myraden von Mücken und Stechfliegen, die ein gefährliches Fieber übertrugen, im Sommer."

    Quelle:
    Husemann, Friedrich "Die guten Glaubens waren" S. 151, Kapitel XII Die Wolchowschlacht 13.1. bis 27.6 1942."

    Edit: Nachtrag:

    Das vom Generalstab des Heeres mit Datum vom 15.Mai 1941 herausgegebene Textheft:
    "Militärgeographische Angaben über das europäische Russland"
    führt unter dem Absatz Klima folgende Temperaturen für die Winterzeit an:

    "...die niedrigsten Temperaturen liegen im Mittel bei - 30 Grad, jedoch sind auch schon solche von - 40 Grad und weniger beobachtet worden ( Die meinten sicher gemessen worden D.U.)

    Gruß Karl

    Edited once, last by Karl Grohmann (December 8, 2012 at 1:38 PM).

  • Hallo Karl,
    bei dem von Dir aufgeführtem Beispiel,der 4.SS-Polizei-Division,

    ,,unerträgliche Hitze mit Myriaden von Mücken und Stechfliegen,die ein gefährliches Fieber übertrugen''
    könnte es sich um das ,,Wolhynische Fieber'' handeln der Verlauf ist so wie bei Malaria!

    mfg Eumex

  • Liebe Forumsteilnehmer,

    ich zitiere hier mal WIKIPEDIA (http://de.wikipedia.org/wiki/Moskau) (121208) zum Wetter:

    "Im Winter beträgt die Temperatur in Moskau meist -4 bis -10 Grad Celsius, manchmal werden aber auch Temperaturen unter -20 Grad Celsius gemessen. Recht oft herrscht aber auch Tauwetter. Die Winde sind mäßig, die Luft ist trocken. Der Windchill-Faktor ist deshalb relativ niedrig. Stärkere Fröste sind also verhältnismäßig leicht zu ertragen. Im Sommer beträgt die durchschnittliche Temperatur zwischen 17 und 19 Grad."

    Und ich denke diese Temperaturen dürften sich mehr oder weniger für alle Regionen westlich von Moskau bestätigen lassen.

    Zum trockenen Frost: das sind gefühlte Temperaturen, aber gemessene 20Grad C minus sind 20Grad minus und die Füsse werden entsprechend kalt. Im Gegenteil die nicht gefühlte Kälte ist weit gefährlicher, weil Erfrierungen erst wahrgenommen werden, wenn es zu spät ist.

    Meine BW Winterkampf-Ausbildung in den späten 1960iger Jahren im Harz bei Temepraturen zwischen 0 und - 8 Grad gab mir über 4 Tage die Erfahrung, dass es aushaltbar ist. Aber bestimmte Tricks und Vorsichtsmaßnahmen sollte man beherzigen. Z.B. Stiefel ausziehen, aber unbedingt mit in den Schlafsack, sonst sind die am Morgen steif gefroren.

    Kurz und gut, es gibt und gab in Rußland mit Sicherheit Perioden großer Kälte, aber nicht durchgängig über 4 - 6 Monate Temperaturen von -30Grad und mehr und schon garnicht -40 und -50Grad. Somit sind die Aussagen der Landser "wie bei 40Grad unter Tannenbaum geschlafen" mit Vorsicht zu genießen.

    Euer Paul


    G-W-G'

    Edited once, last by Paul Spohn (December 8, 2012 at 6:59 PM).

  • Hallo zusammen!

    In Karls zitiertem Buch (SS Polizeidivision)ist ja auch nicht immer dir Rede von -50 Grad, an anderen Tagen waren es z.B. "nur" -20 Grad .-50 Grad war aber
    wohl die tiefste gemessene Temperatur..

    Gruß Robert

  • Quote

    Original von Paul Spohn
    Meine BW Winterkampf-Ausbildung in den späten 1960iger Jahren im Harz bei Temepraturen zwischen 0 und - 8 Grad gab mir über 4 Tage die Erfahrung, dass es aushaltbar ist. Aber bestimmte Tricks und Vorsichtsmaßnahmen sollte man beherzigen. Z.B. Stiefel ausziehen, aber unbedingt mit in den Schlafsack, sonst sind die am Morgen steif gefroren.

    Kurz und gut, es gibt und gab in Rußland mit Sicherheit Perioden großer Kälte, aber nicht durchgängig über 4 - 6 Monate Temperaturen von -30Grad und mehr und schon garnicht -40 und -50Grad. Somit sind die Aussagen der Landser "wie bei 40Grad unter Tannenbaum geschlafen" mit Vorsicht zu genießen.


    Hallo,
    Winterbiwak in Baumhütten im Januar 1968 bei um die -20 Grad. Selten so gefroren wie da, Klamotten im Schlafsack gefroren. So lange man nicht nass wird, ist Zeitungspapier ein gutes Isolationsmaterial. Allerdings wenn die Feuerwache wegen reichlich Rum mit Tee einschlief, dann wurde es wirklich ungemütlich.
    Was Winter angeht, so gibt es immer wieder Ausraster. Der Winter 1941/41 war ein sehr strenger Winter, auch in Mitteleuropa.
    Gruss
    Rainer
    P.S.: Eigentlich nur drei Tage Winterbiwak, aber da die Brigade die Kantine zerlegt hatte wurde das Biwak auf fünf Tage verlängert.8o

    Suum cuique

  • Hallo Paul,

    das kannst Du nun glauben oder nicht, ich habe im Gebirge mit Zelt schon bei 23 Grad minus biwakiert. Das geht also. Natürlich ist heute die Ausrüstung besser, außerdem bin ich jede Stunde aufgestanden und habe Tee aus der Thermoskanne getrunken und so alle 2 Stunden Tee gekocht. Man braucht Spezialgas, z. B. Hush, da Propan/Butan kristallin wird, die blauen Gasflaschen sind sowieso dafür unbrauchbar.
    Dies als Rückblick aus der heutigen Zeit, um die Glaubhaftigkeit der Aussage zu untermauern.
    Übrigens habe ich ca. 100 km hinter Moskau, also östlich, locker 28 Grad minus erlebt, weiter Richtung Osten noch mehr ( Dezember/Januar).
    Früher war man mehr Kälte gewohnt. Ich hatte als Kind in meinem Schlafzimmer Eisblumen innen am Fenster und da war ich sicher nicht der Einzige, das war eher normal.

    Die Aussage mit 50 Grad minus wird auch dadurch untermauert, dass ich einen Kriegsteilnehmer dieser Division, der zu diesem Zeitpunkt dort war, sehr gut kannte. Diese Mann war glaubhaft und ein Ehrenmann durch und durch, ( so habe zumindest ich ihn kennengelernt und ich kenne seine diesbezügl. Papiere einschl. Entnazifizierung) der eben, weil er bei der Polizei war, mit dem ganzen Zug der damal. Bereitschaftspolizei zusammen zur 4. SS - Polizei - Panzer - Grenadier - Division kam und der hätte es nicht nötig gehabt mich anzulügen. Speziell mich sowieso nicht!

    Ich zitiere nochmals aus diesem bereits genannten Buch, jetzt a.a.O.:
    ....Da die herausgezogenen Bataillone im neuen Einsatzraum ( hier allerdings keine spezielle keine Temperaturangabe) im Freien übernachten müssen, werden sie bevorzugt mit Winterkleidung ausgestattet, so dass jeder im Kampf eingesetzte Soldat mit einem Paar Filzstiefel, einer Pelzhose, einer pelzgefütterten Windjacke sowie Schneehemd bekleidet ist. Außerdem erhielten die Einheiten Finnenzelte ( die haben Sperrholzböden und im unteren Bereich SperrholzwändeD.U.) und je 10 Mann einen OT - Ofen ( Auch Grabnofen genannt, klein, leicht und gut transportabel)..........pro Mann 2 Tafeln Schokolade sowie je 2 Mann eine Flasche Spirituosen......" ( S. 164)

    Hinzufügen möchte ich, das die vielen Amputationen durch Erfrierungen hier noch nicht mal genannt sind. Das wäre ein Thema für sich, das "Bände spricht", wie man so schreibt/sagt.
    Paul, falls du ganz spezielle Fragen hierzu hast, bitte per PN.

    Hallo Eumex,

    das mit dem Wolhynischen Fieber könnte stimmen. Danke!

    Edit: Ein Brief dazu ( keine Temperaturangabe, aber sehr anschaulich. Welcher Soldat hatte damals ein Thermometer? Heute als Anhänger am Anorack möglich):

    http://www.dhm.de/lemo/forum/kol…/307/index.html

    Und noch etwas:

    [http://www.reservisten-ratingen.de/militaerhistorie/gustav.htm

    Gruß Karl

    Ich hoffe, dass meine Nachträge kein Problem sind ( Link hat nicht funktioniert).

    Edited 4 times, last by Karl Grohmann (December 8, 2012 at 9:27 PM).

  • Guten Morgen,

    also können wir festhalten: der Winter 1941/42 bis Ende Februar 1942 war ein "Jahrtausendwinter", so dass die normalerweise in Zentralrussland Tiefsttemperaturen von -20°C noch deutlich unterschritten wurden. Mit "Ausreißern" von bis zu -54°C als absolute Rekordtemperatur - allerdings ohne Angabe wann und wo gemessen.
    Ist das so korrekt dargestellt?

    Bei Carell liest man, dass sowjetische Schützen-Bataillone gezielt auf das Aushalten von Tieftemperaturen im Wald und auf freier Pläne trainiert und abgehärtet wurden.
    Nicht nur die Sibirier, die ja eh schon aus einem weitaus extremeren Klimagebiet kamen, sondern alle anderen auch, die ab Dezember 41 an der Gegenoffensive teilnahmen.

    Gruss,
    Bodo

    Edited once, last by Bodo123 (December 9, 2012 at 6:51 AM).

  • Guten Morgen Bodo,

    die russischen Soldaten und die Militärs allgemein hatten die praktischen und theoretischen Erfahrungen für den Winterkampf insbesondere im Russ. - finnischen Winterkrieg 1939 - 1940 gesammelt und dementsprechend umgesetzt, nachdem diese dort eine" Jämmerliche Leistung * " gezeigt hatten.
    Außerdem waren die russ. Soldaten die winterlichen Verhältnisse gewöhnt und konnten sich somit auch besser anpassen.
    Es war meist so, dass der Winterkampf den Sowjets - und der Sommerkampf den dt. Truppen zu Gute kam. Man muss bedenken, dass die russ. Soldaten von Haus aus in ganz anderen, weniger "luxuriösen" ( für damalige Verhältnisse) Umständen aufwuchsen.

    *Quelle: " Chruschtschow erinnert sich"

    Eine strategische Studie aus dem Ende der 50 er, Anfang 60 er Jahre mit dem Vergleich Warschauer Pakt Truppen und Nato Truppen erbrachte damals, also viele Jahre später auch das Ergebnis, dass es im Kriegsfalle für die Nato - Truppen im Winter sehr schwer werden würde.

    Gruß Karl

    Edit: Rechtschreibung

    Edited 2 times, last by Karl Grohmann (December 9, 2012 at 12:04 PM).

  • Hallo Zusammen,

    @ Bodo... mich würde interessieren wann und vor allem "wo" die denn das gezielte Aushalten von Tiefsttemparaturen gübt haben sollen / wollen... Mal die Leute ne Woche lang in die Kälte zu jagen ist nicht gleichzusetzen mit einem gezielten Kältetraining. Heutige Navyseals trainieren über Jahre, hierzu zählt auch das Kältetraining (Eiswassertraining usw...).
    Hat jemand zu diesem speziellen Wintertraining ein Info, die Carells Aussagen belegen?

    Grüße Taiko

  • Grüß Gott miteinander,

    als ich im November 1983 in Moskau war, lag die normale Tagestemperatur aber ganz sicher so um die -20°. Ich habe damals die soeben vermählten Frauen bewundert, die sich bei dieser eisigen Kälte im tief ausgeschnittenen Hochzeitskleid vor dem Lenindenkmal in einem Park in der Nähe des Roten Platzes fotografieren ließen und mir ist gut in Erinnerung, daß die Wachsoldaten vor dem Lenin-Mausoleum von einem Offizier mit heruntergeschlagenem Mantelkragen hingeführt wurden, den abzulösenden Soldaten der Kragen heruntergeklappt und der postierten Ablösung dann der Kragen hochgeschlagen wurde.
    Die Kälte war keineswegs leicht zu ertragen, weil ein leiser, aber stetiger Wind wehte und der Himmel die ganze Zeit bedeckt war.

    Genau das ist es aber, was auch meinen im Hochgebirge gemachten Erfahrungen nach für die Erträglichkeit von Kälte ausschlaggebend ist. Ebenfalls -20°, aber Windstille und Sonnenschein auf dem Zugspitzplatt beeinträchtigen kaum, weil die Sonneneinstrahlung den Körper durchwärmt und ihm keine Wärme durch den Wind entzogen wird.
    Dieser Wind-chill-Effekt - etwas unglücklich eingedeutscht mit "gefühlte Temperatur" - ist es, der dem Körper wirklich zusetzt. Ich habe im Hochgebirge mit völlig durchnässten Kleidern gefroren wie ein Schneider - bis nachts die Oberfläche der Kleider überfroren und damit winddicht war.

    Völlig richtig reagiert der Körper nicht auf absolute Temperaturen, sondern auf den Wärmeentzug, deshalb halte ich Wind-Chill (Auskühlung durch Wind) für treffender. Ich gehe davon aus, daß dieser Eishauch, den ich in Moskau erlebt habe, im Winter auch in den Kampfgebieten der Wehrmacht ein Normalzustand war. Dann konnte aus gemessenen -20° leicht ein Auskühlungseffekt wie bei -30° und kälter entstehen.

    Ein weiterer Umstand dürfte den Soldaten vor allem im Winter 1941/42 schwer zu schaffen gemacht haben: Der Körper arbeitet dem Auskühlungseffekt entgegen und braucht dafür natürlich Energie: Nahrung. Es ist also nicht der Ernährungszustand allein, sondern die laufende Zufuhr von Energie (Nahrung), auf die es ankommt.

    Und schließlich kann ich ebenfalls aus eigener Erfahrung sagen, daß Kälte auf die Dauer apathisch macht und sogar den Überlebenswillen lähmt.

    Ich halte es daher nicht für so entscheidend, wann welche Absoluttemperaturen gemessen wurden und ob sie der Wahrheit nahe kommen. An den erheblichen Ausfällen durch Auskühlung und Erfrierungen kommt niemand vorbei, also war es jedenfalls dafür kalt genug und man sollte allen, die das mitgemacht und überlebt haben, zugestehen, daß sie die wirklich gemessenen Temperaturen vielleicht doch nicht immer so genau kannten.

    Gruß

    Wolfgang

  • Servus,

    also die genaue Stelle/Seite in Carells "Unternehmen Barbarossa" weiß ich jetzt nicht. Ich meine, es stand irgendwo im Kapitel zur Winterschlacht von Rschew - Model kommt.
    Vielleicht wurden die sowejtischen Einheiten, die noch nicht zum Einsatz gekommen waren, gezielt noch mal auf den winterlichen Waldkampf trainiert und abgehärtet.

    Klar ist, dass die Menschen damals in den 40er Jahren, zumindest die Landbevölkerung weitaus robuster waren, was Kältetoleranz anging.
    Und in der UdSSR natürlich noch umso mehr.
    Heizung nur über Holzofen (es heißt doch, dass die russischen Bauern mit der ganzen Familie auch auf dem Ofen schliefen) aber egal was, Wasser holen, Holz holen sie mussten immer wieder raus in die Kälte.

    Es ist eine Sache in der verschneiten Winterlandschaft zu leben und eine ganz andere, in der Eiswüste zu kämpfen: nächtlicher Alarmposten, Spähtrupp laufen, etc.
    Respekt auch vor den Scharfschützen (auf dt. Seite gab es im Winter 1941/42 wohl noch keine), die stundenlang unbeweglich auf einer Position lauerten.

    Interessant auch, was Wolfgang sagte, dass Dauerkälte apathisch macht. So mussten die Zugführer des Regimentes DF wohl jeden Morgen erstmal schauen, ob ihre Alarmposten noch am Leben waren oder schon zu Eis gefroren.

    Ich würde gerne mehr erfahren, was DF am Wolgaknie bei Ssolomino-Klepenino im Januar/Februar 1942 erlebt hatte aber die Berichte sind sehr dürftig.

    Gruss,
    Bodo

    Edited once, last by Bodo123 (December 9, 2012 at 2:43 PM).