Schweizer Ärztemission ab Okt. 1941 - 1943 Smolensk, Wjasma, Kaluga (Schweizer Rotes Kreuz)

  • Hallo,

    in einer Ausgabe der Schweizerischen Militärzeitschrift aus dem Jahre 1944 war ein sehr interessanter und die damalige Lage sehr deutlich und drastisch tagebuchartig festgehaltener und beschreibender Bericht eines schweizerischen Mediziners des SRK, der offensichtlich mit anderen schweizerischen Ärzten und Sanitätsdiensten 1942/43 in deutschen Diensten oder zumindest unmittelbar im Raum Stalingrad und an anderen Orten tätig war.

    http://retro.seals.ch/digbib/view?ri…1199&id=hitlist

    Ein Bericht, der nicht nur das Leiden der Soldaten unter den verschiedenen Verletzungen offenlegt, sondern auch die Stimmungslage im Hinterland beschreibt.

    Eine eindrucksvolle Kriegsstudie für alle Interessierten, nicht nur in militärärztlicher Hinsicht. In letzterer bleiben wohl kaum "Wünsche" offen, wird alles klar benannt und was zum Thema Therapie/Tod /Zufall/usw zu benennen ist. Für Laien evtl. schockierend, für Profis eher lehrreich.

    Fazit, der Mensch kann zwar eine Menge ab, stirbt aber oftmals an absurden völlig unberechenbaren Aspekten, an Mangelwirtschaft oder an Unaufmerksamkeit, siehe den o. g. Berichten. Sehr interessant, in jeder Hinsicht!

    Haben Schweizer Ärzte oder Militärärzte bzw. das Schweizer RK offiziell im größeren Rahmen diese deutscherseits wertvolle und hochwillkommene Unterstützungsarbeit geleistet? Oder inoffiziell?

    Waren also tatsächlich im größeren Umfang schweizerische Ärzte, Schwestern und Gehilfen bei der Rettung deutscher Verwundeter an der Front und überhaupt im Dienste deutscher WH-Einrichtungen tätig oder ist dies das Tagebuch eine Einzelgängers und seinen enstsprechenden Eindrücken?

    Edited 2 times, last by Hoth (September 29, 2012 at 3:40 AM).

  • Quote

    Original von Hoth
    Haben Schweizer Ärzte oder Militärärzte bzw. das Schweizer RK offiziell im größeren Rahmen diese deutscherseits wertvolle und hochwillkommene Unterstützungsarbeit geleistet? Oder inoffiziell?

    Waren also tatsächlich im größeren Umfang schweizerische Ärzte, Schwestern und Gehilfen bei der Rettung deutscher Verwundeter an der Front und überhaupt im Dienste deutscher WH-Einrichtungen tätig oder ist dies das Tagebuch eine Einzelgängers und seinen enstsprechenden Eindrücken?


    Hi Bernd uaa.,

    denke, daß beide Fragen mit Ja zu beantworten sind, also
    (1) eine offizielle Mission,
    (2) s. weiter unten.

    Hier ein Zitat von Jörg/Der Sanitäter im Thema Armee Lazarett in Basel?:

    Quote

    Original von Der Sanitäter
    die Schweiz war so neutral dass vom 15.10.1941 bis 29.01.1942 eine Ärztemission die deutschen Truppen in Smolensk, Wjasma und Kaluga unterstützten. Dabei waren 31 Ärzte und 30 Krankenschwestern. Die Mission unterstand der deutschen Wehrmacht.
    Der Grund dürfte wie auch in Basel die Erfahrung bei der Behandlung von Kriegsverletzungen gewesen sein. Die Schweiz hatte da ja keine Erfahrung.

    Quelle: Deutscher Sanitätsdienst 1921-1945 Band 2

    Zu den Schweizer Ärztemissionen hat der Berliner Verlag Frank Wünsche mehrere Bände
    herausgegeben; alle basierend auf Erinnerungen von Teilnehmern; die Reihe ist übertitelt
    mit: Im Dienste des Roten Kreuzes klick; umfangreiche Leseproben sind dort angeboten.

    Aus Band 2 gibt es hier im Forum Auszüge zu lesen: Korück 551 und Juchnow 1941-42.

    In "Die Kriegschirurgie von 1939-1945 ..., Behrendt, Freiburg 2003 (klick) finden sich
    Ausführungen zur Schweizer Ärztemission (S. 179-); es wird die von allen Teilnehmern
    vor Antritt zu unterzeichnende Schweigeverpflichtung zitiert (S.181), ebenso das Verbot,
    Lazarette mit russischen Gefangenen zu betreten bzw. russ. KG oder die Zivilbevölkerung
    zu behandeln (S.182). Und dies noch zu den geheimen Vereinbarungen zwischen
    OKH und den zuständigen Schweizer Institutionen
    :

    Quote

    Auf diese Weise unterstanden die Teilnehmer der Ärztemission nicht mehr der
    schweizerischen Gerichtsbarkeit, sondern dem deutschen Militärstrafgesetz und
    der deutschen Kriegsstrafverfahrensordnung.[483] Diese Tatsache war den Teil-
    nehmern der Ärztemission nicht bekannt, da sie nichts von der geheimen Verein-
    barung wußten.[484]

    FN bitte dort nachlesen; Quellen/Dokumente sind benannt.


    Grüße, Kordula

    Edit: Hinweise zur Diss. ergänzt.

    Links in blau sichtbar gemacht; kkn

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Danke Kordula,

    den Thread kannte ich nicht und auch die Thematik Schweizer Ärztemissionen war mir bislang unbekannt.

    Ok, dann war das also keine fiktive oder nacherzählte Geschichte, sondern eine sehr interessante reale Zeitstudie eines Augenzeugen. Danke für die Info!

  • Hi Bernd,

    freut mich =) ; ist ein spannendes Thema nicht nur allgemein, sondern v.a. auch
    aus ganz persönlichen Gründen; mein Vater (Mediziner) war, wenn auch früher -
    wie lange, weiß ich nicht -, ebenfalls in Smolensk ... ist aber ein neues Thema.

    Dank geht übrigens zurück an Dich; wie bist Du auf diese Seiten gestoßen?
    sie sind ja wirklich gerade erst online gestellt worden.

    -----------------------
    Die Berichte zur Ärztemission (S.1 ff.) lassen sich mit Hilfe des abrufbaren
    Inhaltsverzeichnisses (Inhalt Sonderhefte I-III) per Seitenangabe so gezielt
    anspringen/lesen, z.B.

    ° Kälteschäden im Kriege S.67
    ° Kriegserfahrungen über bazilläre Ruhr S.151
    ° Moderne Kriegsseuchen S.317
    ° Der Kriegschädelverletzte S. 609

    oder auch die allgemeinen Berichte (ebd.).
    Dann ist der jeweilige Text sogar downloadbar*.

    -----------------------
    Habe die Überschrift angepaßt; Thema findet so vll. größeres Interesse =) .

    Grüße, Kordula


    * Was für ein Wort, wenn man das Deutsche liebt
    und keine Entsprechung kennt - DE-mixture *g*.

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo Kordula,

    sehr schön, daß man in der Schweizer MZ auch so gezielt suchen kann. Vor allem auch das Vorwort in den von Dir geposteten Links beschreibt ja noch einmal sehr interessant Hintergründe, Ziele etc. dieser Missionen! Vielen Dank, das fehlt bei meinem Artikel ja.

    Ich bin über den Artikel gestolpert, als ich mir vor kurzem einige Stalingradbeiträge und allg. ein paar Ostfrontartikel in der Zeitschrift angesehen hatte und er kam dann allg. als Beitrag namens "Drei Monate an der Ostfront : Tagebuch November 1942 bis Februar 1943" hoch.

    http://retro.seals.ch/digbib/view?ri…1199&id=hitlist

    Auf der Seite ist dann auch noch dieser Artikel zu finden und dahinter dann wahrscheinlich noch mehrere Einzelberichte, die dann wohl in Deinem Link zu den Sonderheften zusammengefasst sind:

    "P. Lazarettort einer Gruppe der schweiz. Aerztekommission"

    http://retro.seals.ch/digbib/view?ri…44:90=110::1196

    Aber hast Du sicher schon gesehen und diese sind dann auch downloadbar, wie Du ja schon richtig bemerkt hast.

    Also kann man sich wohl offensichtlich sehr umfangreich zum Thema informieren.

    Edited once, last by Hoth (October 2, 2012 at 11:59 AM).

  • Hi Bernd,
    und ein Guten Tag an die stillen Mitleser :D ,

    auf o.a. Seiten finden sich noch sehr viel mehr hoch interessante Beiträge
    zu unseren Interessengebieten; drauf gekommen bin ich über die Suche
    nach Jahreszahlen, z.B. 1944 ...; da gibt es noch so einiges zu entdecken.

    Dank des Hinweises eines geschätzten Forumsmitgliedes - vielen Dank =) -
    hier der Link zu einer 2003 entstandenen Dokumentation: Mission en enfer;
    hier der Film auf DVD: Mission Ostfront.

    Quote

    Der Regisseur Frédéric Gonseth über seinen Film

    Zweihundertfünfzig Schweizer Bürger waren Zeugen der Verbrechen der Wehrmacht an der Ostfront. Und zwar nicht irgendwelche Zeugen, sondern alles qualifizierte Beobachter, Mitglieder des medizinischen Personals, die mit einer Sanitätsdelegation zwischen 1942 und 1943 an die Ostfront gesandt wurden.

    Diese Erinnerungen sechzig Jahre später wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen ist schmerzvoll. Aber, zum ersten Mal sind mehrere Ärzte und Krankenschwestern der vier Sanitätsdelegationen gewillt, darüber zu sprechen. Sie erzählen uns von ihrem Einsatz, dem Idealismus ihrer Jugend, den erstaunlichen Begegnungen, aber auch von ihrer Bestürzung, ihrer Machtlosigkeit, den schmerzlichen Erinnerungen, den Schreckensbildern wovon einige sie ihr Leben lang quälen werden und eine bittere Wahrheit hinterlassen. Denn sie wurden zweimal betrogen. Ein erstes Mal glaubten sie, unter dem Zeichen des Roten Kreuzes zu handeln, in Wirklichkeit waren sie in der Wehrmacht integriert und es war verboten, sowjetische Verwundete zu pflegen. Ein zweites Mal bei ihrer Heimkehr, als die Verantwortlichen des Roten Kreuzes sie zum Schweigen zwangen, mußten sie sich der Zweideutigkeit der Regierung unterstellen ohne sich gegenüber der Öffentlichkeit und der Geschichtsschreibung rechtfertigen zu können, die diese Missionen bald nur noch als "Zusammenarbeit" mit den Nazis bezeichneten.

    Was wir als fundamentales Interesse sehen, von internationaler Bedeutung, ist in diesen persönlichen Erzählungen die Tatsache, dass Menschen ohne jegliche Absicht und eigene Intervention dazu gebracht wurden, selbst die Shoah und die weit unbekannten Aspekte des zweiten Weltkrieges zu entdecken, vor allem was den Völkermord der sowjetischen Gefangenen anbetraf. Im Herzen des Filmes befinden sich diese Zeugenaussagen, die mit wachsender Klarheit Bilder einer schrecklichen und manchmal fast unerträglichen Wahrheit darstellen.

    [Zit. aus dem ersten Link]


    --------------------------------------

    Neben einem eher persönlichen Interesse (s.o.) gab/gibt es da noch
    diese andere Frage:

    wie hat sich die Schweiz (und auch Schweden)
    ° ihre Neutralität erhalten können?
    ° wie neutral war sie wirklich?
    ° gab es Bestrebungen, diese Neutralität nicht nur aufzugeben,
    sondern sich vll. sogar an NS-Deutschlands Seite zu stellen ...;
    wenn ja, welche waren das ...; wenn ja, von welchen Kreisen
    gingen diese aus ...

    Für mich alles bisher offen, ungeklärt, nun aber wieder im Focus ...

    Gruß, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo,

    zum Thema Neutralität:

    keines der beiden Länder, Schweden und Schweiz konnten vollkommen neutral bleiben.
    Als Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht war, blieb diesen Ländern oft garnichts anderes übrig, als dem politischen/diplomatischen Druck der Reichsregierung nachzugeben und gewisse Zugeständnisse zu machen. Dies waren u. a. Durchfahrtsgenehmigungen für Militärzüge ( Schweden) für Transportzüge nach Italien ( Angebl. tägl. bis 500 Züge; die dann praktisch in der Schweiz nicht angegriffen/gebombt wurden), Lieferung von Rüstungsgütern und Lebensmitteln usw.
    Dennoch muss man bei genauere Betrachtung und unter Zugrundelegung eines gesunden Menschenverstandes zur Kenntnis nehmen, dass diese Länder versucht haben so weit als möglich neutral zu bleiben.

    Als sich das Blatt zugunsten der Alliierten gewendet hatte, lieferten diese Länder in die umgekehrte Richtung und machten dort (zwangsläufig) ihre Zugeständnisse.

    Wenn man bedenkt, dass die Schweiz z. B. notgelandete Flugzeuge ( überwiegend in Dübendorf) aller Kriegsmächte zurückhielt, ist das für dieses kleine Land mitten in Europa, das sich hinter seiner Reduit verschanzen musste und erkannte, dass selbst die Maginotlinie für die Wehrmacht kein Hindernis war, dann muss man doch erkennen, das die Neutralitätsbemühungen (beider Länder) anerkennenswert sind.

    Am 1. 4. 1944 war Schaffhausen von US - Bomber (Liberator) angegriffen worden, die die Stadt angebl. mit Tuttlingen verwechselt haben? ( 40 Tote und hohe Sachschäden). Die Engländer hatten bereits am 11. und 12. Juni 1940, sowie an anderen Tagen die Schweiz irrtümlich bombardiert. Außerdem überfogen diese Bomber bei Angriffen in Italien verbotenerweise meist über die Schweiz ( kürzere Strecke).
    Schweden hat sich insbesondere diplomatisch und i. S. Rotes Kreuz Verdienste erworben.

    Übrigens: Man kann das mit dem Schweizer Ärztekommission auch so sehen, dass man dort Erfahrungen sammeln wollte, um sich selbst zu wappnen.

    Gem. Genfer Konvention sind neutral Staaten zur Landesverteidigung verpflichtet; d. h. jegliche Agression abzuwehren.

    Auch die Abweisung der flüchtenden Juden durch die Schweizer Exekutive bin ich jetzt nicht eingegangen ( Wäre eigenes Thema).

    Quelle:
    Piekalkiewicz " Schweiz 39 - 45",
    Kurz: "Die Schweiz und die dauernde Neutralität"

  • Hallo Karl,

    danke für Literaturangaben und diesen Einstieg in die Problematik;
    ist mir schon bewußt, daß in einem von NS-D. beherrschten Europa
    Neutralität nur schwer und nur unter Zugeständnissen zu wahren ist.

    Ist ein Thema, in das ich mich erst einmal einarbeiten werde;
    Schwarz/Weiß - Gut/Böse ist halt zu kurz gegriffen ...

    Grüße, Kordula


    Edit: Thementitel erneut korrigiert.

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo Kordula,

    sh. auch:

    Fuhrer: " Die Wehrmacht aus Schweizer Sicht" in Müller/Volkmann." Die Wehrmacht Mythos und Realität" , hier zum Bedrohungspotential und der Einschätzung der dt. Wehrmacht.

    und vor allem Schrifttum zur
    "Operation Tannenbaum" , Entwurf Operationsabteilung OKH vom 12.08.1940, zur Besetzung der Schweiz. Hierzu auch Studien ital. Okkupationsüberlegungen.

    Masson: "Die militärische Gefährudung der Schweiz 1939 - 1945"

    Anmerkung: Zu Bedenken ist außer der isolierten Stellung der Schweiz zwischen dem besetzten Teil Frankreichs, dem DR und Italien, dass die Schweiz auf Einfuhren noch stärker angewiesen war als die Achsenmächte. Es herrschte in der Schweiz eine enorme Rohstoffknappheit, insbes. Brennstoffe/Öl. Auch dort fuhren Holzkohlevergaser.
    Das Thema geht auch in den schwierigen -heute noch schwierigen Bereich - der Devisen ( Raubgold) hinein.
    http://www.uek.ch/de/index.htm

    http://www.geschichte-schweiz.ch/zweiter-weltkrieg-1939-1945.html

    Gruß Karl

    Edit: Fortsetzung, weil umfangreich !

    Edited 2 times, last by Karl Grohmann (October 6, 2012 at 9:16 PM).

  • Guten Morgen,

    zur ersten Schweizer Ärztemission ist ein interessantes Tagebuch veröffentlicht worden. Es stammt vom ärztlichen Teilnehmer der Mission Ernst Gerber und ist 2002 im Wünsche-Verlag Berlin erschienen:

    Im Dienst des Roten Kreuzes. Schweizer Ärztemissionen im II. Weltkrieg - Ein Tagebuch 1941/1942 Reinhold Busch (Herausgeber), Ernst Gerber (Autor).

    Das Buch ist jedenfalls sehr interessant und orientiert sich eng an den Erlebnissen des Autors (leider fehlen bei meinem Exemplar die Seiten 31-38 :(

    Der Film von Monsieur Gonseth lief im Mai 2006 übrigens im ZDF, aber unter dem Titel Mission des Grauens. Ich fand ihn damals zu einseitig und pauschal gegen die Wehrmacht ausgerichtet, weil z.B. behauptet wurde, weder Deutsche noch Schweizer hätten sowjetische Verwundete behandeln dürfen. Und das, wo Wehrmachtsärzte sich doch immer wieder aufopfernd um russische Verwundete gekümmert haben, sogar unter Lebensgefahr in Minenfeldern.

    Stalins Befehle, z.B. alle Lebensmittel in den besetzten Gebieten und alle sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand "mit allen Boden- und Luftmitteln zu vernichten", bleiben im Film natürlich unerwähnt. Hungeropfer werden allein der Wehrmacht angelastet.

    Die Zeitzeugenberichte im Film waren aber meist sehr aufschlußreich, obwohl es den Filmemachern (in Erinnerung an Rudolf Bucher) besonders um die Warnung vor Schweizer Neu- und Altnazis ging, vgl. z.B. hier die geschickte Verbindung von Geschichte und Politik:

    Quote

    Ein weiterer freier Mitarbeiter der „Schweizerischen Monatshefte“ war Eduard Blocher, Christoph Blochers Grossvater, ein anderer Mitbegründer des „Volksbunds für die Unabhängigkeit der Schweiz“, von Beruf Pfarrer, und zwar bei der Fremdenlegion und in der psychiatrischen Klinik Burghölzli. „Hintermänner wie Eugen Bircher warfen die Rassenfrage in die Diskussion“, bemerkt Glaus (S. 25) zu einem weiteren Mitglied des in den damaligen „Schweizer Monatsheften“ schreibenden rechtsextremen Klüngels.

    Der Aargauer Chirurg und „Eugeniker“ Eugen Bircher, wie Ulrich Wille jun. einer der hohen nazifreundlichen Kader der damaligen Schweizer Armee, führte im zweiten Weltkrieg die sogenannte „Ärztemission“ schweizerischer Sanitätstruppen an der deutsch-russischen Front. Sie waren dem Befehl der Wehrmacht unterstellt und durften nur deutsche Verwundete pflegen; ihre Mitglieder wurden Zeugen von Geiselerschiessungen durch die Wehrmacht. Einige der Ärzte und Krankenschwestern dieser „Mission“ waren keineswegs nazifreundlich. Sie realisierten die verbrecherische Art der Kriegführung durch die Wehrmacht und erfuhren auch von der Judenvernichtung in den Konzentrationslagern.
    (Vgl. dazu, insbesondere auch zum nazimässigen Auftreten von Oberstdivisionär Eugen Bircher, den Augenzeugenbericht von Rudolf Bucher "Zwischen Verrat und Menschlichkeit. Erlebnisse eines Schweizer Arztes an der deutsch-russischen Front 1941/42", Zürich 1967, sowie den Dokumentarfilm von Frédéric Gonseth, 2003: Mission en enfer)

    Quelle: http://www.thata.ch/schweizermonat…dingkinder.html

    Das Buch von Rudolf Bucher (http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Bucher_(Arzt)) habe ich ebenfalls, es widmet sich vor allem dem Kampf gegen damalige Nazi-Sympathisanten in der Schweiz und auf der Ärztemission in Russland. Seit 1943 hielt er darüber Vorträge, die von der Schweizer Regierung nicht gern gesehen wurden.

    Gruß
    Bodo

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: Daß der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmaier)

  • Hallo,

    mal ne Frage?
    Gab es unter den Schweizerischen-Ärztemissionen auch Tote und Verwundete zu Beklagen?

    Gab es Gefangene unter dem Schweizer Ärztepersonal, oder waren diese so weit hinter der Front,dass diese nicht in Kämpfe verwickelt wurden?

    Auf eure Antworten freue ich mich im voraus,

    mfg Eumex

  • Moin Eumex,

    Schau mal in die Bücher von Reinhold Busch

    Die Schweiz, die Nazis und die erste Ärztemission an die Ostfront
    Schweizer Ärztemissionen im II. Weltkrieg - Teil 1 - Robert Nicole, Bericht über die Schweizerische Ärztemission nach Finnland
    ISBN 978-3-933345-13-4

    Leiden und Sterben in Kriegslazaretten
    Schweizer Ärztemissionen im II. Weltkrieg – Teil 5 – Kriegstagebücher aus den Lazaretten von Smolensk, Winter 1941/42
    ISBN 978-3-933345-15-8

    Als Rotkreuzschwester in Lazaretten der Ostfront
    Schweizer Ärztemissionen im II. Weltkrieg - Teil 3 - Smolensk, Kriegswinter 1941/42, ein Ergebnisbericht von Elsi Eichenberger
    ISBN 978-3-933345-14-1

    Im Dienst des Roten Kreuzes
    Schweizer Ärztemissionen im II. Weltkrieg - Teil 2 - ein Tagebuch 1941/1942
    von Ernst Gerber
    ISBN 978-3-933345-11-0

    Eventuell findest du dort Hinweise. Ich habe sie leider nicht komplett gelesen.

    Gruß
    Jörg

    Edit: Fehlerteufel

  • Hallo Jörg,

    Danke für deine Angaben der Bücher mit ISBN-Nummer!

    Dachte mir nur ,jemand hätte Angaben hier,ohne dass ich mich in die Materie einlesen muss.


    mfg Eumex

  • Hallo Kordula,

    Quote

    Neben einem eher persönlichen Interesse (s.o.) gab/gibt es da noch diese andere Frage:
    ....wie hat sich die Schweiz (und auch Schweden)

    Dann möchte ich ein paar Fakten zur " Neutralität" Schwedens zu meiner bereits gemachten Aussage " Verdienste durch das Rote Kreuz..." hinzufügen:

    > Juni 1940: Schwedische Regierung lässt deutsche Urlauber (Soldaten) in Eisenbahnzügen von Norwegen nach Deutschland befördern;

    > Schweden gestattet den dt. Güterverkehr durch Schweden; einschl. Kriegsmaterial

    > Mai 1940 verbietet Schweden dt. Truppentransport nach Narvik (dt. Bestechungsversuch erfolglos); humanitäre Hilfe wird aber zugelassen;

    > Juli 1941. Genehmigung durch schwedische Regierung zum Transport einer deutschen Division (ohne Waffen) von Oslo durch Schweden nach Finnland zum Kampf gegen Rußland;

    > Gleiches Anliegen im Augst 1941 abgelehnt;

    > Schweden hat deutschen Telegrammverkehr zugelassen, später jedoch, nach Entschlüsselung, für eigene Lagebeurteilungen genutzt. Jahreswende 1942/43 von den Deutschen erkannt und Nachrichtenverkehr eingeschränkt.

    > Deutsche Feldpost lief auch über Schweden, wurde dort auch geöffnet s. o.;

    > 1943 Handelsabkommen mit London (" Kriegsglück" hat sich gewendet D.U.) verbietet dem zufolge Schweden die Durchfahrt von dt. Urlauber- und Erztransportzügen ( Offensichtlich vorher durchgelassen D.U.)

    > Keine schwedischen Kredite mehr für das DR; dafür erhält Schweden von GB doppelt soviel Öl wie zuvor;

    > August 1944 verlangen Alliierte von Schweden die Politik gegenüber dem DR zu ändern; daraufhin Sperrung schwedischer Häfen für dt. Schiffsverkehr; Einstellung der Kugellagerlieferungen an das DR ( Offenbar zuvor geliefert D.U.)

    > Seit Ende 1943 waren in Schweden dänische und norwegische Polizeikräfte (?) ausgebildet und von einem amerik. Transportfliegerverband, der in Schweden stationiert war, Ende 1944 nach Nordnorwegen geflogen worden;

    > In Schweden abgestürzte V 2 wird den Briten überlassen;

    > Mit Wissen der Schweden richten Engländer in ihrem Konsulat in Malmö eine Radionavigationsstation ein;

    > ebenso eine Horchstation um deutsche V 2 Versuche abhören zu können;

    > Großzügige Entlassung alliierte internierter Flieger; auch im Tausch gegen 50 engl. Radargeräte;

    > 1943 Überfulg von insges. 6000 bis 8.000 alliierter Bomber über Südschweden; nur schwacher Protest;

    > Am letzten Kriegstag sagt die schwedische Regierung einem amerik. General zu unter Alliiertem Kommando schwedische Truppen gegen die Deutschen in Dänemark und Norwegen eingreifen zu lassen.

    Sekundärquelle:

    Müller/Volkmann: "Die Wehrmacht, Mythos und Realität" S.147 ff.,
    dort Originärquellenangaben

  • Hallo Eumex,

    das stimmt, sogar unter brutalen Umständen, unter Verletzung von Völker- und Asylrecht - es waren auch Internierte dabei, sowie gegen die intern. Konvention über Kriegsgefangene - gegen den massiven Widerstand der Gefangenen, aber da es nach Kriegsende war (die Auslieferung lief von November 1945 bis ins Frühjahr 1946), hatte ich es weggelassen.

    Gruß Karl

  • Guten Abend allseits,

    inzwischen ist von der ETH Zürich Archivmaterial digitalisiert worden;
    Einsicht in die Akten ist leider nur vor Ort möglich; einen Überblick
    kann man sich jedoch verschaffen: https://www.afz.ethz.ch/lesesaal/recherche/C23;
    dort suchen nach "Ärztemission".


    Guten Abend Karl,

    Am 1. 4. 1944 war Schaffhausen von US-Bomber (Liberator) angegriffen worden, die die Stadt angebl. mit Tuttlingen verwechselt haben? (40 Tote und hohe Sachschäden). Die Engländer hatten bereits am 11. und 12. Juni 1940, sowie an anderen Tagen die Schweiz irrtümlich bombardiert. Außerdem überflogen diese Bomber bei Angriffen in Italien verbotenerweise meist über die Schweiz (kürzere Strecke).
    ...
    Quelle:
    Piekalkiewicz "Schweiz 39 - 45",
    Kurz: "Die Schweiz und die dauernde Neutralität"


    bevor ich mich selbst auf Literatursuche begebe, würde ich gern wissen, ob in Deiner Literatur weiteres zu dieser Bombardierung Schaffhausens am 01.04.1944 steht?

    Hintergrund ist, daß meine Großmutter in ihren Erinnerungen schreibt, daß das Geburtshaus ihrer Mutter in Schaffhausen (außerhalb der Stadt) von einer "verirrten" Bombe getroffen und vollständig niedergebrannt sei.

    Die Frage von Eumex nach evtl. Verwundeten, Toten oder sogar gefangengenommenen Schweizern interessiert mich doch; Band 2, Gerber, habe ich ausgeliehen; mal sehen, ob sich dort etwas findet.

    Über den zweiten Einsatz 1942/43 gibt es offensichtlich keine Veröffentlichungen;
    falls da jemand Lust hat, in den zu Anfang genannten Links zu suchen, wäre das toll.

    Grüße, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Hallo Kordula,

    Laut Piekalkiewicz "Schweiz 39 - 45" gab es 40 Tote, 100 Verletzte, davon 1/3 schwer, Es sind mindesten 371 Spreng- und Brandbomben auf das Stadtgebiet gefallen.
    Eine Serie Bomben soll auf die Anhöhe oberhalb Flurlingen gegenüber Neuhausen gefallen sein.
    Im Herbst 1949 stimmten die USA der Schweizer Forderung auf Schadenersatz von 62 Mio. SFR zu.

    Kordula, siehe besonders hier: http://schaffhausen-nostalgie-foto.ch/266,0,schaffha…t-,index,0.html

    Gruß Karl

    Edited once, last by Karl Grohmann (January 19, 2015 at 7:35 PM).

  • Guten Abend Karl,

    vielen Dank für die Mühe des Heraussuchens.
    Die Großmutter hatte "nur" vom Verlust des großelterlichen Hauses geschrieben;
    wieviel schlimmer es die Stadt getroffen hatte, wußte ich nicht.

    Wo das Haus gestanden hatte, weiß ich nicht, werde jedoch Deine Hinweise
    nutzen, um in der Familie und sonst weiter zu recherchieren.


    Sehe gerade beim Lesen meines Beitrages, daß ich mißverständlich formuliert hatte,
    nämlich zur Frage von Eumex - die bezog sich auf die Schweizer in Smolensk.

    Grüße, Kordula

    Slava Ukraini! In Memoriam A.N.!

  • Guten Abend Kordula,

    du kannst getrost nachschauen,nicht nur zuSchweizer bei Smolensk,sondern allgemein,interessiert mich auch !

    Vielen Dank im voraus.

    Servus Eumex
    Vivat Bavaria