Hallo allerseits!
Auf meiner Recherche über die Einheit meines Großvaters (91. LLD) bin ich auf einen interssanten Bericht im spiegel.online gestoßen (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-70228764.html
QuoteDisplay MoreSchreie in der Kraterlandschaft
Von Wiegrefe, KlausBestsellerautor Antony Beevor hat die Invasion in der Normandie von 1944 rekonstruiert - und stieß dabei auf zahlreiche Kriegsverbrechen, auch durch die Alliierten. Für William E. Jones war es das erste Verbrechen, und vermutlich konnte er sich deshalb noch Jahre später gut daran erinnern. Er hatte mit anderen US-Soldaten der 4. Infanteriedivision einen kleinen Hügel erobert. Es sei "ziemlich hart zur Sache gegangen", beschrieb Jones später das blutige Gefecht.
Und dann verloren die GIs alle Beherrschung. O-Ton Jones: "Wir spielten verrückt. Einige von ihnen saßen noch in den Schützenlöchern. Da sah ich, wie mehrere direkt in den Löchern erschossen wurden. Wir machten keine Gefangenen und konnten nicht anders, als sie zu töten. Das taten wir. Ich hatte noch nie einen auf diese Weise erschossen. Aber sogar unser Leutnant hat mitgemacht, und einige Unteroffiziere auch."
Die Namen der Toten werden vermutlich nie geklärt, nur eines ist gewiss: Die Opfer des Kriegsverbrechens waren deutsche Soldaten, gestorben in der Normandie im Sommer 1944.
Im Morgengrauen des 6. Juni hatten die Angloamerikaner und ihre Verbündeten mit der Operation "Overlord" begonnen, dem größten Landungsunternehmen aller Zeiten. Seitdem lieferten sich alliierte und deutsche Truppen zunächst an den Stränden, dann in der herben normannischen Landschaft eine der erbittertsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Bilanz des Schreckens: mehr als 250 000 gefallene oder verwundete Soldaten und Zivilisten und eine verwüstete Normandie. Viele Bücher sind darüber geschrieben, zahlreiche Filme gedreht worden. Steven Spielbergs preisgekrönter "Der Soldat James Ryan" war ein Welterfolg. Ein scheinbar auserzähltes Thema also.
Doch zuletzt nahm sich der britische Historiker und Bestsellerautor Antony Beevor den Stoff vor. Und bei seinen Recherchen für "D-Day. Die Schlacht um die Normandie" stieß er auf ein Thema, das unter Experten inzwischen offen diskutiert wird(**1). Alliierte Soldaten haben wohl in größerem Ausmaß als bislang bekannt in der Normandie Kriegsverbrechen begangen. Beevor zitiert umfangreich aus Berichten und Erinnerungen Beteiligter, denen zufolge Amerikaner, Briten oder Kanadier deutsche Gefangene und Verwundete umbrachten. Auch benutzten sie Soldaten der Wehrmacht oder der Waffen-SS als menschliche Schutzschilde oder trieben sie durch Minenfelder.Ein Soldat namens Smith von der 79. US-Infanteriedivision entdeckte in einer Befestigungsanlage einen Raum mit deutschen Verwundeten. Smith hatte sich vor einem Angriff mit Calvados volllaufen lassen und grölte, nur ein toter Deutscher sei ein guter Deutscher. Der offizielle Bericht vermerkte: "Er machte noch mehrere Verwundete zu guten Deutschen, bevor man ihm in den Arm fiel."
Oberfeldwebel Lester Zick kam ein US-Soldat auf einem Schimmel entgegen, der elf Gefangene vor sich hertrieb. Er rief Zick und seinen Leuten zu, es seien alles Polen bis auf zwei, die seien Deutsche. Dann zog er seine Pistole, so Zick, "und schoss den beiden in den Hinterkopf. Wir standen dabei".
Der Soldat John Troy erzählte von der Leiche eines US-Offiziers, den die Deutschen gefesselt und ermordet hatten, weil er eine erbeutete deutsche Pistole bei sich trug. Troy ergänzte: "Natürlich haben wir das Gleiche mit ihnen gemacht, wenn wir sie mit amerikanischen Zigaretten oder amerikanischen Uhren am Arm erwischten."
Kriegsverbrechen sind ein heikles Thema, doch die Beleglage ist erdrückend. Besonders die Fallschirmjägertruppen, die hohe Opferzahlen zu beklagen hatten, sannen auf blutige Vergeltung. Allein bei dem Dorf Audouville-la-Hubert massakrierten sie auf einen Schlag 30 festgesetzte Wehrmachtsoldaten. Am Strand mussten US-Pioniere deutsche Gefangene vor aufgebrachten Männern der 101. Luftlandedivision schützen, die brüllten: "Überlasst die Gefangenen uns! Gebt sie uns! Wir wissen schon, was wir mit ihnen machen."
Als ein Panzerlandungsschiff neben alliierten Verwundeten auch deutsche Gefangene aufnahm, wollten sich die Verletzten auf die Deutschen stürzen. Sanitäter konnten Schlimmeres verhindern. Oft zitiert Beevor aus Erinnerungsberichten alliierter Soldaten, die seit Jahren vorliegen, aber bisher von anderen Historikern ignoriert wurden. Passten sie nicht zum Bild der "greatest generation", zu der besonders die Amerikaner ihre Sieger von 1945 stilisierten?
Kein Schatten sollte offenbar auf jenen Krieg fallen, mit dem sich vor allem die Amerikaner das moralische Recht - und die praktischen Voraussetzungen - erkämpften, Europas Schicksal nach 1945 mitzubestimmen. Inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. 2007 schrieb Pulitzer-Preisträger Rick Atkinson in seinem Buch über den Krieg in Italien und über diverse Kriegsverbrechen der Alliierten. Und jetzt die Normandie.
Beevor erklärt die Verbrechen vor allem mit der unglaublichen Härte der Kämpfe. Die Deutschen sprachen selbst vom "schmutzigen Buschkrieg", in Anlehnung an die bis zu drei Meter hohen Hecken und Knicks, die in der Bocage-Landschaft der Normandie die Felder abgrenzen - ein ideales Gelände für Hinterhalte und Sprengfallen.
Deutsche Einheiten spannten Stahlseile in Kopfhöhe über die Straßen. Brauste ein US-Jeep heran, wurden Fahrer und Beifahrer enthauptet. Sie befestigten Handgranaten an den Erkennungsmarken toter GIs, die sie zurückließen. Versuchte jemand, die Marke abzunehmen, zerfetzte ihn die Granate. Gesichert ist, dass vor allem die Waffen-SS Gefangene erschoss.
Das Feuer der Artillerie beider Seiten und die Bombenangriffe der Alliierten verwandelten die Normandie in eine Mondlandschaft. Beevor berichtet von Soldaten, die heulend und schreiend in den Kratern hockten; andere pflückten wie in Trance Blumen zwischen explodierenden Geschossen. US-Mediziner registrierten allein bei ihren Truppen 30 000 Fälle von Kriegsneurosen.
Nie habe er so sehr gehasst, schrieb ein US-Infanterist an seine Familie in Minnesota und fügte hinzu: "Und es ist nicht deswegen, weil irgendwelche hohen Tiere hier wilde Reden gehalten haben."
Allerdings hat es solche "wilden Reden" durchaus gegeben. Nach Recherchen des deutschen Historikers Peter Lieb bekamen am D-Day viele Einheiten der Kanadier und Amerikaner Befehl, keine Gefangenen zu machen. War das der Grund, warum die Amerikaner am "Omaha Beach" lediglich 130 Mann festsetzten, von denen wiederum nur 66 an den Sammelstellen am Strand eintrafen?
Und noch etwas fällt auf: Waffen-SS-Leute gingen den Alliierten selten ins Netz. Lag es daran, dass die Angehörigen des Totenkopfordens Hitler Treue bis in den Tod geschworen hatten und oft bis zum Letzten kämpften? Oder wirkte sich die alliierte Propaganda aus, die die eigenen Soldaten auf die SS eingeschworen hatte? "Viele von ihnen verdienen wahrscheinlich auf jeden Fall, erschossen zu werden, und wissen das auch", heißt es lakonisch in einem Bericht des britischen XXX. Korps.
Für Ewiggestrige freilich geben die neuen Erkenntnisse keinen Grund zum Triumphieren. Mag auch der Umfang alliierter Kriegsverbrechen größer sein als bislang bekannt, sie sind nicht vergleichbar mit dem Ausmaß deutscher Vergehen an Zivilisten. Das Erschießen von unschuldigen Geiseln war Teil der deutschen Strategie, die französischen Partisanen zu bekämpfen, die nach dem D-Day losschlugen. Bis zu 16 000 Franzosen - Männer, Frauen, Kinder - fielen dem Terror von Wehrmacht und SS zum Opfer.(*1) Bei Hermanville-sur-Mer am 6. Juni 1944.(**2) Antony Beevor: "D-Day. Die Schlacht um die Normandie". C. Bertelsmann, München; 640 Seiten; 28 Euro.
Grüße
Sven