Kesselausbruch Wilna ( Vilnius ) 1944

  • Hallo,


    heute soll hier ein kurzer Bericht aus der Perspektive der in die Kämpfe involvierten litauischen Bevölkerung gegeben werden. Herr Hinnen hatte auf Grund seines respektvollen Umgangs einen sehr guten Kontakt zu einigen Bewohnern der Kampf- bzw. Einquartierungsgebiete hergestellt. Nach dem Krieg konnte er auf mehreren Fahrten einige dieser Freunde besuchen - der Sohn eines Kriegskameraden aus dem FJR16 hat bei einer solchen Besuchsfahrt seine spätere litauische Frau kennengelernt.


    Generell kann man feststellen, dass die litauische Bevölkerung gegenüber den deutschen Truppen positiv - mindestens aber neutral - eingestellt war. Sie wurden sicherlich als Befreier vom sowjetischen System - und auch als potenzieller Unterstützer bei der Wiedergewinnung der Nationalstaatlichkeit betrachtet - letzteres sicherlich eine Illusion.


    Nun also ein kurzer Auszug aus dem Bericht eines Bauern aus einem Dorf in der Nähe von Vievis. Der Ort Vievis war beim Vorstoß der 6. Pz.Div. hart umkämpft - insbesondere beim Abzug der deutschen Truppen. Beim Vorstoß der 6. Pz.Div von Kaunas auf Vilnius zur Befreiung der Kampfgruppe Tolsdorff bei Lentvaris (Landwarowo), welche die Überlebenden des "Festen Platzes Wilna" aufgenommen hatte, errichtete man an einigen strategisch wichtigen Punkten, u. a. bei Vievis, sog. Auffangstellungen. Dieser Flankenschutz sollte die vorgehenden Verbände vor den bereits langsam einsickernden sowj. Truppenverbänden absichern.


    Der folgende Auszug schildert die Vorkommnisse (unkorrigiert) beim Rückzug dieser deutschen Sicherungsgruppen aus dem Bereich Vievis - zu den angesprochenen Positionen im Dorf liegt leider keine Karte vor:



    "Ein Litauer namens Zemlickas beschreibt die Situation in Vievis bei Wilna 1944 beim Abschnitt Paul Hollfelder und Ofhr. WalterMüller


    1- katholische Kirche
    2- Kirchenplatz
    3- Ortodoxenkirche (sie war auch während des Krieges)
    4- Bahnhof
    5- Bahndepot (Reparatur)
    6- Roggenfelder (hinter der Bahn mit Mienen verlegte
    7- Bauernhofvon Herr Nenartavicius
    8- Bauernhof Frau Kabacinskiene
    9- Bauernhof von Dionizas Luciunas - mein Grossvater
    10- Scheune vom Grossvater
    11- Bauernhof des Bruders vorn Großvater
    12- Teich der im heißen Sommer trocken wird
    13- Schwitzbad
    14- Garten
    15- Birkenwald


    Anfang Juli 1944, da die Front sich näherte, mehrere Einwohner von Vievis übersiedelten sich in die nahesten Dörfern. Meine Eltern, Tanten und Omagingen ins Dorf, das 4 Kilometer von Vievis entfernt war. Die vier Bauernhöfe wurden von Frau Kabacinskiene, meinem Opa zusammen mit dem Bruder bewohnt. Darüber, was in der Zeit geschah, als Sie in Vievis waren, berichte ich aus den Erzählungen meiner Mutter und meines Opas.


    Opas Erzählung, die meine Mutter mir erzählte:


    Während des Kampfes haben sich mein Opa und sein Bruder in einer Kartoffelgrube versteckt. Als sich alles ringsum beruhigt hat, sind sie raus aus der Grube, aber im Hof wurden sie von den deutschen Soldaten aufgehalten und gezwungen die deutschen Verletzten nach Kaugonis (7 Kilometer entfernt) zu bringen. Bei diesem Spaziergang hat Opa seine Stimmbänder verwundet und konnte nicht mehr normal sprechen, obwohl er eine sehr gute Stimme besaß und schön singen konnte. In Kaugonis haben die Deutschen ihn freigelassen, weil da deutsche Soldaten waren, die meinen Opa erkannt haben.
    Die Mutter sagte, es waren welche, die im Bauernhof wohnten. Der Opa kam zurück zu der Familie und nach ein paar Tagen, als die Schießerei zu Ende war, kehrten alle nach Vievis zurück. Man hörte, wie der Kampf stattfand, mein Vater bemerkte den Qualm des Feuerbrunstes an dem Ort, wo angeblich die Häuser standen. Die Männer nahmen an, dass die Bauernhöfe in Brand seien. Als die Männer nach Hause zurückkehrten (nach Vievis), war es wirklich so, die Häuser 9,11, die Scheune 10 und das Schwitzbad waren verbrannte. Auf der Brandstelle der Scheune stand ein brandbeschädigter Panzer, laut der Mutter war ein deutscher Panzer, aber ich denke, für sie war es kein großer Unterschied, wessen er war. Auf dem Hof des Hauses (8) wie auch auf dem Plan vermerkt, lag die Leiche eines deutschen Soldaten. Auf dem Gemüsegarten lag die Leiche von Frau Kabacinskiene, es war vielleicht eine zufällige Kugel - und dann keine Soldaten mehr. Danach kamen die sowjetischen Soldaten.Wenn wir die Erinnerungen von Ihnen und meiner Mutter in Vergleichnehmen, so kann man das voraussetzen:
    Sie waren nicht die letzten deutsche Soldaten in der Ortschaft. Als Sie da waren und die Häuser nicht verbrannt waren, angeblich sollte es noch einen Kampf geben, wo der von Ihnen erwähnte Panzer in die Scheune reingefahren ist und da getroffen wurde.Es kann sein, daß Ihre Verletzten nach Kaugonis gefahren wurden. Es kann auch sein, daß Sie sich im ausgetrockneten Teich versteckt haben (die von Ihnen erwähnte Grube, aber von da ist der Kirchenplatz schlecht zu sehen. Das Schicksal von irgendwelchen Gefangenen ist unbekannt. Es wird erzählt, als die Front vorbei war, an dem Ort wurde eine Reglertruppe der sowjetischen Armee versetzt. Der Chef war ein Sadist (die Einheimischen nannten ihn ,,moldavini Vaska"). Man erzählt, daß er in Vievis eine Truppe der deutschen Kriegsgefangenen erschossen hatte, dafür gibt's aber keine Zeugen. Man weiss nicht, ob das wahr ist und wo sie begraben wurden, es ist mir unbekannt. Die Leichen der Gefallenen wurden von sowjetischen Soldaten aufgesammelt und weggefahren.
    Heutzutage ist nur ein Bauernhof stehengeblieben ( 8 ) und daneben ein paar Apfelbäume. So, das wärs. Schade, das es nicht viel zu berichten gibt.


    Sonst habe ich noch was hinzuzufügen: Als ich meine Mutter an diese Zeiten erinnert habe, fing an zu weinen.


    Berichter: Algimantas Zemlickas"l


    Aus diesem Bericht des Dorfbewohners an Herrn Hinnen verspürt man keine persönlichen Ressentiments - trotz all der Verheerungen, welche in diesem kleinen Ort angerichtet wurden.


    Weitere Berichte dieser Art und zu allgemeinen militärischen Geschehnissen im Zuge des Kesselausbruchs werden folgen.


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

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  • Der folgende Bericht von Herrn Hinnen gibt einen kleinen Einblick in die Situation Litauens nach der Besetzung durch die Rote Armee. Hierzulande ist kaum bekannt, dass sich bis in die 50-er Jahre hinein in Litauen (wie auch in anderen besetzten Gebieten Osteuropas) starke Partisanengruppen in den Wäldern halten konnten, welche der Besatzungsmacht nicht unerhebliche Belastungen bereiteten.


    In diesem Bericht wird angedeutet, dass sich in diesen Gruppen auch deutsche Soldaten engagierten, welche der Gefangennahme durch die Sowjets mittels Flucht in die Wälder entgangen waren. Überhaupt existierten in diesen unzugänglichen Gebieten auch vor dem Abzug der Deutschen die unterschiedlichsten Widerstandsgruppen: Polnische Partisanen (größte Gruppe: Armia Krajowa (Heimatarmee)), jüdische Partisanen (aus den Ghettos von Wilna, Kaunas, Nowogrodek, etc. entflohen), sowjetische Partisanen, weißrussische Gruppen und nicht zuletzt eben auch die sog. litauischen "Waldmenschen".
    Das Schicksal einer der jüdischen Gruppen, der Bielski-Partisanen, wurde 2008 in einer Verfilmung ("Defiance", mit D. Craig, etc.) mehr schlecht als recht abgehandelt.


    Nun zum Bericht:


    „Das folgende Bild der 3 Kameraden zeigt die Fallschirmjäger, welche beim Ausbruch in Gefangenschaft geraten sind und 45 Jahre später ihr Schicksal geklärt wurde. Beim Ausbruch waren Fallschirmjäger beteiligt, welche ich noch mit Namen in Erinnerung habe: Hauptmann Swenson, Feldw.Hellwig, und die Oberjäger Abend, Faulstich, Hännert, Fischer. Ferner die Obergefreiten wie Frischmann, Kohlberg und etwa 40 weitere Mannschaftsdienstgrade, wo ich keine Namen mehr weiß, darunter drei gute Kameraden von der gleichen Kompanie, vom Jägerzug. Weitere Kameraden, die am Anfang des Einsatzes schon verwundet worden sind, konnten sich einzeln durch die feindliche Linie schlagen bis Kaunas. Es werden auch einige auf der Strecke geblieben sein, von denen niemand mehr etwas erfahren wird. Diese drei Kameraden (s. Foto der Anlage!) mussten bei dem Ausbruchkämpfen in Gefangenschaft geraten sein. Als ich lange Jahre nach dem Krieg das Bild im Suchdienst der Fallschirmjäger sah, wusste ich sofort, dass das meine Kumpels waren. Von einer Seeflieger-Einheit an der Ostsee kommend zur Fallschirrntruppe gemeldet, landeten wir im Aufgang - Lager Gardelegen. Nach Halberstadt versetzt zur Heimatgarnison, des Sturm-Regiments und Wittstock zur Sprung - Ausbildung. Anschließend zurück nach Halbstadt, wo wir zur neuen Aufstellung des Regiment 16-0st eingegliedert wurden. Zum letzten mal sahen wir uns in dem Rummel beim Lazarett vor dem Ausbruch. Nach 45 Jahren erfuhr ich über das Schicksal der beiden Kameraden zwei von links:


    Nach Ihrer Gefangennahme arbeiteten sie in einer Zuckerrüben-Fabrik in Litauen, von wo sie bald abgehauen sind und sich in den großen Wäldern aufhielten. Als die Russen Litauen einnahmen, hatten sich dort sofort Widerstandsbewegungen organisiert gegen die Russen. Bei der deutschen Besatzung gab es das nicht, die Litauer bekamen von den Deutschen Arbeit und sie hatten freundschaftliche Beziehungen, da sie ja auch 1941 von den Russen durch die Deutschen befreit worden sind. Die Widerständler nannten sich Waldmenschen, nicht Partisanen. So hat ein Waldmensch die beiden halb verhungerten Fallschirmjäger an einem
    Waldrand gefunden und sie mit nach Hause genommen, gepflegt und aufgefüttert. Dieser Waldmensch war der Vater von meinem späteren Freund aus Siauliai. Er versorgte die Waldmenschen mit Lebensmitteln, und sie halfen allen deutschen Gefangenen, die sie auf der Flucht fanden. Nun hatten sich meine 2 Kameraden den Waldmenschen angeschlossen und kämpften mit ihnen. Doch bei einer Großaktion der Russen schlossen sie mehrere Hundert Widerständler ein und trieben sie in das Dorf Loukek: auf einem Platz erschossen sie alle. Bei der Familie Jvoskus Petras konnte ihr Foto sichergestellt werden, andere Sachen wurden von den Russen geraubt. Die Fallschirmjäger konnten entkommen und wurden erst 1947 von den Russen geschnappt. Sie fielen in Mosedzio bei einem groß angelegten Kampf nahe an einem Waldrand, als sie von ihrem Stützpunkt flüchten wollten.“


    Die genannten Namen insbes. der Ortschaften wurden nicht überprüft. "Loukek" wurde nicht gefunden - denkbar wären "Lukne" oder "Luknes" (vgl. Anlage2!). Hier braucht man wohl den Rat unserer litauischen Freunde. Der Text wurde ansonsten unverändert übernommen.


    Zum Inhalt soll hier ebenfalls nicht Stellung genommen werden - einige Formulierungen ("... die Litauer bekamen von den Deutschen Arbeit ...")
    sind sicherlich fragwürdig ... .


    Jedoch wird hier wieder eine neue Facette pot. Schicksale deutscher Soldaten nach dem Kesselausbruch angedeutet.



    ... wird fortgesetzt!




    Gruß,


    Joseph

  • Hallo,


    im Folgenden noch eine Ergänzung zur voraufgegangenen Beschreibung bez. des litauischen Widerstand gegen die sowjetische Besatzung. In einem späteren Beitrag soll auch auf die problematische Kollaboration zwischen spez. litauischen Gruppen und der deutschen Besatzungsmacht eingegangen werden.


    Im Zusammenhang mit den Kämpfen im Raum Kaunas und Wilna erscheint der folgende Auszug aus dem Spiegel 50/1949 interessant – nachzulesen bei folgender URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44439215.html


    Auszug:


    „Noch während die letzten Deutschen - eine Handvoll Tiger und etliche hundert Fallschirmjäger - in Kauen waren, begrüßten die Litauer die kommenden bolschewistischen Befreier mit roten Fahnen und Jubel-Spruchbändern. Die Landser ließ das kalt.
    Ein SD-Rollkommando indessen betätigte sich in letzter Minute als rächender SS-Blitz: Was ihm an litauischen Fähnchen-Schwingern vor die Maschinenpistolen kam, erlebte das Morgenrot östlicher Freiheit nicht mehr.
    Das wahllose Morden verdroß die Tiger-Männer, die unweit der gesprengten Kommandantur im Schatten der Kauener Kathedrale auf die anrückenden russischen Vorhuten warteten. Der Kommandant eines Panzers ließ die Kanone auf den hochrädrigen Kübelwagen der SD-Leute richten und befahl den Pistolenmännern zu verschwinden. Grollend zogen sie ab.“


    Selbstverständlich kann niemand der litauischen Bevölkerung, welche nicht flüchten konnte oder wollte, vorwerfen, dass sie schnell die „Fahnen gewechselt“ habe. Auf Grund der Erfahrungen vor 1941 mit dem Sowjetsystem war eine rechtzeitige „Anpassung“ notwendig – auf jeden Fall menschlich nachvollziehbar. Und möglicherweise hatte auch nicht jeder mit der deutschen Besetzung nur positive Erlebnisse verbunden... .


    Die von Herrn Hinnen „Waldmenschen“ genannten litauischen antisowjetischen Partisanen – er meint wohl die „Waldbrüder“ – haben sicher so manchen Wehrmachtsangehörigen gerettet - so, wie es Herr Hinnen von einigen Kameraden erfahren hat. Gleichwohl führte diese Gruppierung wahrscheinlich keinen lupenreinen Kampf ausschließlich gegen die Besatzungsmacht – Kollateralschäden bei der einheimischen Bevölkerung waren wie bei jeder anderen Partisanenaktivität kaum vermeidbar. So findet man bei Wikipedia hierzu Folgendes:


    „Die Waldbrüder (estnisch: metsavennad, lettisch: meža bri, litauisch: miško broliai) waren estnische, lettische und litauische Widerstandskämpfer, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg als Partisanen oder Guerilleros gegen den Einmarsch und die Besetzung ihrer Länder durch die Sowjetunion kämpften. Der Name Waldbrüder wurde bereits von Partisanen während der russischen Revolution von 1905 verwendet.
    ... Nach einer zwischenzeitlichen Besetzung durch Deutschland (1941–1944/45) wurde die sowjetische Herrschaft wiederhergestellt. Während der folgenden Jahre verschärften sich stalinistische Unterdrückungsmaßnahmen und veranlassten mehr als 100.000 Bewohner dieser Länder, sich vor den Behörden zu verstecken, indem sie die oftmals bewaldeten oder sumpfigen abgelegenen Landesteile als natürlichen Schutzraum und Basis für den bewaffneten Widerstand gegen die Rote Armee nutzten. ... In den späten 1940ern und frühen 1950ern wurden viele der Waldbrüder durch Nachschub, Verbindungsoffiziere und Koordinationsmaßnahmen vom britischen MI6, amerikanischen CIA und dem schwedischen Geheimdienst logistisch unterstützt. Diese Unterstützung war in den ersten Jahren für die baltische Widerstandsbewegung bestimmend. Sie ließ jedoch merklich nach, nachdem die sogenannte "Operation Jungle" des MI6 durch Kim Philby und andere Spione in Großbritannien an die Sowjets verraten worden war, deren Informationen es dem KGB ermöglichten, viele baltische Partisaneneinheiten zu identifizieren, zu unterwandern und auszuschalten und so andere Waldbrüder von den Kontakten zu westlichen Geheimdiensten abzuschneiden. ... Der Kampf zwischen den bewaffneten sowjetischen Kräften und den Waldbrüdern dauerte mehr als ein Jahrzehnt und kostete mindestens 50.000 Menschenleben. Der Widerstand war im südlichen Litauen (Dzkkija) am besten organisiert, wo Partisanengruppen bis 1949 größere Gebiete des ländlichen Raumes kontrollieren konnten. ... Die Abgrenzung zum Terrorismus fällt im Einzelfall schwer, da vielfach auch die Zivilbevölkerung auf dem Lande terrorisiert wurde. Die Versorgung mit Nahrung und Kleidung erfolgte meist gewaltsam. Als Gegenmacht gegen die als Banditen bezeichneten Waldbrüder wurden die sogenannten Stribai (nach russisch Istrebitel') installiert, die mit ähnlichen Mitteln gegenüber den Angehörigen von Partisanen oder Verdächtigen agierten. Erpressung und Denunziation waren in beide Richtungen an der Tagesordnung. ... In den frühen 1950ern hatten die sowjetischen Truppen eindeutig die Oberhand im Kampf mit den Waldbrüdern gewonnen. Geheimdienstwissen, welches sowjetische Spione im Westen und KGB-Agenten innerhalb der Widerstandsbewegung zusammengetragen hatten, führte 1952 zu „Säuberungsaktionen“ im großen Maßstab und zur Ausschaltung der meisten übriggebliebenen Partisanengruppen. ... Einzelne unabhängige Partisanen konnten bis in die 1970er Jahre untergetaucht bleiben und ihrer Gefangennahme entgehen.Erst 1978 kam der vermutlich letzte estnische Waldbruder August Sabbe (1. September 1909 – 27. September 1978) beim Versuch zweier KGB-Agenten, ihn zu verhaften, ums Leben. ... Eine kritische Aufarbeitung, wie sie für die Résistance erfolgte, fehlt bisher. Das liegt einerseits an nationalistischen Motiven und andererseits daran, dass hauptsächlich Bewohner ländlicher Regionen, deren Stimme in den Medien wenig Gehör findet, unter den Waldbrüdern zu leiden hatten. Die Dokumentation über die Tätigkeit der Waldbrüder wird zur Zeit gesammelt und systematisiert, in Litauen beispielsweise durch das Zentrum zur Erforschung von Genozid und Widerstand und Vereine der noch lebenden Partisanen und ihrer Vertreter.“


    Zum Fotoanhang noch eine kleine Ergänzung:


    Links: Aufnahme des Ortes der Erschießungen. Die Bevölkerung des Ortes Loukek (Anm.: Noch nicht identifiziert!) pflegte die Gräber der litauischen und deutschen Opfer der sowjetischen Anti-Partisanen-Aktion und sorgte nach der Wende 1990 für eine Umbettung auf die Heimatfriedhöfe.


    Mitte: Herr Hinnen besuchte während einer seiner zahlreichen Litauen-Fahrten das Mahnmal – hier zusammen mit seinem litauischen Freund abgebildet.


    Rechts: Nahaufnahme des Denkmals.


    Unten: Denkmal für die lit. Partisanen in Tauroggen (Taurage) + Mitglied des Wilna-1944-Teams (Wilna-Fahrt 2011 (vgl. früherer Bericht!)). Das Aktions- und Rückzugsgebiet der lit. und auch poln. Partisanen erstreckte sich nach Westen bis in die Rominter Heide, deren Wildbestand in der Folge drastisch abnahm ... .



    … Fortsetzung folgt!


    Gruß,


    Joseph

  • Hallo alle zusammen,


    Den Spiegelartickel würde ich als Freizeitsliteratur bezeichnen. Tiger in Kaunas, Begrüssung der sowjetischen Truppen, Sprengung von Brücken und Flugzeugen, wandern mit der Truppe durch das ganze Land... Es klingt nicht glaubwürdig.


    Ortschaft "Loukek" würde ich sagen, könnte Luoke sein. Da gab es starke Untergrundbewegung nach dem Krieg. In Ortschaft selbst gibt es Denkmal den gefallenen Partisanen, die in Kiessgruben in der nähe begraben worden sind. Es gab Partisanentruppe, die Truppe Luoke hiess. Ich mache eine Umfrage wegen dem Bild der Ortschaft, vielleich ergibt sich was.

  • Hallo,


    ich stimme Dir zu, was das Niveau dieses Artikels betrifft. Allein die dort genannten Zahlen zu den Bevölkerungsverlusten sind sehr fragwürdig. Es werden 25000 jüdische Opfer der deutschen Besatzungszeit erwähnt - es wurden jedoch bei Paneriai (Ponary) durch die "Einsatzgruppe 9" schon 1941 - unmittelbar nach der deutschen Besetzung - mehr als 40000 und bis 1944 mehr als 100000 jüdische Bewohner umgebracht - und dieses angeblich leider auch unter der Mitwirkung spezieller, inoffizieller litauischer Gruppen ... .


    Die durch diesen Partisanenanführer so belanglos dargestellten Aktionen (Sprengstoffattentate, Liquidationen, etc.) waren sicher auch ein Teil des Teufelskreises von Gewalt und Gegengewalt - natürlich primär mit dem Motiv "Freiheitskampf". Motive verlieren in solchen Szenarien jedoch schnell an Glaubwürdigkeit - zum Schluss geht es auf beiden Seiten nur noch um Rache für erlittene Verluste ... .
    Auch die sowjetische Seite war gezwungen, ihre "hehren" Ideale von Internationalismus, etc. zu opfern - es ging ihr in der Phase des beginnenden "Kalten Krieges" nur um den Machterhalt.


    Dieses soll selbstverständlich keine Kritik an dem Bestreben Litauens sein, die Unabhängigkeit und Freiheit wieder zu erlangen. Man hat leicht reden, wenn man dieses alles hier im Westen nur aus "sicherer Entfernung" "miterlebt" hat - nein, letztlich hat man kaum etwas von diesen Ereignissen "im Osten" gewusst!.


    Ich werde Herrn Hinnen in den nächsten Tagen noch einmal anrufen, um mich für die Materialien zu bedanken. Vielleicht weiß er ja noch, wo dieser Ort "Loukek" liegt ... .


    Gruß,


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

  • Hallo,


    ich möchte heute die Beschreibung von Herrn Hinnen (FJR 16) zum ersten Flussübergang über die Neris (Wilija) hier einstellen. Es geht um die Überquerung in der Nähe des Punktes 84,2 (Mauern des Vorwerks Zakret) von dem Gebiet des Stadtparks Vingio nach Westen.
    Eine ähnliche Darstellung ist auch in der Chronik des 240. A.R. zu finden:


    Martin Blanken, Mitarbeit Hermann Tietz, Hans Bernhard Henning, Hans Werner Grefe, "Geschichte des Artillerieregiments 240 in der 170. Infanterie Division" 1939-1945


    Seite 119 ff (unverändert übernommen - mit einem Vorspann aus der ersten Belagerungsphase!):
    ...


    "Außer der II. Abt. bleiben von der schweren auch noch die 11. und 12. Btr. in Wilna hängen. Über ihr Schicksal hat Wm. Müller (12. Btr.) in seinem Tagebuch festgehalten:
    "Ein riesiges Durcheinander beherrscht die Szene, Panik bei allen Truppenteilen, insbesondere den Nachschubeinheiten. … Zu allem Unglück kommt es zu einem gut gezielten Angriff amerikanischer (Anm.: Dieses scheint eine Verwechslung zu sein - die Reichweite amerik. Verbände dürfte nicht ausreichen. In der Literatur werden schwere sowj. Bombenangriffe an diesem Tage mit dem Abwurf von 90 Tonnen erwähnt) , unser Zug wird getroffen, die Geschütze bleiben heil, aber viele Pferde sind verwundet, Leute hat es nicht viel gekostet. Nach dem Aufräumen werden wir an eine Rampe gezogen und entladen. Der Russe ist bereits an Wilna herangekommen und polnische Freiheitskämpfer, die"Legion Freies Polen", verstärken den Feinddruck. In einer der Hauptstraßen protzen wir ab und nehmen Stellung, in direktem Schuß feuere ich auf russische Panzer. Beim Feuerkommando ruft mir ein zurückfliehender Soldat zu: 'Müller-Karli, komm mit, hier kommst Du sonst nicht mehr raus!' Es ist Steiert-Gottfried, der mit seiner Einheit auf dem Rückmarsch ist. Ich rufe ihn zu, wenn ich falle, solle er daheim erzählen, wo und wie er mich gesehen habe und gebe das nächste Kommando. Das Häusermeer erzittert unter unseren Abschüssen. Bei Fliegerangriffen suchen wir mit der Zivilbevölkerung zusammen Schutz in den Kellern, drohende Gesichter lassen uns nichts Gutes ahnen. Allmählich ist der Russe mit seinem Gros heran, die Stadt wird konzentrisch eingeschlossen, es entbrennen Straßenkämpfe härtester Art, der Kessel wird in zwei Teile geteilt. Wir nehmen Stellung in der Weststadt. Plötzlich kriegen wir gezieltes Gewehrfeuer; es kommt aus Häusern und Türmen. Wir kämmen sie durch und finden tatsächlich ein paar Partisanen. …Inzwischen hören wir aus dem Führerhauptquartier von dem Befehl, die Stadt unter allen Umständen noch ein paar Tage zu halten, um den Aufbau einer sogenannten Ostpreußenfront zu ermöglichen. Man verspricht uns, daß uns dafür eine Panzergruppe entsetzen wird. Entsprechend hart werden in den nächsten Tagen die Kämpfe geführt. Mittlerweile verläuft die Front schon bei Kowno, nur wir halten noch aus, und die versprochene Panzertruppe kommt nur bis auf ca. 30 km heran. Die Entfernung bis zum von dieser Truppe in nordwestlicher Richtung gehaltenen Brückenkopf müssen wir durchbrechen. …Am Abend des 12.7.44 wird der Ausbruch vorbereitet. Rohrweise werden dieGeschütze gesprengt, während das andere schießt, um unsere weitere Anwesenheit vorzutäuschen. Die Geräte werden zerschlagen, denn sprengen dürfen wir nicht weiter, um uns nicht zu früh zu verraten. Schweren Herzens stechen die Fahrer ihre Pferde ab, die es nicht verkraften, lassen sie einfach laufen. Gegen 22 Uhr kommt der Befehl zum Ausbruch. Hintereinander ziehen wir in Richtung Wilja, die hier einen reißenden Fluß ähnlich wie der Oberrhein bildet. Die Stimmung ist nun eher entspannt als gespannt, man kann wieder etwas für sich tun, muß nicht mehr hocken bleiben. In den Flußwäldern mit Sandboden angekommen, erhalten wir vom jenseitigen Ufer Feuer, Iwan hat gemerkt, was wir vorhaben. Die meisten Kameraden rennen zurück und wollen auf dem diesseitigen Ufer einen Durchbruch versuchen, sie rennen ins Unglück. Ich bleibe mit meinen Funkern liegen und schaufele mir mit denHänden ein Loch in den Sand, das mich leidlich vor den Kleingeschossen schützt; tot oder durch, das ist unser fester Wille. Das russische Feuer aller Kaliber wird ruhiger, es geht auf 2 Uhr, und tagt schon, nun muß gehandelt werden. Ich schleiche mich ans Ufer und treffe Nolden, einen Stabsveterinär und den Spieß der Abteilung. Zu uns gesellen sich noch drei Infanteristen, die noch mit einem MG bewaffnet sind. Längere Zeit sitzen wir am Ufer und peilen die Lage. Nach Absprache bilden wir Hand an Hand eine Laufkette, und ich gehe kurz entschlossen als erster ins Wasser. Es ist reißend und tief, wir werden abgetrieben, aber jeder hält eisern fest. In der Mitte des Flusses droht uns das Wegschwemmen, und dann geht es plötzlich bergan, in einer Biegung kommen wir auf eine Sandanlandung, das ist unsere Rettung. Mit letzter Kraftanstrengung ziehen wir uns durch. Am Ufer - ich sehe noch alles vor mir - ist mein erste Gedanke: 'Nun sind wir durch! 'Andere sind dagegen skeptisch und behalten recht. In einer Ziegelhütte bringen wir uns einigermaßen wieder in Ordnung, Uniform auswringen, Waffen putzen, alles andere bleibt liegen, ohnehin haben wir mit den vollgesogenen Klamotten doppelten Ballast zu tragen. Der Ort liegt am Fuße einer Hügelkette, auf der der Iwan sitzt. Nach kurzer Rast versuchen wir in einer Senke den Durchbruch. Die Situation wird dramatisch: Wir laufen einem T 34 direkt vor das Rohr, den Rohrschwenk und Visiereinrichtung vor Augen, rennen wir um unser Leben über den nächsten Hügel und landen in einer russischen 3 Mann MG-Stellung, die Russen sind ebenso überrascht wir, und keiner tut dem anderen etwas. Nach Überwindung des Geländes von ca. 1 km, in welchem wir mehr oder weniger im toten Winkel laufen, treffen wir auf eine andere Wilna-Einheit. Diese hat scheinbar einen guten Übergang gefunden, denn sie ist noch fast ganz beisammen. …"



    Nun aber zu den Schilderungen von E. Hinnen:


    "Der Ausbruch


    Die Essenholer brachten die Nachricht mit, und keiner wollte sie recht glauben: Heute Nacht brechen wir aus! Gleich darauf musste ich zum Kompaniegefechtsstand, und es bestätigte sich, wir sollten und durften ausbrechen. Viel zu packen hatten wir nicht mehr. Die Waffen wurden noch einmal nachgesehen, und in fiebriger Ungeduld die Dämmerung erwartet. Gross war das Rätselraten, wo sollte der Ausbruch erfolgen? Im Angriff durch die Russen? Auch als wir uns unbemerkt absetzten, wusste noch niemand, wo der Ring durchbrochen werden sollte. Wir Fallschirmjäger hatten an allen Ecken der eingekesselten Stadt, oder besser, des eingekesselten Stadtteils gestanden. Als wir in Richtung auf den Wald im Westen geführt wurden, schauten wir uns gross an. Da war doch der Fluss, über den keine Brücke mehr führte? An den Strassen und Wegen standen gespannte Bagagen der Infanterie in langen Reihen, standen Flak-Geschütze, standen Kraftwagen, und daneben, in den Gärten, verschoss die Artillerie ihre letzte Munition in die jetzt lichterloh brennende Stadt. Wie sollte das ganze Material über den Fluss? Erst als wir bei einsetzendem Regen im Wald lagerten, erfuhren wir mehr. General Stahel hatte bei einem alten, ehemaligen Kloster (Anm.: Vorwerk Zakret!) eine Furt in der Wilna (Anm: Fluss Neris)ausfindig gemacht, und hier sollten alle Soldaten hinüber. Wir kannten diese Stelle gut, dort hatten wir einmal 36 Stunden in Stellung gelegen. Der Wald führte bis beinahe auf 100 Meter an den Fluss heran. Auf der gegenüberliegenden Seite erhebt sich etwas weiter rechts ein hoher Berg, von dem man diese Stelle sehr gut unter Feuer nehmen konnte. Wenn das nur gut ging. Von der Furt hatten wir damals allerdings noch keine Ahnung. Hinter uns schallten zwischen dem Artilleriefeuer dumpf Explosionen durch den Wald. Geschütze und Wagen wurden gesprengt! Es fielen auch Schüsse, deren Opfer diesmal die treuen Pferde waren. Doch viel Zeit zum Überlegen blieb uns nicht, denn bald hiess es: „Fallschirmjäger nach vorn!“So leise wie möglich tappten wir an den lagernden Kameraden der Infanterie vorbei durch den dunklen Wald, durch den unablässig der Regen rann, nach vorn. Mit General Stahel an der Spitze sollten wir im Stosstrupp durch das Wasser laufen und auf der anderen Seite den Weg freikämpfen! Wir traten aus dem Wald heraus, und vor uns lag die Wilna (Anm.: s. o.) , über 100 m breit, doch beinahe so reißend wie der Rhein. An der Mauer des Klosters entlang schoben wir uns zum Ufer hinunter. Ein kurzes Atemholen, ein paar schnelle Schritte, schon standen wir im Wasser und begannen den Marsch ins Unbekannte. Das Wasser reichte mir nur bis an die Knie, dann bis an die Hüfte, schliesslich stand es uns bis zur Brust. Die Strömung war sehr stark, wir alle in voller Ausrüstung. Die Maschinenpistole hoch über dem Kopf - von ihr konnte unser Leben abhängen - tasteten wir uns vorwärts. Manchmal stieg das Wasser leise plätschernd bis zum Kinn, dann reichte es nur bis zur Brust. Das schien besser zu klappen, als ich vorher gedacht hatte. Als ich noch 50 Meter vom andren Ufer entfernt war, kletterten die ersten meiner Kameraden schon an Land. Verschwanden im Gebüsch. Wir blieben stehen, horchten. Alles blieb ruhig! War ich, weil die Spannung nachliess, ein wenig leichtsinnig geworden und hatte ich nicht mehr auf meinen Vordermann geachtet? Ich weiß es nicht mehr. Plötzlich riß mich die Strömung um, verlor ich den Boden unter den Füßen, zog mich auch schon der „Knochensack“ unter das Wasser. Schreien war streng verboten! Die Maschinenpistole musste ich fallen lassen, den Stahlhelm vom Kopf reissen, Koppel mit Pistole, Brotbeutel, Tragrist mit den Magazinen, der Rock mit der Brieftasche, alles verschwand, dann endlich konnte ich auftauchen und Luft schnappen. Jetzt konnte ich auch schwimmen. Zwar trieb ich noch weiter ab, aber ich kämpfte verzweifelt, und ... ich schaffte es. Etwa 100 Meter unterhalb der vorgesehenen Landestelle kam ich an das Ufer.Vorsichtig schaue ich mich um - nichts zu sehen und zu hören, weder Freund noch Feind. So setzte ich mich hin und verschnaufte mich erst einmal. Da plätscherte es unter mir, und ein Hauptmann von der Infanterie kletterte die Böschung herauf; und war genau so froh wie ich, dass er es noch geschafft hatte. Er hatte noch trockene Zigaretten und Streichhölzer unter seinem Stahlhelm. Wir berieten, was tun? Keiner von uns hatte eine Waffe. Doch wir gingen los und fanden auch etwas weiter oben einige Infanteristen. Ich bekam einen Karabiner, eine Zeltplan und eine Mütze. Damit machten wir uns auf den Weg zu den dunkel vor uns liegenden Höhen. ... "



    Man kann auf Grund der hier vorliegenden Berichte davon ausgehen, dass bereits an dieser ersten Übergangsstelle Nichtschwimmer so gut wie chancenlos waren, wenn sie nicht eine wirklich geeignete Furt gefunden hatten. Diese in der stockdunklen Nacht bei dichter Bewölkung (Regen wird erwähnt!) zu finden, dürfte extrem schwierig geswesen sein. Der Zeitzeuge Korth berichtet davon, dass Pioniereinheiten, welche mit dem Aufspüren von geeigneten Furten betraut waren, diese sofort benutzten - ohne Weitergabe der Informationen an die Zurückgebliebenen bzw. Auftraggeber - quasi eine Art Fahnenflucht ... .
    Der gleiche Veteran berichtet von apokalyptischen Zuständen im Wald von Vingio, wo die Grantwerfergeschosse der inzwischen aufmerksam gewordenen sowj. Belagerungsverbände in den Baumwipfeln krepierten und furchtbare Verluste unter den dort Wartenden anrichteten.



    Der weitere Weg der zunächst in kleineren Einheiten marschierenden und nur leicht bewaffneten Flüchtenden sowie ihr Kontakt mit polnischen Partisanengruppen auf dem Weg zur 2. Übergangsstelle wird demnächst beschrieben ... .



    Gruß,


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

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  • Hallo,


    ich möchte heute einige Berichte zur 2. Etappe des Ausbruchsversuchs, den Marsch von der 1. Passage der Wilija (Neris) bei Folwark Zakret (Vingio) zur zweiten Überquerungsstelle bei Woly (Valai) einstellen.


    Zunächst ein (unveränderter) Bericht eines Angehörigen des AR 240:



    „Nach Überwindung des Geländes von ca. 1 km, in welchem wir mehr oder weniger im toten Winkel laufen, treffen wir auf eine andere Wilna-Einheit. Diese hat scheinbar einen guten Übergang gefunden, denn sie ist noch fast ganz beisammen. Eine russische Vierlingsflak auf einem LKW nimmt den ganzen Haufen unter Feuer, und im Nu entsteht ein Durcheinander, Tote und Verwundete gibt es und die seit Tagen anhaltende Panikstimmung. Panzergeräusche sind zu vernehmen, Iwan hat die ganze Gegend alarmiert und macht Jagd auf uns. Wir, die wir über den Fluß gekommen sind, machen nun einen letzten Versuch, hier durchzubrechen. Über eine Art.-Stellung, der Posten schiebt mit geschultertem Gewehr zwischen den Geschützen Wache, erreichen wir einen Waldsaum. Der Posten hat uns bemerkt, ohne Sattelzeug verfolgen uns ein paar Reiter und eröffnen dasFeuer. Da habe ich es endgültig satt, und wir bringen unser MG in Stellung und beenden den Zauber schnell. Wir steigen nun in die quer zur Wilja verlaufenden Höhenzüge ein, deren Waldbestand uns gut tarnt. Mit einer weiteren Gruppe vereint, bei der sich die Generale Poel und Stahel befinden, stoßen wir mit polnischen Freiheitskämpfern zusammen. Ein Kommissar spricht uns in einwandfreiem Deutsch an und erklärt uns, daß der Waldbestand vor uns von der Legion "Freies Polen"besetzt sei, wenn wir die Waffen ablieferten, bekämen wir freien Durchzug. Wir lehnen ab. …Die Waffen werden klar gemacht, die vorhandenen MGs nach vorn gebracht. Wir sind 500 Mann, und mit kräftigem Hurra geht es auf die angeblichen Verteidiger los. Ich führe einen Zug der Marschgruppe Lindner und fungiere als Stoßtrupp mit MG voraus. Mit dem Mut der Verzweiflung rennen wir die Höhen hinauf. Es gelingt, die Polen rennen davon, und die anschließenden russischen Truppen türmen ebenso. Leider haben auch wir Verluste. Im Wald stoßen wir auf eine gute ausgebaute Blockhäuserstellung, zwei Bunker, die sich halten, werden mit Handgranaten ausgeräuchert. Stunden vergehen, das Gelände wird abschüssig, wir kommen in die Flußebene. Nun kann es nicht mehr weit bis zu dem Punkt sein, bei welchem die PanzergruppeTolksdorf (Anm.: Tolsdorff) auf uns wartet. Feuer von Granatwerfern und Pak empfängt uns, nochmals müssen wir einen stärkeren russischen Sicherungsgürtel direkt im Uferwald überwinden. Genau wie zuvor, MGs voran, mit Hurra stürmen wir durch den Ring und stehen wieder an der Wilja. Sie ist hier noch breiter und tiefer, doch mit Glück haben wir die Stelle getroffen, an der am anderen Ufer Fallschirmjäger einen kleinen Brückenkopf freihalten. Es beginnt erneut die große Tragik. Aus verschiedenen Richtungen erreichen weitere Restkampfgruppen die Stelle, und es gibt keine Übersetzgelegenheit. Ein Boot, das mehrere Verwundete übersetzte, ist gekentert, ein Seil das von den Fallschirmjägernaus den Leinen der Fallschirme geflochten wurde und zwischen Ufern an Bäumenbefestigt ist, reißt am laufenden Band. Die Zeit drängt, und wer schwimmen kann, haut ab, aber die meisten sind Nichtschwimmer. Ich bleibe bei diesen, weil ich mich verantwortlich fühle. Inzwischen hat sich der Russe wieder gesammelt und schießt mit Pak und Granatwerfern in das hilflos am Ufer stehende Menschenknäuel. Wohl haben wir noch einige Waffen, aber die Tage der Einschließung und der heutige Ausbruch haben unsso schwer mitgenommen, daß wir das Feuer ruhig über uns ergehen lassen, es ist ja alles so egal. Da ertönt der Ruf: 'Der Russe greift an.' Durch das Gebüsch kommen die erdbraunen Gestalten. Wie ein Signal wirkt es, Müdigkeit und Stumpfsinn sind überwunden, und mit Hurra geht es ihm entgegen. Wie er kommt, so geht er stiften. Noch fünfmal müssen wir ihn uns vom Leibe halten. Immer häufiger springen Kameraden in Panik in den Fluß und versuchen nach drüber zu kommen, die meisten ertrinken jämmerlich. Auf Baumstammflößen, die in der Todesangst zusammengebunden werden, kommt noch ein Teil hinüber. Es wird Nachmittag, und da befiehlt ein General: 'Rette sich, wer kann!' Ich ziehe mich aus, schnüre meine Sachen mit den Hosenträgern zusammen, berechne die Strömung, gehe ein Stück flußaufwärts und steige ins Wasser. Mitten im Strom haut mir mein Bündel weg, ich schwimme ihm nicht nach, und so bin ich mein bißchen Habe samt Papieren los. Mein Leben ist wichtiger, und so erreiche ich nochbei den Fallschirmjägern das Ufer. Splitternackt, nur noch mit der Erkennungsmarke um den Hals, muß ich noch ca. 6 km durch den Uferwald laufen. Plötzlich hört der Baumbestand auf, und vor mir auf dem Feld sehe ich drei Panzer stehen. Vorsichtig schleiche ich mich heran, und beim Anblick des Balkenkreuzes springe ich frei weg drauf zu. Mit einem Sanka, der zur Bergung von Verwundeten weiter hinten wartet,werde ich in das nächste Dorf gefahren. …"
    Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Wm. Karli Müller (12. Btr.), AR 240 der 170. I.D.


    Weitere Auszüge aus dem Buch von Blanken „AR 240 in der 170. I.D.“ (Bericht des Chefs der 5. Batterie Olt. Henning sowie von Obestleutnant Tietz) sind im Bildanhang wiedergegeben.


    Auch hier werden zunächst noch friedliche Kontakte mit den nordwestlich (und auch im Südosten) von Wilna zusammengezogenen Einheiten der Armija Krajowa (AK), der poln. Heimatarmee (im deutschen Sprachgebrauch jener Zeit: polnische „Banden“) erwähnt.
    Die AK hatte bis kurz vor dem Eintreffen der Sowjets auf dem Gebiet Vorkriegspolens bei Wilna, welches auch für die AK infolge des so schnell nicht erwarteten Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte eigentlich zu früh stattfand, mit deutschen Stellen mehr oder weniger offizielle Verhandlungen geführt.
    Es ging der AK und der Londoner Exilregierung darum, den polnischen Einfluss in diesem Gebiet zu wahren – auf jeden Fall wollte man verhindern, dass durch die Sowjets eine moskauhörige Regierung installiert würde.
    In diesem Zusammenhang ging man seitens der AK sogar so weit, dass man eine Art Kollaboration mit der Wehrmacht bei der Bekämpfung sowjetischer Partisanen in jenen Gebieten ins Auge fasste, welche bei einigen Aktionen auch realisiert wurde. Das weitestgehende Angebot bestand darin, nach deutschen Waffenlieferungen einen gemeinsamen Kampf bei der Verteidigung Wilnas gegen die Rote Armee aufzunehmen.
    Die Verhandlungen zwischen der deutschen Seite und der AK wurden in der Wilnaer Zentrale der deutschen Abwehr durch Major Christiansen organisiert und geführt. Er hatte einen sehr guten Ruf bei den polnischen Gesprächspartnern.
    Der folgende Auszug aus einer Publikation des poln. Historikers Siemazko macht dieses deutlich:


    "Bei seinen Verhandlungen in Wilna ist Major Christiansen von seinen polnischen Gesprächspartnern später wie folgt charakterisiert worden:"Am Rande muß ich erwähnen, daß Major Christiansen einen sehr vertrauenswürdigen Eindruck machte. Er hatte im Auftreten und im Verhalten nichts von einem überheblichen preußischen Offizier an sich. Mittelgroß, mit intelligentem Gesicht, sah er eher wie ein Intellektueller aus, den man in Uniform gesteckt hatte und nicht wie ein preußischer Berufsoffizier. Er benahm sich die ganze Zeit über sehr kultiviert und taktvoll. Die Verhandlungen wurden während der ganzen Zeit in einer sehr kultivierten Atmosphäre geführt, voller Höflichkeit; besonders muß anerkannt werden, daß Major Christiansen ein geborener Diplomat war, der in seinen Antworten häufig für unsere Ohren angenehme Töne anklingen ließ, indem er im Namen der Wehrmacht Bewunderung für die heldenhafte Haltung und Unbeugsamkeit des polnischen Volkes herausstellte". Dieses von Major Christiansen aufgrund seiner persönlichen Integrität hergestellte Vertrauensverhältnis dürfte der Grund gewesen sein, daß er von der Führung der AK in Warschau wieder als Parlamentär für die Waffenstillstandsverhandlungen akzeptiert, wenn nicht sogar angefordert wurde. In seinen Briefen heißt es dazu:


    BRF vom 25 September 1944:"Eine besondere Aufgabe hält mich wahrscheinlich einige Zeit fest. Im Laufe des Tages wird es sich entscheiden, ob die Lösung derselben überhaupt möglich ist. .. man hat mich in meiner alten Sache geholt, jetzt, wo es wahrscheinlich zu spät ist. Ich will aber nur Vermittler sein, denn mein Kommando lasse ich nicht im Stich. Freilich hängt wahrscheinlich wieder von mir als Person vieles ab..... Inzwischen ist der Tag ein gutes Stück weitergegangen und die Entscheidung ist gefallen, d.h. ich will den Versuch wagen".


    BRF vom 26/27. September 1944: "Nichts ist für mich scheußlicher als warten, ohne daß ich etwas zu tun habe. So geht es mir schon seit Stunden......Ich warte auf den Ausgang einer verabredeten Waffenruhe. Von der hängt sehr vieles ab, eigentlich alles. Seit heute früh die Unterredung mit dem".... (Der Brief bricht hier ab und setzt fort mit dem 27. September 1944 spät abends.)… Wie ich befürchtet hatte, kam es. Mitten im Satz mußte ich abbrechen und dann ging es los bis jetzt. Ich bin mal wieder im feindlichen Lager gewesen und zwar mit Erfolg. Nun kommt der noch schwerere Teil. Es besteht Aussicht, daß ich durchkomme, zumal ich diesmal erhebliche Vollmachten bekommen habe. Es hängt noch alles an einem Seidenfaden... . Alles ist zwar so ganz anders als damals in Wilna. Wenn man mich doch s. Z. hätte machen lassen. Das wird immer klarer und wird auch immer mehr anerkannt. Was noch zu retten ist, weiß ich nicht".


    BRF vom 30 September 1944: "Meine Mission ist im Augenblick zu Ende. Ich bin auf der Rückreise über Posen und will übermorgen wieder bei meinem Kommando sein... . Ich bin tatsächlich in den ganzen Tagen nicht aus den Kleidern gekommen. Aber es hat sich gelohnt, oder scheint sich zu lohnen. zweimal bin ich drüben gewesen und einige Male zwischen den beiden Hauptkampflinien. Ich denke, daß du im Wehrmachtsbericht schon vor diesem Brief von der Sache hörst, allerdings ohne meinen Namen. Es handelt sich um die Liquidation des polnischen Aufstandes. Im Wehrmachtsbericht vom 27. oder 28. war der Fall von Fort Mokotov genannt. Das war mein erster Erfolg. Nun erwarte ich auf Grund meiner Verhandlungen, daß heute oder morgen der Rest sich ergeben wird. Es steht nur noch ja oder nein aus. Und das hängt, wie damals von London ab. Grundsätzlich ist aber schon ja gesagt, wie damals. Was ich an Not und Elend gesehen habe in den letzten Tagen, ist furchtbar. Dabei wird alles von uns getan, was für die Zivilbevölkerung getan werden kann. Drüben im Lager der Aufständischen sieht es schlimm aus, vor allem, was die Verwundetenfürsorge angeht". Siehe dazu auch Ausschnitt in dem vom polnischen Regisseur Christopher Lang anläßlich des 50. Jahrestages des Warschau-Aufstandes gedrehten Dokumentarfilm. Eine gekürzte Fassung dieses Films wurde am 4. August 1994 im Arte-Kanal gesendet. Eine Video-Aufnahme dieses Films befindet sich in meinem Besitz Durch dieses Ansehen, das Major Christiansen als deutscher Offizier auf polnischer Seite genoss ergaben sich im Herbst 1944 offensichtlich weitere Verhandlungen mit der AK, Er schreibt dazu :


    Brief vom 5 Oktober 944: "Warschau hat sich zu einem vollen Erfolg für mich ausgewirkt. An der Kapitulation habe ich einen gewissen, vielleicht entscheidenden Anteil durch meine damalige Wilnaer Sache.. Nun habe ich heute nacht Mitteilung bekommen, dass ich mich bereit halten soll, sofort zu weiteren Besprechungen zu kommen. Das ist dann natürlich eine neue interessante Aufgabe. Es scheint sich im übrigen eine erhebliche Wende politisch und militärisch vorzubereiten".


    Brief vom 25 Oktober 1944: "Im Augenblick spielt wieder eine große Sache im Anschluss an Wilna. Ich halte mich indessen bewusst sehr zurück. Aber ich bin nun mal bei den Polen Tagesgespräch und kann mich dem nur schwer entziehen. Wie ich vertraulich höre, beabsichtigen sie, mir vom internationalen Roten Kreuz eine öffentliche Ehrung zukommen zu lassen. Das ist mir gar nicht so ganz lieb. Unsereiner muss besser nicht in der Öffentlichkeit erscheinen".


    Brief vom 27 Oktober 1944: " Was die Sache Warschau angeht bin ich wieder am besten Zuge. Das, was ich wollte, kommt doch noch zustande. Aus allen Berichten geht hervor, dass mein Eingreifen maßgebend war. Heute bekam ich von der anderen Seite einen Feldpostbrief, mit der Bitte um eine Unterredung. Sie findet übermorgen statt".


    (Z.S.Siemazko "Gespräche mit der Wehrmacht in Wilna",S.18 - 24 veröffentlicht in "Historische Hefte nr 64 Paris 1984)


    Im Thread von „Antoni“, an welchem auch der Sohn von Major Christiansen teilgenommen hat, werden einige interessante Details dieser Kooperation beschrieben: http://www.lexikon-der-wehrmac…rch.php?searchid=2844749.


    Diese Berichte und auch die Untersuchungen des deutschen Militärhistorikers B. Chiari (vgl.: „Die polnische Heimatarmee: Geschichte und Mythos der Armija Krajowa seit dem ...“
    herausgegeben von Bernhard Chiari,Jerzy Kochanowski) belegen eine ernst gemeinte Zusammenarbeit zwischen der polnischen und der deutschen Seite. Diese wurde jedoch von Teilen der AK und auch von höheren Stelle der SS blockiert – insbesondere nachdem der ungestüme Vormarsch der RA mit der Installation der poln. Marionettenregierung („Lubliner Komitee“) jeder Träumerei bez. der Wiederherstellung von Vorkriegspolen ein Ende setzte.


    Die Aktivitäten der AK während der Einschließung Wilnas sollen im nächsten Beitrag behandelt werden … .


    Gruß,


    Joseph

  • Hallo,


    heute nur eine kurze Ergänzung zu meinem Beitrag vom 23.10.12. Inzwischen ist der dort erwähnte Lageplan aufgetaucht, dessen Legende bereits in diesem Bericht vorliegt.


    Nur der Vollständigkeit halber ... .




    Gruß,


    Joseph

  • Hallo,


    ein kurzes Intermezzo mit einem Kartenproblem. Die unten sehr verschwommen dargestellte Karte (mit Dank von Thilo "erbeutet") zur milit. Lage am 09.07.1944 im Umfeld von Wilna lässt dennoch erkennen, dass südlich
    der Stadt die 170. ID operiert hat - bzw. Teile davon.
    Bisher war Stand der Dinge, dass die Stadt ab dem 08.07.1944 komplett eingeschlossen war. Außerdem wird erwähnt, dass die von der HG Nord entsandten Einheiten der 170. in der Stadt eingesetzt worden sind - zur Verteidigung des sog. "Festen Platzes Wilna".


    Es wäre nun interessant, welche Teile der 170. dort südlich der Stadt eingesetzt waren bzw. ob sich diese Gruppen noch zur Stadt durchkämpfen konnten.


    Vielleicht hat jemand eine Idee?


    Gruß,


    Joseph

  • Guten Morgen Joseph
    Ich war beim Gren.Rgt. 401 der 170. Inf.Div.. allerdings kam ich erst als Nachzügler von der Narwa-Front zu meinem Rgt. im Memelbogen. Soweit ich
    noch aus Erzählungen meiner Kameraden weiss, war unser Rgt. nicht direkt in Wilna, sondern südlich davon und kämpfte sich dann hinhaltend Richtung Suwalki. Ich fand das Rgt. in einem 3 Tagemarsch von Byalistok in nöröstlicher Richtung irgendwo im Memelbogen. Da wir uns täglich (nachts) ab setzten, um einer Einschliessung zu entgehen, kann ich mich an einzelne Orte nicht mehr erinnern. Unser Rgt. war mit Sicherheit nicht in Wilna eingeschlossen, denn das hätten mir die Kameraden Mitte Juli bei ihren Erzählungen nicht vorenthalten.
    Herzliche Grüsse Ferdi

  • Hallo Ferdi,


    vielen Dank für die Aufklärung. Dann habe ich wohl Dein interessantes Buch an einigen Stellen nicht hinreichend aufmerksam gelesen ... .


    Jetzt wäre dieses Problem damit geklärt. Die 170. ID ist wohl ganz zerfleddert in das sog. "Baltische Loch" geschoben worden - konnte es aber so wie auch die anderen Improvisationen nicht stopfen.


    Auf den Karten sieht dieses ja immer ganz steril und wie ein "Spiel" aus - süffisanterweise spricht/sprach man ja in der Militärkaste bei Manövern von "Kriegsspielen". Was aber für ein Elend und welche Sinnlosigkeit dahinter verborgen war, das kann man nur wirklich erfahren, wenn man glaubwürdige Zeitzeugen - wie Du es einer bist - zu Wort oder zur Niederschrift kommen lässt.
    Solschenyzin lässt den russ. General Samsonov in seinem Buch "August 14" einmal sagen, dass er Karten in großem Maßstab deswegen bevorzuge, weil er dann die Mühen des einfachen Soldaten bei den langen Tagesmärschen besser nachvollziehen könne. Solche ein wenig mitfühlenden Heerführer sind jedoch nicht immer "erfolgreich" ... .


    Ich frage mich jedoch auch, wer der Benutzer dieser Lagekarten gewesen ist bzw. sein sollte. Wenn man dort südlich von Wilna "stolz" die 170. ID "hinmalt", wo in Wirklichkeit nur eine kleine Abteilung ihr Dasein fristet, erscheint mir dieses wie ein Selbstbetrug und auch eine Ursache für Fehlinterpretationen der "Lage". Mehr Schein als Sein - ein denkbares Motiv in dieser letzten Phase der Agonie ... .


    Gruß,


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

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  • Hallo alle Beteiligten zum Thema Wilna,
    ich kann nicht sehr viel zu diesem Thema beitragen, da es zu wenig Material über die 170. ID und Wilna gibt.
    Deshalb bin ich sehr begeistert was Joseph über die Zeit herausgefunden hat.


    Es sieht wirklich so aus, als ob die 170. ID zu dieser Zeit eine weitverstreute Division war und sich erst in Suwalkie wieder zusammengefunden hat.
    Laut den Büchern von Hennecke Kardel und Martin Blanken wird über das Thema Wilna von mehreren Ausladepunkten berichtet.


    Es wird beschrieben dass am 4.7.1944, 4 km vor Wilna, der erste Transport zum Entladen gekommen ist.
    Dort wurde der Regiment-Stab, I. und III. Abteilung sowie Stab der schweren Abteilung mit der 10. Batterie der AR. 240 entladen. Diese Einheiten marschierten dann nach Wilna.
    Bei Wilna stießen diese Einheiten am Ausladebahnhof Landwaris auf die schwere 11. und 12. Batterie sowie die IV. Abteilung und die schweren Granatwerfer – Kompanie 170. Diese marschierten ebenfalls nach Wilna.


    Das IR. 391, II./ IR.399, I. II./IR.401 sowie 11. und 12. Batterie I./AR.240 wurden schon vorher bei Molodentschno entladen und kämpften sich bis Wilna durch.
    Das in Estland als letzte Einheit der Division verladene Feld-Ersatzbataillon 240 erreichte nicht einmal mehr Wilna.


    Die Einheiten der 170.ID, die im Raum Molodetschno-Wilna-Lida-Steiny weit verstreut gekämpft hatten, sammelten sich erst bei Suwalki in der Ostpreußenstellung .


    Gruß Hagen

  • Hallo Hagen,


    danke für die interessanten Ergänzungen. Nun wird das "südliche Bild" etwas klarer. Dass die 170-er bei Molodetschno eingesetzt waren, hatte ich auch schon einmal gelesen. Dass sie aber mit "Masse", (das bedeutet wohl das in der Nähe des "170"-Symbols entzifferbare Zeichen "Ma") südlich operierten, war mir neu.


    Heute will ich noch schnell ein Bild hier einstellen, welches mir vor kurzem in die Hände bzw. den Rechner gefallen ist.


    Das erste Bild zeigt den sowj. Schriftsteller und Journalisten Ilja Ehrenburg unmittelbar nach der Eroberung/Befreiung der Stadt im Kreise einiger, überwiegend jüdischer Partisanen.


    Von Ehrenburg ist ja allgemein nur das berüchtigte "Poem" bekannt, das im Folgenden auszugsweise dargestellt wird:


    " ... Von nun an ist das Wort „Deutscher“ für uns wie ein entsetzlicher Fluch. Von jetzt an lässt das Wort „Deutscher“ das Gewehr von allein losgehen. Wir werden nichts sagen. Wir werden uns nicht empören. Wir werden töten. Wenn du nicht pro Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, war es ein verlorener Tag. […] Wenn du den Deutschen nicht tötest, tötet er dich. Er nimmt deine Nächsten und quält sie in seinem verfluchten Deutschland. […] Wenn du den Deutschen leben lässt, hängt er den russischen Mann auf und schändet die russische Frau. Wenn du einen Deutschen getötet hast, töte einen zweiten – nichts stimmt uns froher als deutsche Leichen. ..."


    Diese Formulierungen machen auch heute nach mehr als 70 Nachkriegsjahren stumm. Sie sind menschlich verständlich nach all dem Leid, was das NS-System den Menschen in der Sowjetunion angetan hat. Sie sind jedoch unter ethischen Gesichtspunkten eines Künstlers mit möglichst humanem Menschenbild inakzeptabel.


    Ich werde in der nächsten Zeit einige äußerst erschreckende Details vom 11. - 13.07.1944 zur Situation in dem von der Roten Armee "eroberten" und übernommenen Lazarett im Basilius-Kloster hier einstellen, welche auf Aussagen einiger der wenigen Überlebenden dieses Lazaretts basieren.


    Die gute Stimmung der Akteure auf dem Foto ist verständlich - nach all den Jahren der bestialischen Ausrottungspolitik der "Deutschen" (allein in Wilna mehr als 100000 jüdische Opfer!) fühlt man sich jetzt befreit und als Sieger - mit Machtgewinn über deutsche Kriegsgefangene und Verwundete in den Lazaretten. Nicht alle sind moralisch derart gefestigt, dass von Übergriffen grundsätzlich Abstand genommen wird. Auch dieses ist menschlich nachvollziehbar - wenn auch inakzeptabel.
    Aber: "Inter arma enim silent leges!" ...


    Gruß,


    Joseph

  • Hallo Joseph
    Das berüchtigte Zitat von Ehrenburg (Tötet, tötet usw.)war, wie mir vor längerer Zeit hier im Forum erklärt wurde, eine Fälschung von deutscher Seite, um den Widerstandswillen der Soldaten zu stärken.
    Es ging damals um die Grausmkeiten russ. Einheiten bei der Eroberung deutschen Gebietes. Die Spezialisten werden es sicherlich erklären.
    Gruss Ferdi

  • Hallo Ferdi,


    vielen Dank für Deine Anmerkungen.


    Nach meiner Kenntnis soll der o. a. "Aufruf" aus dem Jahre 1942 authentisch sein - der spätere aus dem Jahre 1944 (Aufforderung zur Vergewaltigung ... ) soll eine Fälschung deutscher Propaganda-Gruppen gewesen sein.


    Herr Ehrenburg hat nur das in Worte gefasst, was das nazistische Gedankengut in der Sowjetunion an Gräueltaten (z. B. Belagerung von Leningrad mit Millionen Hungertoten, an welcher übrigens mein Onkel mit der 170. ID befehlsgemäß auch "mitzuwirken" hatte) deutscher Einheiten verursacht und nach sich gezogen hat. Die Aussagen aus dem Jahr 1942 beziehen sich auch nicht auf die deutsche Zivilbevölkerung, sondern nur auf das aus der Sicht der sowj. Bevölkerung eindeutig als Aggressor agierende deutsche Militärpersonal.


    Es hat auch schon im ersten WK "Poeten" gegeben, welche sich ihren Fahnen mit flammenden und brutalst-nationalistischen Aufrufen verschrieben haben - es ist also keine Spezialität eines "Reiches des Bösen"!


    Es ist immer nur das Resultat des Ausschaltens ethischer Grundsätze durch die Emotion - aber das wird wohl (leider?) immer so bleiben. So sind wir wohl "gestrickt"?


    Gruß,


    Joseph


    P. S.: Jetzt wird s langsam Philosophisch, wenn nicht gar Psychologisch ... .

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

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  • Hallo Chevy - und andere Spezialisten,


    in den Unterlagen zu "Wilna" findet man immer wieder die Bezeichnung "II./AR240" o. ä. Abkürzungen.


    Bisher war ich davon ausgegenagen, dass es sich hier um die Nummer einer der Batterien dieses Regiments handelt. In der von mir. o. a. Studie wird diese Einheit auch als "Artilleriegruppe Tietz" in einer Übersicht der in Wilna eingesetzten Verbände geführt.


    Was also bedeutet dieses "II." vor der Regiments-Nr.?


    Gruß,


    Joseph

    Suche Informationen zum Füs.Bat. 170 im Zeitraum Juli 1944 und zur 269.I.D im Zeitraum Januar bis März 1945 (Festung Breslau)

  • Hallo Joseph,


    1./, 2./,3. usw bezeichnen eine Kompanie/Batterie,


    I, II, III usw bezeichen das Bataillon/Abteilung eines Regiments.


    Grüße Thomas

  • Hallo Thomas,


    vielen Dank für das klärende Urteil. Nun wird auch anderes ein wenig besser verständlich. Bisher war der Kommandeur der II. Abteilung immer nur im Zusammenhang mit der 4. Batterie gesehen worden.


    Wir sind bei den "Wilna'ern" auf der Suche nach den Erinnerungen dieses Kommandeurs Hermann Tietz, von welchen bisher nur ein Buchrücken im Internet gefunden werden konnte - ohne Chance auf weitere Klärung.


    Andere Dokumente zum AR 240 liegen schon vor (Blanken) - aber dieses im Selbstverlag erschienene Werk von Herrn Tietz ist unauffindbar .. .


    Vielleicht hat hier jemand eine Idee?



    Gruß,


    Joseph

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  • Hallo Thomas und Joseph,


    jetzt schwinden meine Unsicherheiten beim Verständnis mancher Angaben in KTBs usw.
    Römische Ziffern für die Bezeichnung von Abteilung/Bataillon, lat. Ziffern für die Batterie/Kompanie !
    Das passt dann auch zu Übersichten, wie die der Feldpostnr. vom AR240 u.a. Man hätte natürlich auch hier nachsehen können...
    Besten Dank für die Aufklärung,
    Wulf

    Suche Infos zu Wilna44, zu KG-Lagern im Baltikum und im russ. Rjasan.