Hallo,
heute soll hier ein kurzer Bericht aus der Perspektive der in die Kämpfe involvierten litauischen Bevölkerung gegeben werden. Herr Hinnen hatte auf Grund seines respektvollen Umgangs einen sehr guten Kontakt zu einigen Bewohnern der Kampf- bzw. Einquartierungsgebiete hergestellt. Nach dem Krieg konnte er auf mehreren Fahrten einige dieser Freunde besuchen - der Sohn eines Kriegskameraden aus dem FJR16 hat bei einer solchen Besuchsfahrt seine spätere litauische Frau kennengelernt.
Generell kann man feststellen, dass die litauische Bevölkerung gegenüber den deutschen Truppen positiv - mindestens aber neutral - eingestellt war. Sie wurden sicherlich als Befreier vom sowjetischen System - und auch als potenzieller Unterstützer bei der Wiedergewinnung der Nationalstaatlichkeit betrachtet - letzteres sicherlich eine Illusion.
Nun also ein kurzer Auszug aus dem Bericht eines Bauern aus einem Dorf in der Nähe von Vievis. Der Ort Vievis war beim Vorstoß der 6. Pz.Div. hart umkämpft - insbesondere beim Abzug der deutschen Truppen. Beim Vorstoß der 6. Pz.Div von Kaunas auf Vilnius zur Befreiung der Kampfgruppe Tolsdorff bei Lentvaris (Landwarowo), welche die Überlebenden des "Festen Platzes Wilna" aufgenommen hatte, errichtete man an einigen strategisch wichtigen Punkten, u. a. bei Vievis, sog. Auffangstellungen. Dieser Flankenschutz sollte die vorgehenden Verbände vor den bereits langsam einsickernden sowj. Truppenverbänden absichern.
Der folgende Auszug schildert die Vorkommnisse (unkorrigiert) beim Rückzug dieser deutschen Sicherungsgruppen aus dem Bereich Vievis - zu den angesprochenen Positionen im Dorf liegt leider keine Karte vor:
"Ein Litauer namens Zemlickas beschreibt die Situation in Vievis bei Wilna 1944 beim Abschnitt Paul Hollfelder und Ofhr. WalterMüller
1- katholische Kirche
2- Kirchenplatz
3- Ortodoxenkirche (sie war auch während des Krieges)
4- Bahnhof
5- Bahndepot (Reparatur)
6- Roggenfelder (hinter der Bahn mit Mienen verlegte
7- Bauernhofvon Herr Nenartavicius
8- Bauernhof Frau Kabacinskiene
9- Bauernhof von Dionizas Luciunas - mein Grossvater
10- Scheune vom Grossvater
11- Bauernhof des Bruders vorn Großvater
12- Teich der im heißen Sommer trocken wird
13- Schwitzbad
14- Garten
15- Birkenwald
Anfang Juli 1944, da die Front sich näherte, mehrere Einwohner von Vievis übersiedelten sich in die nahesten Dörfern. Meine Eltern, Tanten und Omagingen ins Dorf, das 4 Kilometer von Vievis entfernt war. Die vier Bauernhöfe wurden von Frau Kabacinskiene, meinem Opa zusammen mit dem Bruder bewohnt. Darüber, was in der Zeit geschah, als Sie in Vievis waren, berichte ich aus den Erzählungen meiner Mutter und meines Opas.
Opas Erzählung, die meine Mutter mir erzählte:
Während des Kampfes haben sich mein Opa und sein Bruder in einer Kartoffelgrube versteckt. Als sich alles ringsum beruhigt hat, sind sie raus aus der Grube, aber im Hof wurden sie von den deutschen Soldaten aufgehalten und gezwungen die deutschen Verletzten nach Kaugonis (7 Kilometer entfernt) zu bringen. Bei diesem Spaziergang hat Opa seine Stimmbänder verwundet und konnte nicht mehr normal sprechen, obwohl er eine sehr gute Stimme besaß und schön singen konnte. In Kaugonis haben die Deutschen ihn freigelassen, weil da deutsche Soldaten waren, die meinen Opa erkannt haben.
Die Mutter sagte, es waren welche, die im Bauernhof wohnten. Der Opa kam zurück zu der Familie und nach ein paar Tagen, als die Schießerei zu Ende war, kehrten alle nach Vievis zurück. Man hörte, wie der Kampf stattfand, mein Vater bemerkte den Qualm des Feuerbrunstes an dem Ort, wo angeblich die Häuser standen. Die Männer nahmen an, dass die Bauernhöfe in Brand seien. Als die Männer nach Hause zurückkehrten (nach Vievis), war es wirklich so, die Häuser 9,11, die Scheune 10 und das Schwitzbad waren verbrannte. Auf der Brandstelle der Scheune stand ein brandbeschädigter Panzer, laut der Mutter war ein deutscher Panzer, aber ich denke, für sie war es kein großer Unterschied, wessen er war. Auf dem Hof des Hauses (8) wie auch auf dem Plan vermerkt, lag die Leiche eines deutschen Soldaten. Auf dem Gemüsegarten lag die Leiche von Frau Kabacinskiene, es war vielleicht eine zufällige Kugel - und dann keine Soldaten mehr. Danach kamen die sowjetischen Soldaten.Wenn wir die Erinnerungen von Ihnen und meiner Mutter in Vergleichnehmen, so kann man das voraussetzen:
Sie waren nicht die letzten deutsche Soldaten in der Ortschaft. Als Sie da waren und die Häuser nicht verbrannt waren, angeblich sollte es noch einen Kampf geben, wo der von Ihnen erwähnte Panzer in die Scheune reingefahren ist und da getroffen wurde.Es kann sein, daß Ihre Verletzten nach Kaugonis gefahren wurden. Es kann auch sein, daß Sie sich im ausgetrockneten Teich versteckt haben (die von Ihnen erwähnte Grube, aber von da ist der Kirchenplatz schlecht zu sehen. Das Schicksal von irgendwelchen Gefangenen ist unbekannt. Es wird erzählt, als die Front vorbei war, an dem Ort wurde eine Reglertruppe der sowjetischen Armee versetzt. Der Chef war ein Sadist (die Einheimischen nannten ihn ,,moldavini Vaska"). Man erzählt, daß er in Vievis eine Truppe der deutschen Kriegsgefangenen erschossen hatte, dafür gibt's aber keine Zeugen. Man weiss nicht, ob das wahr ist und wo sie begraben wurden, es ist mir unbekannt. Die Leichen der Gefallenen wurden von sowjetischen Soldaten aufgesammelt und weggefahren.
Heutzutage ist nur ein Bauernhof stehengeblieben ( 8 ) und daneben ein paar Apfelbäume. So, das wärs. Schade, das es nicht viel zu berichten gibt.
Sonst habe ich noch was hinzuzufügen: Als ich meine Mutter an diese Zeiten erinnert habe, fing an zu weinen.
Berichter: Algimantas Zemlickas"l
Aus diesem Bericht des Dorfbewohners an Herrn Hinnen verspürt man keine persönlichen Ressentiments - trotz all der Verheerungen, welche in diesem kleinen Ort angerichtet wurden.
Weitere Berichte dieser Art und zu allgemeinen militärischen Geschehnissen im Zuge des Kesselausbruchs werden folgen.
Joseph