Kesselausbruch Wilna ( Vilnius ) 1944

  • Ich weiß nicht mehr, wie der Zusammenhang mit der 57. I.D. aussieht - es sind schon ein paar Jährchen vergangen. Hatte die 57. I.D. etwas mit dem Holocaust zu tun?

    Hallo Joseph,


    die 57.ID befand sich zum Jahreswechsel 1941/1942 mit umfangreichen Sicherungs- und Bewachungsaufgaben in Charkow,
    Anton Dostler war vertretungsweise Stadtkommandant Charkow.

    Zum diesem Zeitpunkt ermordete das Sonderkommando 4a etwa 10000 Juden.


    Viele Grüße

    Frank

  • Hallo Joseph,


    um vielleicht wieder zum eigentlichen Thema Wilna zurückzukehren noch einige Anmerkungen meinerseits zum Aufruf des jüdischen Dichters und Widerstandskämpfers Abba Kovner, manchmal auch Kowner.



    Kovner verfasste und verkündete den Aufruf etwa drei Wochen vor der Wannsee-Konferenz. In seinem Schreiben wurde überhaupt "zum ersten Mal intuitiv, ohne dokumentarische Beweise, die Massenmorde durch die Einsatzgruppen als Teil des Planes zur Ermordung aller Juden Europas interpretiert". Seine Worte "laßt uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen" wurden "später fälschlicherweise zur Charaktersierung des Verhaltens der Juden während der Shoa missbraucht".

    (Quelle: siehe dazu Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! - Vom Widerstand der Juden in Europa 1933-1945, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, S. 265)


    Zudem kristallisiert sich hier noch eine Frage heraus, da sein Aufruf vom Januar 1942 stammt, einem Zeitpunkt, an dem der Großteil der Wilnaer Juden bereits in Ponary erschossen worden war. Was konnte Kovner also im Sommer 1941 zu den Vorgängen in Ponary wissen? Das ist der Zeitpunkt an der wahrscheinlich deine zuerst eingestellte Aufnahme vom kanadischen Anbieter entstand.


    In diesem Zusammenhang ist u.a. Franziska Bruders Ansatz von Bedeutung, dass "Wissen und Analyse" eine wichtige Voraussetzung ist, um effektiv handeln zu können. Denn nur so kann man eigene Spielräume oder Optionen ausloten und ein Handlungsplan entwerfen. Die jüdischen Opfer im Sommer 1941 in Wilna konnten daher kaum einschätzen, was die Absichten der Nationalsozialisten waren. Weiterhin wurden die Ereignisse bis zum Schluss von einer detaillierten Verschleiherungstaktik begleitet. An hieb- und stichfeste Informationen zu gelangen, um auf deren Grundlage eine Analyse und Gefahrenabschätzung durchführen zu können, war also zumindest zu diesem Zeitpunkt schwierig bis gar unmöglich. Auch weitere ungüstige Faktoren, wie z.B. der bereits angemerkte weit verbreitete Antisemitismus, spielten eine Rolle.

    (Quelle: Franziska Bruder, Das eigene Schicksal selbst bestimmen - Fluchten aus den Deportationszügen der "Aktion Reinhardt" in Polen, Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2019, S.29-30)


    Prof. Dariusz Libionka schrieb in seiner 2021 veröffentlichten Studie, Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement, erschien im Metropol Verlag, dass das Hinrichtungskommando in Ponary aus einer "litauischen Spezialeinheit" bestand (siehe dazu Josephs Foto). Die in der unmittelbaren Umgebung wohnenden Menschen dachten anfangs, als sie die Schüsse hörten, es handelte sich um eine militärische Übung, weil sich im Wald von Ponary ein Munitionslager befand.


    Hat jemand rein zufällig das Werk von Christoph Dieckmann, Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 2 Bände, insgesamt 1605 Seiten, vorliegen und gelesen? Mich würde seine persönliche Einschätzung interessieren.


    Viele Grüße

    Daniel

    "Mit den falschen Selbstgewissheiten derjenigen, die sich für bessere, stets auf der richtigen Seite befindliche Menschen halten, ist aus dem Nationalsozialismus nichts zu lernen." Götz Aly

  • Hallo Joseph,


    ich habe doch noch mal genauer zu den litauischen Tätern auf deinem ersten Foto recherchiert.


    Die Einheit bestand aus etwa 100 Litauern, wenigen Russen und Polen und nannte sich „Ypatingas Burys“ (Sonderabteilung). Es handelte sich dabei größtenteils um Freiwillige, die meisten waren Soldaten. Anfangs trugen sie Uniformen der litauischen Armee, später auch weiße Armbinden und Zivilkleidung. 1942 bekamen sie SD-Uniformen und eigene Ausweise. Zuerst wurde das Kommando von den litauischen Unteroffizieren Jakubka und Butkus geführt, später übernahmen die Offiziere der litauischen Sicherheitspolizei Sidlauskas und Norvaisa. Die so genannte „Ypatingas Burys“ beteiligte sich an den Festnahmen, trieb die Juden nach Ponary und stellte das Erschießungskommando. Die Litauer waren über einen Verbindungsmann der deutschen Gestapo, der Abteilung IV der deutschen SiPo in Wilna unterstellt. Der deutsch-litauische Dolmetscher Hering „beschrieb den Auftrag zu den Massenmorden durch das litauische Sonderkommando" so: „wir wollten uns die Finger nicht damit beschmutzen, das machten die Litauer mit Lust und Liebe.“ Bereits Anfang Juli 1941 war die Bezeichnung „Ypatinga“ in der ganzen Stadt bekannt. Die Truppe, oft auch nur die "Greifer" genannt, handelte willkürlich und war besonders berüchtigt.

    (Quelle: siehe dazu Christoph Dieckmann, Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, Band 1, Wallstein Verlag, Göttingen 2011, S. 353 ff.)


    Grüße

    Daniel

    "Mit den falschen Selbstgewissheiten derjenigen, die sich für bessere, stets auf der richtigen Seite befindliche Menschen halten, ist aus dem Nationalsozialismus nichts zu lernen." Götz Aly

  • Hallo Daniel,


    entschuldige bitte mein langes Schweigen - aber wir sind immer noch am "Sanieren"...


    Vielen Dank für Deine Infos - den "Dieckmann" habe ich mir leider damals trotz meiner Recherchen zum Thema Litauen bzw. Wilna nicht zugelegt. Er war relativ mächtig - aus hinsichtlich des Preises.


    Die Beteiligung der Litauer und anderer Volksgruppen, welche unter der sowjet. Knute standen, erklärt sich aus dem Bild des Judäo-Bolschewismus, der nicht nur vom NS-System gepflegt wurde. Die Juden waren häufig der Sündenbock bei Problemen, welche man nicht lösen, jedoch "erklären" wollte - man brauchte jemanden, den man "in die Wüste jagen" konnte. Leider blieb es nicht bei symbolischen Handlungen...

    Wenn dann noch die Kirche ähnlich predigte, war das Verhängnis gegeben.


    Ich werde mich mal zu anderer Zeit wieder melden...


    Gruß,


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)