Sowjetischer Überfall auf „das faschistische Polen“ 1939

  • Hallo allerseits,

    in der vorletzten Woche gedachten die Ministerpräsidenten aus Polen und Russland, Tusk und Putin, gemeinsam der von den Sowjets ermordeten Polen und Russen in Katyn.
    Mir fiel in der aktuellen Berichterstattung der deutschen Medien auf, dass viele Journalisten gar nicht wissen, in welchem politischen Umfeld dieses bekannte sowjetische Kriegsverbrechen verübt wurde:

    im Kontext von Stalins Angriffskrieg gegen Polen 1939 (das er als „faschistischen Staat“ bezeichnete) und der anschließenden Sowjetisierung des Landes, die bis 1989 andauerte.
    „Katyn“ stellt also als Symbol nur einen wichtigen Ausschnitt der gesamten Ereignisse dar. Deshalb habe ich auch dieses neue Thema eröffnet.

    Nachdem am 1. September letzten Jahres zu Recht an die deutsche Verantwortung für den Kriegsbeginn vor 70 Jahren erinnert wurde, hatte der frühere polnische Botschafter in Berlin, Janusz Reiter, im Deutschlandradio dazu aufgerufen, endlich auch die verdrängte Geschichte des sowjetischen Angriffskrieges gegen Polen aufzuarbeiten:

    Quote

    „Der 17. September 1939 ist ein Datum, mit dem sich Europa auch noch nach 70 Jahren schwer tut. Dass ein kritischer Umgang mit der Tragödie während des Zweiten Weltkrieges als politisch heikel galt, lässt sich einigermaßen verstehen. Schließlich wurde Stalin, der sich durch den Einmarsch seiner Truppen in Polen zunächst zum Komplizen Hitlers gemacht hatte, zu einem unentbehrlichen Verbündeten der westlichen Mächte im Krieg gegen Nazi-Deutschland.“


    Dazu der Link:
    http://www.dradio.de/dkultur/sendun…lleton/1035028/

    Das polnische Parlament hat noch im letzten Herbst den sowjetischen Überfall vor 70 Jahren scharf verurteilt, was in Rußland auf harsche Kritik gestoßen ist. Dort zimmert man ja gerade wieder an einem von fast allen Verbrechen gesäuberten Stalin-Bild. Dazu der Wortlaut der Welt-Meldung:

    Quote

    „Das polnische Parlament hat den sowjetischen Überfall auf Polen vor 70 Jahren sowie den Mord an mehr als 20 000 polnischen Offizieren in Katyn nun auch in einer offiziellen Note scharf verurteilt. Die Streitkräfte der UdSSR hätten Polen am 17. September 1939 ohne Kriegserklärung überfallen, hieß es in einer per Akklamation verabschiedeten Parlamentserklärung.“

    Die russische Reaktion auf die polnische Erklärung:

    „Die Note sei "eine ernste Belastung für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen", sagte der Vizevorsitzende des auswärtigen Ausschusses der russischen Duma, Leonid Sluzki. Mit der Erklärung stelle sich Polen in eine Reihe von Ländern, die die Geschichte des Zweiten Weltkriegs verfälschen würden. Der Kreml-nahe Politologe Sergej Markow nannte die Erklärung "antirussisch".“

    Handelt es sich aber wirklich um den polnischen Versuch, die Geschichte zu verfälschen, wie die russische Regierung meint? Oder sah die historische Wirklichkeit womöglich ganz anders aus, als die heutige nationalistische Geschichtsschreibung Rußlands glauben machen will? Inzwischen hat Katyn erneut zahlreiche polnische Opfer gefordert. Der tragische Flugzeugabsturz der polnischen Staats- und Militärführung um Präsident Kaczynski vor einer Woche hat jedoch dazu geführt, dass sich die Bevölkerungen beider Länder einander angenähert haben:
    http://www.welt.de/politik/articl…z-getoetet.html

    Für das Forum der Wehrmacht könnte interessant sein, daß der sowjetische Terror in Ostpolen sofort nach Einmarsch der Roten Armee einsetzte, während sich der systematische Nazi-Terror im westlichen Teil erst nach Ende der Wehrmachtsverwaltung am 25. Oktober 1939 richtig entfalten konnte. Die Bemühungen des Nazi-Regimes, die widerständige Wehrmacht im besetzten Polen möglichst schnell politisch auszuschalten, hatte ich bei einem anderen Thema über deutsche Kriegsverbrechen in Polen bereits angesprochen.

    Auch die polnische Exilregierung unter General Sikorski in London wußte schon im Sommer 1941, daß „die russische Besetzung Ostpolens im ganzen noch furchtbarer war als die deutsche.“
    (Bestätigung des Grafen Zamoyski, dem Adjutanten General Sikorskis, gegenüber Winston Churchills Privatsekretär John Colville am 13. August 1941, zitiert nach John Colville, Downing Street Tagebücher 1939-1945, Berlin 1988, S. 303.)

    Warum sich die Deutschen heute so wenig für den im sowjetisch beherrschten Ostpolen wütenden Terror interessieren, erklärt der Eingangs erwähnte Janusz Reiter folgendermaßen:

    Quote

    „Die Angst vor dem Vorwurf, dass Deutschland seine eigene Schuld zu relativieren versuche, verhinderte die Auseinandersetzung mit diesem so vielschichtigen Thema. Es warf die Frage nach dem Verhältnis zwischen der braunen und der roten Diktatur auf - eine heikle Frage, wer wollte das leugnen.“

    Vielleicht bekommt der Titel des deutsch-russischen Gemeinschaftswerks „Verführungen der Gewalt“ aus der Forschungsreihe „West-östliche Spiegelungen“ von 2005 hier eine ganz neue Bedeutung. Ich habe zu Stalins Angriffsplänen und zur ersten Phase der sowjetischen Verbrechen in Polen (1939-1941) einige aufschlußreiche Fakten gefunden, die ich unter diesem Thema gerne zusammenfassen möchte.

    Dies könnte vielleicht ein kleiner Beitrag zu der von Janusz Reiter eingeforderten Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen den deutschen und sowjetischen Angriffskriegen von 1939 sein.

    Dazu gehört (knapp eine Woche nach Hitlers Angriffsbefehl) z.B. Stalins Weisung an die obersten Kommunisten-Führer, mit Polen einen „faschistischen Staat“ zu „vernichten“, um „im Ergebnis der Zerschlagung Polens das sozialistische System auf neue Territorien und die Bevölkerung ausdehnen“ zu können.
    (Stalin am 7. 9. 1939 auf einer Sitzung im Kreml, zitiert nach Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933-1943, Berlin 2000, S. 274.)

    Beste Grüße, Bodo

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: Daß der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmaier)

  • Quote

    Original von Bodo Franks
    Ich habe zu Stalins Angriffsplänen .. einige aufschlußreiche Fakten gefunden, die ich unter diesem Thema gerne zusammenfassen möchte.

    Hallo Bodo,

    na bin ja gespannt wo hast Du die Pläne gefunden :) ?

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    Warum sich die Deutschen heute so wenig für den im sowjetisch beherrschten Ostpolen wütenden Terror interessieren, erklärt der Eingangs erwähnte Janusz Reiter folgendermaßen:

    es ist nur eine Antwort aus mehereren möglichen. Wie wärs mit dem Vorschlag: weil es gibt viel zu viel interessante Fragen zum Krieg zu beantworten. Z.B. warum hat D. so wenig Panzer produziert, oder wieso hat die nazi Deutschland überhaupt den Krieg angefangen, usw..

    gruss Vladimir

  • Hallo Zusammen,
    unabhängig davon das ich Ihnen nur mehr schlecht als recht folgen kann, möchte ich doch mal bemerken, das (Auszug s.o.) "...sowie den Mord an mehr als 20 000 polnischen Offizieren in Katyn" nach meinen Kenntnissen in Katyn per Kopfschuss 20.000 polnische Soldaten getötet wurden, davon etwa 9.000 Offiziere (sah dies heute zufällig sogar im TV im History Channel) und das die polnische Exilregierung in England, bei einem Besuch Stalins, diesem eine Vermisstenliste von 4.500 Offizieren überreichte, deren Verbleib in den Tagen der polnischen Ostkapitualtion verschwunden waren. Zudem mag es sein, das die russische Regierung an einem "neuen" Stalinbild arbeitet und innerhalb ihres Landes sagen wir einmal gewisse Fakten schönt, verschweigt oder aber gänzlich anders interpretiert, so kann man aber im Falle Katyn der russischen Regierung im Jahre 1989 jedoch das Kompliment aussprechen das die original Dokumente J.Stalins in dem er die Tötung der polnischen Soldaten anordnete (inkl. seiner orig. Unterschrift etc..) an Polen ausgehändigt wurden. Dies bedeutet die direkte Schuldanerkennung des Staates Russland für ein begangenes Unrecht gegen über Polen. Ich finde das dies schon einer gewissen Würdigung bedarf...
    Desweiteren setzte der deutsche Terror in Polen bereits während der Besetzung ein, bei dem nachfolgende Dienste ihre Untaten begangen. Dies kann z.b. im KTB des OKW Band 1 nachgelesen werden, wo ein Auszug einer entsprechenden Sitzung inkl. des Gesprächsprotokolls ausgewiesen wird. In der Betrachtung all ihrer Aussagen frage ich mich, wollen Sie allen ernstes, den systematischen Völkermord in Polen, die systematische Verfolgung und Eliminierung der polnischen Elite durch deutsche Dienste, gleichsetzen mit der polnischen Tragödie nach der Kapitulation in der russisch besetzten polnischen Zone? Warum sollten wir Deutschen uns für das Thema "des sowjetisch beherrschten Ostpolen wütenden Terror" interessieren, wir haben bislang genug damit zu tun vor unserer eigenen Haustüre zu kehren. Natürlich sollte man diese Dinge im Rahmen der politischen Konstellation der damaligen Zeit und unter Berücksichtigung des deutsch russischen Nichtangriffspaktes betrachten, aber eine Aufarbeitung der wahren Fakten obliegt aus meiner Sicht dem polnischen und russischen Staat und deren Institutionen...
    Gruß Taiko

  • Hallo Bodo,

    Original von Taiko

    Quote

    Warum sollten wir Deutschen uns für das Thema "des sowjetisch beherrschten Ostpolen wütenden Terror" interessieren.......

    also mich interessiert das sehr und ich lasse mir auch von niemanden vorschreiben, was mich zu interessieren hat.( aber ich bin ja auch Österreicher ;) )

    Gruß aus Wien

    Niki

    ...VIRIBUS UNITIS...

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    Original von knaff
    also mich interessiert das sehr und ich lasse mir auch von niemanden vorschreiben, was mich zu interessieren hat.( aber ich bin ja auch Österreicher ;) )i


    Hallo,
    mir geht das genauso und ich bin kein Österreicher. :D ;)
    Gruss
    Rainer

    Suum cuique

  • Hallo Knaff, Hallo Rainer,

    vielleicht bin ich da ein wenig mißverständlich, ich hatte das Gefühl vor einen Karren gespannt zu werden, daher mein "überzogenes" Statement. Natürlich kann / soll sich jeder dafür interessieren dürfen, nur als Deutscher (politisch gesehen) hier den Finger in die Wunde zu legen ala.. na was habt ihr denn da gemacht sehe ich persönlich nicht als legitim an. Geschichtliches Interesse immer gerne, eine kritische Haltung in der Betrachtung der Geschichte sollte selbstverständlich sein, aber eine "politische" Einmischung sehe ich nicht als gegeben... zumal ich sehr dünnhäutig werde wenn ich Sätze wie "die russische Besetzung Ostpolens im ganzen noch furchtbarer war als die deutsche." lese. Das Stalins Regime verbrecherisch war, steht außer Frage, ob man hier aber das Niveau der Unmenschlichkeit vergleichen kann und sollte, das stelle ich mal außen vor. Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich kann hier Bodo Franks Aussagen nicht gut heißen oder "neutral" betrachten...

    Gruß Taiko

    P.S... mir ist es ziemlich egal welcher Nationalität ihr angehört :evil:

  • Ich kann hier nur für mich sprechen, aber ich kann hier Bodo Franks Aussagen nicht gut heißen oder "neutral" betrachten...

    Mal abgesehen davon, daß es hier nicht darum geht was Du gut heißen kannst, sondern um einen nicht nur für Polen bis heute absolut wichtigen und sensiblen Bereich ihrer Geschichte geht, wo kann es bei diesen Verbrechen um "neutral" gehen? Bei so einem Ausmaß von Verbrechen überhaupt?

    Schon mal einen Polen zu diesem Thema gesprochen? Sicher nicht. Ansonsten erfüllen Deine Posts genau das, was immer wieder den Deutschen vorgeworfen wird, Relativierung.

    Es wird ein Thema zu einem hist. Ereignis aufgemacht und schon kommt der Vergleich. Natürlich nur einseitig, andersherum ist es eben Relativierung. Und wenn man schon am vergleichen ist, zu dem Verbrechen Katyn gab es bis dato keines. Auch deutscherseits nicht. Darum ging aber gar nicht, daß Thema ist wohl mittlerweile bekannt.

    Wie auch immer. Das Thema der sowj. Verbrechen am poln. Volk hat nichts mit dem der Deutschen zu tun. Auch wenn es Überschneidungen etc, gab, sie sind natürlich ein eigenständiges Thema, denn die SU hat natürlich in ihren umfangreichen Maßnahmen völlig eigenständig und restriktiv gehandelt.

    Insofern ist dieses Thema völlig berechtigt, interessant und natürlich auch als eigener Bereich zu sehen.

    Edited 3 times, last by Hoth (April 18, 2010 at 1:00 AM).

  • Hallo Hoth,

    ich kann immer nur für mich sprechen, ich kann nicht im Namen Polens sprechen und ich maße mir dies auch gar nicht an. Ich spreche diesen "sensiblen" Bereich der polnisch / russischen Geschichte auch gar nicht an, wenn ich sage Zitat ... aber ich kann hier Bodo Franks Aussagen nicht gut heißen oder "neutral" betrachten...
    denn ich beziehe mich "hier" klar auf die vorangestellte Aussage zum Thema der Besetzungs Ostpolens und der hier getroffenen Aussage der Zitat "die russische Besetzung Ostpolens im ganzen noch furchtbarer war als die deutsche."...(Auch wenn mir klar ist, das Bodo ein belegte Aussage zitiert). Bitte stell mich hier nicht in einen falschen Kontext. Zum weiteren "relativiere" ich hier gar nichts, ich spreche sehr oft mit Polen (zumeist schon wenn ich morgens aufstehe und meine Frau mich begrüßt) und kenne auch recht gut die polnischen Empfindlichkeiten. Grade deshalb halte ich mich mit zumeist etwas zurück, sehe also nicht warum ich dies in dieser Debatte nicht auch von anderen fordern sollte.

    Des weiteren vergleiche ich nicht, sondern nehme das im Eingangspost Ausgesprochene nur auf. Ich muß also weder einen Vergleich herbeireden, der bereits zu Anfang aufgestellt wurde, noch muß ich mir einen solchen unkommentiert gefallen lassen. Und zum Thema Katyn gibt es genügend Beispiele, aber das ist hier nicht Bestandteil der Diskussion und sollte aufgrund der bekannten Thematik auch nicht sein. Ich stimme Dir aber uneingeschränkt zu, wenn Du sagst "...Das Thema der sowj. Verbrechen am poln. Volk hat nichts mit dem der Deutschen zu tun. Auch wenn es Überschneidungen etc, gab, sie sind natürlich ein eigenständiges Thema, denn die SU hat natürlich in ihren umfangreichen Maßnahmen völlig eigenständig und restriktiv gehandelt. "

    Gruß Taiko

  • Hallo zusammen,

    zunächst möchte ich Euch für Eure engagierten Beiträge danken. Gerade die von Taiko eingebrachten Argumente zeigen, dass ich vielleicht zu Recht versuche, einige verbreitete Missverständnisse offenzulegen. Ich kann Taiko aber insofern zustimmen, dass sich die Auffassung der polnischen Exilregierung auf die Kriegsphase bis zum Sommer 1941, also vor dem Holocaust des NS-Regimes bezieht. Dazu kann ich ein andernmal auch noch eine führende Forschungsmeinung zitieren.

    Quote

    Original von Lexikon der Wehrmacht
    Hallo Bodo,

    gibt es eine Frage zu diesem Thema oder willst Du nur Deinen Text hier einstellen?

    Andreas

    Ich wollte unter diesem Thema weniger bekannte Hintergrund-Infos zusammenfassen. Besonders weil das Thema "Katyn-Gedenken und 70 Jahre deutsch-sowjetischer Überfall auf Polen" aktuell in allen Medien behandelt wurde. Das ganze natürlich verbunden mit der Frage, ob andere Teilnehmer ergänzende Quellen kennen und daraus zitieren wollen?

    Ich habe mich jedenfalls gefragt, warum Stalin und die Komintern Polen als „faschistischen Staat“ bezeichneten und, gemeinsam mit Hitler, den polnischen Staat zerschlagen wollten. Mir wurde nach der Lektüre mehrerer Bücher klar, dass die sowjetischen Invasionspläne von 1939 eine längere Vorgeschichte haben.
    Dazu muss ich etwas weiter ausholen und leider – mal wieder – einen längeren Text verfassen.

    • Zunächst war Josef Stalin selbst ein prominenter Veteran des polnisch-sowjetischen Krieges von 1920.
      Lenin hatte nach der russischen Oktoberrevolution den Sowjetsturm nach Westen befohlen. Das Ziel war die gewaltsame Durchsetzung der kommunistischen Weltrevolution mit der Roten Armee. Im Sommer 1920 sah er den Sieg über Polen in greifbarer Nähe:
    Quote

    „Bald werden wir Deutschland haben. Wir werden Ungarn zurückerobern. Der Balkan wird sich gegen den Kapitalismus erheben. Italien wird erbeben. Das bürgerliche Europa befindet sich im Sturm und zittert in allen Fugen.“
    (Aus Lenins Rede auf dem II. Kominternkongreß 1920, zitiert nach Bogdan Musial, Kampfplatz Deutschland. Stalins Kriegspläne gegen den Westen, Berlin 2008, S. 46).

    • Polen begann nach eigener Darstellung im Frühjahr 1920 einen „Präventivkrieg“ gegen die aufmarschierende Rote Armee (vgl. Musial, Kampfplatz Deutschland, S. 40). Nach anfänglichen polnischen Erfolgen (Vormarsch bis Kiew) wurde die Gegenoffensive der Roten Armee vor Warschau durch Marschall Pilsudskis Truppen zurückgeschlagen („Wunder an der Weichsel“). Militärischen Rat erhielten die Polen durch den bekannten französischen General Weygand. Der von Lenin geforderte sowjetische Vormarsch nach Westeuropa war – vorerst – gestoppt worden.


    Ein weiterer Grund für den polnischen Erfolg: So wie seine eigenen Politkommissare im deutsch-sowjetischen Krieg 1941 griff auch der damalige Kriegskommissar Josef Stalin direkt in die Führung der Roten Armee vor Warschau ein. Stalin war daher für die Niederlage der Roten Armee von 1920 (wie später im Sommer 1941) persönlich verantwortlich. Leo Trotzki (der "Vater" der Roten Armee) und Marschall Tuchatschewski hatten es daraufhin gewagt, den Genossen Stalin zu kritisieren. Beide ließ er nach Ausbau seiner eigenen totalitären Herrschaft ermorden:

    Quote

    „Stalin, der durch seine Undiszipliniertheit großen Anteil am Mißerfolg der Roten Armee hatte, vergaß diese Niederlage nie, erst recht nicht jene, die ihn bei dieser Gelegenheit kritisiert hatten: Trotzki, den Oberbefehlshaber der Roten Armee, und Marschall Tuchatschewski, der die Truppen geführt hatte.“
    (Andrzej Paczkowski, Polen, der „Erbfeind“, in: Stéphane Courtois u.a. (Hrsg.), Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München, Zürich 2000, S. 397-429, Zitat S. 398).

    64.000 sowjetische Soldaten, die 1920 in polnische Kriegsgefangenschaft geraten waren, starben in den polnischen Lagern an Krankheiten und Unterernährung (vgl. Gerd Kaiser, Katyn. Das Staatsverbrechen – das Staatsgeheimnis, Berlin 2003, S. 12-13).
    Kaiser betont, dass das Schicksal der Gefangenen noch nach der Wende von 1989 in Russland für große Empörung sorgte. Außerdem weist man dort darauf hin, dass Polen nach dem Ersten Weltkrieg größere Teile der ukrainischen, weißrussischen, deutschen und litauischen Staatsgebiete annektiert hatte und seine Grenzen nach Ost und West auch gewaltsam ausdehnte.

    • Doch die gefährlichsten Feinde in Ost und West vollzogen in den 1930er Jahren dann eine scheinbare Kehrtwende: seit 1934 betrieben sowohl Hitlers Deutschland als auch Stalins Sowjetunion mit mehreren Verträgen politische Annäherungsversuche an Polen. Die UdSSR schloss nicht nur einen Nichtangriffsvertrag mit dem polnischen Staat ab (1938 erneuert und gültig bis Ende 1945), sondern darüber hinaus einen weitreichenden militärischen Unterstützungsvertrag. Militärhilfe gegen einen möglichen deutschen Angriff?
    • Nach Hitlers Kündigung des Nichtangriffsvertrags mit Polen und dem Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes befahl der deutsche Diktator dann am 1. September 1939 den völkerrechtswidrigen Angriff der Wehrmacht auf die noch in der Mobilmachung befindliche polnische Armee. Gleichzeitig der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nach der polnischen Kapitulation verkündete er dann in kleinem Kreis, er wolle ein "Teufelswerk" verüben und die führenden polnischen Schichten ausrotten. Gegen alle nationalen und internationalen Bedenken und Widerstände. So viel zu den allgemein bekannten Fakten.


    Weniger bekannt ist, dass Hitler und die Wehrmachtführung im Polenfeldzug dringend die Hilfe der Roten Armee benötigten. Der Krieg gegen Polen hätte sich sonst noch lange hinziehen können. Im Osten des Landes standen starke polnische Truppenkontingente bereit. Das polnische Militärregime hatte außerdem zum Partisanenkrieg hinter den deutschen Linien aufgerufen. Die deutschen Besatzer sollten sich auch nach Ende der offiziellen Kampfhandlungen nirgendwo sicher fühlen können (vgl. Hellmuth Günther Dahms, Der Zweite Weltkrieg in Text und Bild, München 1999, S. 52).

    Der Angriff der slowakischen Truppen im Süden Polens hatte zwar bereits für eine Entlastung der Deutschen gesorgt. Trotzdem fürchteten die Heeresgeneräle einen Zweifrontenkrieg. Seit dem 3. 9. 1939 hätte die militärisch weit überlegene, am Ende aber doch untätig gebliebene französische Armee eine Invasion Westdeutschlands beginnen können. Dafür gab es detaillierte Pläne des französischen Generalstabs. In Westdeutschland standen damals nur 33 meist schwächere deutsche Reservedivisionen (Dahms, S. 48).

    • Doch nun kam Stalin Hitler zu Hilfe, so dass das deutsche Heer viele Ostdivisionen zügig an die Westfront verlegen konnte. Das sowjetische Vorgehen bedurfte zuvor aber einiger Propagandamaßnahmen. Bei einem Planungsgespräch mit Außenminister Molotov im Kreml am 7. 9. 1939, bei dem auch der Generalsekretär der Komintern (Kommunistische Internationale) Georgi Dimitroff anwesend war, machte Stalin seine Haltung gegenüber dem polnischen Staat ganz deutlich:
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    „Die Vernichtung dieses Staates unter gegenwärtigen Bedingungen würde einen bourgeoisen [bürgerlichen] faschistischen Staat weniger bedeuten! Was ist Schlechtes daran, wenn wir im Ergebnis der Zerschlagung Polens das sozialistische System auf neue Territorien und die Bevölkerung ausdehnen würden.“
    (Stalin zitiert nach Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933-1943, Berlin 2000, S. 274.)


    Für die breite Öffentlichkeit ließ der sowjetische Diktator das ganze etwas gemäßigter klingen. Stalin wies die Kommunistische Internationale an, den bevorstehenden Überfall der UdSSR auf „das faschistische Polen“ propagandistisch zu rechtfertigen.
    In einer Direktive der Komintern-Führung vom 8. 9. 1939 hieß es auf Weisung Stalins u.a., „die internationale Arbeiterklasse kann in keinem Falle das faschistische Polen verteidigen, das die Hilfe der Sowiet-Union zurückgewiesen hat und die anderen Nationalitäten unterdrückt.“
    (Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933-1943, Berlin 2000, S. 275.)

    • Die von Stalin angebotene „Hilfe der Sowiet-Union“ sollte aber die Eroberung Polens durch die Rote Armee einleiten. Dieses Vorgehen (Drohung und Einmarsch der Sowjettruppen) wandte Stalin bald darauf auch in Finnland und mit größerem Erfolg im Baltikum an. Schon seit dem 24. August 1939, also 14 Tage vor der zitierten Kremlsitzung, hatte Stalin die Rote Armee mit starken Kräften an der polnischen Grenze aufmarschieren lassen. Am selben Tag der vorherigen nächtlichen Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes in Moskau.
      (Quelle: Sergej Slutsch, 17. September 1939: Der Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), S. 225f.)

      Nach Dimitroffs Protokoll vom 7. September 1939 wusste Stalin genau, wie Hitlers Kriegspläne gegen Polen aussahen und dass dieser jetzt nur ungern gegen England und Frankreich Krieg führen wollte:

    Soviel zunächst zur sowjetischen Vorbereitungsphase der Invasion von 1939.

    Beste Grüße, Bodo

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: Daß der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmaier)

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    Weniger bekannt ist, dass Hitler und die Wehrmachtführung im Polenfeldzug dringend die Hilfe der Roten Armee benötigten. Der Krieg gegen Polen hätte sich sonst noch lange hinziehen können. Im Osten des Landes standen starke polnische Truppenkontingente bereit. Das polnische Militärregime hatte außerdem zum Partisanenkrieg hinter den deutschen Linien aufgerufen. Die deutschen Besatzer sollten sich auch nach Ende der offiziellen Kampfhandlungen nirgendwo sicher fühlen können (vgl. Hellmuth Günther Dahms, Der Zweite Weltkrieg in Text und Bild, München 1999, S. 52). Der Angriff der slowakischen Truppen im Süden Polens hatte zwar bereits für eine Entlastung der Deutschen gesorgt. Trotzdem fürchteten die Heeresgeneräle einen Zweifrontenkrieg. Seit dem 3. 9. 1939 hätte die militärisch weit überlegene, am Ende aber doch untätig gebliebene französische Armee eine Invasion Westdeutschlands beginnen können. Dafür gab es detaillierte Pläne des französischen Generalstabs. In Westdeutschland standen damals nur 33 meist schwächere deutsche Reservedivisionen (Dahms, S. 48). * Doch nun kam Stalin Hitler zu Hilfe, so dass das deutsche Heer viele Ostdivisionen zügig an die Westfront verlegen konnte. Das sowjetische Vorgehen bedurfte zuvor aber einiger Propagandamaßnahmen. Bei einem Planungsgespräch mit Außenminister Molotov im Kreml am 7. 9. 1939, bei dem auch der Generalsekretär der Komintern (Kommunistische Internationale) Georgi Dimitroff anwesend war, machte Stalin seine Haltung gegenüber dem polnischen Staat ganz deutlich:


    das entspricht nicht den Tatsachen, Wehrmachtsführung bedürfte im Polenfeldzug keine Hilfe der Roten Armee, ja Säuberung der Gebiete hätte
    längere Zeit beeinsprucht aber dazu braucht es eben keine Panzerdivisionen.
    Die auch so im Osten belassenen Divisionen hätten dafür vollkommen gereicht, Westfeldzug wäre genauso verlaufen.

    Einziges Ergebniss hätte sein können das die Wehrmacht Operation Barbarossa 200-300 km östlich starten....

    Aber tatsächlich war auch das keine Option, Stalin stand damals vor der Wahl Bewahrung der Neutralität "belohnt" durch Aufsammeln einiger während und in Folge des Bürgerkriegs verlorener Gebiete ODER ein Bündnisses mit Frankreich und England und damit mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ein Hineinziehen in den nächsten Weltkrieg.
    Stalin hatte Schicksal des Zarenreiches vor Augen, Hitlers Angebot war verlockend.

    Im nachhinein gesehen ein Fehler aber aus damaligen Sicht auch ein nachvollziehbarer Wunsch.

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    Polen begann nach eigener Darstellung im Frühjahr 1920 einen „Präventivkrieg“ gegen die aufmarschierende Rote Armee (vgl. Musial, Kampfplatz Deutschland, S. 40). Nach anfänglichen polnischen Erfolgen (Vormarsch bis Kiew) wurde die Gegenoffensive der Roten Armee vor Warschau durch Marschall Pilsudskis Truppen zurückgeschlagen („Wunder an der Weichsel“). Militärischen Rat erhielten die Polen durch den bekannten französischen General Weygand. Der von Lenin geforderte sowjetische Vormarsch nach Westeuropa war – vorerst – gestoppt worden.


    das ist eben "eigene" Darstellung, Polen wollte Großpolen, nach britischen Vermittlungsvorschlägen sollten die weißrussische und ukrainische Gebiete an SU gehen, Polen war damit nicht einverstanden.
    Stalin hat 1939 so ziemlich genau die Grenze gezogen wie sie 1920 vorgeschlagen wurde...

  • Hallo beisammen,

    es mag vielleicht interessant sein, sich auch mit den russischen Verbrechen an den Polen zu beschäftigen, aber aus deutscher Sicht würde ich es auch interessant finden, inwiefern Polen sich zwischen den beiden Weltkriegen den Minderheiten gegenüber korrekt oder eben nicht korrekt verhalten halt.

    Zum Thema Katyn möchte ich sagen, dass es mich bei meinen Polenreisen etwas verwundert hat, dass die Gedenkstätten für Katyn so zahlreich sind. Ich würde sogar sagen: Katyn hat schon fast eine religiöse Bedeutung in Polen, bzw. Politik und Religion ist ziemlich verwachsen. Der Nationalismus ist stark ausgeprägt.

    Ein kritisches Verhältnis zur eigenen Geschichte wird man in Polen nicht häufig finden, aber auch das ist verständlich.

    Gruss Andreas

    Heine ist von den meisten anderen Dichtern verschieden, weil er alle Scheinheiligkeit verachtet ... (Elisabeth von Österreich)

  • Vielleicht gar nicht uninteressant, gerade kam ein Buch heraus, wo ein ehemaliger Soldat des verst. Inf-Rgt. GD beschreibt, wie er schon im Oktober 1941 Katyner Massaker gefunden hat, als seine Einheit dort Stellungsplatz suchte.
    Nun, er hatte es seinem Offizier gemeldet aber es hieß, wir sind keine Gräberkomando, sondern Fronteinheit und haben andere Sorgen.

    Das Buch heißt: Wie ich Katyn gefunden hat
    Autor Jan Gomola (Johann Gomolla, da er aus dem Raum Teschen kommt und deutschstämmig gewesen ist)

    Sprache leider nur tschechisch

    Gruß

    Miro

  • Hallo zusammen,

    weil mein PC streikte, kann ich erst heute einen weiteren Beitrag einstellen. Die Berichte über den „Tag des Sieges“ in Moskau (inklusive Bundeskanzlerin Angela Merkels Dankesbesuch am 9. Mai) haben dem Thema jedoch aktuelle Brisanz verliehen. Am 5. Mai sendete NDR-Info einen wichtigen Beitrag zu den heute noch populären russischen Geschichtsmythen des 2. Weltkriegs
    (Das Forum vom 05.05. 2010: Im Mythos gefangen – Russland 65 Jahre nach Kriegsende).

    Dazu der Link:
    http://www1.ndr.de/podcast/podcast2990.xml

    Und der Download der Sendung:
    AU-20100505-1155-1301.mp3

    Nach den Stellungnahmen der vom NDR interviewten russischen Wissenschaftler gehört der 17. 9. 1939 zu den großen Tabus der russischen Geschichtsschreibung.
    Zitat des Soziologen und Meinungsforschers Lew Gudkow:
    „Das Geschichtsbewusstsein der Menschen in Russland wird erneut nach Legenden und Mythen der Sowjetmacht gestaltet. Der Krieg dient als Rechtfertigung des Stalin-Systems.“

    Und der russische Historiker Jury Afanasjew, Mitbegründer der staatlichen humanistischen Universität, konstatiert:

    Quote

    „Alle Sowjetbürger hatten diesen Krieg als Vaterländischen Krieg wahrgenommen. Alle waren überzeugt, dass dieser Krieg am 22. Juni 1941 begann und am 9. Mai 1945 endete. Und dass die Sowjetunion gegen Deutschland gekämpft hat.
    [...]
    Die Ursachen dieses Krieges sind immer noch tabuisiert, mit Propaganda zugedeckt, falsch verstanden im Bewusstsein der Massen. Sehr viele Menschen wissen nicht, dass die Sowjetunion nicht am 22. Juni 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintrat, sondern am 17. September 1939 und zwar an der Seite von Hitler. Das verschiebt die Verantwortung und die Schuld der Sowjetunion.“

    Weder die Staatsführung noch die Mehrheit der Bevölkerung will akzeptieren, dass Sowjetrussland und Nazi-Deutschland gemeinsam den Angriffskrieg vorbereiteten (Stichwort „Geheimes Zusatzprotokoll“ des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes vom 23. 8. 1939). Der über Jahrzehnte gepflegte Mythos von Stalin als Opfer im „Großen Vaterländischen Krieg“ soll auch heute noch erhalten bleiben, wie der russische Schriftsteller Boris Schumatsky im Politischen Feuilleton des Deutschlandradios festgestellt hat:

    Quote

    „Aus der Leugnung eigener Kriegsverbrechen zieht in Russland vor allem der Kreml Nutzen. Der Mythos des gerechten GVK wurde bereits während des Tschetschenien-Krieges wieder gesellschaftsfähig. Heute lernen die russischen Schüler, dass es keine sowjetische Besatzung Polens und Baltikums gab. Sie lernen auch, dass Stalin ein erfolgreicher Manager war. Es entsteht eine stickige Atmosphäre des Nationalstolzes, in der ich es einst nicht ausgehalten habe.“


    Quelle: Die Verstaatlichung der Kriegserinnerung, 31.08.2009, unter:
    http://www.dradio.de/dkultur/sendun…lleton/1025067/

    Auch Angela Merkel hätte sich vor ihrem Dankesbesuch in Moskau am 9. Mai darüber informieren können, dass sogar der sowjetische Außenminister W. Molotow großen Wert auf das gemeinsame deutsch-sowjetische Vorgehen legte, z.B. in einer Rede vor dem Obersten Sowjet am 31. Oktober 1939. Zur Zerschlagung Polens führte Molotow aus:

    „Ein schneller Schlag der deutschen Wehrmacht und der Roten Armee – und nichts blieb übrig von diesem scheußlichen Gebilde des Versailler Vertrages.“
    (Zitiert nach Henryk Ochorowicz, Zwischen den Mahlsteinen. September 1939, in: Viktor Karelin, Der längste Marsch. Ein Kampf um Freiheit, 1976, S. 22-38, hier S. 22)

    • Das NS-Regime begrüßte die Rede Molotows mit großer Genugtuung. Molotow hatte darin England und Frankreich als Kriegstreiber dargestellt, während er Deutschland als friedenswillig bezeichnete. Joseph Goebbels notierte daher am 2. 11. 1939 in sein Tagebuch: „Molotow hat gesprochen. Sehr stark für uns… Wir können mit dieser Rede zufrieden sein.“ Eine gute Woche später ließ Goebbels bereits 2 Millionen Flugblätter mit Molotows Rede über Frankreich abwerfen.


    Am 30. 11. 1939, dem Tag des sowjetischen Angriffs auf Finnland, erschien in der wichtigsten sowjetischen Zeitung Prawda außerdem eine Stellungnahme Stalins, nach der „nicht Deutschland England und Frankreich angegriffen“ habe, sondern diese hätten vielmehr „Deutschland angegriffen und damit die Verantwortung für den gegenwärtigen Krieg auf sich genommen“. Hitlers Nazi-Regime freute sich auch über Stalins weitere Ausführungen in der Prawda:

    „Die herrschenden Kreise Frankreichs und Englands haben beide Friedensvorschläge Deutschlands und die Bemühungen der Sowjetunion um eine rasche Beendigung des Krieges in gröblichster Weise zurückgewiesen.“
    (Zitiert nach Sergej Slutsch, 17. September 1939: Der Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), S. 238.)

    • Berlin hatte von Anfang an auf die schnelle Unterstützung der sowjetischen Invasionsarmee gedrungen, da die Wehrmacht nach dem Einfall in Polen auf größere Probleme stieß als sie vorher erwartete hatte. Die polnische Militärregierung kannte Hitlers Pläne, außerdem hatte Deutschland ja den Nichtangriffsvertrag vorher aufgekündigt. In dem Buch „Blitzkrieg. Eine Strategie macht Geschichte“ zitiert der britische Historiker Charles Messenger einen polnischen Stabsoffizier, der die Verteidigungsmaßnahmen der polnischen Luftwaffe mehrere Tage vor dem deutschen Angriff beschreibt:
    Quote

    „Die deutsche Luftwaffe tat genau das, was wir erwartet hatten. Sie griff unsere Flugplätze an und versuchte, unsere Maschinen am Boden zu vernichten. In der Rückschau erscheint es ziemlich naiv, daß die Deutschen geglaubt haben, daß wir nach den Tagen der politischen Hochspannung und ihren eigenen offensichtlich aggressiven Absichten unsere Einheiten an ihren Friedensflugplätzen hätten sitzen lassen.
    Tatsache ist, daß am 31. August keine einzige dienstfähige Maschine dort geblieben ist. In den vorausgehenden 48 Stunden waren wir alle auf Notflugplätze verlegt worden. Als Ergebnis schlug der einleitende deutsche Luftangriff völlig fehl.“
    (Zitiert nach Charles Messenger: Blitzkrieg. Eine Strategie macht Geschichte, Herrsching 1989, S. 173f.)


    Einen vergleichbaren Fehlschlag gab es auch beim tragischen Luftangriff auf die Grenzstadt Wielun. Die von der Wehrmacht dort vor dem Angriff festgestellten Truppen, eine polnische Division und eine Kavalleriebrigade, hatten die Stadt am 1. September bereits wieder verlassen. Die deutschen Bomben trafen daher in dichtem Nebel nicht die vorgesehenen militärischen Ziele, sondern forderten zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung. Trotz der heutigen moralischen Verurteilung stellte dieser fehlgeschlagene Luftangriff damals keinen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht dar
    (vgl. Horst Boog, Bombardierung der polnischen Grenzstadt Wielun am 1.9.1939, in: Franz W. Seidler / Alfred M. de Zayas (Hrsg.), Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Hamburg u.a. 2002, S. 136).

    Im Gegensatz zur Wehrmacht stieß die Rote Armee nur auf geringen Widerstand der völlig überraschten polnischen Truppen. Die sowjetischen Verluste betrugen lediglich 1139 Gefallene, die Wehrmacht hatte 10.572 (und 3404 Vermisste). Man kann hier tatsächlich von einem sowjetischen „Überfall“ sprechen, da nach den gültigen Verträgen Polen sogar eine massive sowjetische Unterstützung gegen Deutschland erwarten konnte. Und keinesfalls den plötzlichen Angriff. Denn außer dem gegenseitigen Nichtangriffsvertrag bestand nach wie vor auch der genannte Unterstützungsvertrag zwischen beiden Staaten.

    Bekanntlich war der polnisch-sowjetische Nichtangriffspakt erst im November 1938 für sieben Jahre erneuert worden, außerdem hatte der stellvertretende sowjetische Außenminister Potemkin im Frühjahr 1939 in Warschau Waffenlieferungen für den Fall eines Krieges gegen Deutschland zugesagt. Nach der Invasion dachten viele Polen deshalb anfangs noch an eine sowjetische Militärhilfe.
    (Quelle: Sergej Slutsch, 17. September 1939: Der Eintritt der Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), S. 249f.)

    So ist es nur allzu verständlich, dass Stalin die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit bei der Zerschlagung des polnischen Staates als eine „mit Blut besiegelte Freundschaft“ bezeichnete
    (Aus Stalins Telegramm an den deutschen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop laut Prawda vom 25. 12. 1939, zitiert nach Slutsch, S. 254).

    Beste Grüße, Bodo

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: Daß der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmaier)

  • Vielen Dank Bodo für diesen sehr aufschlußreichen Beitrag. Man lernt nie aus.

    Um so heuchlerisch scheint mir die Position unserer Volksvertreter, die in Moskau den Tag des Sieges mitfeiern.
    Schröder hatte es eingeleitet und jetzt ist es anscheinend eine Tradition für alle Bundeskanzler-rin dabei zu sein.  :(

    Gruß

    Miro

  • Quote

    Original von Bodo Franks
    Im Gegensatz zur Wehrmacht stieß die Rote Armee nur auf geringen Widerstand der völlig überraschten polnischen Truppen. Die sowjetischen Verluste betrugen lediglich 1139 Gefallene, die Wehrmacht hatte 10.572 (und 3404 Vermisste). Man kann hier tatsächlich von einem sowjetischen „Überfall“ sprechen, da nach den gültigen Verträgen Polen sogar eine massive sowjetische Unterstützung gegen Deutschland erwarten konnte. Und keinesfalls den plötzlichen Angriff. Denn außer dem gegenseitigen Nichtangriffsvertrag bestand nach wie vor auch der genannte Unterstützungsvertrag zwischen beiden Staaten.

    Hallo Bodo,

    ne so einfach geht es nicht: hier ist ein militärisches Forum und kein politisches.
    Natürlich gab's ein sowjetisches Überfall,aber in militärischem Sinne es war alles schon entschieden am 17 Spt. 1939.

    Also den Überfall hatte so gut wie keine Auswirkung auf die Kampfhandlugen gehabt , es sei denn Du würdest uns die Gegen-Beweise nehnen !

    Und vor allem Du hast uns die Stalins Angriffspläne versprochen - wo sind sie denn ?

    Es ist nicht fair: die anderen tüfteln und basteln und grubeln , und Du verspeist uns mit Zitaten , manche davon zum polit. Feuletons gehören :) !

    Ich denke mir Du konntest es besser machen !

    nachdenklicher gruss , Vladimir

    Edited 3 times, last by Vlad (May 17, 2010 at 5:05 PM).

  • Hallo Bodo,

    aktuelle Politik wird hier im Forum nicht diskutiert. Das ist ein Grundsatz, dass auch du befolgen solltest.

    Was deine Beiträge angeht, da muss ich sagen, dass alles bekannt ist. Wenn du Fragen hast, dann kann man drüber diskutieren. Derzeit weichst du den jetzt schon gestellten Fragen aus.
    Wie wäre es mit einer Beantwortung der Fragen?

    Wie die Russen mit dem 17.09.1939 umgehen ist eine berechtigte Frage.
    Man kann davon ausgehen, dass dieses Datum nicht unter einem Überfall, Kampf oder Krieg zu finden sein wird, wenn man sieht, wie schnell der sowjetische Apparat die einverleibten Gebiete eingegliedert hat und wie schnell man die polnische Führungsschicht verschleppt, umgebracht oder vertrieben hat.

    Ein wenig Informationen findest du auf die schnelle bei Wiki Sowjetische Besetzung Ostpolens

    Und was die polnischen Verbände in Ostpolen angeht, wo bitte waren die starken Verbände?

    Quote

    Weniger bekannt ist, dass Hitler und die Wehrmachtführung im Polenfeldzug dringend die Hilfe der Roten Armee benötigten. Der Krieg gegen Polen hätte sich sonst noch lange hinziehen können. Im Osten des Landes standen starke polnische Truppenkontingente bereit.

    Polen hatte zur Sicherung ihrer östlichen Grenze Grenzschutz-Einheiten aufgestellt. Diese Einheiten konnten der Roten Armee nicht viel Widerstand leisten. Wobei es einige gewonnen Kämpfe gegen die Rote Armee gab.

    Wiki KOP de

    eine viel bessere Erläuterung findet man hier.
    Wiki KOP en

    Gruß
    Raffael

  • Hallo,

    Danke für den Zuspruch und auch für die kritischen Fragen! Ich habe aber nie behauptet, ich hätte Stalins Angriffspläne gefunden, wie Vladimir meint:

    Quote


    Hallo Bodo,

    na bin ja gespannt wo hast Du die Pläne gefunden :) ?


    Der schlechte Zustand betraf also die Panzerdivisionen und einen Teil der Infanteriedivisionen. Der Generalstab des Heeres zögerte deshalb, Warschau und andere verteidigte Städte wie Modlin mit Bodenoffensiven einzunehmen. Die Folgen (verheerende Luftangriffe auf Warschau) sind bekannt. Die Partisanenangriffe dauerten ebenfalls an und sorgten für weitere Unsicherheit in den rückwärtigen Gebieten. Auch Modlin mit 90.000 Verteidigern wurde bis zur polnischen Kapitulation Anfang Oktober nicht eingenommen.
    Ich vermute, dass der doppelte Schock, sowohl von den westlichen Alliierten als auch von der vertraglich gebundenen Roten Armee verraten worden zu sein, die polnischen Streitkräfte und ihre Kommandeure zusätzlich entmutigte.

    Ohne den Einmarsch der Roten Armee in Polen hätten sich Hitler und die Wehrmacht wahrscheinlich in größeren politischen und militärischen Schwierigkeiten (Zweifrontenkrieg) befunden. Ob Stalins Griff nach den ostpolnischen Gebieten 1939 kriegsentscheidend war, weiß ich nicht. Aber er gab zumindest Frankreich Gelegenheit, sich gegen die Einlösung der Bündnispflichten für Polen zu entscheiden.

    Gruß, Bodo

    „Was wir im deutschen Widerstand während des Krieges nicht wirklich begreifen wollten, haben wir nachträglich vollends gelernt: Daß der Krieg schließlich nicht gegen Hitler, sondern gegen Deutschland geführt wurde.“ (Eugen Gerstenmaier)

  • Quote

    Original von Bodo Franks

    Deshalb habe ich Vladimirs Frage (mit smiley) als rhetorische Frage verstanden. Denn Vladimir wird wohl wissen, dass das Stalin-Archiv und alle relevanten Dokumente unter Verschluss sind. Falls der Kreml sie nicht inzwischen aussortiert und vernichtet hat (vgl. Dimitri Wolkogonow, Die Sieben Führer. Aufstieg und Untergang des Sowjetreichs, Frankfurt 2001, S. 522). Für nichtrussische Historiker ist die Einsicht in brisante Papiere sowieso verboten. Diese Klage habe ich schon oft bei Kreml-unabhängigen Forschern gelesen.


    Hallo Bodo,


    nein so war es nicht gemeint :). Für jeder Angriff gibt's auch Angriffspläne, ist doch logisch.

    Natürlich nicht von Stalin selbs entworfen, sondern von seine Generäle, oder besser gesagt
    die Pläne des russ. Generalstabes. Z.b. es gab welche zur WinterKrieg gegen Finnland, die Pläne
    waren nicht sehr toll, aber trotzdem die liegen im russ. Archiv, bzw. Militärarchiv und sind mehr oder weniger bekannt.

    So dachte ich mir , konntest Du auch die Pläne zum Einmarsch in Polen in Sept -39 suchen und finden.
    Die gab's sicherlich schon und sind nicht so sehr bekannt wie zB. der weltberühmte Plan Weiß.

    Also es gibt wirklich etwas zum erforschen sozusagen, und es stimmt auch nicht das die russ.
    Archive nur für die Russen offen sind. Der amerikanische Oberst David Glanz höchstpersonnlich hatte in moskauer Militärarchiv gearbeitet und zwar schon vor einigen Jahren.

    Ja es bietet doch einiges für einbischen Geld :), aber das Risiko wird belohnt !

    Ach übrigens, der Historiker D. Wolkogonow ist ein sehr schlechtes Beispiell: alle seine Werke sind extrem Propagandaverdächtigt :
    das Wort "Glavpur" hast Du sicherlich schon mal gehört.

    gruss Vladimir

    Edited once, last by Vlad (May 24, 2010 at 9:58 AM).