Rolle Meines Grossvaters In der Motor SS (1935-1945) - War Er Wirklich So Harmlos?

  • Hallo:

    Ich habe vor kurzem herausgefunden, dass mein Opa Mitglied der Motor SS von 1933-1945 im schwäbischen Tuttlingen war. Sein höchster Rang bei Kriegsende war Oberscharfführer. In seiner Entnazifizierungsakte steht, dass er im Juni 1933 Mitglied der Motor SS wurde, weil er so ein begeisterter Motorradfahrer war.

    Hier ist der Originaltext:

    "Der Betroffene gab an, er sei als begeisterter Motorsportler zur SS gekommen. Im SS-Sturm sei ihm die Betreuung der Verwundeten und Hinterbliebenen aufgetragen worden. In den Jahren von 1935-1941 habe er keinen SS-Dienst wegen Krankheit (Tuberkulose) gemacht. Zur DAF sei er gekommen als Angehöriger der Berufsorganisation "DHV" (Deutscher Handlungsgehilfen-Verband), die von der DAF übernommen worden sei. Als Mitglied des Fussballvereins Tuttlingen sei der zum NS-Reichsbund f. Leibesübungen gekommen. Der Betroffene hat verschiedene Zeugnisse zu seiner Entlastung vorgelegt. Es wird ihm bescheinigt, dass er als begeisterter Motorradsportler zur Motor-SS gekommen sei. Dort habe er sich sozialen Aufgaben gewidmet und Hinterbliebene und Evakuierte betreut. Er habe sich auch nicht durchdie NS-Rassenanschauung verwirren lassen und trotz seiner Eigenschaft als SS-Mann den Umgang mit Nichtariern aufrecht erhalten. Politisch sei er nicht hervorgetreten, sei anständig, kameradschaftlich und korrekt gewesen, habe unparteiisch gehandelt und keinen Unterschied zwischen Parteigenossen und Nichtparteigenossen, Inländern oder Ausländern in der menschlichen Behandlung gemacht."

    Meine Frage ist nun: Konnte man einerseits Mitglied einer Nazi-Verbrecherorganisation gewesen sein und gleichzeitg diese Mitgliedschaft nur ausschliesslich dazu benützt zu haben, um "Spass" zu haben mit anderen Motorrad-Begeisterten und um "Gutes" zu tun, indem man sich um Verletzte und Hinterbliebene der SS kümmerte. Ich tue mich schwer, dass zu glauben und gedanklich einzuorden. War das wirklich möglich damals in einer kleinen deutschen Provinzstadt? Hatte meine Opa einfach nur Glück, dass er nicht qua seiner SS-Mitgliedschaft dazu gezwungen wurde, sich an verbrecherischen Taten zu beteiligen oder hat er es nach Kriegsende einfach sehr nur schlau angestellt, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und am Ende als Mitläufer eingestuft zu werden? Mein Opa war auch nie wirklich aussergewöhnlich "sozial" eingestellt, sondern eher ein kaltschnäuziger, herrischer Dickkopf. Jedenfalls habe ich ihn so erlebt als Kind und Teenager.

    In dem Zusammenhang möchte ich auch noch erwähnen, dass er von 1924 - 1945 Betriebsleiter in einem kriegswichtigen Unternehmen in Tuttlingen war. Sein Vorgesetzer war bekennender Nationalsozialist. Beim Einmarsch der Franzosen 1945 hat er damals in einer Nacht-und Nebelaktion versucht zu fliehen. Er war als Zivilist gekleidet und wurde von den Franzosen gefangenen genommen. Er kam dann erst einmal für 8 Monate in französische Kriegsgefangenschaft und dann für 8 Monate in ein Internierungslager, nachdem ihn Zwangsarbeiter seines Betriebes als Nazi identifiziert hatten.

    Ich würde mich sehr freuen wenn jemand mir helfen könnte die Rolle und Taten meines Grossvaters während des 2. Weltkrieges besser einzuordnen. In der Entnazifizierungsakte hört sich alles so an, als habe sein einziges Vergehen darin bestanden, ein leidenschaftlicher Fan von Motorrädern gewesen zu sein. Aufgrundessen ist ihm alles weitere ohne sein weiteres Zutun "passiert", so als hätte er keinen Einfluss darauf gehabt. Das scheint mir nicht 100% nachvollziehbar, da ich von Erzählungen von meinen Onkeln und Tanten weiss, dass er ein auf jeden Fall Antisemit und ein "mit der Wolle gewaschener Nazi" war.

    Freue mich auf jede Antwort, die mir hilft die Rolle und Person meines Grossvaters im 2. Weltkrieg besser verstehen zu können.

    Viele Grüsse,
    Birgit Hartmann

  • Hallo Birgit.

    Wenn der Opa schon 1933 der SS beigetreten war dann musste er mehr beweisen als nur ein Interesse an Motorraedern. Zur Auslese in die SS, 1933, musste er seine politische Begeisterung beweisen. Ich wuerde sogar raten das er vorher SA Mitglied war. Eine Anfrage beim Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde wuerde eventuell alle Fragen beantworten, ohne jegliche Spekulation einzugehen. Dort werden die originalen Antraege, Beurteilungen, Fuehrungszeugnisse, usw. in den Archiven aufbewart.

    Freundliche Gruesse,

    inter

    Edited once, last by inter (January 17, 2017 at 8:03 PM).